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Freiheit im „okzidentalen Kapitalismus“
artikel [ Gesellschaft ]
Kolumne 18

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von [Delagiarmata ]

2005-03-20  |     | 



Cristian Tudor Popescu, Chefredakteur von ADEVĂRUL, sagt in einem Interview mit der Zeitschrift SUPLIMENTUL DE CULTURĂ (Nr. 13/2005, Jassy/Iaşi): „Wenn ich dorthin gehe, wo Rumänien einmal hinkommen soll, wenn ich jetzt nach Brüssel oder Washington gehe, werde ich nach einer Woche verrückt. Ich vertrage diese Welt nicht. Sie ist lymphatisch, glanzlos, aschfahl, leblos. Ich kann in diesem okzidentalen Kapitalismus, den wir anstreben, nicht leben. . .“

Ist es der gleiche Kapitalismus, den ich gesucht habe? Was ich vorfand, entsprach von Anfang an nicht meinen Vorstellungen. Die als junger Mensch mit einer an physisches Leiden heranreichender Intensität verspürte Sehnsucht nach Freiheit war das Produkt von Wunschvorstellungen, die in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit der steigenden Undurchlässigkeit des Eisernen Vorhangs immer realitätsfremder wurden. Freiheit hatte sich in meinen Vorstellungen zu einem himmlischen Zustand der absoluten Sorgenfreiheit gesteigert. Hat man das Land seiner Träume dann erreicht, kann der Weg aus diesem Zustand schnell in eine verheerende Sorglosigkeit führen.

Die Freiheit war nach meinem Eintreffen in ihr erst mal ein Sinne tötendes Unstetigkeitsgefühl. Dauernd auf Achse sein, war der einzige mich befriedigende und gleichzeitig zerstörende Zustand. Frau und Kind saßen zu Hause, allein in einem fremden Land. War ich dann mal da und begab mich in Verwandtschafts- und Bekanntschaftskreise, dann hörte ich nur von Arbeit, Bauen, Kaufen.

Die Freiheit ist eben absolut im Kapitalismus. Jeder tut und lässt was er will. Falsch! ... Natürlich, was er kann! ... Und das Individuum ist beileibe nicht so frei, wie ich es mir hinter der Stacheldrahtgrenze immer vorgestellt habe. Freiheit führt oft zu schrecklicher Intoleranz. Freiheit heißt auch das Ausbrechen aus bis dahin funktionierenden gesellschaftlichen Kontrollmechanismen. Der eine (oder die eine) und andere wäre nicht auf die Idee gekommen, sich als verheirateter Familienmensch wie Teenies auf nicht enden wollenden Partys mit anderen Ehemännern/frauen zu verknutschen oder gar sein Seelenheil in asiatischen Gefilden zu suchen.

Frei sein heißt auch vogelfrei sein. Die Freiheit des Kapitalismus ist eine fremdbestimmte Freiheit. Man denke nur an den V-Zeichen-Ackermann von der Deutschen Bank. Von realitätsfremden Machtfiguren wie er hängt unsere Freiheit ab. So lange sie in diesem Land ihr Unwesen treiben, bestimmen Gewinnmargen unser Schicksal. Du bist frei, du kannst gehen, wenn du noch Glück hast, mit Abfindung.

Joschka Fischer hat sich in diesem okzidentalen Kapitalismus nicht regelkonform verhalten. Er hat im Zweifelsfall für eine freizügige Visavergabe plädiert. Unser System ist weiterhin erstrebenswert. Alle wollen in ihm unterkommen. Eine bessere Freiheit ist bislang nicht bekannt. Das gefährdet unseren Status quo. Freiheit muss auch verteidigt werden; man sollte sie nicht leichtsinnig als Allgemeingut feilbieten. Also hat in dubio pro liberta hier schlechte Karten.

Ich weiß nicht, wie sich Cristian Tudor Popescu einen anderen Kapitalismus als unseren westlichen vorstellt. Vielleicht schwebt ihm eine ganz andere Gesellschaftsform vor, die sich in seinem Kopf noch nicht konkretisiert hat. Ich bin mir bloß sicher, dass auch er in den Sozialismus nicht zurück will, obwohl das, was man hier in Deutschland erlebt, sich täglich weiter von dem entfernt, was jahrelang als erstrebenswertes Gesellschaftsmodell angesehen wurde. Die einst vom Glorienschein eingehüllte „soziale Marktwirtschaft“ war nur so lange ein Synonym für soziale Gerechtigkeit, solange gute Wachstumsraten garantiert waren; die es allerdings schon lange nicht mehr gibt. Unser westliches Gesellschaftsmodell wird anscheinend auch anderswo längst als abschreckender „okzidentaler Kapitalismus“ wahrgenommen. Man kann C.T. Popescus Beispiele Brüssel und Washington ruhig mit Berlin ergänzen.

Dort scheint man allerdings diesbezüglich schon viel radikalere Töne anzuschlagen. Im Klappentext des kürzlich im Aufbau Verlag Berlin erschienenen Buches „Bürger, ohne Arbeit - Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft“ kann man sich auf das Thema schon mal einwärmen: „Auch ohne Arbeit oder weiterführende Ausbildung die Existenz zu sichern und die persönliche Würde zu wahren wird für immer mehr Menschen zur wichtigsten Überlebenstechnik. Die Befugnis und die Macht zur Umkehr liegen nicht bei einer Elite, sondern beim Willen aller einzelnen, für ihre Bürgerrechte zu kämpfen. Der Umsturz der vom Staat sanktionierten Wirtschaftsgesellschaft beginnt mit der Wiederentdeckung der eigenen Urteilskraft als Keimzelle des Politischen..“ (Autor: Wolfgang Engler)

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