agonia
deutsch

v3
 

agonia.net | Richtlinien | Mission Kontakt | Konto erstellen
poezii poezii poezii poezii poezii
poezii
armana Poezii, Poezie deutsch Poezii, Poezie english Poezii, Poezie espanol Poezii, Poezie francais Poezii, Poezie italiano Poezii, Poezie japanese Poezii, Poezie portugues Poezii, Poezie romana Poezii, Poezie russkaia Poezii, Poezie

Artikel Gemeinschaften Wettbewerb Essay Multimedia Persönlich Gedicht Presse Prosa _QUOTE Drehbuch Spezial

Poezii Românesti - Romanian Poetry

poezii


 
Weitere Texte dieses Autors


Ãœbersetzung dieses Textes
0

 Kommentare der Mitglieder


print e-mail
Leser: 2641 .



Heul Doch
prosa [ ]
Teil 1

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
von [word2go ]

2004-03-16  |     | 



1

Philip setzte die Kaffeetasse ab, neigte den Kopf zur Seite und betrachtete das Ölgemälde über dem Frühstückstisch. Die noch feuchte Farbe schimmerte und er hatte den Eindruck, dass er sich darin spiegeln könnte, würde er nur nahe genug an das Bild herantreten. Sie war tatsächlich eine grandiose Malerin, das war ihm klar, auch wenn er sonst von Kunst nicht gerade viel Ahnung hatte. Er rätselte welcher Kunstrichtung dieses kleine Meisterwerk, sein kleines Meisterwerk seit sie es ihm geschenkt hatte, entsprach, kam aber nicht darauf. Das Bild stellte im Grunde nichts dar. Keine Zeichnung, nur verschwenderisch arrangierte Farben in satten Rot- und Gelbtönen, an den Ecken mit einer Prise mintgrün verziert. Obwohl, eine gewisse Symmetrie war vorhanden. Dicke orange Balken umrahmten gegen den Uhrzeigersinn laufend ein rotes Viereck, das wiederum ein gelbes Viereck einschloss. Innerhalb dieses gelben Vierecks tanzten hinter beigen Gitterstäben verschiedenartige Muster in blau und grün. Das Bild war einfach nur schön. ‚Und das schönste ist, dass sie es gemalt hat’, dachte er, während er mit dem Kaffeelöffel Butter auf seinem Frühstücksbrötchen verstrich. Diese Unart hatte er schon seit er denken konnte. Stets zu faul, um sich vor dem Frühstück ein komplettes Set an den Tisch zu holen, begnügte er sich mit dem Kaffeelöffel als Messer und der Brötchentüte als Teller.
Er hatte Jana vor vier Wochen kennen gelernt und dann ging alles richtig schnell. Seit drei Wochen bereits hatte er nicht mehr allein geschlafen und er wollte verdammt sein, sollte er noch eine einzige Nacht von dieser Frau getrennt sein. Sie war unbeschreiblich chaotisch, nein, sie war das personifizierte Chaos. Immer in Action und stets kreativ verwandelte sie seinen eintönigen Alltag in die Hölle und den Himmel auf Erden. Sie machte den Eindruck, als hätte sie mit dieser ganzen Energie nur auf ihn gewartet, um ihn nun damit zu überschütten, hinfort zu reißen und zu überwältigen. Und er war überwältigt, hingerissen, ja fast phlegmatisch. Er genoss es einfach, da zu sitzen und sie zu beobachten, unfähig seine Aufmerksamkeit auch nur eine Sekunde von ihr zu nehmen, ertrunken im Sog ihrer Weiblichkeit. Und er fühlte sich als Autist, der langsam das Interesse verlor, mit der Welt da draußen zu kommunizieren. Es zählte nur noch sie. Und was konnte einen Menschen mehr befriedigen? Klar, Robert hat schon vor ein paar Tagen auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ob er denn im Bermudadreieck verschollen sei, weil er sich nicht mehr melde?
