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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2009-05-17
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Ich war nie mit Bacovias* düsterer Darstellung der Schule einverstanden. Auch wenn, mich betreffend, das Lyzeum in Alba Iulia*, wo ich die Klassen 6 – 11 besucht habe, mir eine Bombe unter meinen Kindsallerwertesten gelegt hat und mir den Weg sogar zum ... Friedhof vorbereitet hatte.
Ich erinnere mich, einer der seltenen Alumnen gewesen zu sein, die vor Freude schäumten, als das neue Schuljahr begann, während so gut wie alle anderen sich wünschten, die Ferien – besonders die Sommerferien – würden ewig dauern. Ich konnte kaum erwarten, von meinen Klassenlehrern die Bank zugewiesen zu bekommen - in den unteren Klassen eine Frau Beligăr, Russischlehrerin, und in den höheren Ion Lăncrănjan, womöglich ein Verwandter des Schriftstellers gleichen Namens, der aus Oradea de Jos stammte, einen Kilometer von Alba entfernt. Weil ich ein guter Schüler war, wurde ich in jedem Herbst in der hintersten Reihe platziert, aber mit der Zeit rückte ich wegen meiner defizitären Disziplin vor bis in die erste Bank, zu den Schlimmen, zwecks Ãœberwachung. Mich hat eigentlich keine dieser Varianten gestört. Nur ab der 8-ten, nachdem dass Knabenlyzeum zur Gemischten Mittelschule mutierte, war ich an einem Platz interessiert, der mir eine günstige Position zu den hübscheren Mädchen, mit denen sich unsere Klasse von Halbstarken geschmückt hatte, sicherte. Ja, Halbstarke! In der 6-ten kam ich aus Cluj vom Knabenlyzeum Nr. 3, später „Emil RacoviÈ›ă“, an dem einige Jahre zuvor auch mein berühmter Freund Florin Piersic* lernte, aber auch mein Klassenkollege Gheorghe Benga, genannt Bogo, Biochemiker und Akademiemitglied, der den Nobelpreis verpasste; besser gesagt, dem man den Nobelpreis verwehrte, aber auch einige andere Eliteschüler, die große Wissenschaftler oder Universitätsprofessoren wurden, also, eine Schule mit großer Disziplin und Hinwendung zum Buch. Wir bemühten uns zum Beispiel bei den Mathematiktrimesterarbeiten, nicht nur die damals höchste Note 5, nach sowjetischem Modell, zu erreichen, sondern jene „5 mit Glückwunsch“, die Professor* Matei wie einen Orden festlich vor der Klasse verlieh. Also aus diesem akademischen Umfeld kam ich nach Alba Iulia in das Knabenlyzeum, wo ein unbeschreibliches Chaos herrschte. Als ich die Klasse betrat und einen freien Platz zugewiesen bekam - ich wurde im April, im dritten Viertel, glaube ich, versetzt –, setzte ich mich mit auf dem Rücken verschränkten Händen hin, auf den Beginn der Stunde wartend, wie ich es in Cluj gewohnt war. Meine Kollegen haben mich angestarrt wie einen Außerirdischen, die Augen wollten ihnen schier aus den Höhlen quellen – so etwas hatten sie ihr Lebtag noch nie gesehen. Sie tobten durch die Klasse, schlugen sich mit den eingebundenen Schulbüchern auf den Kopf ... und erst der capo di tutti capi, einer Vuk. Er war ein eingefleischter Draufgänger, aber sehr sympathisch, der kaum wartete, dass die Professorin oder der Professor in die Klasse kam, damit er demonstrativ aus dem Fenster steigen konnte, sich dabei in unglaublichen Flüchen über jene ergehend, die ihm Wissen beibringen wollten. Ich bekam lediglich einen verächtlichen Blick ab und schon hatte er es mir angetan. In der Regel trug er ein Messer bei sich, ein Küchenmesser, aber scharf geschliffen, auch gut zum Schweine schlachten. Er bedrohte damit die Professoren, die es wagten ihn zurechtzuweisen. In einer Pause kam er damit zu mir und sagte: „Schau her, hol das, hau mit der Spitze auf die Bank und du wirst sehen, dass ich den Mut habe, meine Hand auf diese Stelle zu legen.