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Die Einsamkeit des Literaten
artikel [ Internet ]
Kolumne 89

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von [Delagiarmata ]

2012-11-06  |     | 



Zum 9. Geburtstag der deutschen Site von agonia.net / poezie.ro

Vorgestern wohnte ich einer Führung im Marieluis-Fleißer-Haus in Ingolstadt bei. Das Gebäude ist schon auf einem Stadtmodell aus dem 16. Jahrhundert zu sehen. Im 20. Jahrhundert war im Erdgeschoss des Anwesens eine Schmiede untergebracht. In den Räumlichkeiten darüber verlebte die Schriftstellerin Marieluise Fleißer (1901 – 1974) ihre Kindheit. Sie sprach immer von ihrem Vaterhaus. Der Schmied hatte seine Frau früh verloren und „die Fleißer“, wie die Ingolstädter nicht immer wohlwollend sagten, ihre Mutter kaum gekannt.

Die Fleißer ist längst tot, aber die Schmiede ist noch immer da, inmitten einer Großstadt, und das Haus gehört noch immer einem Nachfahren der Fleißer-Familie. Nur zwei kleine Räume sind der Fleißer-Ausstellung vorenthalten: links die Schmiede und rechts die Vitrinen. Die Schmiede wird auch für Sonderausstellungen genutzt. Großflächige Zitate bringen den Besucher hier schnell dem Wesen der einst besonders in ihrer Heimatstadt umstrittenen Schriftstellerin näher.

„Der schöpferische Mensch, wenn er seiner Mitwelt Eindringliches sagen zu müssen glaubt, wird immer nur allein vorwärtsdringen.“ So die Dramatikerin und Erzählerin Marieluise Fleißer. Aus diesen Worten spricht klar und deutlich die Einsamkeit der Schriftstellerin. Sie war nicht die Einzige, die sich mit ihrer Schriftstellerei allein gelassen fühlte, und wird auch bis ans Ende aller Tage Leidensgenossinnen und -genossen haben.

Du liest dein Gedicht noch einmal durch. Dann kopierst du es, fügst es in ein Kästchen auf der eigenen oder fremden Homepage ein und klickst auf „Veröffentlichen“. Was hast du davon, wird dich der eine oder andere fragen. Die Führerin durch die Ausstellung, sagte es mit einer gewissen Peinlichkeit: Sie wisse von Leuten, die Marieluise Fleißer noch persönlich gekannt haben, dass die Schriftstellerin immer am Rande des Existenzminimums gelebt habe. Da half die Zugehörigkeit zum Brecht-Klan ebenso wenig wie ein gewisser Bekanntheitsgrad nach dem Krieg. So geht es vielleicht auch dir mit deinen Gedichten.

Warum aber solltest du deine Neigung einem Existenzminimumskampf aussetzen, dich um Ruhm und Literaturbetriebzugehörigkeit bemühen, wo du doch weißt, wie klein, ja unexistent deine Chancen sind? Warum willst du dich zurückziehen, verbittert, verhärtet, unversöhnlich? Ich werde nie mehr zu einem Bleistift greifen, das Schreiben vergessen - für immer und ewig! Klick mal dein letztes Gedicht an. Und freue dich! Fünf Menschen haben es angeklickt. Vielleicht sogar gelesen. Du hast also für dich – das ist mehr als legitim –, aber nicht nur für dich geschrieben. Für wen noch? Für weitere fünf Menschen. Fremde. Nein, nicht nach Marieluise Fleißer. Die hatte trotz aller persönlichen und literarischen Rückschläge ausreichend Selbstbewusstsein gespeichert, um zu sagen: „Ich schreibe für jene, die entschlossen sind, zu erkennen.“

Kann man den Schreibprozess als geistigen Schöpfungsakt überhaupt noch schöner beschreiben, als es Bettina Katalin in ihrem beeindruckenden Kafka-Essay tut? „Der Prozess des Schreibens ist eng verknüpft mit der Schwangerschaftsthematik, die, durch das männliche Feuer der Kreativität entfacht, auf der weiblichen Gefühls-und-Seelenebene erfahren und vollzogen wird.“ Bleibt letztendlich die Mutter im Augenblick des Ans-Licht-Tretens ihres Sprösslings nicht allein mit ihrem Schmerz, einsam trotz der Anwesenheit der Geburtshelfer? In DIE AUSWÄRTIGE PRESSE e.V. (Hamburg) wird die erfolgreiche Dramaturgin mit dem Satz zitiert: „Schreiben ist auch permanentes Selbstbefragen, etwas über sich selbst zu erzählen, vielleicht sogar, Ruhe vor sich selbst zu haben…“ Schreiben als Schutzschild gegen äußere wie innere Inkonvenienzen - ein Heilmittel für die Seele.

Das machst auch du hier auf agonia.net / poezie.ro; und meine Wenigkeit auch, seit nunmehr neun Jahren - und das weitab von jedwedem Literaturbetrieb. Und es gab kein Gedicht oder kein Prosatext, der nicht mindestens einen Menschen gefunden hat, der entschlossen war „zu erkennen“. Ihm und allen anderen sei bei dieser Gelegenheit gedankt, dass sie dir und mir, also uns besessenen Schreiberlingen, einen Augenblick ihrer Zeit oder vielleicht sogar einen Gedanken gewidmet haben.

Zu der sehr sachkundigen und kurzweiligen Führung durchs Fleißer-Haus waren an diesem Novembersonntagnachmittag außer mir noch drei Personen gekommen. Also insgesamt vier, „die entschlossen sind, zu erkennen.“

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