‚Ja, ein Dreieck war es schon’, lächelte Philip in sich hinein, stopfte sich den letzten Rest des Brötchens in den Mund und schenkte sich noch einen Schluck Kaffee ein. Dann blätterte er auf Seite zwei der Tageszeitung um. Die mochte ihm heute nicht so richtig schmecken. O.K., wer sich die ganze Nacht im Liebesspiel durch die Kissen gerobbt hat, will am Morgen danach nicht unbedingt wissen, wie viele Opfer das letzte Erdbeben im Iran oder das feige, von gar nicht so Gläubigen inszenierte, Selbstmordattentat im Irak gefordert haben. Und Daniel Küblböcks Genickschleudertrauma nach einem Unfall, nach einer Fahrt ohne Führerschein, nach einer beispiellosen Nicht-Karriere, die durch eine grottige Talentsuchshow hervorgerufen wurde, interessierte doch, außer vielleicht Daniel Küblböck selbst, sowieso kein Schwein.
Philip schlug die Zeitung wieder zu und überlegte, ob er Robert nicht doch anrufen solle, um einen Diskoabend klar zu machen. Immerhin hatten sich sein bester Kumpel und Jana bis jetzt noch nicht kennen gelernt, also wurde es langsam wirklich Zeit. Freitag Abend konnte man ins Atomic Cafe. Obwohl, da wäre es möglicherweise eng und überfüllt vor lauter pseudointellektuellen, total hippen Trendsettern - also den Spießern von morgen. Bleiben noch das Backstage und die Alabamahalle. Komasaufen ist wegen Jana nicht drin, also Backstage. Er griff zum Telefon, welches neben der Orangensaftpackung lag und wählte Roberts Nummer. Der hatte sich wohl einen ISDN-Anschluss legen lassen und sah Philips Nummer auf der Anzeige, denn nach zweimal läuten meldete sich Robert überschwänglich: „Hey alter Sack, wo hast Du gesteckt? Hab’ schon gedacht, du kommst gar nicht mehr runter von der neuen Tussi.“
Robert war noch nie für seine dezente Art bekannt gewesen. Philip überlegte kurz, ob es nicht doch besser wäre, die beiden erst später einander vorzustellen, verwarf diesen Gedanken aber wieder. Jana war wahrscheinlich von Roberts direkter Art sogar begeistert und er hätte riskiert Robert vor den Kopf zu stoßen. Philip versuchte unverfänglich zu wirken: „Ja, ich hatte die letzten Tage nicht ganz soviel Zeit. Du weißt ja, frisch verliebt und so.“ Er tat sich wirklich schwer mit seinem Kumpel über seine Beziehung zu reden. „Brauchst mir nichts erzählen, kann mir das schon vorstellen“, lenkte Robert sofort ein, „ich finde es nur schade, dass du, jetzt wo du mal ein paar Tage frei hast von der Redaktion, die ganze Zeit mit diesem Mädchen abhängst. Wir könnten doch mal wieder richtig auf den Putz hauen.“
