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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2014-10-17 | |
Seit dreißig Jahren nehme ich mir jährlich vor, auf die Buchmesse zu fahren, in den letzten Jahren sogar auf zwei: die Leipziger im Frühjahr und die Frankfurter im Herbst. Und je einmal habe ich es tatsächlich geschafft.
Heuer war es wieder mal so, dass ich mich im Frühling auf den Herbst, der diesmal eigentlich ein Spätsommer ist, vertröstet habe. Dabei hatte ich bloß eine Kleinigkeit übersehen, nämlich, dass wir, meine bessere Hälfte und ich, genau an diesem Tag zu einer standesamtlichen Trauung eingeladen waren. Das ist doch unmöglich und geht mir bis heute nicht in den Kopf: Wie kann man an einem Buchmessetag heiraten, wo doch in diesem Fall die Braut sogar Lehrerin und der Bräutigam angehender Lehrer sind. Aber mit faulen Ausreden kam ich meiner allerliebsten Gattin nicht bei. Nein, hat sie gesagt, und das mit einem Blick… Eine Buchmessewoche ohne Literatur. Dafür gibt es eigentlich keinen Ersatz. Das war schon immer so. Ein anderes meiner seit vielen Jahren meist verpassten Steckenpferde sind nämlich Literaturverfilmungen. Diese Versäumnisse haben etwas mit mir, genauer mit meinem Beruf, und den Ausstrahlungszeiten dieser Filme zu tun. Heuer war es in der Woche der Frankfurter Buchmesse etwas anders. Und das dank Siegfried Lenz. Der große masurische Erzähler bemüßigte sich nämlich, genau in dieser Woche zu sterben. Das hat sowohl ARD als auch ZDF dazu veranlasst, je einen angekündigten 20:15-Uhr-Film aus dem Programm zu nehmen und einen Streifen nach einer literarischen Vorlage von Siegfried Lenz zu senden. Hut ab! Wobei ich doch schon länger den Eindruck hatte, dass beide Sender sich von ihrem Kulturauftrag – zumindest zu Wachzeiten normal Sterblicher – verabschiedet hätten. ARD zeigte am Mittwoch, dem 9. Oktober Das Feuerschiff und ZDF einen Tag später Die Flut ist pünktlich. Das ist eigentlich eine Gelegenheit nicht nur für Literaturverfilmungen im Allgemeinen, sondern auch speziell für den deutschen Film eine Lanze zu brechen. Der ist nun mal viel besser als sein Ruf. Diese zwei Streifen sind ein eindeutiger Beweis dafür. Das Leben ist hart auf See, aber auch nicht leichter an der See. Psychologischer Tiefgang ist angesagt. Lenz war ein Meister des Erzählens, und diese Filme haben seine Kunst nicht zu kitschigen Krimis verkommen lassen. Oh, ja, sie waren für mich ein Ersatz für die verpasste Buchmessegelegenheit. Schade nur, dass der Grund für ihre Ausstrahlung alles andere als ein erfreulicher war. Und die bei verpassten Gelegenheiten stets ins Feld geführten Einmaligkeitsansprüche können heute auch längst relativiert werden. Wer zum Beispiel Herta Müller auf der Buchmesse erleben wollte, musste nur in der Mediathek von 3sat herumklicken. Und schon wurde er Zeuge ihrer bildhaften Schilderungen vom banatschwäbischen Dorf und der kommunistischen Diktatur in Rumänien. Obwohl das alles mittlerweile für viele nichts mehr Neues ist, wirkt es doch immer wieder erfrischend – besonders angesichts der Absurdität der damaligen Vorfälle um die Aktionsgruppe Banat und ihrer Sympathisanten, zu der auch die Nobelpreisträgerin vor dieser kleinen Ewigkeit gehörte. Es gab natürlich im Fernsehen auch viele andere kurzweilige Sendungen über die Frankfurter Buchmesse. Als ich müde von der Hochzeit heimkam fuhr auf dem österreichischen Sender Servus TV gerade der Bücherbus über das Gelände. In oder neben ihm gab es unterhaltsame Gespräche, die mir mein Verlustgefühl doch beträchtlich abschwächten. War ganz interessant und entspannend. Und zu all dem habe ich mir auch noch diesen ganzen „elendigen Schund“ von gedruckten Büchern (Michael Herl in der FRANKFURTER RUNDSCHAU) erspart. Wenn ich dann auch noch bedenke, dass Braut und Bräutigam von jenem Buchmessesamstag rein zufällig meine Tochter und mein Schwiegersohn waren, dann kann ich auch den heurigen Verlust jeglichen Buchmessebesuchs einigermaßen schadlos verkraften. |
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