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Scheidung
prosa [ ]

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von [Ada Schwartz ]

2007-01-11  |     | 



Was war der schlimmste Tag in eueren Leben?
War es der Tag an dem ihr einen geliebten Angehörigen verloren habt?
Für die geschiedenen unter uns denke ich, war es der Tag an der die Scheidung vollzogen wurde.
Ich wurde auch mehr oder weniger gewaltsam geschieden. Die Firma bei der ich tätig war meldete Konkurs an.
Meine Ehe mit der Firma dauerte fünf Jahre lang. Ich spreche von Ehe, denn der Mensch ist genau so lange im Betrieb, wenn nicht noch länger, als Zuhause.
Die Firma beschäftigte sich mit Seminarorganisation für Auszubildende, da wir zurzeit in Deutschland Bildung nicht gebrauchen können, stellten die Betriebe keine Auszubildenden mehr ein.
Langsam, langsam wurden die Seminare immer weniger und eines schönen Tages meldete die Firma Insolvenz an.
Eigentlich war die ganze Misere absehbar, leider bin ich ein sehr positiver Mensch und glaubte an das Gute. Der Insolvenzverwalter tat rein gar nichts und meldete nach kurzer Zeit Konkurs an.
Eines Tages erhielt ich einen Brief.
Zur euere Information, eine Kündigung wird auf weißem, unschuldigem Papier geschrieben.
Die Kündigung wird zur unrecht blauer Brief genannt.
Nein, meine Kündigung war weiß wie der Busen einer Jungfrau!
Ich hielt das Schreiben in der Hand wie Salome den Kopf Johannes des Täufers, nur das es mein eigener Kopf war.
Sicherlich war es mein eigener, denn ich rannte völlig kopflos in der Gegend rum…….

Den Brief vor mir haltend ging ich in den Hof und setzte mich auf eine Bank. Ich rümpfte die Nase der Brief stank wie Aas!
Dieser Geruch war mir aus meiner Kindheit vertraut, blumig und gemischt mit dem Geruch eines nassen Hundefells.
Ich dachte nach, nein, der materielle Teil war nicht das schlimmste an der Geschichte!
Wenn ein Emigrant seinen hart erkämpften Sozialstatus verliert, ist es als ob er seine Identität zum zweiten Mal verloren hätte.
Eine bleierne Müdigkeit überfiel mich, ich streckte mich auf der Bank nieder.
Das schöne Bürohaus in dem wir residierten war fast leer.
Jetzt viel es mir richtig auf! In der Kopflosigkeit der vergangenen Wochen hatte ich es gar nicht gemerkt wie leer das Haus geworden war.
Die Kantinenbesitzerin lief durch den Hof
„ Wo sind die vielen Leute die hier gearbeitet haben?“
„ Die sind ausgezogen, angeblich wurde nicht nur ein Teil der Produktion sondern sogar die Sachbearbeitung nach, nach, ach ich weis es nicht mehr wohin verlagert.
Kannst du dir vorstellen was das für ein Umsatzeinbruch für mich ist? Einige Mitarbeiter habe ich schon entlassen!“
Du liebe Zeit! Wenn schon die Sachbearbeitung verlagert wird, dann Gute Nacht um sechs.
Eine fürchterliche Migräne überfiel mich aus heiterem Himmel.
Ich übergab mich im Blumenbeet. Die Frau hielt meinen Kopf und sprach auf mich ein.
Als ich fertig war setzte ich mich wieder hin.
Die Frau war verschwunden.

Verflucht! Hatte ich nicht heute Morgen im Radio gehört die Konjunktur sei wieder angesprungen? Es seien weniger Menschen ohne Arbeit als im vergangenen Jahr?
Die Tatsachen um mich rum sprachen eine andere Sprache.

Das Haus schien um mich rum einzustürzen. Ich war alleine wie Robinson Crusoe, nur der Papagei und Freitag fehlten.
Die Karawane des Wohlstandes zog weiter, ich blieb völlig orientierungslos zurück in dieser Wüste aus Glas und Beton.
Ich muss meinen Kopf wieder finden! Ohne Kopf geht nichts!
Als ich die Hand hob merkte ich dass er noch da war und gewaltig schmerzte. Das Gehirn war eine pulsierende Masse, vor meinen Augen tanzten Sterne.
Der Magen fing wieder an zu rebellieren, ich übergab mich erneut.

Du liebe Zeit, ich habe meine Kündigung beim erbrechen besudelt.
Na ja, bei dem Gestank den die Kündigung von sich gibt, ist es kein Wunder brechen zu müssen.
Normalerweise hätte ich mich über so eine Geschichte kaputt gelacht!
Stellt euch vor das verblüffte Gesicht der Arbeitsberaterin wenn ein frischer Arbeitsloser eine voll gekotzte Kündigung präsentiert…….
Aber es war mir nicht danach zumute…

Mein Herz pochte wie wild. Es fing sogar an zu schmerzen, so als hätte jemand mit einer Rasierklinge mein Herz zu zerkratzen versucht.
Tja, wer kratzt denn an meinem Herz? Ist es der Insolvenzverwalter? Oder ist es meine Seele die das Herz mit der Rasierklinge bearbeitet?
Seelenqualen lassen sich zumindest für eine kurze Zeit mit echten Schmerzen betäuben, ich wusste das ganz genau.
Hätte nie gedacht mich noch mal an dieses unrühmliche Kapitel zu erinnern.
Ich sollte aufhören mit diesem Spiel und das Herz in Ruhe lassen!

