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Leser: 1950 .



Bei der Granatapfelernte in Rahova – 27
prosa [ ]
Erinnerungsroman von Anni-Lorei Mainka [Almalo ] (1958 - 2014)
Serien: Ãœbersetzungen

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von [Delagiarmata ]

2021-01-22  |   

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Weihnachtsausklang

Niemand wäre an Weihnachten von zuhause weggegangen. Wie arm du auch warst, eine Wurst, eine Polenta oder ein geräucherter Speck mussten für diese paar Feiertage reichen. Auch einen gekochten Schnaps hatte jeder und niemand fragte, woher du ihn hattest; bei Bedarf bot man dir sogar einen an.

Weihnachten war zumindest in den ersten Tagen für einige eine Art Zeittunnel, wo sie sich versöhnten und eine tempolose Zeit erlebten, dann gegen Ende begannen die Streitereien. Und nach einigen verbrachten Tagen in der kollektiven Freudenmatte setzte die Rückkehr in die Realität ein, der Austritt aus dem Tunnel, und jeder fiel aus dem so sicher geglaubten Halt. Einige fielen aus dem Bus, andere aus der Familie, weil sie im Suff ein Geheimnis, das jeder vermutete, aber über Generationen ein Tabu blieb, verraten hatten.

Das am stärksten in Mode gewesene Geheimnis am Stadtrand war dieses: „Schau, ich weiß von wem das Kind ist, Ionel, ich werde es dir nach dem Neujahrwünschen sagen.“ Andere verfielen in diverse Sünden wie zum Beispiel ein Besuch beim Onkel oder mehr bei der Tante. Es ging sogar das Gerücht um, dass es Nachbarn gab, die ein Gefallen an kleinen Buben hatten und darum, o Gott, o Gott, o Gott, „befleckt“ waren … weil sie Sünden hatten! Diese „befleckten“ Menschen, wie sie im Volk hießen, hatten wahrscheinlich schon große Muttermale seit Geburt, einen Nierenschaden, oder sie waren einfach so, wie einige blond sind und andere brünett. In jener Zeit musste aber jeder derartige „Fleck“ gerechtfertigt werden und man gelangte zu sonderbaren Erklärungen: mal dass Mutter während ihrer Schwangerschaft Trauben gestohlen hat, mal dass Gott sie „gezeichnet“ hat, damit sie von den sie Umgebenden erkannt wird.

Das sind die nicht niedergeschriebenen Geschichten dieser Menschen, deren Bedrücktheit keine Lobby hatte, weder im Guten noch im Schlechten. Immer und immer wieder zeigten sich die Nachteile: eine Ingredienz des damaligen Lebens.

Spätestens wenn Vater begann, seinen Refrain „Warum hat er nicht einmal ein Schaf gegeben?“ herunterzuspulen, begannen die Nachbarn ihre Verwandten zu fragen: „Wer hat was bezahlt?“, „Wem gehört das Haus, in dem sie wohnen?“, „Wem gehört dieses oder jenes Kind?“ oder warum der Sektorist* schon wieder kommt, wo er doch erst vor einigen Tagen hier war!

„Ha, komm, siehst du nicht, dass er blond ist, der Knirps, und nicht wie ich, schön und olivenfarben?“, äußert sich ab und zu ein Vasile, umgeben von in der unglaublichen Kälte der Winter aus der Kindheit erfrorenen Hunden und Truthähnen.“

„Hei, Olive, hast du nichts von diesen Albinos gehört, die ausschauen wie die Hasen mit roten Augen? Schau, Vasile, Schau! … Aber was willst du auch sehen? Wenn es etwas zu sehen gibt, verdrehst du die Augen. Mit so viel geleertem Flascheninhalt in deinem Kopf steht es dir immer nach Flüchen und Streitereien auf dem Rücken des armen Kindes. Und hau nicht wieder mit der Faust in die Glühbirnen, sonst sitzen wir wieder im Dunkeln und sehen nicht wer wen!“

So verteidigten sich einige Frauen, natürlich die mutigen, die einen Arbeitsplatz bei I.F.A* oder APACA* oder der Jungen Garde* hatten. Sie konnten sich kämmen und fuhren mit dem Bus und konnten sich verteidigen: „Ich werde das dem Genosse in der Fabrik erzählen, dann wirst du Raufbold schon sehen.“

Die mit lediglich einem Bänkelchen vor dem Haus und dem von Gott vergebenen Recht, Kinder zu zeugen und schnell ein Schwein zu züchten, schwiegen, hielten aus, versteckten sich mit blau unterlaufenen Augen, wenn sie geschlagen wurden, und tauchten erst wieder auf der Straße, in der Haltestelle, im Brotzentrum auf, wenn alles vorbei war.