“ „Du bist verrückt. Ich werde dich verletzen.“ „Das ist nicht dein Problem. Schau, ich habe hier Zeugen, die werden bestätigen, dass es nicht deine Schuld war.“ Nach längerem Zögern habe ich dann doch eingewilligt und die Bank anständig mit dem Messer bearbeitet, darauf konzentriert, was Vuk mit seiner Hand wohl machen würde. Ich war verstört und besorgt, als der Lümmel mir eine Ohrfeige verpasste, dass ich mit dem Messer in der Luft erstarrte und er mit einer Hand die von mir malträtierte Stelle des Schulinventars bedeckte. Ich wurde anständig ausgelacht, aber die Geschichte hat mich vom Bravsein geheilt. Ich habe mich mit dem Vagabund befreundet, ihn öfter in seiner Unterkunft, die er mit seinem Vater an der schmalen Eisenbahnstrecke nach Zlatna bewohnte besucht, wir sind auf die Bäume geklettert, haben auch geraucht, ich seltener, aber er war schon ein alter Raucher. Und siehe, so wurde aus dem Vorzeigekind, als das ich von Cluj kam, ein Ãœberläufer ins Lager der Vagabunden und nachdem Vuk in der 7. Klasse verschwand, übernahm ich seine Stelle als Bandenchef. Die Bücher sagten mir weiterhin zu, Jahr für Jahr war ich Prämiant. Nur bei Betragen zappelte ich zwischen 6 und 7, was in die Geschichte dieser Schule als Paradox einging. Sie werden sagen, das hat nichts mit Politik zu tun. Doch, das hat es! Die Verrücktheiten, zu denen ich mich mit meinem gescheiten Hirn befleißigt fühlte, hatten nämlich oft politische Konnotationen. In jener Zeit wurden alle mit den „Vorschlägen“ nicht konforme Vorfälle als „feindlich“ eingestuft und hart bestraft. Kürzlich habe ich im Fernsehen bestürzt das Drama eines Jugendlichen gesehen, der bei einem genossenschaftlichen Treffen in einem Dorf, um 1950, wegen einem Mädchen einen Streit vom Zaun brach, und dabei die nie fehlende Büste Stalins vom Sockel stieß. Also, der Vorfall wurde als Feindseligkeit gegenüber Väterchen interpretiert und der Unglückliche wanderte für einige Jahre ins Kittchen. Eine gute Fee oder besser gesagt ein Schutzengel, dessen Atem ich öfter im Genick gespürt habe, hat mich, wie man sehen wird, vor einer solchen Tragödie geschützt. Zuerst zu Russisch: Wir hatten ab der 2. Klasse der Elementarschule und bis zur 8-ten (nach dem Tauwetter) je eine Russischstunde am Tag, mehr als Rumänisch. Ich habe schon erzählt, dass ich auch heute nicht begreife, warum uns diese Sprache zutiefst unsympathisch war. Gut, wenn wir in Cluj nichts zu protestieren hatten, weil es eben nicht geduldet wurde, so haben wir in Alba Iulia die Klassenprofessorin Beligãr (auch Russischprofessorin) die ganze Zeit irritiert. Als Strafe wurde ich meiner Ämter als Klassenchef und Vorsitzender der Pionierorganisation, die man mir kurz vorher anvertraut hatte, wieder enthoben. Anscheinend seit damals behagten mir die verschiedenen Ehrenämter überhaupt nicht. Ich habe auch nie Anstrengungen unternommen, um sie zu behalten, wenn man sie mir zufällig wegen meines „Dossiers“ doch mal gab. Die Ausschüsse hatten eine klare politische Nuance: Respektlosigkeit gegenüber der Sprache des großen sowjetischen Befreiungsvolkes und vor Väterchens Sprache; hätte man uns gesagt, dass dies die Sprache Tolstois und Puschkins war, hätten wir vielleicht ein anderes Verhalten an den Tag gelegt. Später, in der letzten Lyzeumsklasse, der 11-ten, hatte ich wieder mit den Russen zu tun. Diese Probleme waren zweifellos die Folge der „Erziehungsmethoden“ meines Vaters. Also erwartete die Securitate von mir zu Recht, dass ich ihn wegen feindlichen Ansichten verrate, bin doch auch ich längst wie er: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. ... Es näherten sich die Trimesterarbeiten bei Geschichte. Wir hatten