Die Frau aus der Kantine war wieder da. Sie hatte einen Becher mit Saft dabei.
„Trink etwas, dann wird es dir besser gehen! Mir ist es wieder eingefallen wohin die Produktion und die Sachbearbeitung verlagert wurden, nach Rumänien.“
Ich schaute Sie an und fing an zu lachen.
Das lachen blieb mir im Hals stecken und ich fing wieder an zu weinen. Die Frau lief erschrocken weg, vielleicht dachte sie ich bin Wahnsinnig geworden?

Ja dort, weit weg habe ich einen Teil meines Lebens gelassen.
Rumänien, lange ist es her!
Es war schon eigenartig deinen Namen in diesem Zusammenhang zu hören!
Du armes Mädchen, ewig mit Bulgarien verwechselt, am Rande der erweiterten EU, wie geht es dir?
Jetzt bist du, du dich in all den Jahren nicht mit Ruhm bekleckert hast, in den Mittelpunkt geraten. Alle sprechen über dich, du bist das jüngste Kind der EU!

Warum verfolgst du mich überall auf der Welt, sogar hier in dieser Wüste aus Glas und Beton hast du mich eingeholt……
Wir zwei hatten eine sehr komplizierte Beziehung bevor ich mich von dir scheiden ließ.
Mehr aus einer Laune heraus, stieg ich in den Zug um einen Ausflug in die noch einige Monate existierende DDR zu machen.
Es wurde ein langer, sechzehnjähriger Ausflug.
Wie ein Ehemann der Zigaretten kaufen geht und nie mehr zurückkommt habe ich mich damals davongeschlichen!
Einen Abschied gab es nicht, junge Menschen denken über solche Kleinigkeiten nicht nach!
Ich dachte die Zeit wurde dort regelrecht konserviert und ich könnte jederzeit die Orte und die Menschen meiner Kindheit besuchen.
Nein, die Zeit bleibt nirgends still. Als Kind hatte ich versucht die Zeit auf den Dachboden einzusperren, es hat nicht funktioniert, sie ist entkommen!
Als ich das Land im vergangen Sommer besuchte fand ich nur noch Reste meines einstigen Lebens. Das Land existierte nur noch in meiner Erinnerung. Die Menschen die mich begleitet haben waren großteils schon ewig unter der Erde.


Ab diesem Tag gab es eine neue Zeitrechnung für mich: vor und nach der Kündigung!
Vor der Kündigung hatte ich einen Leben, nach der Kündigung hatte ich Arbeitslosengeld……..
Ein schlechter Tausch, findet ihr nicht?

Etwas Positives ging doch aus dieser Zeit hervor, denn ich fing an mich mit dir Rumänien zu beschäftigen….
Zeitreisen sind immer sehr anstrengend.
Die Zeit hat mit ihren scharfen Zähnen an meiner Kindheit genagt.
Ihre Begleiter die Dämonen der Vergangenheit schlafen Jahrzehnte in den dunklen Ecken des Verstandes, eines Tages schlagen sie ganz sicher zu!
Ein Entkommen gibt es nicht!
Ich werde es zulassen und versuchen die Dämonen zu besänftigen! Vielleicht schließen wir Freundschaft, ich und meine Dämonen…..

Das Gefäß in dem ich meine Seele trug, zerbrach an dem Tag als ich gekündigt wurde.
Wie ein Haufen bunter Glasscherben lag mein Leben vor mir.
Ich muss das Gefäß der Seele wieder reparieren.
Die Erinnerungen werde ich wie buntes Glas zusammenkleben und eine Vase daraus basteln.
Eine Seele die kein Haus mehr hat, geht auf Wanderschaft und verirrt sich, sie findet nicht mehr zurück.
Die seelenlosen Menschen mit leeren Augen und ausdrucklosen Gesichtern begegneten mir auf den Fluren des Arbeitsamtes. Ich sage bewusst Arbeitsamt denn ich bin altmodisch und mag keine Veränderungen.
Als ich mein Gesicht im Spiegel sah, merkte ich dass ich voll und ganz eines dieser Gespenster geworden bin.
Jeder spricht über uns! Wir sind das Ärgernis der Republik, was wäre das Leben doch schön wenn es uns Arbeitslosen nicht gebe!
Als Personen sind wir uninteressant, wir sind Zahlen die hin und her innerhalb der Statistiken geschoben werden.

Ja, ich muss mit dem zusammenkleben der Seele bald anfangen bevor meine Kraft schwindet!
Ich fange ganz am Anfang an, als du Rumänien und ich, noch verheiratet waren!


Nein, nicht verheiratet! Ich war Minderjährig, noch ein Kind……..


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