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Luna
prosa [ ]

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von [safia ]

2008-07-22  |     | 




Luna

In tiefer Nacht schlich sich Luna aus dem Haus am Rande des Dorfes, ging barfuß durch den Garten und näherte sich dem Wald, der gleich hinter ihrem Haus begann. Sie hatte nur ein dünnes Nachthemd an, obwohl es schon Herbstanfang war.
Ein Wolfsheulen ertönte in der Nacht, gefolgt von einem zweiten. Es klang so, als ob sie jemandem eine Melodie singen wollten; dem Mond wahrscheinlich, den sie wie einen Heidengott verehrten und ihn durch Heulen anbeteten.
Luna fürchtete sich aber nicht vor der Nacht, und vor den Wölfen sowieso nicht. Die Nacht war ihre Kindheit gewesen und ist ihr treuester Freund geblieben.
Ein kühler Wind wehte an ihr vorbei und flüsterte ihr ins Ohr, wie einem alten Bekannten: „Lunaa, Lunaaa, ich freue mich, dich wiederzutreffen.“ Und Luna breitete die Arme aus, so als würde sie einen Freund begrüßen. Ihr Nachthemd flatterte im Wind, und Luna zitterte. Gleich ließ der Wind auch wieder nach, er musste seine lange Reise fortsetzen.
Luna blieb ein Moment lang stehen. Sie war am Waldrand angekommen. Sie strich mit einer Hand durch die langen schwarzen Haare und setzte eine wilde Haarsträhne hinter das Ohr. Das tat sie immer, bevor sie den Wald betrat. Es war ihre Art, diesen Bäumen „Hallo“ zu sagen. Die Bäume waren mit Runen versehen, die Luna aber nicht verstand. Sie spürte doch deren Kraft, ohne sich genau erklären zu können, wie. Das Mädchen fragte sich manchmal, ob die Bäume keine verzauberten Menschen wären, die ein Herz aus Holz und Blut aus Harz hatten. Luna streichelte immer den Stamm einen Baumes, bevor sie darauf kletterte, so als würde sie bitten, dass der Baum damit einverstanden ist.
Sie ging in den Wald hinein und spürte die abgefallenen, trockenen Blätter unter ihren Füßen, die sie manchmal kitzelten.
Luna betrachtete den Himmel. Schwarze Wolken versuchten, den vollen Mond, der hoch am Himmel stand, zu bedecken. Sie konnte also noch viel Zeit im Wald verbringen, bis die Dämmerung beginnen würde und ihre Eltern wieder bemerken würden, das ihre Tochter weg ist.
Luna streichelte einen Baum, der vor ihr wuchs. Sie wollte auf ihn klettern, wie sie es vorher so oft gemacht hatte. Ihr gefiel dieser Baum besonders, mit seinen mächtigen Wurzeln, die sich über der Erde ausdehnten, und seinem breiten Stamm, der das fortgeschrittene Alter des Baumes bewies. Luna kannte den Baum schon längst, seitdem sie das erste Mal in den Wald gekommen war, vor langer Zeit. Sie hatte damals auch sein Zeichen gesehen, eine seltsame Rune, wusste aber nicht, was diese bedeuten sollte …
Sie legte eine Hand um den Stamm, mit der anderen hing sie sich an einem Ast fest. Sie kannte sich mit dem Klettern besonders gut aus, es machte ihr jedes Mal Spaß, obwohl sie wegen der Dunkelheit nicht sehr gut sehen konnte. Bald danach saß sie auf einem kräftigen Ast.
Das Mädchen atmete die frische Luft der Nacht tief ein. Es begann mit den Füßen zu baumeln, wie ein kleines Kind. Luna schaute den gelb leuchtenden Mond an. Ihr gefiel er so sehr, sie liebte den Mond aus vollem Herzen. Er war so seltsam und trotzdem wunderschön, eine Freude in der Finsternis, die Zauberer, Magier und andere Wesen der Nacht anboten.
Lunas Großmutter hatte dem Mädchen öfter erzählt, als es kleiner war, dass ihr Name „Mond“ bedeutete und dass er ganz besonders sei. Wie der Mond ein kleines Licht in der großen Dunkelheit ist, hatte die Großmutter einmal gesagt, so ist Luna in ihrem Leben. Doch jetzt gab es niemanden mehr, mit dem Luna über die Nacht, über den Mond sprechen konnte, sie wurde von den anderen nicht verstanden. Alle sagten ihr, dass sie verrückt wäre, nur weil sie den Mond als Freund respektierte und liebte.
Sie sah neben sich zwei gelbe Augen, die sie musterten. Luna erschrak und wäre fast vom Baum gefallen. Doch sie sah, dass es eigentlich nur eine Eule war, als diese schrie. Luna schien es so, als würde sich diese über sie lustig machen. Sie lächelte. Sie mochte diese Vögel der Nacht. Eulen sind schlau, hatte sie immer gedacht. Vielleicht war es auch wegen ihres Aussehens, mit den Federn, die rund um die Augen wuchsen und die diese lustig und gescheit aussehen ließen. Wenn sie nicht auf der Jagd waren oder nicht schliefen,versuchten sie sich über etwas lustig zu machen, weil sie sich meistens langweilten.
Sie ließ die Eule in Ruhe und drehte sich wieder mit dem Gesicht zum Mond.
