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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2004-01-16 | |
Wenn Ioan Holender seinen Vertrag an der Wiener Staatsoper bis August 2007 erfüllen kann, wird er der dienstälteste Direktor in der mehr als 130-jährigen Geschichte dieses weltberühmten Opernhauses sein. Und trotzdem bleibt er bescheiden, wenn er seine 2001 im Böhlau Verlag erschienene Autobiographie beendet: „Dass das Schicksal mit mir letztendlich so freundlich war und mir solche Gestaltungsmöglichkeiten erlaubte, macht mich dankbar und demütig. Denn ich habe nicht vergessen, dass ich 1959 mit 24 Jahren als ein gestrandeter, seiner Umgebung entrissener und an der Erreichung seiner beruflichen Ziele gewaltsam verhinderter junger Mensch aus dem rumänischen Temesvar am Wiener Westbahnhof landete.“
Mit „Temesvar“ beginnt auch die Rückschau Holenders und man macht sich gleich auf der ersten Seite des Buches auf Schlimmeres gefasst, wenn es da heißt, dass in der Banater Metropole „deutsche Schwaben“ lebten und sogar Nikolaus Lenau dort geboren wurde. Aber es bleibt bei diesen zwei überbetonten (Schwaben sind immer deutsch) und ungenauen (Lenau wurde in Csatád/Lenauheim geboren) Angaben. Was folgt, ist eine flüssig geschriebene Rückblende, die uns vor allem den Menschen Ioan Holender näher bringt, und das obwohl er sein Ich nie über die Maßen betont. Den Raum, den der am 18. Juli 1935 in Temeswar geborene Ioan Holender seiner Kindheit und Jugend und dadurch seiner Stadt widmet, ist eigentlich für ein so erfülltes und vor allem erfolgreiches Wirken in der erlebnisreichen Opernszene überproportional ausgefallen. Das ist eine eindrucksvolle Hommage an Temeswar, was uns und den weltweiten Opernfans da über drei Biographiekapitel geboten wird. Wir werden zurück in die Vorkriegs- und Kriegsjahre des an Völkerschaften wahrlich nicht armen Banats geführt. Heute noch höre ich ältere Banater erzählen, dass sie in der Nähe der Loydzeile beim Dornhelm verschiedene Textilien kauften. Dieser aus Bratislava stammende jüdische Geschäftsmann war der Großvater Ioan Holenders. Der Junge aber ließ sich von seinem Gefühl treiben und wollte sich „weder innerlich und schon gar nicht äußerlich“ zum Judentum bekennen. Er galt in der Familie als „der Rumäne“, was auch der Großvater respektierte, obwohl er schlecht rumänisch sprach. Die Bekenntnisse Ioan Holenders zum Rumänentum steigern sich sogar ins Hymnische: „Die dritte, prägende und wichtigste Identität (neben der jüdischen und ungarischen, A.d.V.), die geblieben ist und alles überlebt hat, ist die rumänische Identität. Ich glaube, es war die Faszination der Latinität des Rumänischen, Romanischen, der schönen, sonoren, vokalreichen rumänischen Sprache, aber sicher auch schon der Einfluss der großen Vergangenheit des rumänischen Volkes, das von den Dakern und Römern abstammt – so wurde es gelehrt, so habe ich es geglaubt und so glaube ich es bis heute:“ Da schreibt ein Mann über sein Leben, der im Rückblick das Lachen über sich selbst nicht verlernt hat. Einfach köstlich sind Holenders Einschätzungen seiner eigenen, nicht unbedingt erfolglosen, aber von der Weltspitze doch um Einiges entfernten Karriere als Opernsänger: „Natürlich wollte ich Tenor werden und sang, besser gesagt brüllte, zu Hause alles nach. Ich wage zu behaupten, wenn ich damals mit 17 bis 19 Jahren meine Tenorstimme nicht verschrien hätte, hätte aus mir als Sänger mehr werden können, als geworden ist.“ Als Student legte Ioan Holender sich mit den rumänischen Behörden an und emigrierte im Januar 1959 nach Wien. Bis 1966 bestritt er in Österreich als Sänger seinen Lebensunterhalt, um dann 1966 in die Wiener Bühnenvermittlung Alois Starka einzutreten. Holender sprach zu jenem Zeitpunkt schon sechs Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Ungarisch und Rumänisch. Für einen Theater- und Operagenten war das eine überlebenswichtige Bank. Der Autobiograph lässt uns auf anschauliche Weise an seinem interessanten Berufsleben teilnehmen. Wir begegnen so vielen großen Namen der Opernwelt: Sylvia Sass, Placido Domingo, Giuseppe di Stefano, Giuseppe Sinopoli, Carlos Kleiber u.v.a., aber auch rumänischen Stars wie Ludovic Spiess, Ileana Cotrubaş, Ion Buzea, David Ohanesian. Im Jahre 1972 wurde Ioan Holender der Leiter dieser Künstleragentur, die ab 1988 den Namen „Opernagentur Holender“ trug. In seinem 53. Lebensjahr und nach 29 österreichischen Jahren wurde der gebürtige Temeswarer zum Generalsekretär sowohl der Wiener Staats- als auch der Volksoper ernannt. Am 2. April 1992 wird Holender dann der Direktor dieser Kulturinstitutionen. Die Leitung der Volksoper gibt er aber nach einigen Neuinszenierungen auf, um sich voll und ganz der Staatsoper zu widmen. Wir erleben bis zum Ausklang dieses Buches eine abwechslungsreiche und aufregende Wiener Opernwelt, mit neuen Namen und vielen Anekdoten. Auch Kurioses hält Ioan Holender uns nicht vor, wofür schmunzelnde Leser ihm natürlich dankbar bleiben. So sprach er sich zum Beispiel gegen eine namentlich nicht genannte Sängerin für die Besetzung der Elsa in „Lohengrin“ aus, „nicht weil sie nicht gut gesungen hätte, sondern weil sie so dick war, dass sie im zweiten Akt, nachdem sie niedergekniet war, nicht aufstehen konnte“. Das war der „Opernästhetik nicht entsprechend“. Bei all dem ist der Wiener Staatsoperndirektor Ioan Holender ein Kind Temeswars geblieben, ein Mensch, der die Rumänen und ihre Kultur über alles liebt und auch heute noch sein Wiegenland immer wieder gerne besucht. Seine Autobiographie ist auch in Rumänisch unter dem Titel „De la Timişoara la Viena“ im Verlag Universal Dalsi erschienen. Ioan Holender: Von Temesvar nach Wien – Der Lebensweg des Wiener Staatsoperndirektors; Bearbeitet von Marie-Theres Arnborn; Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar; ISBN 3-205-99384-5; EURO 24,90 Ingolstadt, 02.01.2004 |
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