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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2005-05-08 | |
Die Gedenkfeiern zum 8. Mai sind in vollem Gang. Sie sind überall: in den Zeitungen und Zeitschriften mit ihren vielen Sonderausgaben, im Radio und im Fernsehen. Ein Gedenktag, dem sich in Deutschland niemand entziehen kann. Vor 60 Jahren unterschrieben US-General Carl Spaatz, der britische Luftmarschall William Tedder, seitens der Franzosen General Jean de Lattre de Tassigny, der Marschall der Sowjetunion Georgi Schukow und der deutsche Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel die Übergabe „aller gegenwärtig unter deutschem Befehl stehenden Streitkräfte“ -– viele waren es eh nicht mehr –- an die Alliierten. Vorgesehen war der Waffenstillstand für den 8. Mai 1945 um 23.01 Uhr. Als Keitel die alles entscheidende Unterschrift unter das Kapitulationsdokument setzte, war es allerdings schon 0.16 Uhr des 9. Mai und in Moskau hatten die Uhren schon die zweite Stunde nach Mitternacht geschlagen. Für die Amerikaner war der Krieg da allerdings schon seit knapp zwei Tagen beendet, denn Generaloberst Alfred Jodl hatte für die gesamte Wehrmacht vor Dwight D. Eisenhower am 7. Mai um 2.41 Uhr in Reims die Kapitulation unterschrieben.
So feiern die Amerikaner den Tag des Kriegsendes am 7. Mai, die Deutschen am 8. Mai und die Russen am 9. Mai. Mit dem Feiern ist es allerdings so eine Sache wie eben mit dem Gedenken auch. Wer feiert, freut sich in der Regel, wer gedenkt, trauert. Freude ob der Befreiung steht das Gedenken an mehr als 50 Millionen Tote weltweit gegenüber. Die Stimmen sind an diesem Tag wie eh und je ambivalent und jene der Beteiligten und Betroffenen werden rapide weniger. Eine von vielen gehört Günter Grass, dem deutschen Literaturnobelpreisträger: „"In Marienbad erlebte ich den 8. Mai als siebzehnjähriger Dummkopf, der bis zum Schluss an den Endsieg geglaubt hatte. Also schlug mir nicht die Stunde der Befreiung; vielmehr beschlich mich das dumpfe Gefühl, nach totaler Niederlage ein Besiegter zu sein. Als befreit konnten sich allenfalls diejenigen sehen, die den Massenmord in den deutschen Konzentrationslagern überlebt hatten und in einem Zustand waren, der den Gebrauch von Freiheit sogleich wieder einschränkte."“ (DIE ZEIT, 4.Mai 2005) Geschichte, Daten, Fakten, Erlebnisschilderungen. Emotional wird Gedenken erst bei persönlicher Betroffenheit. Wie sollte die sich bei mir - einem fern von Deutschland in der Nachkriegszeit geborenen und in einem kommunistischen Schulsystem aufgewachsenen, heute in der Bundesrepublik lebenden Bürger - einstellen können, um diesen Tag nicht als lediglich nüchterner Beobachter zu verbringen? Etwas guter Wille gehört schon dazu. Ich greife zu einem Büchlein mit der Überschrift „Meine Vorfahren – Ahnenpass – mit Ahnenzahlen 1-31“. Meine Taufpatin hat es mir vor etlichen Jahren geschenkt, zum Ausfüllen, also zum Zurückblicken, zum gelegentlichen Gedenken an die, die man noch kannte und an die, deren Kennenlernen einem vom Schicksal oder der Geschichte verwehrt wurde. Sie kann heute noch von Sitte und Ordnung in ihrer DJ-Zeit nostalgisch schwärmen. Davon vermitteln einen gewissen affirmativen Eindruck auch einige Fotos in dem Buch „Jahrmarkt im Banat -– Das Dorf rings um den „Großen Brunnen“ -– Prinz-Eugen-Brunnen –- Erinnerungen an unsere Heimatgemeinde“. „Ahnenpass“ und „Jahrmarkt im Banat“ gehören irgendwie zusammen. Ich blättere in Ersterem. Schon bei der Ahnenzahl [4] – Potye Anton, geb. 24.04.1907 in Jahrmarkt/Giarmata, Beruf: Böttcher, gest. 29.12.1961 in Jahrmarkt – lese ich den handgeschriebenen Eintrag: „"Anton Potye: am 7.9.1941 in Ploiești/Rumänien bei einem Eisenbahntransport unter den Zug gefallen – beide Beine verloren; am 8.9.1941 Amputation beider Beine oberhalb der Knien; am 28.5.1942 im Militärspital Temeswar – erneut Amputation rechts, 27.7.1942 – Amputation links; am 1.9.1942 in Bukarest zwecks Fußprothesen; 15.10.1942 bis 22.10.1942 Fahrt auf der Donau auf einem Lazarettschiff nach Wien zwecks Fußprothesen.