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Blue-time
persönlich [ ]

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von [Reni ]

2007-04-09  |     | 






Blue time


Wohlig streckte sie sich in der Badewanne aus. Die schweren Träume der Nacht lösten sich im warmen, duftenden Wasser auf und würden etwas später gurgelnd im Abfluß verschwinden.
Immer wieder diese Träume, dachte sie. Jeden zweiten oder dritten Tag dieselben Träume. Sie steht in irgendeiner Stadt, findet ihre Wohnung nicht mehr, hat irgendeines ihrer Kinder irgendwo deponiert, weiß nicht mehr wo, hat kein Geld, die völlig unbekannten Straßen durch die sie in ihren Träumen geht, werden immer enger, sind nur noch ein schmaler Spalt durch den man sich nur mühsam hindurchzwängen kann, oder überhaupt steckenbleibt.
Ein Therapeut könnte damit sicher etwas anfangen, aber momentan tut es die Badewanne auch, dachte sie. Die abschließende kalte Dusche besorgte den Rest. Da blieb von den bösen Träumen eigentlich nicht mehr viel übrig, bis auf das nicht genau definierbare Gefühl: irgend etwas läuft falsch. Aber wie so vieles in ihrem Leben, verbannte sie auch dieses Gefühl in den hintersten Winkel, in die am weitesten entfernte Schublade ihres Gehirns.Du mußt nur aufpassen, ermahnte sie sich, daß aus dieser sorgfältig gehüteten Schublade keine Abfallhalde wird.
Als das Telefon zu läuten begann, wußte sie genau, daß sie dieses Mal „ Ja „ sagen würde.
„ Hast du Lust auf eine blaue Stunde ?“
In der letzten Zeit hatte sie, wenn er diese Frage stellte, immer irgend eine Ausrede, irgendwelche Ausflüchte. Aber heute nicht, heute wird mir so eine blaue Stunde gut tun, dachte sie, und so fragte sie nur nach dem „wann“.
Sie kannten sich schon so lange, waren einander so nahe, so vertraut, daß sie sich diese kurze und saloppe Art der Konversation leisten konnten.
Sie wunderte sich immer wieder über sich selber. Bin doch eigentlich eine ganz nüchterne und praktische Person und ich bin auch weiß Gott nicht mehr zwanzig. Wieso dann immer wieder und jedesmal auf dem Weg zu ihm diese Schmetterlinge oder Käfer oder sonstigen Krabbeltiere in meinem Bauch?
Nun, vielleicht ist die Liebe wirklich so ein Mysterium, das sich um kein Alter, um keine Konventionen, um keine Zwänge und um keine Äußerlichkeiten auch nur im geringsten kümmert.
So, oder so ähnlich muß es wohl sein, dachte Marlene, und versuchte das flatternde Getier in ihrer Magengegend zu beruhigen.
Sie sah ihn schon von weitem. Sah sein schönes Profil, wußte um die Macht seiner dunklen Augen und freute sich auf seinen Mund, auf seine Umarmungen, auf wilde ungezügelte Leidenschaft, auf Momente von unglaublicher Intensität, voll mit pulsierendem Leben.
Sie beeilten sich sehr in das kleine Zimmer zu kommen, das Paul schon seit Jahren gemietet hatte. Ein Gasthof mitten im Wald mit einem verschwiegenen, etwas mürrischem Wirt.
Wir wollen niemals jemandem wehtun, hatte er am Anfang ihrer Beziehung gesagt. Es war eine Bitte und zugleich ein Versprechen. Zuerst rebellierte sie dagegen, hielt es für Rückgratlosigkeit, für Scheinmoral, Heuchelei und Verlogenheit. Pauls dunkle Augen wurden meist noch eine Spur dunkler und sehr traurig, wenn sie ihm dies auch sagte.
Erst viel später, als sie nach vielen Jahren gelernt hatte los zu lassen, verstand sie die tiefe Weisheit dieser Handlungsweise. Sie wußte plötzlich, daß ihnen durch die Verschwiegenheit ihrer Beziehung etwas sehr Kostbares blieb. Niemals konnte ihnen der Alltag, mit seinen vielen Störfaktoren, etwas anhaben, niemals hatte die Gewöhnung eine Chance ihr graues, unansehnliches Tuch über ihre Liebe zu breiten. Denn in diesen kurzen Stunden gehörten sie nur einander. Sie wanderten durch die Traumlandschaften des nördlichen Waldviertels, erzählten einander von ihrem Leben, das irgendwo außerhalb ihrer Welt stattfand, liebten sich und lachten viel.