Die Geduld der Frau scheint ein rettendes Element der nicht-meistbegünstigsten Nation gewesen zu sein, anders könntet Ihr euch im wahrsten Sinne des Wortes fragen, wie das rumänische Volk überleben konnte bei so viel Schnaps, Prügel und Flüchen, die die Frauen ertragen mussten, und die armen Kinder, deren Kindheit von solchen Auswüchsen geprägt war. Und als sie erwachsen wurden, glauben Sie bloß nicht, dass ein Psychologe sie am Fabriktor, das sie Generation für Generation durchschritten, erwartete oder dass jemand Verständnis für die Kinder am Schuleingang hatte! Nicht jeder nahm sich das Erlebte zu Herzen, sondern „schloss mit dem Schicksal seinen Frieden“, wie man sagt.

Wussten Sie, dass es im Spanischen wie auch im Rumänischen zwei Wörter gibt für Schicksal: suerte und destino? Sollten die Spanier und Rumänen mehrere Schicksalsgrade als andere Völker haben? (Ah, wir haben auch noch „ursită“ … so dass wir eigentlich das Schicksal auf unserer Seite haben müssten!)

Von der Peripherie tauchten diese Kindheitserinnerungen immer wieder in Spiralform am Ende der Weihnachtstage auf, wo sie im „stand by“-Modus lagerten. Da waren die Kinder schon groß und hatten selber schon Kinder. Und auch sie hoben einen Schnaps für den Paten, einen für die Patin, einen für das Patenkind, bis sie die Krüge leer hatten, die zu jener Zeit groß waren, sehr groß, nicht wie heute 5 Liter …

Alles war übergroß, damit es bis im Frühjahr hält. So auch die Feiertage. Wie auch immer, die Versöhnung und die Änderungen mussten bis zu den heiligen Osterfeiertagen Bestand haben; eine andere Chance hatten wir nicht.

Weihnachten verbrachte man nicht in den Kneipen, vielleicht der eine oder andere. Die Jugendlichen kamen zusammen, aber an den heiligen Tagen – Generationen hat man sie als „Winterfeiertage“ bezeichnet -, blieben alle zu Hause, jeder bei den Eltern oder auf dem Lande, wo Weihnachten noch Tradition und die Partei noch nicht Fuß gefasst hatte.

Die Ikonen schlummerten stumm hinter verschiedenen Hand- und Staubtüchern, in Schränken liegend, oder in einigen Häusern hangen sie bei mutigeren Menschen sogar an geweißelten Wänden, unter einer Staubschicht und Fliegenhinterlassenschaften. Ein Zeichen dafür, dass ihre Geduld groß war und auch weiter anhielt, nachdem die Gesellschaft ihre Freiheit, an das zu glauben, was sie wollten oder konnten, wiedererlangt hatte.

„Vergiss Tante Käthe nicht, sie freut sich über ein Zeichen von uns“, sagte Mutter seufzend und legte einen Stapel Weihnachtskarten mit Väterchen Frost (so hieß in meiner Kindheit der Weihnachtsmann), mit Kerzen und grell farbigen Kugeln vor mich hin.
„Das glaube ich nicht, Tante Käthe freut sich über nichts, wenn sie durchs Hoftor kommt, wirft sie uns Streit suchende Blicke zu.“
„ Gut, gut, sie ist eine alte Frau und wir müssen auf sie hören, sie weiß mehr“, versuchte Mutter mich von der Leistung ihrer Tante zu überzeugen; obwohl sie die Erste war, die sich vor ihr fürchtete, wenn sie durch das Hoftor schritt.

