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Grund - Ursache - Wirkung
essay [ ]

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von [word2go ]

2004-02-01  |     | 



Kameraeinstellung obere rechte Ecke des Zimmers, langsamer Zoom auf den Pfosten eines Bettes. Rechts neben dem Bettpfosten ein kleines Tischchen mit besticktem Seidentüchlein, darauf eine umgekippte Blumenvase. Zoom auf die Vase, das restliche Wasser tropft behäbig auf den roten Samtteppich, die Kamera folgt den Tropfen in Nahaufnahme bis hinab auf den Boden, zu den weissen Lilien, die, noch immer gebündelt, in einer Pfütze liegen, die Hälse nach oben geneigt. Man sieht den letzen Tropfen auf dem weissen Kelch zerplatzen. Langsam fährt die Kamera wieder nach oben, fährt das ockerfarbene, über den Battrand hängende Laken ab, auf dem eine männliche, dicht behaarte Hand schlaff herabbaumelt. Aus dem Off ertönt ein langsam lauter werdendes schmatzendes Geräusch, unrythmisch und keuchend. Die Hand zuckt bei jedem dieser verzweifelten Atemversuche ein wenig mit. "Hhhiu... thiuhh... tschuihh..."

Das Geräusch verstummt, die Hand wird wieder schlaff, endgültig. Gemächlich entfernt sich die Kamera von der Hand, der Zuschauer sieht, was er vorher nur geahnt hat. Auf dem Bett liegt bäuchlings ein toter Mann, eine klaffende Wunde am Rücken lässt den Austrittsort der Kugel erkennen. Links neben ihm ein zitterndes Häuflein Elend, zusammengekauert und das Bettlaken bis ans Kinn gezogen, die roten, gelockten Haare aufgewühlt vom Sex, das Makeup von Schweiß und Tränen verschmiert. Auf der Tapete im Hintergrund sind Blutspritzer zu erkennen.

Die Kamera nimmt Fahrt auf, schwenkt dabei um 180 Grad auf die Zimmertür, in der ein Mann steht, die Pistole noch immer auf die beiden Personen im Bett gerichtet. Sein Gesichtsausdruck verrät Verzweiflung über das Getane, die Anspannung lässt seine Muskeln vibrieren. Langsam senkt sich sein Blick, daraufhin der Arm, der Körper sackt zusammen, lässt sich gegen den Türrahmen fallen und gleitet sanft hinab.

Was hier klingt, wie eine Szene aus einem x-beliebigen Hollywood-Beziehungsdrama-Streifen, ist im Jurastudium ein gern gebrauchtes Beispiel für kausale Logik. Im Anschluss an die Beschreibung des Sachverhalts stellt der Dozent in der Regel die Frage, was der Grund für den Tod des Mannes sei. Und in annähernd 100% aller Fälle beginnt eine aufgeweckte Diskussion über Eifersuchts- Vergewaltigungs- oder Notwehrszenarien. Doch die Antwort trifft die eifrigen Studenten meist wie der Blitz.

Denn der Grund für den Tod ist weder Eifersucht, noch der Schuß, noch der Eintritt der Kugel in die Brust des Mannes, sondern schlicht der Umstand, daß seine Organe den Dienst versagen. Bei der Erörterung der Ursache sind sie Studenten dann schon gewitzter und kommen relativ bald darauf, daß die Ursache für den Tod das Zerreißen lebenswichtiger Organe durch die Kugel ist.

Wenn man die Kausalkette zurückverfolgt kommt man irgendwann zu der Erkenntnis, daß man nach dem Grund für die Absicht des Mannes, den anderen Mann zu erschießen fragen muß, um in Erfahrung zu bringen, warum der Mann tot ist. Und plötzlich merkt man, daß man nach einer Ursache, nicht nach einem Grund sucht. Damit wird das Fremdgehen als Grund ausgeschlossen, ebenso wie Eifersucht. Sollte sie es gewesen sein, dann war sie die Ursache. Denn es lässt sich anhand der Situation nicht a priori feststellen, was der Grund, also das Tatmotiv war.

Kling ziemlich verwirrend, nicht wahr? Doch das genaue Trennen von Ursache und Grund ist wichtig, um keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Täten wir es nicht, könnte der Schütze jederzeit wegen Mordes verurteilt werden. Er könnte ja geplant haben, den Liebhaber seiner Frau zu beseitigen. Diese Frage würde sich jedoch ohne kausale Logik gar nicht stellen, denn die Eifersucht wäre der Grund. Aber der Grund könnte ja auch ein durch Eifersucht verursachter Blackout, Angst die Frau zu verlieren, Rache zu üben oder ein sonstiges Motiv sein. In jedem Fall aber gäbe es ein anderes Strafmaß.

