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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2005-11-20 | |
„Leben wir nicht eine komische Epoche? Ich möchte es gerne erleben, wie unsere Urenkel darüber denken werden, leider aber besteht dazu wenig Hoffnung.“ Das schrieb Ausgang 1939 der aus Temeswar stammende und in Paris lebende Schriftsteller Vily Stepper-Tristis (1899 – 1941?) an die Redaktion der TEMESVARER ZEITUNG. Jetzt sitzt einer da und macht sich Gedanken über das, was er schon immer wissen wollte, nämlich: Was haben unsere Groß- und Urgroßväter in der Zwischenkriegszeit gelesen?
Nun weiß ich es, sollte man meinen. Ich weiß es natürlich nicht, denn ich habe keine Ahnung, ob meine Vorvorderen jemals die TEMESVARER ZEITUNG gelesen haben. Und wenn schon, dann möchte ich es doch bezweifeln, ob es gerade die Kulturseiten waren. Sei’s drum. Zumindest weiß ich jetzt, was sie versäumt haben, falls sie diese Zeitungsartikel, Gedichte, Erzählungen, Skizzen, Essays und Porträts nicht gelesen haben sollten. Ermöglicht hat mir dies Eduard Schneider, der Herausgeber der Textauswahl „Literatur in der ‚Temesvarer Zeitung‘ 1918 – 1949“. Der 1944 geborene Germanist war viele Jahre lang Kulturredakteur bei der NBZ in Temeswar und arbeitet als Literaturwissenschaftler beim Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas in München. Ein Kenner seines Metiers war hier am Werk, das dürfte nach dieser Veröffentlichung ohne Zweifel sein. Was Schneider uns präsentiert, ist mehr als eine lose Aneinanderreihung von Texten, aber auch weniger (zum Glück) als eine literaturwissenschaftliche Abhandlung mit integrierten Textexempeln. Die für eine gediegene Allgemeinbildung nötigen und ausreichenden Zusatzinformationen zu einzelnen Texten oder Textgruppen werden in Fußnoten vermittelt. Auf 479 Seiten präsentiert Eduard Schneider Lyrik und Prosa, die der deutschsprachigen Literatur aus Rumänien zuzuordnen sind, dann Beispiele aus der deutschen und österreichischen Literatur, aber auch Übersetzungen aus dem Rumänischen, Serbischen, Ungarischen, Russischen und sogar Philippinischen. Die TEMESVARER ZEITUNG veröffentlichte in ihren Feuilletonspalten alles, was man auch heute im deutschen Sprachraum in den Kulturseiten der Tageszeitungen findet: Rezensionen, Aufsätze, Berichte aus dem literarischen Leben, Interviews, Briefdokumente, Anekdoten und Miszellen (Kurzbeiträge, Gemischtes). Wie im Titel angekündigt, sind alle Veröffentlichungen zwischen 1918 und 1949 erschienen. Also hatten die Urgroß- und Großväter damals was zu lesen und zumindest einer der „Urenkel“ denkt heute über das Gelesene mehr als positiv, ja, er war zeitweise beim Lesen im wahrsten Sinne des Wortes stolz. Es waren nicht nur die wirklich großen Namen, die ihm hier begegneten, sondern vielmehr der Ton einiger Beiträge, die heute Anerkennung verdienen. Was der Rezensent damit meint? Es sei hier gerne mit einem Beispiel gedient: „Wir können dieses Werk Giszkalays mit bestem Gewissen auch allen Nichtjuden empfehlen. Eine überaus interessante und lehrreiche Lektüre, denn sie entkräftet eine Menge Feststellungen gewisser Rassepolitiker, die das Wort von der ‚Minderwertigkeit‘ der Semiten erfunden haben.“ Das Zitat entstammt der Rezension „Über ein Buch. Johann Giszkalay: Das wunderbare Leben Rabbi Akibas“. Der Weg vom Humanismus bis zur Kollaboration mit dem Dritten Reich, besonders via Waffen SS, war eben noch nicht beschritten, könnten Skeptiker sagen, denen man diesen von Samuel Kastriener gezeichneten und am 4. November 1934 erschienenen Beitrag, als Beleg für normale banatschwäbische Zwischenkriegsverhältnisse (also nicht nur pro) vorlegen will. Aber selbst in der unseligen Zeit des Mitmachens (woraus zweifellos viel Schuld erwachsen ist) gab es Zeichen der Menschlichkeit. Das am 23. Juni 1946 veröffentlichte Interview (mehr ein autobiographischer Bericht) unter der Überschrift „Berliner Schriftsteller erlebt den Nazismus im Banat – Fritz Ginzbergs Flucht aus Hitlerdeutschland nach Rumänien“ könnte als Beispiel dafür dienen. Die Riege der Literaten, die mittels ihrer Werke, Briefe oder auch Interviews den Lesern