Sie war Großmutters Kusine, eine mittelgroße Frau, wie ein Koffer, was sie aber nicht davon abhielt, wie ein General auf dem Schlachtfeld aufzutreten. Wie ich schon sagte, wir mussten unsere Teller leer essen, sogar Vater, und das war noch lange nicht alles, was sie uns mit drei Worten aufzwang.

Ihre Erzählungen handelten von der weiten Welt, also die sie gesehen hatte: Amerika und Westeuropa, die ausreichten, um uns zu überzeugen, dass sie alles gesehen hatte, was es zu sehen gab. Allwissend erzählte sie von Menschen, die dort überall arbeiten, aber frei waren und große Häuser hatten, wie wir auf den Farbbildern sahen, die ersten überhaupt, die von den Verwandten, die sie besucht hatte, zu uns gelangten. Wir hatten aber keinen Kontakt zu diesen Anverwandten, die uns auch noch nie gesehen hatten, obwohl Mutter die Kusine dieser wohlsituierten Frauen war, die in ihrer vollen Größe vor perfekten Terrakotten posierten.

Wir hatten, wie gesagt, kein Telefon und Tante Käthe schrieb uns Ansichtskarten aus der Fremde, dachte aber gar nicht daran, uns zu benachrichtigen, wann sie uns zu besuchen gedenkt.

„Wenn wir ihr eine Weihnachtskarte schreiben, kommt sie vielleicht nicht zu Silvester“, meinte Mutter in der Hoffnung, dass die Amazone aus Metiș* nicht wieder wie ein Sturm auftaucht.
„Sie wird doch auftauchen, du müsstest ihr vielleicht auf Sächsisch beibringen, dass sie nicht erwünscht ist … Vater wird sich ärgern“, flüsterte ich.

Vater, der in diesem irrealen Viertel Rahova, zurückgezogen in einer Ecke auf dem Sofa alle Wellenlängen auf dem Radiodiffusor Mamaia mit niedriger Lautstärke ausprobierte, fügte auch hinzu:
„Ja, sie wird kommen, diese alte Kröte.“

„Ja, hoffen wir auf viel Schnee, so dass sie nicht zum Bahnhof gelangt, vielleicht kommen wir heuer ohne Skandal aus. Schreib ihr, dass es uns gut geht und wir viel Arbeit haben, auch dass Vati zuhause ist, vielleicht überlegt sie es sich dann“, sagte Mutter durch den Dampf der Ciorba* und der von innen vom gedünsteten Kraut und außen von der eisigen Kälte angelaufenen Scheiben.

Nicht nur, dass Tante Käthe unangemeldet kam, sie nistete sich schlicht und einfach ein und hatte dann auch noch alle möglichen Wehwehchen. Wollte Mutter ihr dann mit irgendeinem Traktament helfen, war sie mit nichts zufrieden. Es plagten sie vielerlei Gelenkschmerzen, von denen ich noch nie etwas gehört hatte. Mutter, die uns alle versorgte, machte ihr Tees und Krautbrühe für die Knie. Kochtopfdeckel wurden auf dem Ofen aufgewärmt, weil sie glaubte, dass die ihre Schmerzen lindern und den ganzen Körper aufwärmen würden. Sie sah mit den Aluminiumdeckeln auf ihr aus wie ein Marsmensch. Aber nicht, dass sie mit der Deckelbehandlung zufrieden gewesen wäre; sie erzählte, dass sie in Amerika zum Arzt gefahren wurde, wenn ihr etwas weh tat. Dann „schickte“ Vater sie nach Amerika in allen ihm geläufigen Weltsprachen und der Dialog scheiterte in einem Chaos auseinandergerissener Sätze ohne Satzgegenstand und Satzaussage. Und ich fragte mich, wann ich mal in der Lage sein werde, solche Diskussionen führen zu können, um mich zu retten, falls ich nach Amerika gelangen sollte, wo alles viel einfacher war und man sich vor allem nicht mit auf dem Holzofen erwärmten Deckeln zudecken musste.

Ich las in diversen Märchenbüchern und schälte ungeschickt Quitten, um daraus die Zwerge zu formen, die unter dem Baum zwischen Stollen, Orangen und dem infalliblen Spritzkerzengeruch ihren Platz finden sollten.

