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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2004-04-23 | |
Über zwei Millionen Türken leben in Deutschland, viele von ihnen in zweiter und dritter Generation. Ihr Erscheinungsbild in der deutschen Gesellschaft deutet auf einen Anpassungsgemischtwarenladen von fundamentalistischen Muslimen bis zu Akzente setzenden Künstlern, die sich im Dienst zweier Kulturen verstehen, hin. Einer der letzteren ist der Regisseur Fatih Akin.
Sein Film „Gegen die Wand“ hat bei den 54. Internationalen Filmfestspielen in Berlin, der so genannten Berlinale, den Goldenen Bären gewonnen. Zur Zeit läuft der Film in den deutschen Kinos und wer meint, die Moneten würden nur so in den Kinokassen klingeln, der wird eines Besseren belehrt, wenn er sich in eine Vorführung verirrt. Wir waren an jenem Aprilnachmittag (15.15 Uhr) im Ingolstädter Central-Kino-Center gerade mal drei Leute: ein türkischer Vater mit seiner Tochter und ich, ein Aussiedler aus Rumänien. Unverständlich aber gut, denn im Saal war Ruhe und man konnte der Handlung ohne Zuschauerkommentare, hörbares Knappern und umfallende Flaschen folgen. Es hat sich gelohnt, das darf schon mal vorweggenommen sein. Schon die ersten Szenen führen in ein nicht jedermann vertrautes Milieu. Cahit Tomruk, der Penner, ist wahrlich kein Vertrauen erregender Zeitgenosse. Er ist schon um die 40 und verwahrlost bis zum geht nicht mehr, und er ist Türke der dritten Deutschlandgeneration. Da schwebt aus heiterem Himmel ein Mädchen in sein Leben, das nur eins im Sinn hat: dem traditionsbehafteten Alltag seiner türkischen Familie in Hamburg zu entrinnen. Sie braucht einen Mann, Zweckehe und ein völlig verwahrloster Partner hin oder her. Sibel ist ein liebenswertes, aber gleichermaßen zielstrebiges Mädchen mit losem Mundwerk und um 20 Jahre jünger als ihr Auserwählter. Cahit gibt auf, Sibel siegt, die Intrigen werden erfolgreich geknüpft und das junge Paar zieht ins leere Zigarettenschachteln- und Bierdosenchaos in Hamburg-Altona ein. Und wie das im wirklichem Leben schon so ist, weiß man auch hier nicht, wo die Liebe hinfällt, und wenn man es merkt, ist der Zeitpunkt oft der ungünstigste. Cahit und Sibel erkennen ihre gegenseitigen Zuneigungen just in dem Augenblick, als in einer der düsteren Hamburger Vorortkneipen das passiert, was eher nach örtlichem Alltag als nach Sensation klingt: eine Eifersuchtsszene ... nur schlägt Cahit eher unglücklich als professionell zu und sein Kontrahent ist tot. Das Drama nimmt seinen Lauf. Cahit wandert hinter Gitter und Sibel, von ihrer Familie verstoßen, flüchtet in die Türkei. Nach Jahren treffen sich die Liebenden in Istanbul, Cahit, auf der Suche nach einem neuen Leben mit seiner Frau, und Sibel, eine wieder verheiratete Frau mit Mann und Kind. Die ohne Pathos und fern jeder sexistischen Andeutungen gedrehten Aktszenen in einem Istanbuler Hotel sind von einer filmpoetischen Kraft, dass man immer nur hinschauen möchte und dabei das Schicksal nie vergisst, ja mitfiebert und hofft ...Dann sitzen sie auf dem Balkon nebeneinander, Sibel und Cahit, unter ihnen die Stadt und sie ergreift seine Hand und spricht: „Komm, lass uns nach Hause gehen.“ Was meint Sibel damit? Die 121 Filmminuten sind gleich vorbei ... Der Film schafft noch Klarheit ...Man sollte ihn sich wirklich ansehen, um zu erfahren, was Sibel meint. Fatih Akin zeichnete in einem Interview mit der Berliner taz (DIE TAGESZEITUNG) sein Verhältnis zu den zwei Hauptfiguren seines Films: „Beide Figuren sind so eine Art Alter Ego von mir. Birol Ünel steht für das Westliche, für Punk und das ‚Fuck off‘ gegen jede Tradition, während Sibel einen Kompromiss mit der Tradition sucht.“ Ohne die beiden sehr lebensnah agierenden Darsteller wäre dieses wunderschöne Filmepos nicht gelungen: Sibel Kekilli eben als Sibel und Birol Ünel als Cahit. „Gegen die Wand“ hat auch den Preis des Internationalen Verbandes der Filmkritik (FIPRESCI) erhalten.
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