Und hier liegt auch das Problem der kausalen Logik. Der Untersuchende, in diesem Fall der Ermittler, Staatsanwalt oder Richter ist abhängig von zusätzlichen Information, von Aussagen, die nur der Täter oder Zeugen machen können. Sie alle müssen im darauffolgenden Prozess eine Wahrheit konstruieren, die angemessen akzeptabel erscheint. Buh, ganz schön heftig, oder?

Dabei ist es in einem solchen Fall sogar noch relativ einfach, da die Situation wenig Komplexität beiinhaltet. Stellen wir uns doch einfach mal die Frage, warum Saddam Hussein nicht mehr Diktator des Irak ist. Und nehmen wir an, wir wollen das Motiv für seinen Sturz herausfinden. Wie weit gehen wir zurück? Reicht es, uns nur die möglichen Motive des Herrn Bush vorzunehmen? Wieviel Sinn macht es nach Hintermännern oder versteckten Motiven zu suchen? Oder sollte es uns nicht einfach der Grund reichen, den uns Bush gegeben hat. Daß Saddam einfach ein sehr böser Mann ist?

In einer solch komplexen Situation wird es irgendwann unmöglich, wahre Gründe zu finden, ja es wird sogar unmöglich eine angemessen akzeptable Objektivität zu erreichen. Und doch ist das Netz voll von Verschwörungstheorien, voll von Leuten die uns die Hintergründe und Hintermänner aufzeigen wollen, die einfach nicht einsehen wollen, daß Bush aus dieser Situation ungeschoren herauskommt. Selbst Juristen und Politikwissenschaftler, die, die es eigentlich wissen müssten, tappen im Dunklen, Versuchen sich einmal daran uns die geopolitische Wichtigkeit des Irak zu erklären, erzählen uns von der umgekehrten Dominotheorie, der Niederträchtigkeit Chinas, die ja der eigentliche Gegener sein sollen oder von fiesen, finsteren multinationalen Firmenkartellen, die im Hintergrund die Fäden ziehen.

Alle haben ein bißchen Recht und liegen meist trotzdem voll daneben. Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem die Wirklichkeit zu komplex geworden ist, um sie mit kausaler Logik zu erfassen. Nicht, daß sie eigentlich schon immer zu komplex war, um erfasst zu werden. Das ist unser Schicksal, wir haben nun mal nur eine Festplatte und vier audiovisuelle Reciever. Doch die Schlußfolgerung muß sein, daß nicht einmal mehr unsere kollektive Konstruktion von Objektivität ausreicht, um unsere globale Wirklichkeit so ausreichend zu beschreiben, daß wir anhand kausaler Logik Menschen für ihre Taten zur Rechenschaft ziehen könnten.

Brauchen wir also ein komplett neues Denken? Nur können wir nicht einfach unser Gehirn öffen und eine neue Software aufspielen. Wir haben leider nur "Windows_kausale_Logik_01" - Standardsoftware. Und unser World-Wide-Web, in dem die Rechenzentren Ländereinheiten mit je unterschiedlicher Standardsoftware "Gesetzgebung/Kultur/Religion - regionale Auslegung für Windows_kausale_Logik_01" sind, ist leider nur unzureichend vernetzt. Denn die im Weltrechenzentrum vorhandene Software "UN - universale Auslegung für Windows_kausale_Logik_01" ist noch in der Beta-Version und hat den Fehler, daß sie in mehreren regionalen Rechenzentren nicht kompatibel ist.

Das alles wäre weiter nicht schlimm, hätten nicht ein paar Hacker das Datennetz mit dem Virus "Global_Player_ XXL" infiziert, der es wie mit "unsichtbare Hand" schafft diese Inkompatibilitäten zu umgehen. Noch dazu schafft er es, in jedem der knapp sieben Milliarden Standardrechner einen Cookie zu hinterlegen, der den Virus für die Software unlesbar macht und nur einen schwer interpretierbaren Datensalat hinternlässt.

Aber es gibt Grund zur Hoffnung. Wie mir zu Ohren gekommen ist, wäre ein Update von "Windows_kausale_Logik_01" dann möglich, wenn im Weltrechenzentrum endlich die Firewall "Weltverfassung01 - Standardregeln für Global_Player_XXL" fertiggestellt würde. Allerdings wird deren Entwicklung noch durch die Lizenzverlängerung für die bestehenden Programme "WTO - Global_Player_XXL_für_Alle", "IWF - Aufnahmekriterien für Global_Player_XXL" und "Weltbank - vom_Global_Payer_zum Global_Player_XXL" blockiert, die machtvolle Lobbies in den regionalen Rechenzentren hinter sich haben.

Halt, was ist das? Eine kleine Flashanimation in Gestalt eines Smilies grinst mich plötzlich an. Bitte? Testversion "Weltverfassung01" über Port 139? Sollte es denn wirklich? Hä? Oh, schon wieder weg.

Aber immerhin...

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