Das Gewicht wurde nur in den Wassereimern gemessen, die aufgereiht wie Soldaten in der Veranda standen. Morgens waren manchmal dünne Eisschichten auf dem Wasser in den Eimern – sie ähnelten den Kristallen, die jetzt in der Vitrine glänzen, nur dass die nichts kosteten und gut rochen, ein Geruch zwischen Quellwasser und durchs Eis gezogener Rauch.

Draußen, muss ich sagen, roch die Wäsche nach etwas Geronnenem, sie war hart und klebte an den Fingern, aber danach war sie warm und sauber, ohne die ganzen Zugaben von heute. Aber jetzt benutzen wir alle Waschmittel, denn es gibt keine Brunnen mehr, auch den durch den Schnee verwehten Rauch nicht, und auch die Ruhe der Weihnachtstage ist weg, als einer Nüsse knackte, ein anderer den Teig rührte und einer die Nachrichten kommentierte, nur einige, denn andere gab es ja eh nicht.

Natürlich durften die Plätzchen, die anscheinend sehr leicht zu machen sind, nicht fehlen. Der Teig wird zuerst geknetet, dann werden mit einem Wasserglas mittlerer Größe runde Formen ausgestanzt, mit dem Finger Löcher in die runden Stücke gebohrt, gebacken und mit einer dünnen Schicht Aprikosen- oder Erdbeermarmelade einseitig bestrichen, dann zwei und zwei zusammengeklebt und mit Puderzucker bestreut … und danach müssen sie noch ein paar Tage abliegen, „damit sie ziehen“, sagte Mutter.

„Was soll ziehen?“ Ratlos fragte ich, warum wir nicht sofort diesen göttlichen Geschmack genießen können.
„Nein, die Plätzchen müssen sich beruhigen … dort bei normaler Temperatur, dort bleiben sie auch eine Zeit lang“, hat Mutter entschieden, und das war’s dann auch.

Die Arbeit eines Tages wurde dann in eine mit Köstlichkeiten gefüllte Kammer gesperrt. Am Ende all dieser Rituale hieß es … warten. Diese paar Tage kamen mir vor wie eine Ewigkeit. Heute kaufst du sie im Geschäft und musst nicht warten. Sollte vielleicht der markante Geschmack eines Plätzchens in der Erwartung versteckt sein, in die „schöne“ Kammer oder „vordere Kammer“, wie man in Siebenbürgen sagte, einzutreten? Oder sollte der Spritzkerzengeruch etwa in dem unerwarteten, grimmigen Kälteschwall, der dir alles an den Fingern kleben ließ, versteckt sein? Ist der Zimtgeruch vielleicht bepinselt im Rauch und in dem Leid einer Katze vor der Tür, die sowieso nur hineindurfte, wenn von diesen großen Menschen, die mit allen Rechten, keiner vor Ort war?

Vielleicht, vielleicht sind das die Ingredienzen, die man in die Weihnachtsstollen der Erinnerungen gibt, in den Truthahn, um den es dir sicher Leid tut, wenn du ihn kennst, aber den du mit Appetit verzehrst, wenn es einer ist, den du im Herbst nie durch den Sand stolzieren gesehen hast. Auch ihnen sind die Krallen eingefroren. Ich habe Mutter vorgeschlagen, ihnen Pantoffeln anzufertigen. Ja, manchmal bluteten sie im Schnee und ließen lange Spuren hinter sich, aber auf ihren Truthahn- oder Hühnergesichtern war weder Trauer noch Schmerz zu erkennen.