Luna erinnerte sich an die Runen, die auf die Stämme der Bäume gezeichnet waren. Sie dachte nach, wenn sie sich im Wald befand. Sie beobachtete den Himmel. Es wurde langsam heller und der Mond etwas blasser. „Schade“, dachte Luna. Sie hörte neben sich ein Flattern. Die Eule war davongeflogen, das Mädchen konnte die Silhouette des Körpers und der großen Flügel am Himmel erkennen. Nun war sie wieder alleine, von niemandem beobachtet. Sie wünschte sich, sie wüsste, was die Runen eigentlich bedeuteten. Sie fühlte, dass sie etwas Wichtiges mitteilten, oder es war einfach nur die Neugierde, etwas Schönes erzählt zu bekommen; eine Geschichte, an die sie sich später erinnern sollte.
Luna begann wieder mit den Füßen zu baumeln. Weit entfernt hörte sie einen Hahn krähen. Es wurde langsam Morgen. Vielleicht würde das Mädchen nie erfahren, was die seltsamen Zeichen an den Baumstämmen bedeuteten. Es beschloss, aus dem Baum hinunterzuklettern, sonst hätten seine Eltern bemerkt, dass es nicht zu Hause war. „Ach, würden sie mich verstehen, wie es Großmutter tat!“, meinte Luna. Sie konnte es nicht aushalten, im Haus zu sein, sie fühlte sich einsam, krank. Und die Sonne hasste sie, es war so, als würde diese versuchen, alle Geheimnisse zu erfahren, alles auszulachen, weil es nicht so glänzte, wie sie. Der Mond war nicht so, er respektierte das, was man nicht erfahren sollte und erzählte es niemandem weiter. Außerdem prahlte er nicht so mit seiner Eleganz, seiner Unsterblichkeit, dachte Luna.
Inzwischen war sie auf dem Boden angekommen. Wie gut sich die trockenen Blätter unter ihren Füßen anfühlten!
Das Mädchen wünschte sich, es hätte noch Zeit, durch den Wald zu spazieren. Es musste sich aber ein bisschen beeilen, damit es sich zu Hause nicht verspätete. Luna schüttelte den Kopf, um die Blätter und die kleinen Äste aus ihren Haaren zu entfernen. Bloß, sie hatte ein paar Kratzer am Arm, die verrieten, dass sie sich im Wald aufgehalten hatte. Sie hob die Schultern. War ja auch egal, ihre Eltern hatten sie ja so oft vorher ausgeschimpft, ein Mal mehr würde nichts passieren.
Das Mädchen berührte nochmals die Rune auf dem Stamm des Baumes. Warum konnte sie von niemanden erfahren, wofür man gerade in diesem Wald, auf diesen Bäumen, die Zeichen geschnitzt hatte?!
„Das ist keine Sache für Kinder,“ ertönte eine Stimme hinter Luna. „Du wirst dieses Geheimnis sowieso nie erfahren. Am besten, du gehst und hilfst deine Mutter beim Kochen und Stricken, was die Mädchen deines Alters in dieser Zeit so machen; du sollst nicht durch den Wald spazieren, um das uralte Geheimnis der Druiden zu stehlen. Vergiss es, das wird nie geschehen!“
Woher war diese aufgetaucht? Sie konnte ja nicht aus dem Nichts kommen? War ihr jemand die ganze Zeit gefolgt? „Wer bist du? Zeige dich! Warum sollte ich das vergessen?“, rief Luna zurück. Jetzt spielte es keine Rolle mehr, dass sie sich zu Hause verspäten würde. Sie wollte doch schon das Geheimnis der Runen erfahren, als sie noch klein war. Sie musste es unbedingt erfahren, obwohl ihr die Stimme gesagt hatte, dass sie das Ganze vergessen sollte. Sie konnte doch einfach nicht in der Luft schweben. „Was für ein Geheimnis? Zeige dich!“, sagte sie wieder.
„Du bist noch nicht fähig genug, das lang gehütete Geheimnis der Druiden zu erfahren! Halte dich fern von diesen Wald. Ich habe dich gewarnt, es ist deine Sache, was du weiter machen wirst, Herrin der Nacht!“
„Was? Wer bist du?“
Doch die Stimme antwortete nicht mehr. Es wurde so still, als würde der ganze Wald den Atem anhalten, um zu erfahren, wie es weiter gehen würde. Luna seufzte. Also, sie war nicht fähig genug, dieses Geheimnis der Runen zu erfahren … Warum hatte sie die Stimme eigentlich „Herrin der Nacht“ genannt? War das etwa ironisch gemeint? Wahrscheinlich, dachte Luna.
Sie drehte sich zum Wald um und atmete tief ein. Die Sonne schien schon am Himmel, als würde sich diese über ihre Lage amüsieren und den frühen Morgen ankündigen. „Das würde der Mond nicht machen! Du bist gemein!“, sagte Luna laut. Es war doch niemand da, der sie hören könnte, und wenn schon, dann war es ihr auch egal.
Luna erinnerte sich plötzlich, dass sie zu Hause sein sollte, und begann durch den großen Garten, immer noch barfuß, im Nachthemd und mit den langen, wehenden schwarzen Haaren, zu laufen.
Sie würde es nicht schaffen, sich vom Wald fernzuhalten. Ihrem Wald. Doch vielleicht würde sie nachts nicht mehr so lange bleiben, um sich zu erinnern und den Mond anzusehen.
Sie hatte noch viel Zeit, über die Runen nachzudenken, bis sie dazu fähig sein würde, dieses uralte Geheimnis der Druiden zu erfahren.

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