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Entlarvung post mortem
artikel [ Bücher ]

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von [Delagiarmata ]

2023-07-21  |     | 



Götz Aly: Volk ohne Mitte – Die Deutschen zwischen Freiheitsangst und Kollektivismus; S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2015; ISBN 978-3-10-000427-7; Seiten 266, Hardcover; € (D) 21,99, € (A) 22,70.

Ich habe die Gewohnheit, mit einem Buch in der Hand einzuschlafen. Das war auch bei Götz Alys Volk ohne Mitte so gewesen. Und trotzdem gab es zu vorhergegangenen Lektüren einen Unterschied. Den ich allerdings selber nicht wahrnahm. Aber meine Frau. Sie erzählte mir manchmal beim Frühstück, dass ich sehr unruhig geschlafen, ja, regelrecht getobt hätte.

Ob es mit diesem Buch zusammenhing oder mit anderen Einflüssen, weiß ich natürlich nicht. Fakt ist, dass ich weder einen Thriller noch einen Horrorroman gelesen habe, sondern noch viel schlimmer: ein Buch über Euthanasie im Dritten Reich. Also Tatsachenberichte, erforscht und publiziert von einem namhaften Historiker und Journalisten.

Wer an die Naziherrschaft denkt, sieht Kriegsbilder, Vernichtung und Zerstörung, Genozid und Gestapoverfolgung. Kann es noch schlimmer sein, fragt man sich? Ja. Dieses Buch und meine schlafgestörten Nächte sind ein Beispiel dafür. Kindermord! Zu medizinischen Zwecken ausgeübt. Wie konnte das passieren? Götz Aly sucht nach Antworten auf diese Frage? Natürlich gibt es mehrere, aber eine kann man unter der Wendung Volk ohne Mitte zusammenfassen, verweist sie doch „auf ein zentrales Vakuum, das Hitler unter ihm günstigen äußeren Umständen fluten konnte.“ In einem Wort gesagt: wegschauen.

Der Autor dieses Buches hat hingeschaut. Gründlich und viele Jahre lang. Und er hat nicht geschwiegen, auch wenn er mit seinen Forschungsergebnissen und Thesen oft angeeckt hat. Die Texte in diesem Buch sind der interessierten Öffentlichkeit – sofern es sie in diesem Themenbereich gibt – nicht unbekannt. Sie wurden von Götz Aly als Vorträge gehalten oder sind in verschiedenen Printmedien erschienen.

Der Historiker taucht immer wieder tief in die Geschichte ein, um zu beweisen, dass der wissenschaftlich begründete Mord an Kindern und geistig Behinderten seinen Keim im Hass gegen die Juden hatte. Und auch im „Hang zur Gefolgschaft, relativem Wohlergehen und kollektivistischer Kuhwärme“, die dem „deutschen Massentypus Alfred Fretwurst“ - im banatschwäbischen Dorf meiner Kindheit war das der Hanswurst – eigen war, sieht Aly eine der Gründe, die zur größten Menschenvernichtung der Geschichte führte. Das Resultat war eine Verrohung der Völker quer durch Europa. Zu dieser These liefert Götz Aly viele Beispiele, wie etwa auch das folgende: „Während in Westungarn im Februar 1945 noch Eigentum von Juden an ungarische Flüchtlinge verteilt wurde, die vor den Rumänen aus Transilvanien hatten fliehen müssen, schritt die neu installierte Provisorische Ungarische Nationalregierung in dem von der Roten Armee eroberten Debrecen zur Enteignung der großen deutschen Minderheit. Die Zwecke blieben dieselben, ebenso die ausführenden Beamten. Hatten diese eben noch im Auftrag der mit Deutschland kollaborierenden ungarischen Zentralregierung das Eigentum der Juden eingezogen und zugunsten der Staatskasse an Ungarn verkauft, so taten sie das nun mit den Besitztümern ungarischer Staatsbürger, die als Volksdeutsche galten.“

Die Kapitelüberschriften verweisen nicht nur auf die Geschichte der Judenpogrome, sondern auch auf die zeitgeschichtliche Aufarbeitung oder besser Nichtaufarbeitung dieser Schandtaten: Knechtssinn und Freiheitsangst - Machet sie zu Pulver! - Ethnisch säubern, sozial aufsteigen - All dieses Böse kommt von innen - Die Nutznießer des Mordens - Wilhelm Röpke gegen Volk und Führer - Die Deutschen in der Stunde null – Die heilsame Wirkung des Kalten Krieges – Was wusste Walter Jens? - Arbeiten an den „Vorstufen der Vernichtung“ - Weitere Elaborate Alys verhindern!.

Warum hat man versucht, Götz Alys Forscherdrang zu bremsen oder gar ganz zu unterbinden? Vielleicht wegen Sätzen wie dieser. „In den Glanzzeiten des Wiederaufschwungs verdrängte die Öffentlichkeit schnell auch […] Tatsachen, die nicht selten unmittelbar nach dem Krieg aufgeklärt worden waren, ebenso verhielten sich die Präsidenten, Generalsekretäre und Institutsdirektoren der 1949 gegründeten Max-Planck-Gesellschaft. Sie vergaßen, was sie vergessen wollten, und leugneten, was sich leugnen ließ. Zugleich übernahmen sie die Institute und das Personal ihrer Vorgänger von der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft fast vollständig.“ Und damit wären wir auch schon bei den Abgründen, die sich einem auftun, wenn man vom „Gedächtnisschwund deutscher Hirnforscher“ liest, um zu erfahren, wie „Neuroanatome für die Wissenschaft morden“. Wen wunderts, wenn aus solcher Lektüre Albträume resultieren? So etwas kann man doch unmöglich als geistige (medizinische) Elite des Dritten Reiches nennen.

Nein. Auch das war nur eine ins Unermessliche gesteigerte Form von „Fretwürsten“, mordende Handlanger im Ärztekittel, und viele von ihnen Überlebende und Nutznießer einer unvollständigen Aufarbeitung der dunkelsten Jahre der deutschen Geschichte. Dank Götz Aly wurden einige von ihnen wenigstens post mortem entlarvt.


Anton Potche

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