„Wenn ich groß werde“, habe ich an einem Wintertag, als ich gegen Ende der Weihnachtszeit satt war von Orangen und Feigen und besonders von Schinken, Mihăiță gesagt, „ja, dann werde ich eine Schneiderei für Truthahnpantoffeln und Mäntel für Hündchen und Vogelhäuschen für Krähen eröffnen.“
„Krähen? Nein, lass die Finger von Krähen und Uhus“, sagte Mihăiță, „die bringen Unglück, ja, für Truthähne und Hühner helfe auch ich dir, denn die verkaufen sich gut auf dem Markt. Das habe ich gesehen, und dort gab es auch noch Esel.“
„Nein, ich weiß nicht, was ich für Esel machen soll. Die Esel leben im Delta, habe ich gesehen, dort schleppten sie Lasten und es gefiel ihnen, hier ist es für sie nicht gut.“
„Aber warum sagt Mutter Lila dann: Schau, schon wieder gehen diese Esel vorbei?“
„Ich glaube, du hast nicht verstanden, es handelt sich um Sektoristen, um die mit dem Licht und die Müllmänner. Deine Mutter Lila bezog sich auf die Eseln von Menschen.“

Er, Mihăiță, verstand den Unterschied zwischen den „Eselsmenschen“ und den Eseln aus dem Delta nicht, aber er hatte auch gar nicht wie. Er war nie im Delta und ich wusste überhaupt nicht, wie ich ihm erklären sollte, was ein Delta überhaupt ist, wo er doch nicht einmal die Dâmbovița* in der Stadt gesehen hatte. Er hat Sabar* gesehen und den Teich bei uns auf dem Feld ... aber ich weiß nicht, ob er schon mal einen richtigen Esel gesehen hatte oder nur gehört hatte, was Mutter Lila erzählt hat.

Die gekauften Kekse haben wahrscheinlich irgendwo in einer Fabrikhalle geatmet ohne den Schatten der Pakete aus der schönen Stube, unberührt von den herumfliegenden Sternen der Spritzkerzen und ohne den Wattegeruch, der sich mit dem Duft der Äste nach tiefem Wald vereinte.

Die gute Stube oder „die vordere Kammer“, unsere „schöne Kammer“ erschien mir immer sehr interessant. „Warum?“, habe ich mich gefragt, aber keine Antwort darauf gefunden. Nicht in Siebenbürgen lebend, kenne ich den Gang der Dinge in diesem kulturellen Raum nicht im Detail.

Zum Glück wurden die Bekanntschaften von Jahr zu Jahr weniger. So verringerten sich auch die Ansichtskarten, die zu Weihnachten geschrieben werden mussten. Vater fand sie überflüssig. Er war Katholik und behauptete, dass ein wirklicher Christ auf keine Art und Weise vom Kommen der heiligen Feiertage verständigt werden muss.

„Der Mensch hat Gott in den Knochen“, war Vaters Lieblingsformulierung. Nur er verstand sie. Dieser Gott in den vielen Knochen erlaubte ihm viel: das Trinken guter Weine, seine Zuneigung zum schönen Geschlecht, seine Lebensfreude in Friedenszeit. Die Arbeit war für ihn keine wichtige Pflicht, aber wenn sie dem Menschen gefiel, war es gleich, was er tat.

Die Evangelisten scheinen sich an die Arbeit gehalten zu haben, es war eine Pflicht vor Gott, ja, der absolut alles sah.

„Schläft der nie?“, fragte ich Mutter im Flüsterton, bevor ich mich von ihr ab- und dem kleinen Wandteppich aus Samt zuwandte, auf dem ein Pferdewagen durch eine Herde von Schafen fuhr, die vom vielen Stehen auf unserer Wand müde waren und vom vielen Streicheln meiner Kinderhändchen schon ein glattes Fell hatten.
„Doch, er schläft mit dir ein“, beruhigte mich Mutter, mit zum Beten zusammengefalteten Händen friedlich einen Vaterunser flüsternd.

So sah ich sie oft abends vor dem Zubettgehen, mit den Händen vor der Brust, die Tage endeten mit einer Versöhnung mit dem Himmel und der Welt. Das Gebetsraunen hatte noch gar nicht aufgehört und Gott mit mir und der Katze, die ich manchmal unter dem Kissen versteckt hatte, schliefen uns hinein in andere Welten. Der Schlaf jener Nächte füllte die Schlaflosigkeiten späterer Jahre und wirkte wie das Fundament eines Hauses, das immer noch standhält nach all den Kriegen und Bränden und ohne Menschen … das Haus bleibt Haus.

