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Zerstörerische Romanbiographien
artikel [ Bücher ]
Der Vorleser – Roman von Bernhard Schlink

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von [Delagiarmata ]

2007-03-25  |     | 



Michael Berg ist 15 Jahre alt. Hanna Schmitz ist 36 Jahre alt. Michael ist Schüler. Hanna ist Straßenbahnschaffnerin. Michaels Heimat ist Baden-Württemberg. Hanna stammt aus Siebenbürgen. Die zwei lernen sich kennen und schon bald wird „vorlesen, duschen, lieben und noch ein bisschen beieinanderliegen“ zu einem festen Bestandteil ihres Miteinanders.

Bernhard Schlink hat den Ich-Erzähler mit einem oralen Erzählstiel ausgestattet. Man hat beim Lesen den Eindruck, einem Erzähler zuzuhören. Keine ermüdenden Sätze lenken vom Lauf der Handlung ab. Man will dauernd wissen, wie es weiter geht, merkt nicht, wie beim Lesen die Zeit vergeht. Die Kapitel sind kurz, nie länger als sechs Seiten. Und kaum hat man sich an diese ungewöhnliche Beziehung gewöhnt, beginnt das letzte Kapitel (17) des ersten Romanteils mit dem schlichten Satz: „Am nächsten Tag war sie weg.“

Niemand weiß natürlich, was passiert wäre, wenn die Frau geblieben wäre. Ihr Verschwinden war auf jeden Fall keine Entsorgung eines flüchtigen Abenteuers, weder für sie noch für den Jungen. Er wächst in die 68-er Zeit hinein und studiert auch noch Jura, was in jener Zeit einer zwangsläufigen Auseinandersetzung mit den Verdrängungsproblemen der Elterngeneration gleichkam. „Wir alle verurteilten unsere Eltern zu Scham, und wenn wir sie nur anklagen konnten, die Täter nach 1945 bei sich, unter sich geduldet zu haben“, schildert Michael Berg von dem, was sein Gedächtnis aus jener Zeit behalten hat.

Diese Zeit hat aber in seinem Leben einen viel höheren Stellenwert als nur bloße Erinnerung. Sie hat sein Leben geprägt, sein Tun und Handeln beeinflusst, auch wenn er sich dessen nicht immer bewusst ist. Der Jurastudent trifft seine erste Liebe nämlich sieben Jahre später wieder. Hanna sitzt auf der Anklagebank. Michael verfolgt den Prozess als Schulaufgabe im Rahmen eines KZ-Seminars. Der ehemaligen SS-Angehörigen werden schreckliche Verbrechen vorgeworfen. Und sie gesteht, wird zu lebenslänglicher Haft verurteilt.

Michael bewegt sich in einem Niemandsland zwischen Distanz und Nähe zu dieser Frau. Von unterkühlten Psychomotorik-Betrachtungen, die ihm nicht entgehen ließen, wie „sie die Schultern nach vorne rollte, und der Nacken schwoll“, so dass „die Muskelstränge stärker heraus- und hervortraten“, bis zu süßen Erinnerungen, hervorgerufen von Hannas Kleid, „dessen Ausschnitt weit genug war, um das Muttermal an der linken oberen Schulter zu zeigen“, erlebt der angehende Jurist alle Tiefen und Höhen einer aufgerüttelten Gefühlswelt.

Es gibt nun mal diese Erlebnisse im Leben, die vieles andere aus der Erinnerung verdrängen. Sie waren einfach zu stark, um je vergessen zu werden. Der Erzähler benutzt oft die Aussage, daran und daran „habe ich keine Erinnerung“. Umso beherrschender gebärdet sich die Erinnerung an Hanna. Noch während des Prozesses offenbaren sich ihm Zusammenhänge, die ihn eigentlich zu einem Eingreifen in die Beweisführung, oder besser gesagt die Gegenbeweisführung, hätten bewegen müssen. Aber Michael bleibt tatenlos, wie gelähmt: „Ich wollte Hannas Verbrechen zugleich verstehen und verurteilen.“

Hier sind zwei Biographien aufeinandergestoßen, die sich durch ihre gegenseitige Vereinnahmung zerstören. Michael entwickelt sich zu einem Einzelgänger, nicht fähig, ein geregeltes Familienleben zu führen. Die Vergangenheit beherrscht seinen Alltag. Der dritte Teil des Romans bietet dem Erzähler Raum für tiefgründige Gedankengänge. Bernhard Schlink beweist hier, dass er auch ein guter Essayist sein kann. Die Anteilnahme des Lesers am Werdegang der zwei Hauptprotagonisten kann aber als gesichert gelten; bis zum Schluss, denn was es eigentlich mit dem Vorlesen auf sich hat, erfährt man spät. Und das ist eine aufwühlende Geschichte, die eigentlich auch ganz allein für sich stehen könnte.

Das Ende naht unaufhaltsam und entlässt den Leser keinesfalls mit einem beruhigenden Happyend, sondern eher mit der Erkenntnis: „Die Schichten unseres Lebens ruhen so dicht aufeinander auf, dass uns im Späteren immer Früheres begegnet, nicht als Abgetanes und Erledigtes, sondern gegenwärtig und lebendig.“

Bernhard Schlink, der 1944 im ostwestfälischen Großdornberg bei Bielefeld geborene Jurist, Professor für Rechtswissenschaften, Richter und nicht zuletzt Romanautor, ist zurzeit einer der meist gelesenen Schriftsteller des deutschen Sprachraums. Er hat von 1987 bis 2006 weitere sieben Romane verfasst. Der Vorleser hat mittlerweile Eingang in die Lehrpläne der Schulen verschiedener Bundesländer gefunden.


Bernhard Schlink: Der Vorleser, Roman, Diogenes Taschenbuch, 1997; ISBN 3 257 22953 4; 207 Seiten; € 7,90 (D)

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