“" Soweit der Eintrag, wegen Platzmangel. Zur Vollständigkeit sollte hier erwähnt werden, dass mein Großvater väterlicherseits sich am 7. September auf der Heimfahrt von Botoșan befand, wo er beim Aufbau von Lagerhallen für die Wehrmacht arbeitete. Ein Einberufungsbefehl der rumänischen Armee bewog ihn zur Heimfahrt. So wurde einer meiner Großväter ein Opfer des Krieges, ohne jemals ein Schlachtfeld gesehen zu haben. Das sahen nach jahrelangem Rechtsstreit, kurz vor seinem Tod auch die rumänischen Behörden so, die ihm eine Invalidenrente gewährten. Nur einmal weitergeblättert steht unter der Ahnenzahl [6] – Loris Peter, geb. 28.12.1912 in Jahrmarkt/Giarmata, Beruf: Tischler, gest. 22.08.1942 in Afganareav/Stalingrad/Russland – folgender Vermerk: „"Abschrifft einer Postkarte an das Pfarramt Jahrmarkt: 1942. IX.9.; Hochwürdigstes Pfarramt! Da mir nähere Angaben über Eltern u. Wohnhaus fehlen, wende ich mich an das w. Pfarramt. Bitte die Angehörigen des Soldaten Peter Loris(z), 5. Jäger-Reg. Aus der 1. Division des VI. Armeekorps dahin zu verständigen, daß Peter Loris am 21. August in den Kämpfen bei Afganereav, 60 km westlich von Stalingrad durch 2 Magenschüsse verwundet wurde. Genannter ist am 22. August in den Morgenstunden nach Empfang der Sakramente gestorben u. wurde im Heldenfriedhof der Gemeinde Schutowa 1 von mir am 22. August begraben. Josef Potenz, Militärseelsorger."“ Das war mein Großvater mütterlicherseits. Wir haben uns nie kennen gelernt. Er war nur einer von vielen Millionen sinnloser Toten des Zweiten Weltkrieges, aber aus dem großen Weltbrand herabgebrochen auf die Dorfgemeinschaft und die Familie, bekommt auch sein Tod die gebührende, einmalige, schicksalhafte Größe. Beim Stöbern in alten Ordnern fiel mir dieser Tage eine vor Jahren für ein von der Jahrmarkter Heimatortsgemeinschaft angedachtes und nie verfasstes Buch über Jahrmarkt/Giarmata und den Zweiten Weltkrieg emotionslos niedergeschriebene „Chronik einer Schreckensnachricht“ in die Hände, aus der die folgenden Zeilen stammen. I – 09.09.1942 – Eine Postkarte erreichte das Jahrmarkter Pfarramt. (Das Original blieb im Besitz des Pfarramtes. Die Beschriftung der Karte wurde beidseitig von Frau Loris abgeschrieben.) II – 25.02.1943 – Ein Kuvert mit folgendem Inhalt erreicht die Fam. Loris: a) Schreiben des Kaplans Josef Potenz b) Lagebeschreibung des Friedhofes, in dem Peter Loris ruht. c) Foto mit dem Sarg Peter Loris’ d) Beschriftung der Rückseite des Fotos III – Nach Kriegsende erzählte der Jahrmarkter Landsmann Peter Herz der Witwe Elisabeth Loris vom Tod ihres Mannes. Er war zugegen, als Peter Loris getroffen wurde. Es geschah während einer Kampfhandlung am 21. August 1942. Wegen den heftigen Kämpfen konnten die Sanitäter erst abends um 22.00 Uhr die Verwundeten in ein Lazarett bringen. Dort ist Peter Loris am nächsten Morgen um 9.00 Uhr gestorben. IV – Nachdem Elisabeth Loris 1947 von der Zwangsarbeit aus Russland über den Umweg Deutschland nach Hause kam, wurden ihr vom rumänischen Militär der Dienstausweis (livret militar) ihres Gatten und ein Foto per Post zugeschickt. An dem Familienfoto waren deutlich Blutspuren zu erkennen. Der 29-jährige Peter Loris starb keinen Heldentod. Seine letzten Gedanken galten der Frau und den zwei Kindern auf dem Foto. Der 8. Mai darf uns getrost auch daran erinnern, dass wir langsam den Überblick über die vielen Gedenktage verlieren. Um das Entstehen immer neuer Gedenktage zu verhindern, sollten wir trotz allem des Gedenkens nie müde werden, denn, um es mit Bert Brecht zu sagen, „das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. ... Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht nass, sagen viele.“ |
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