Bei den Evangelisten war die Reihe der Sünden viel länger. Mit gesenktem Blick, bei einigen sogar in die Erde verwurzelt, warst du allein bis hinauf in die Kuppel der gotischen Kathedrale, eingehüllt in das Braun der Bänke aus schwerem Nussholz. Nur zwei Kerzen auf dem Altar beleuchteten die Augenblicke, in denen du versuchtest, dich zu konzentrieren und an Seine Tür zu klopfen … Und irgendwo über uns allen war die Kanzel, in der aufrecht, ernst und in Schwarz gekleidet der Priester stand, der für uns die ganze Bibel las und erläuterte. Wir, noch Kinder, hörten ihm zu, spielten aber auch ab und zu unter den Bänken. Als wir dann größer wurden, weinten einige von uns, wenn er uns im Namen Gottes sanft ermahnte und von dem steinigen Weg und seinen Opfern predigte.

An Weihnachten war die Kirche proppenvoll, es wurden Geschenke verteilt und zwischen Altar und Bänken stand ein großer Baum, man hat gesungen, die Eltern waren stolz mit uns, wenn wir es schafften, unser Gedicht, das wegen dem Schall aus der Höhe noch länger als gewöhnlich war, bis zum Ende zu rezitieren.

Einige von uns läuteten mit dem Strick die Glocken, die manchmal nicht im normalen Rhythmus anschlugen, denn es passierte, dass eine Glocke dich in die Höhe zog oder dich mit deinem ganzen Gewicht auf den Boden krachen ließ. Danach hatte ich so manchen blauen Fleck. Aber wir waren froh. Für einmal Läuten bekamen wir 5 Lei und konnten uns, ohne zu fragen, ein Coca-Cola kaufen, das damals 7 Lei kostete.

„Mensch, Willi, aber habt Ihr dort niemand zu Weihnachten geschrieben“, fragte Mutter zögernd, um dann gleich anzufügen: „Auch wir schrieben nicht, als wir klein waren, wir hatten kein Geld und es war Krieg und kalt … Aber der Tante in Amerika hätte ich schon gerne geschrieben, sie soll uns nicht vergessen, aber wenn ich auch geschrieben hätte, es wäre ja doch nicht bei ihr angekommen.“

Die Wahrheit ist, dass die rumänische Post in jenen Zeiten kontrolliert wurde. Die Brief- oder Postkartenschreiber konnten sich nicht allein oder vereinsamt fühlen. Glauben Sie nicht, dass es nur einige von „diesen“ gab, die hier und dort nachlasen, gelesen wurde von Klein bis Groß, es wurde alles gelesen, alles, absolut alles, und es wurde alles notiert, alles, absolut. Und das nicht nur an Weihnachten, nur dass sie an den Feiertagen mehr zu tun hatten. Nicht nur ich, sondern auch andere schrieben viele Ansichtskarten und unterschrieben zum Spaß auch irreführend wie zum Beispiel „mit Liebe, Seerose“ oder auch gerne mal „aus dem Teich hinter der Welt“ … Tja, sie hatten es auch nicht leicht, diese „Leser“ von Beruf in den Kontrollbüros der Postämter.

Vielleicht haben viele so wie ich geschrieben … aber nur wenige hatten wahrscheinlich eine so verständnisvolle Mutter, wenn die Miliz kam und schon morgens fragte: „Wer ist ‚Seerose‘?“ oder „Wer ist ‚der Baum‘ bei Ihnen“? Schlecht verstandene Kinderscherze, die in den Archiven als „subversive Aktionen“ vermerkt sind und so in die Geschichte eingehen werden. Und das ist kein Scherz, wie auch Weihnachten keiner ist.


[aus dem Rumänischen von Anton Potche]


*Worterklärungen
- der Sektorist = für den Sektor (Bezirk) zuständige Polizist
- I.F.A. (Institut de Fizică Atomică) = Institut für Atomphysik
- APACA = ehemalige Textilfirma in Bukarest
- Junge Garde (rum.: Tânăra Gardă) = Bukarester Textilunternehmen (Strickerei)
- Metiș (Aussprache: Metisch) = Martinsdorf (in Siebenbürgen / Rumänien)
- ciorbă = gesäuerte Fleisch- und Gemüsesuppe, rumänisches Spezialgericht
- Dâmbovița & Sabar = Flüsse in Bukarest


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