Die Redaktion, wie sie Robert nannte, war eigentlich eine ungeheuerliche Übertreibung. Philip schrieb eine Kolumne für ein mehr oder weniger bekanntes Internetportal für Markensportartikel. Anfangs wollten die Macher des Portals eigentlich nur ihren tristen Onlineshop mit ein paar witzigen Zeilen aufpeppen. Als sie dann gemerkt hatten, dass ausgerechnet Philips „Alltagsansichten eines Sportschuhs“ mehr Besucher auf die Seite zogen, als die Sonderangebote, hatten sie ihm angeboten, den gesamten redaktionellen Teil des Portals zu übernehmen, Aktualisierungen inbegriffen. Begeistert von der Aussicht, unmittelbar nach dem Studium eine so verantwortungsvolle Stelle zu bekommen, hatte Philip natürlich sofort zugesagt. Und auch wenn 3000€ Anfangsgehalt zwar nicht sensationell, aber für den Anfang doch ganz befriedigend klangen, hatte sich bald Ernüchterung eingestellt. Der technische Support erwies sich nämlich als ‚Rund und die Uhr irgend einen Kleinkram reparier’- Job. Ständig irgendein Skript, das nicht richtig funktionierte, irgendein Bild, das nicht hochgeladen wurde, irgendein Link, der lediglich in die Weiten der eigenen Festplatte reichte. Philip, der Kommunikationswissenschaften und Philosophie studiert und sich nur bedingt für Computer interessiert hatte, war bald heillos überfordert und das ‚Learning by doing’ nach der regulären Arbeitszeit wirkte sich verheerend sowohl auf Freizeitmenge, wie auf deren Gestaltungsmöglichkeiten aus. ‚Plumbs’ - ins Bett fallen – Ende. Der natürlich unbezahlte Urlaub war Rettung in letzter Minute.
„Ich wollte sowieso, dass du Jana mal kennen lernst. Wie wär’s wenn wir heute Abend erst mal einen Cocktail trinken gehen und danach ins Backstage?“ „Backstage klingt gut“, gab Robert zurück, „aber Cocktail trinken wird mir zu teuer. Ich habe doch wegen der Magisterarbeit den Nebenjob geschmissen, um mehr Zeit zu haben. Dafür hab’ ich jetzt weniger Geld.“ Richtig, Philip hatte vergessen, dass Robert momentan voll im Stress war und kurz vor der Abgabe seiner Abschlussarbeit stand. „Gut, dann würde ich sagen, wir sind so um halb elf bei dir. Ich bring noch eine paar Bierchen mit zum Vorglühen.“
Ohne Roberts Antwort abzuwarten, hatte Philip bereits aufgelegt. Robert hätte sowieso zugesagt. Er kannte ja seinen Kumpel. Er wunderte sich, dass er, obwohl sich die beiden nun schon seit Beginn des Studiums kannten - und das waren nun schon fast sieben Jahre - sich noch immer nicht mir Robert über seine Gefühle unterhalten konnte, wenn er verliebt war. Das war wohl typisch männlich, denn anders herum wäre es ihm auch nicht aufgefallen, dass Robert einmal von sich aus auf dieses Thema zu sprechen gekommen wäre. Über ‚heißes Becken’, ‚geile Titten’ und ‚gut zu vögeln’ ist bis jetzt noch keine Diskussion über die jeweiligen Liebesaffären hinausgekommen. Und dabei hatte Sonja, die beste Freundin von Philips Ex Marion, wirklich alles über ihn gewusst. Angefangen von der Länge, Breite und Form seines Penis, bis über seine empfindliche Kniekehle hatten die beiden Mädels alles breitgetreten, was in seinem Sexleben passierte. Sogar Einzelheiten hatte Marion erzählt. Damals, als sie ihn mit der Hand befriedigt und ihm aus Versehen einen dicken Spermafaden ins Auge geschossen hatte. Oder er beim Kommen gefurzt hatte.