eine böse, aber blitzgescheite Professorin, mit der wir immerhin noch Meinungen austauschen durften. Folglich konnten wir mit ihr vereinbaren, dass sie uns ein Thema über die Französische Revolution von 1789 gibt. Aber da Bock, so nannten wir sie, unberechenbar war, haben wir ein Zeichen vereinbart für den Fall, dass die Ereignisse eine andere Wende nehmen würden. Auf mein Zeichen – ein großes Taschentuch, mit dem ich oft die Unterrichtsstunden störte, wenn ich mich langweilte und sich mir die Gelegenheit bot, hinausgeschmissen zu werden -, also beim Schwenken dieses Tuches – ich saß natürlich vorne in der Eselsbank – sollten alle mit dem Niederlegen des Federhalters reagieren, so eine Art Streik. Genau so ist es dann auch gekommen: Bock betrat die Klasse und schrieb mit großen Buchstaben das Thema der Trimesterarbeit auf die Tafel: Die Große Sozialistische Oktoberrevolution. Bestürzung, aber mein Taschentuch flatterte und keiner hat ein Wort geschrieben. Das Problem an sich war nicht der Streik, sondern die Tatsache, dass wir uns weigerten, über den großen russischen Feiertag zu schreiben. Mein Gott, welch ein Skandal da herauskam, Untersuchungen, Druckausübungen, aber zum Schluss waren doch wir die Sieger und haben an einem anderen Tag über die Französische Revolution geschrieben. So haben wir also einen Sieg der französischen Bourgeoisie über das russische Proletariat erzielt. Wieso mir nicht mehr passierte, als dass mir wie schon üblich die Note bei Betragen gesenkt wurde, kann ich mir bis heute nicht erklären. Es wird wohl mein Schutzengel gewesen sein... Im Lyzeum fanden auch noch andere „feindliche“ Aktionen statt, deren Teilnehmer aber hart bestraft wurden. Ich habe meine Kollegen, die im Internat wohnten, dafür sehr beneidet, dass sie unter der Bettdecke mit der Taschenlampe zu jener Zeit verbotene Bücher lasen, wie etwa „Die Kunst der rumänischen Prosaautoren“ von Tudor Vianu*. Bei einer Durchsuchung, die ein zielstrebiger Pädagoge, dessen Namen ich völlig vergessen habe, der aber in den Archiven der Gemischten Mittelschule, seit 1959 Lyzeum „Horia, Cloşca un Crişan“, auffindbar sein müsste, durchführte, wurde auch dieses umstürzlerische Buch entdeckt. Der Kerl hat es voller Abscheu zur Hand genommen, es durchgeblättert und ist dabei auf das Kapitel „Schöpfer des rumänischen Romans“ gestoßen. Beim Wort „Schöpfer“ schäumte er vor Wut und schrie in Anwesenheit der assistierenden Direktoren: „Horch, Schöpfer, Kirche, Mystik!“ Er machte sich lächerlich, aber niemand hat damals gelacht. Dieselben „Verbrecher“ wurden vom selben Pädagogen der neuen Schule – nicht? – beim Singen verbotener, reaktionärer Lieder wie Wach auf Rumäne, Drei Farben kenn ich auf der Welt, Auf unserer Fahne steht Vereinigung ertappt. Gott oh Gott, wieso war ich nicht dabei? Mit Sicherheit hätte ich ihm auch ein Es lebe der König vorgeschmettert, das ich von Mutter kannte. Ein anderes Durcheinander also für einige Hymnen, von denen die ersten zwei später Nationalhymnen wurden, während die Musik des dritten auch heute die Hymne Albaniens ist. Die armen Kollegen haben voll gebüßt. Sie wurden aus der UTM* ausgeschlossen, für einen Monat von der Schule verwiesen und nur dank der Fürsprache einiger beherzter Lehrer blieb eine Exmatrikulation oder, Gott behüte, eine Verhaftung aus. Das waren Gesetzesverstöße und nicht, was ich in einem schweren Winter als Bandenchef so ablieferte. Das Lyzeumsgebäude stand damals wie heute auf dem Platoul Romanilor*, nur dass damals die Kühe dort weideten, gar keine Rede von Wohnblocks und Alleen. Um 1960 gab’s einen schneereichen Winter mit hohen Verwehungen, so dass der Schulbesuch nur über freigeschaufelte Wege durch