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Frau Lagodas Liebe
prosa [ ]
Ein moldawischer Film in der Deutschen Bahn

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von [NSD ]

2004-10-15  |     | 



Ins matte Lichtkreis erscheint das runde Gesicht eines Mannes mit runden Brillen. Die Brille reflektiert das Licht, sodass man seine Augen nicht sehen kann.
Der Brillenträger: "Diese Deutsche Bahn macht kein Geräusch. Ich bin hier im Zug und erwarte, dass es macht, wie bei unseren Zügen in Moldowa. Aber da ist nichts. Ich strenge mich an und vibriere selber ein … und warte dann gespannt auf das . Aber es kommt nicht. Das ist wie das chinesische Tröpfchen: Man weiß, dass es tropfen sollte, aber es tropft nicht... Auch höre ich keine Akkordeonlieder. Keine hitzigen Diskussionen. Kein Ächzen, kein Betteln. Und keine Sonnenblumenkerne-Knack-Geräusche. Und jetzt - im Dunkeln - hat keine Frau geschrien."
Eine Frau, kokett: "Ach, Herr Apostol, das müssen Sie nicht sagen! Was wird man über unsere Frauen denken?"
Herr Apostol ist verärgert. Es wird hell, der Tunnel ist vorbei, nun sieht man seine runden Augen.
Herr Apostol zur toupierten Frau: "Frau Lagoda, Sie haben wieder das Filmen unterbrochen!"
Frau Lagoda, amüsiert: "Aber das ist ein Making Of, sagten Sie. Und das muss authentisch sein."
Herr Apostol, grimmig: "Authentisch ist, was der Regisseur beschließt."
Frau Lagoda, beleidigt: "Vergessen Sie nicht, mit wem Sie so reden! Ich war die Trakerkönigin, Anna Karenina und die Frau von Stefan dem Großen. Dieser Film da, über zwei, die sich in einem Zug im Westen verlieben, ist der dümmste Film, den ich je gedreht habe!"
Herr Apostol: "Als ich Sie traf, waren Sie Museumsführerin in einem Dorf."
Frau Lagoda, rot im Gesicht: "Ich hütete den Hain unseres Nationaldichters!"
Herr Apostol: "Für einen Hungerlohn."
Frau Lagoda, zutiefst beleidigt: "Sagen Sie noch ein Wort und ich steige bei der nächsten Station aus!"
Herr Apostol, amüsiert: "Und wohin wollen Sie gehen?"
Frau Lagoda, weinerlich zum Kameramann: "Herr Iancu, er will mich unter Fremden absetzen."
Herr Iancu schaut unbeteiligt durch die Kamera.
Frau Lagoda legt die Hände vors Gesicht und beginnt hysterisch zu schluchzen.
Der Zug hält in einer Station.
Herr Apostol nähert sich ihr vorsichtig: "Fühlen Sie sich hier fremd?"
Frau Lagoda wimmert: "Ja… Es ist so, als wären sie keine Menschen, sondern Fernsehbilder. Ich sehe sie, aber sie sehen mich nicht. Ich weiß, wenn ich sie anrühre, dann macht es pick-pick wie auf einem elektrisierten Bildschirm, und da bleibt mir Staub auf dem Finger. Und sie fühlen mich nicht…"
Während Frau Lagoda spricht, schaut sie nachdenklich aus dem Fenster. Draußen bewegen sich dunkle Regenschirme, aber in den Waggon dringt kein Geräusch. Frau Lagoda haucht auf das Fenster und hinterlässt einen kleinen Nebelkreis. Dann wischt sie alles weg...
Herr Apostol zu Herrn Iancu: "Haben Sie alles aufgenommen?"
Herr Iancu, immer noch durch die Kamera blickend: "Alles."
Frau Lagoda schaut erschrocken auf. Dann verengen sich ihre Pupillen. Sie dreht sich ruckartig um und verpasst Herrn Apostol eine Ohrfeige.
Herr Apostol lacht. Er nimmt Frau Lagodas kleine Hand und küsst sie.