Beides veranlasste Marion jeweils zu minutenlangen Lachtiraden, und als wäre das noch nicht peinlich genug, verheimlichte sie ihm auch nicht, dass sie mit solchen Geschichten brühwarm zu ihrer besten Freundin lief. Sie konnte überhaupt nicht glauben, dass solche Gespräche zwischen ihm und Robert nicht stattfanden. Am Schluss konnte Philipp Sonja schon fast nicht mehr in die Augen sehen vor lauter Scham. Irgendwie scheint Frauen das gewisse ‚Verständnis-Gen’ für die Geheimnisse der Männer zu fehlen. Philip kam die Idee, dass ein Männer-Ratgeber für Frauen ziemlich lukrativ sein könnte. Irgendetwas in der Art von ‚Wie erhalte ich das Selbstvertrauen meines Mannes’, oder so. Nachdem was Philip bei „Sex & the City“ gesehen hat, sind anscheinend alle modernen Frauen geheimnismordende Bestien.
Männer dagegen reden nicht mit anderen Männern, als wären sie bei intimen Momenten mit dabei. Männer sprechen über Frauen im Allgemeinen oder Frauen, die nicht erreichbar sind, so wie Jennifer Lopez. Aber Philip hat noch nie jemand sagen hören, dass die Muschi seiner Freundin so wunderbar weich wäre, dass er am liebsten seinen Mund mit Sekundenkleber da unten befestigen würde. Einem Mann klingt das viel zu sehr nach: „willst du auch mal?“ Und erst recht hatte vor ihm noch nie ein Mann zugegeben, dass seine Freundin beim Geschlechtsverkehr gefurzt hätte. Nein, Philip war sich sicher! Es gibt Sachen, die müssen mit niemandem geteilt werden.
Philip überlegte, ob er sich noch ein Brötchen streichen sollte, bevor Jana aufstand. Auf eine seltsame Weise hatte er in den letzten Tagen einen ständigen Heißhunger entwickelt. Er nahm noch einen Schluck Orangensaft und entschloss sich dann erst einmal unter die Dusche zu gehen und zu riskieren, dass das Rauschen Jana aufwecken könnte. Immerhin war es schon halb zwölf, da konnte die kleine Langschläferin ruhig einmal aufstehen. Auf dem Weg ins Bad blieb er an der Schlafzimmertür stehen und beobachtete die Schlafende durch den Türspalt. Ihre rötlich braunen Locken lagen wild über das Kopfkissen verstreut. Philip erinnerte sich, dass er Jana vor ein paar Tagen fast beleidigt hatte, als er scherzhaft meinte, ihre Haarpracht sei eine Mischung aus Pudel und Meduse. Ein gedehntes „ist das sooooo?“, hatte er zur Antwort bekommen.
Es war der erste Moment, in dem er merkte, dass Jana auch anders sein konnte als fröhlich. Nicht, dass diese Bemerkung sein Bild, das er sich von ihr gemacht hatte zerstörte, aber Philip hatte gespürt, dass ein Streit mit Jana keineswegs so glimpflich ablaufen würde, wie mit früheren Freundinnen. Philip war es nicht gewohnt zu streiten und hatte Angst vor der ersten wirklichen Auseinandersetzung mit Jana. Dabei hatte er damit doch nur gemeint, dass er ihre Locken ungeheuer süß findet, dass sie ihren Charakter unterstreichen: wild, chaotisch, zum Knuddeln und gleichzeitig männermordend. Mann, er würde sich über ein so phantasievolles Kompliment freuen. Jana bewegt sich leicht im Schlaf, drehte sich von der Bauchlage auf die Seite und gewährte Philip einen kurzen Blick auf ihren zarten Rücken, bevor sie ihn mit einer fahrigen Bewegung wieder unter der Bettdecke verschwinden ließ. Philip widerstand dem kurzen Anflug von Begierde, löste sich aus dem Türrahmen und ging ins Badezimmer.