Berge von Schnee, entlang der katholischen Kathedrale und durch ein schmales, intakt gebliebenes Tor auf der Westseite der Stadtmauer möglich war. Was mir einfiel? Eines Morgens ging ich zur Schule, blieb aber nicht im Unterricht, sondern suchte mir sieben gleichgesinnte Kumpels, einer schwächer in Betragen als der andere, was will man mehr, sieben Draufgänger, mit denen ich in die Stadt aufbrach. Dort haben wir gut gespeist, einige heiße Schnäpse hinuntergestülpt und sind dann zurück zur Stadtmauer, wo wir das Tor, durch das die Schüler und Lehrer nach dem Unterricht auf ihrem Heimweg gehen mussten, besetzten. Zu jener Zeit standen außer dem imposanten Lyzeumsgebäude nur zwei oder drei Wohnhäuser und Zufahrtswege gab es überhaupt keine. Oben auf der Mauer formten wir hunderte Schneebälle aller Größen und gehärtet von innen mit Eisklumpen, wahre Geschosse. Als der Zeitpunkt gekommen war, dass die hungrigen und eingefrorenen Schüler durch das betreffende Tor nach Hause gehen mussten, waren wir auf unserem Posten. Wie die Grenzler Stefans des Heiligen* haben wir den Eingang in die Stadt heldenhaft verteidigt, alle, die sich näher trauten, mit kleinen Schneebällen vertreibend, während wir für die Tapferen riesengroße Ballen bereithielten, mit denen wir die Frechen in Schneemänner verwandelten. Alle litten, Schüler wie Lehrer, nur wir genossen unseren ewigen Ruhm. Irgendwann kehrte der Sportprofessor zurück in die Schule, nahm einen Sprechtrichter und rief uns unter anderem zu: „Räumt die Altstadt, sonst werdet ihr exmatrikuliert!“, worauf wir uns siegesgewiss vor Lachen zerrissen. Lange Rede, kurzer Sinn - als Unbesiegbare konnte uns lediglich die Verzagtheit und der Hunger der Kollegen dazu bewegen, siegreich unsere Position zu verlassen und uns zu anderen heißen Schnäpsen zurückzuziehen. Am nächsten Tag erwartete uns die ganze Schule, um uns aufzuzehren, mehr aber auch nicht. Wir erwarteten, lächelnd und über alle Maßen von unserem Streich begeistert, die Strafen. Wie ich schon andeutete, erging es uns viel besser als den tapferen Sängern der Hymnen. Es scheint so, als hätten sie keinen Strafparagraphen im Schulregelwerk gefunden, der die „Belagerung einer Schule“ und die entsprechende Bestrafung vorsah. So blieben wir also mit dem ungetrübten Glorienschein und mit der Betragungsnote auf das rettende Minimum abgesenkt, also 6; 5 bedeutete Exmatrikulation. Leider war auch der geschichtliche Widerhall bescheiden. Eh, wenn es auch nichts Politisches war ... Hätten wir nur einige Spruchbänder dort angebracht, subversive, schnell wären wir in Aiud* gelandet, das nicht weit war und bei höchsten Parametern arbeitete. Das ganze wurde aber vermerkt unter der Rubrik Kerbholz. Dazu kamen noch die Streitigkeiten mit einigen schwächeren Lehrern, die wir unverschämt auf ihre Fehler an der Tafel oder im Katalog aufmerksam machten. Sehenden Auges füllte sich der Becher. Was folgte, gehört ins Reich der Fantasie. Anmerkungen*: - Bacovia, George (1881 – 1957) = rumänischer Dichter, wird zu den Symbolisten gezählt, lernte ab seinem sechsten Lebensjahr Deutsch - Alba Iulia = Karlsbur - Florin Piersic = rumänischer Schauspieler - Professor = in Rumänien Beruf des Gymnasiallehrers, kein Titel - Vianu, Tudor (1897 – 1964) = rumänischer Lyriker, Essayist und Kritiker UTM (Uniunea Tineretului Muncitor) = Union der Arbeiterjugend, Jugendorganisation der Kommunistischen Partei - Platoul Romanilor = Römerplateau - Stefan der Heilige, auch Stefan der Große (1433 -1504) = Herrscher des Fürstentums Moldau von 1457 bis 1504 - Aiud = Ort mit einem der berüchtigten Gefängnisse für politische Gefangene |
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