der TEMESVARER ZEITUNG vorgestellt wurden, deutet auf ein universelles Literaturverständnis der Kulturredakteure hin. Natürlich dominiert die deutsche Literatur, aber von Eingleisigkeit, gar national überbetont, kann überhaupt keine Rede sein. Dafür stehen schon die Namen der Schriftsteller. Stellvertretend für viele seien einige genannt: Peter Jung, Franz Xaver Kappus, Else Kornis, Franz Liebhard, Otto Alscher, Roda Roda, Lucian Blaga, Octavian Goga, Endre Andy, Károly Endre, Erich Maria Remarque, Adam Müller-Guttenbrunn, Thomas Mann, Panait Istrati u.v.a. Das Lesevergnügen wird mit einem hilfreichen Personenverzeichnis und mit aufschlussreichen bio-bibliographischen Notizen über die Mitarbeiter der Kulturseiten der TEMESVARER ZEITUNG sowie einigen Illustrationen je unterbrochen. Man spürt einen Bruch, weil man schlicht und einfach neugierig geworden ist und immer mehr über die Zeit, die Menschen, Gefühle und Weltanschauungen unserer Vorfahren der Zwischenkriegsperiode erfahren will. 1949 war Schluss. Die letzte Nummer der TEMESVARER ZEITUNG erschien am 24. April und Alexander Krischan schrieb 1969 in seinem Buch „Die Temesvarer Zeitung als Banater Geschichtsquelle (1852 – 1949)“ dazu: „So starb das Blatt, das fast ein Jahrhundert im Banater Boden verwurzelt war und ohne das man sich Temeswar nicht vorstellen konnte. Damit versank eine Kulturepoche des Banater Deutschtums, dessen Leistungen allen Völkern dieses Landstriches zugute gekommen waren“. Es begann aber eine neue Epoche, geprägt von der WAHRHEIT, der späteren, in fast jedem deutschen Haushalt des Banats gelesenen NEUE BANATER ZEITUNG (NBZ). Irgendwie sind sie nicht unterzukriegen, die Macher deutscher Zeitungen in der Banater Metropole Temeswar. Auch heute erscheint noch eine BANATER ZEITUNG mit der viel zitierten Mundartseite PIPATSCH. Was könnte da einem von seiner Banater Vergangenheit nicht unrettbar abgekoppelten Menschen näher liegen, als sich auch für die NBZ eine ähnliche Dokumentation zu wünschen. Eduard Schneider (Hrg.): Literatur in der „Temesvarer Zeitung“ (1918 – 1949). Einführung, Texte, Bibliographie; (mit CD-Rom); IKGS Verlag, München, 2003; ISBN 3-9808883-0-4 (Gedruckt mit Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien beim Bundeskanzler.) Nachtrag Diese Rezension wäre noch unvollständiger, würde sie nicht wenigstens in einigen Worten auf die dem Buch beiliegende CD-Rom eingehen. Weil die so interessant und aufschlussreich ist, verdiente sie eigentlich eine eigene Besprechung. Was an einer Bibliographie (Schriftenverzeichnis zu bestimmten Themen, Kategorien) eigentlich so lesenswert sein kann, verrät ein Satz aus der dem PDF-Dokument vorangestellten „Vorbemerkung und Benutzerhinweis“: „Die inhaltliche Erschließung der Beiträge, ausgenommen die Belletristik, war ein besonderes Anliegen der Bibliographie. Neben der üblichen Anzeige stehen deswegen, in eckigen Klammern, erläuternde und ergänzende Angaben, von Fall zu Fall die Namen von im Text genannten Personen, bezeichnende Zitate oder auch Zusammenfassungen.“ Ein Fallbeispiel von Seite 74, 75f soll hier an Stelle einer ausführlichen Besprechung noch angeführt werden. Im Kapitel 1. „Deutschsprachige Regionalliteraturen in Rumänien“ kann in dem Unterkapitel 1.1.7 „Aus dem literarischen Leben, Vereine und Organisationen, Varia“ auch folgende Rubrik gelesen werden: «Gründung einer deutschen literarischen Gesellschaft in Temesvar. [Initiator: Felix Milleker, Werschetz; die „schönliterarische Gesellschaft“ nach dem in Csatád geborenen Dichter Nikolaus Lenau benannt, „wird die im Banat geborenen deutsch-schwäbischen Schriftsteller in sich vereinigen und die Pflege des Andenkens und der Verbreitung der Werke Nikolaus Lenaus, dann die Pflege der Literatur in Reim und Prosa und endlich die Erforschung der deutschen Mundarten zum Zwecke haben“; als ordentliche Mitglieder werden genannt: Otto Alscher, Josef Gabriel, Martin Gemeinhardt, Marie E. delle Grazie, Franz X. Kappus, Julius Meier-Graefe, Adam Müller-Guttenbrunn u. Georg Schulpe.] 68, Nr. 160, 30.7.1919, S. 2.» Lang, lang ist’s her. |
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