Ein paar Reihen dahinter sitzt ein strammer Mann im Anzug und telefoniert: "Ja, ich sitze im Zug. Wollte nur sagen: Für die “Mein Sex am Samstag”-Ausgabe habe ich schon meine Geschichte fertig. Sie heißt “Nicht jeder Finne schwimmt im Eisloch”, und es geht um einen einsamen Mann, der ein Sexkino besucht. Da bekommt er eine Toilettenrolle, und er darf alleine in so eine kleine Videokabine mit einem richtigen Cockpit. Da hat man Joysticks, weißt du, dass man den ganzen Film vor- und zurückspulen kann. Mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Aber den Mann hemmt dieses weiße Klopapier. Es ist so weiß, dass es phosphoreszierend leuchtet. Es blendet auch die Schauspieler im Film, die dann ihre Köpfe in den Laken verstecken. Und da beginnen die Erinnerungen des Mannes, an diesem Weiß. An dem Schneeweiß. Dem Weiß wie Eis...
… Ich vermisse dich, Tina! …
Du bist so weit weg, dass ich mich eher an Meteoriten prallen sehe als in deiner Gegenwart. Und trotzdem bist du meine einzige Wirklichkeit. Ich spreche mit dir, auch wenn ich glaube, dass ich schweige. Ich war gestern in einem Stummfilm. Er hieß “Wunder der Schöpfung” und wurde 1925 gedreht. Stell dir vor, da reisen die Astronauten in einem runden Teller und landen auf jedem unserer neun Planeten. Der Saal hat Tränen gelacht. Doch am Ende unseres Sonnensystems stand ein Schild: “Hier endet unsere Fantasie und wir machen kehrt.” Da hat niemand mehr gelacht… Tina… Du bist meine Fantasie und trotzdem weiter als meine Fantasie reichen kann…
Tina…? Bist du noch da? Ich bin im Zug, die Verbindung ist schlecht. Ich rufe dich nach der Arbeit an. Hast du gefragt, wann du Urlaub bekommst? Hallo, Tina? Hallooo!"


Herr Apostol schaut ernst durch seine runde Brille auf das runde Objektiv der Kamera: "Am schwersten umzusetzen war der erste Kontakt der Geliebten. Wir haben als Schauplatz einen Zug gewählt, denn hier treffen allerlei Menschen aufeinander. Aber als wir hierher kamen, merkten wir, dass der deutsche Zug nur ganz wenig schaukelt - Da gibt es kaum zufällige Berührungen zwischen Fahrgästen. Auch gibt es keine starken Bremsmanöver, dass man den anderen Menschen in die Arme fallen kann. Daher haben wir uns etwas ganz anderes ausgedacht, etwas, das an Fantasy grenzt… Aber das sehen Sie im Film! Stellen Sie sich vor, was für ein Rätsel: Wie kann man in diesem zivilisierten Land Kontakt herstellen? Sicherlich ganz anders als bei uns. Frau Lagoda, wie haben Sie ihren Mann kennengelernt?"
Die Kamera schwenkt auf Frau Lagoda.
Frau Lagoda, mit frischem, knallrotem Lippenstift: "Da ging es ganz natürlich zu. In unserer Straße hat man damals viel gebaut, da gab es viele Arbeiter und Ingenieure. Jedes Mal, wenn ich vorbeiging, haben die gepfiffen. Da war aber auch ein seltsames Pfeifen dabei. Das kann ich kein Pfeifen nennen, es war die Nachahmung verschiedener Hausvögel. Mal hörte ich eine Henne, mal eine Truthenne… Da sagte meine Mutter eines Tages: “Ja, da ist einer, der ein Nest bauen will!” Das hat mich überzeugt. Ich habe mich schön gemacht, bin auf die Straße gegangen und habe den Typen direkt angeschaut. Er war auch hübsch und trug einen Anzug, wie alle Ingenieure. Am Anfang war er verwirrt, aber dann kam er herüber zu mir und fragte, ob ich ihn heiraten will."
Herr Apostol: "Und haben Sie glücklich gelebt?"
Frau Lagoda: "Immer! Bis zum Tag unserer Scheidung."
Herr Apostol: "Und wie kam es zur Scheidung?"
Frau Lagoda: "Es kam ebenfalls mit den Vögeln. Da habe ich ihn einmal auf dem Balkon erwischt, wie er Vögel nachahmte. Wieder Hennen und Truthennen. Da sagte ich: "Diese Vögel lockst du dir nicht aus den Bäumen!" Und gleich schaute ich auf den Baum und sah den Balkon unserer Nachbarin Zvetlana, die gerade Wäsche aufhängte. Und da habe ich gleich die Scheidung beantragt."
Herr Apostol, neugierig: "Und er hat das einfach so hingenommen?"
Frau Lagoda: "Natürlich nicht. Er ist nach einer Woche wieder vor meiner Tür erschienen, mager und blass, und hat gesagt: “Ljubimaja, ich habe seit dem Tod der kleinen Hündin Laika im All nicht mehr so geweint.” Da habe ich auch geweint. Die Erinnerung an diese kleine Hündin erschüttert mich jedes Mal. Stellt euch vor, wie sie still in ihrem Satelliten auf die Welt geschaut hat, bis sie zusammenschmolz. Wie kann man überhaupt glühen und schmelzen in dieser kalten Weite?"