Robert lehnte missmutig an der Bar. Er hatte definitiv genug. Genug vom Alkohol und genug von seinem besten Freund Philip und dessen Schnepfe Jana. Mann, der Typ hatte echt Nerven. Lässt wochenlang nichts mehr von sich hören und kommt dann mit so einer Künstlertante daher. ‚Hallo ich bin die Jana und ich steh total auf Rizzi’, äffte Robert sie in Gedanken nach. Den ganzen Abend hatte er vielleicht zehn Sätze mit Philip wechseln können, den Rest der Zeit hing dieser an den Lippen des rothaarigen Monsters. Was fand Philip nur an dieser pseudo-alternativen Braut. Irgendwie erinnerte ihn Jana an die frühen 90er, als Nirvana und Pearl Jam die Welt eroberten und die Mädels, ganz im Grungelook, anstatt Schminke ins Gesicht, sorgfältig arrangierten Dreck unter den Fingernägeln trugen. ‚Anders’ zu sein, war damals Trend, doch anders als all die Anderen konnte Robert diesem depressiven, verheulten und jammernden Mainstream nichts abgewinnen. Er sah sich selbst als Macher, als handelnden Menschen, den niemand so schnell unterkriegen konnte.
Mit Kunst und Kultur hatte er nichts am Hut. Das war schon eher etwas für Philip, den verträumten Schöngeist, der eigentlich ein verkappter Schriftsteller und Poet war. Journalist zu sein, so viel wusste Robert, war für Philip nur die sicherere Variante, seine Passion zum Beruf zu machen. Etwas anderes als Schreiben passte auch nicht zu Philip. Eines Abends hatte er Robert einmal erklärt, dass der Stift seine ‚Waffe’ sei, die einzige die er habe. Anders als Robert habe er kein ökonomisches Geschick, keine Energie und die Ausdauer mit Menschen zu verhandeln. Er wäre kein Taktiker. Nein, dass einzige was er habe, sei sein wacher Geist und sein Talent, Menschen mittels geschriebener Worte in andere Welten zu versetzen. „Einem Buch widerspricht man nicht“, hatte Philip gesagt. Robert war damals hin- und hergerissen zwischen Ekel und Mitleid ob so eines geringen Selbstwertgefühls.
Jana riss ihn aus seinen Gedanken. „Meinst Du, Du könntest mir noch eine Cola bestellen?“, stand sie plötzlich vor ihm. Robert suchte mit einem Blick die Tanzfläche nach Philip ab, konnte ihn aber nirgends entdecken. „Ne Cola?“, wiederholte Robert dümmlich, „dass Du mir davon ja keinen Rausch bekommst.“ „Den hab’ ich heute Dir überlassen“, konterte sie, „wahrscheinlich gibt es sowieso keinen Tropfen Alkohol mehr, nachdem Du so einen Durst entwickelt hast.“
‚Bingo’, die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Immerhin war sie schlagfertig. Robert drehte sich zu Barkeeper um und orderte eine Cola. Er musste Philip unbedingt dazu bringen, dieses Gör wieder fallen zu lassen. Und er hatte da schon so eine Idee. „Sag mal, wie habt ihr euch eigentlich kennen gelernt, Du und Philip?“ Gespannt wartete Robert, wie Jana auf diese Offerte zu einem etwas netteren Gespräch reagierte. „Wie bitte?“, fragte Jana lauter, neigte sich etwas nach vorne und bewegte die Hand zum Ohr, als ob sie wegen der lauten Musik schlecht verstanden hätte. „Ich wollte fragen, wie ...“ Jana stupste ihn an, um ihm zu zeigen, dass der Barkeeper die Cola bezahlt haben wollte und drückte ihm drei Euro in die Hand. „Danke“, schnappte sie schnell, drehte sich um und war auch schon im Gewühl der Tanzfläche verschwunden.
Robert stand da wie vom Blitz getroffen. So respektlos hatte ihn schon lange niemand mehr abserviert. Logisch, er hatte ziemlich viel getrunken und war deswegen vielleicht nicht mehr der angenehmste Gesprächspartner. Aber dem besten Kumpels des Freundes so unhöflich zu begegnen war schon eine ausgesprochene Frechheit. Er nahm sich vor, es dieser blöden Tussi zu zeigen und Philip wieder zur männlichen Freiheit zu verhelfen. Nach ein paar Wochen Liebeskummer würde selbst Philip merken, dass er auf so Eine ruhig verzichten kann und er würde Robert aus tiefstem Herzen dankbar sein, dass er ihn von ihr befreite. Laut schlürfend saugte er den Rest seines Cuba libre aus dem Glas, sah noch einmal über die Tanzfläche, erspähte Philip und Jana in inniger Umarmung an der Wand lehnen, hatte jedoch keine Lust mehr sich zu verabschieden und machte sich auf den Weg zum Ausgang.
Es war eine relativ kühle Sommernacht und Robert bereute, dass er keine Jacke mitgenommen hatte. Wenigstens erfrischte ihn die kalte Luft, klärte sein Gehirn und lichtete den Nebel, den der Alkohol wie einen Schleier über seine Augen gelegt hatte. Er musste einen Weg finden, wie er Philip und Jana auseinanderbringen konnte, ohne dass Philip von seiner Intrige Wind bekam. Leicht fröstelnd stand Robert an der Hauptstrasse und wartete auf ein Taxi, welches er heranwinken konnte. Wäre es wärmer gewesen, hätte er sich vielleicht den Spaß gegönnt, zu Fuß nach Hause zu gehen. Das war zwar ein relativ langer Marsch, doch er liebte München bei Nacht: die stillen Schatten zwischen den Gebäuden, die ersten Vögel, die den nahenden Morgen begrüßen. Nur nachts wird die tagsüber so geschäftige Stadt wirklich friedlich und bietet Raum für Entspannung. Für den sonst so realistischen und tatkräftigen Robert waren nächtliche Spaziergänge ein kostbar romantisches Element seines Lebens. Nach zehn endlosen Minuten nahte endlich ein freies Taxi. Robert winkte es heran, stieg ein und nannte dem Fahrer seine Adresse.