Paul hatte in diesen Augenblicken das laute, unbeschwerte und fröhliche Lachen eines glücklichen Mannes.
„ Ich möchte dir etwas schenken,“ sagte Paul, als sie sich zum Abschied noch einmal umarmten. Er legte eine Goldmünze in ihre Hand, die sich kalt anfühlte aber sehr schnell warm wurde.
„ Warum schenkst du mir Gold?“ fragte Marlene ein wenig mißtrauisch.
„ Ich möchte mich bei dir für das viele Gold bedanken, das du in mein Leben gebracht hast“ , sagte er.
„ Es war das Gold und der Duft des Weizenfeldes, kannst du dich erinnern, ich wollte einmal ein Bett in einem Kornfeld und du hast dich nicht gesträubt. Es war das Gold der herbstlichen Wälder, weißt du noch, damals auf diesem Hochstand.
Es waren die goldgelben Äpfel die du mir, an einem großen Zweig, ins Krankenhaus brachtest, ich wußte damals, daß ich nach diesem Unfall niemals mehr auf einen Apfelbaum steigen werde. Und es war der goldene Schimmer der Kerzen, später im Advent. Ich mußte das Gehen erst wieder mühsam lernen.
Viele Stunden Bahnfahrt hast du auf dich genommen, um mir dieses Gold in eine blaue Stunde zu bringen, das werde ich nie vergessen.
Einige Jahre später, du weißt es sicher noch, es war ein Märchenwinter, tief verschneit war unser Waldviertel. Wir lehnten uns an einen großen Baum mit weit ausladenden Ästen. Dieser Riese des Waldes muß sehr empört gewesen sein ob unseres ruchlosen Tuns. Voll Abscheu schüttelte er seine Krone und deckte uns zu mit seinem Rauhreif. Lachend und prustend flüchteten wir auf die weite, weiße Wiese vor uns. Und da war es wieder , Gold, gleißende goldene Sonnenstrahlen auf einem unberührten Schneefeld.
Das wertvollste ist jedoch das Gold in deinen Augen, das mich anstrahlt und mich unendlich glücklich macht in diesen kostbaren Momenten intimster Zweisamkeit.
Für dieses viele Gold möchte ich mich einfach bedanken,“ sagte er.
Auf dem Weg nach Hause sang die wunderschöne rothaarige Milva im Radio : Alles was mir manchmal bei dir so fehlt, das hat er, ich lieb dich trotzdem doch noch sehr. Ich lieb euch beide, ich lieb euch beide . . .
Ja, dachte Marlene, genau so ist es. Vielleicht bin ich ja wirklich ein echter Glückspilz , daß ich diese Gefühlswelten durchleben darf. Und auch das kommt, natürlich sorgsam gehütet und verpackt, in die besagte Schublade, so liegen dort halt Gold und Schrott friedlich nebeneinander, denn eigentlich ist es eine sehr große Lade und von einer Abfallhalde weit entfernt. Marlene hatte ein kleines, glückliches Lächeln im Gesicht.

Die alte Frau saß am Fenster und blickte in den grauen, trüben, herbstlichen Abend. Vor ihr lag das aufgeschlagene Tagebuch und eine winzige Träne rollte über ihre faltigen Wangen. In ihrem Schoß lag ein blaues Ledersäckchen, prall gefüllt mit Goldmünzen.
Heute tragen sie meinen Paul hinaus dachte sie. Wir haben miteinander die Sonne aufgehen gesehen und wir haben ganz nahe beieinander liegend die Sterne gezählt, wir haben viel gelacht und auch miteinander geweint, aber auf diesem Weg werde ich ihn nicht begleiten. Wie würde es denn aussehen, eine haltlos weinende alte Frau, bei einem Begräbnis auf dem sie nichts verloren hat. Wir wollten doch niemals jemandem wehtun.
Ich werde die Münzen unter meinen Enkelkindern verteilen, dachte sie, sie freuen sich darüber und stellen keine Fragen.
„ Komm Marlene, wir wollen schlafen gehen,“ sagte der alte Mann, „ es ist schon spät und es wird langsam kalt.“
„ Ja,“ sagte sie leise, „ es wird langsam kalt.!“


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