Der stramme Mann im Anzug telefoniert weiter: "Bist du in der Arbeit, Tina? Kannst du sprechen? Ich habe nicht vergessen, wie wir Liebe gemacht haben. Habe ich dir erzählt, wie es mir dabei ist? Ich sehe unsere Körper in viele Stückchen zersprengen, wie ein Stern. Dabei bleiben meine Körperteile mit den deinen verbunden. Das heißt, da schwebt dein Oberschenkel mit meiner Hand darauf, deine Schulter mit meinem Mund, dein Busen mit meinem Ohr… Alles schwebt in dieser weiten Ferne… Gestern Abend hatte ich in meinem leeren Zimmer eine Vision: Wenn ich weiterhin so fest an dich denke, werden irgendwann an allen Orten, wo wir zusammen waren, marmorne Tafeln erscheinen - “Unter dieser Uhr hat Stefan seine Tina aus dem Internet zum ersten Mal getroffen”, “In diesem Café hat Stefan Tinas Hand so in die seine gedrückt, dass Tinas Ring verbogen wurde”, “Auf dieser Bank hat Tina Stefan von ihrem Traum erzählt, von dem Zwerg, der sich aus dem Kinderbuch herausbohren wollte und von ihr immer zurückgedrückt wurde”, und nun “Unter diesem öden Denkmal, auf das die Vögel scheißen kommen, hat Tina Stefan erzählt, dass sie verheiratet ist und zwei Kinder hat, die sie nicht einfach so verlassen kann.”... Ja… ja, ich verstehe auch, Liebste… Ich vermisse dich nur…"

Der Schaffner kommt. Herr Apostol steht gelassen auf und drückt ihm die Hand. In seiner Hand hält er ein paar Geldscheine. Er zeigt auf seine Begleiter und blinzelt mit einem seiner runden Augen: "Für uns drei."
Der Schaffner zählt das Geld: "Das ist aber nur für einen Mann mit Fahrrad."
Herr Apostol legt das geduldig aus: "Ja, aber ich brauche keine Quittung. Das ist Ihr Trinkgeld."
Der Schaffner scheint das nicht zu verstehen.
Herr Iancu, flüsternd hinter seiner Kamera: "Das sind vielleicht die überkorrekten Deutschen..."
Frau Lagoda steht im selben Augenblick auf und seufzt laut: "Was für eine Schande!"
Niemand scheint sie bemerkt zu haben - das Bild um sie verändert sich kaum. Der Schaffner schaut auf das Geld, Herr Apostol schaut zum Fenster, Herr Iancu schaut in seine Kamera. Es ist ungewiss, wohin die anderen Fahrgäste schauen, da sie durch ihre hohen Sitzen strikt getrennt sind.
Frau Lagoda bricht in Tränen aus: "Ihr profitiert davon, dass ich da unter Fremden bin…"
Hinter den Sesseln steht plötzlich der stramme Mann auf und sagt zum Schaffner: "Die Frau reist auf meinem Jobticket."
Frau Lagoda blickt erstaunt auf, der Schaffner blickt noch einmal auf das Jobticket. Herr Iancu blickt durch seine Kamera. Herr Apostol blickt nur verärgert über die neue Aufmerksamkeit.
Frau Lagoda erholt sich vom Schock und fällt dem strammen Mann in die Arme:
"Danke, nobler Herr! Gott schläft nicht und wird Sie groß belohnen."
Frau Lagoda presst ihm ihre Hand zum Küssen auf den Mund. Der Mann weiß nicht, wie er reagieren soll. Frau Lagoda besinnt sich und nimmt seine Hand in die ihre: "Nein, mein Herr, ICH muss Ihnen die Hand küssen!"
Der Mann zieht erschrocken seine Hand zurück. Dabei verliert er sein Gleichgewicht, fällt beinahe auf den Rücken, doch er hält sich im letzten Augenblick an Frau Lagoda fest. Frau Lagoda ist überrascht, doch dann lächelt sie sanft und umarmt ihn auch.
Der stramme Mann lacht verlegen: "Wir sehen aus wie ein Liebespaar."
Frau Lagoda lockert nicht ihre Umarmung: "Lass die Leute reden, was sie wollen!"
Der stramme Mann, erheitert: "Mich würde das auf keinen Fall stören..."
Herr Iancu schleicht sich mit der Kamera heran. Frau Lagoda bemerkt die Kamera und beginnt leidenschaftlich ins Objektiv zu sprechen: "Nobler Herr, Ljubimaja, werfen wir uns einfach ins Leben! Sie können alles schmeißen - Ihre deutschen Papiere, Ihren Mercedes, Ihr Haus mit Veranda… Ich brauche nichts! Kommen Sie mit mir nach Moldowa! Oder nein, kommen Sie mit ans Ende der Welt, nach Transnistrien! Da ist nichts. Da ist wirklich nichts! Und da werden wir uns lieben..."
Frau Lagoda küsst den strammen Mann. Der stramme Mann versucht etwas zu sagen, weiß nicht was, und küsst schließlich zurück.
Der Zug fährt in einen Tunnel, und alles wird dunkel.
Ins matte Lichtkreis erscheint das runde Gesicht des Herrn Apostol mit seiner runden Brille. Die Brille reflektiert das Licht, so dass man seine Augen nicht sehen kann. Herr Apostol schnalzt kritisch mit der Zunge.

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