Mit einer solchen Reaktion seines Kumpels hatte Philip nicht gerechnet. Jana war Robert so augenscheinlich unsympathisch, dass man die Abneigung, die in der Luft hing, fast körperlich spüren konnte. Den ganzen Abend hatte sich Robert an der Bar herumgedrückt und keine Anstalten gemacht, sich ins Gespräch einzubringen oder wenigstens einmal auf die Tanzfläche zu gehen. Statt dessen hatte er sich darauf beschränkt, im stummen Trotz einen Longdrink nach dem anderen zu vernichten und dämliche Grimassen zu schneiden. Philip war diese Seite an Robert bisher nicht, oder nur nebenbei, aufgefallen. Robert wirkte eigentlich immer souverän und Herr seiner Sinne. Gelegentlich kam es vor, dass er mit seiner oft arrogant wirkenden Art aneckte. Doch der trotzige Rückzug in sich selbst, den Robert heute an den Tag gelegt hatte, konnte Philip beim besten Willen nicht verstehen. Er musste zugeben, dass ihn Roberts Verhalten leicht säuerlich machte. Ja, er war sogar ein wenig beleidigt. Er hatte ihm immerhin nichts getan.
Jana schien die düsteren Gedanken hinter seinen Augen zu bemerken. „Alles o.k. mit Dir?“, erkundigte sie sich und strich ihm liebevoll eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht. „Hmmh“, brummte Philip nur und küsste sie auf die Stirn, „bin nur ein bisschen müde, das ist alles.“ „Tut mir leid, dass der Abend nicht so gelaufen ist, wie Du Dir das vorgestellt hast. Aber vielleicht hat Dein Freund einfach nur einen schlechten Tag erwischt?“ Philip blickte in ihre grünen Augen. Ihr Mitgefühl war absolut ernst gemeint. Er konnte ihr auch schlecht irgendwelche Vorwürfe machen. Etwa, dass sie Robert geschnitten oder ihn zu sehr abgeschirmt hätte. Trotzdem wollte er zumindest ein wenig wütend auf sie sein. Denn egal, aus welchem Grund Robert heute so komisch unterwegs war, sie war auf jeden Fall der Auslöser. „Warum lehnt er Dich nur so kategorisch ab?“ Die Frage war eher rhetorisch, denn an Jana gerichtet. Philips Blick streifte durch den sich langsam leerenden Raum. Ein paar wenige Gäste standen noch verstreut umher, die Musik hatte bereits Konversationslautstärke. Bald würde einer der Türsteher kommen und sie bitten, die Diskothek zu verlassen. Philip sah auf seine Uhr. Es war bereits zehn nach fünf, die ersten Busse und U-Bahnen fuhren also schon wieder. Robert war bestimmt mit dem Taxi nach Hause gefahren. Es wurmte ihn gewaltig, dass er es nicht für nötig gehalten hatte, sich wenigstens zu verabschieden.
„Er ist wahrscheinlich einfach nur ein wenig eifersüchtig, weil sein bester Kumpel nun in festen Händen ist, während er die Richtige noch nicht gefunden hat.“ Wie selbstverständlich sie annahm, dass sie die Richtige für ihn sei. Er blinzelte sie verliebt und gleichzeitig traurig an. Durch das Tanzen und Schwitzen war ihre Schminke ein wenig verwischt und im Winkel ihres rechten Auges sammelte sich Kayal. Sie sah aus wie eine verruchte Madonna. Philip versuchte, sie sich mit dem typischen, blauen Marien-Schleier und einem Kind auf dem Arm vorzustellen, ähnlich wie im Madonna-Video „Like a Virgin“. Er legte ihr zärtlich seine linke Hand auf die Wange und strich mit dem Daumen die Wimperntusche aus dem Auge. Lächelnd blickte Jana auf. „Jetzt bin ich bestimmt total verschmiert oder? Philip konnte nicht leugnen, dass er mit seiner Aktion ihr Erscheinungsbild durchaus nicht zum Besseren geändert hatte und nickte. „Zuhause spiele ich Deinen Maskenbildner und schminke Dich ab. Versprochen!“ „Oh, ich glaube da fällt mir etwas besseres ein“, blitzte sie ihn an und strich mit der Hand verführerisch über seine Brust. Für diesen Moment war Robert in die Nebel der Vergessenheit entschwunden.

.  | Index








 
shim Eine virtuelle Heimstätte der Litaratur und Kunst shim
shim
poezii  Suche  Agonia.Net  

Bitte haben Sie Verständnis, dass Texte nur mit unserer Erlaubnis angezeigt werden können.
Copyright 1999-2003. agonia.net

E-mail | Vertraulichkeits- und Publikationspolitik

Top Site-uri Cultura - Join the Cultural Topsites!