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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2022-09-09
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Sulina – Teil 3
Ich bin 1980 als Studentin nach Sulina meiner Kindheit zurückgekehrt. Ich habe weder bei der Familie Cauciuc (für mein Gedächtnis bleiben sie Ciocan!) noch im Hotel „Farul“ gewohnt, sondern bei der Familie Frangetti, mit der ich abends und morgens immer ein wenig von den alten Zeiten sprach und sie in ihrer von den Goldzähnen ausgestrahlten guten Laune viele Fragen zur Stadt stellten. Ich antwortete ihnen in der Hitze, die die Zeit verlangsamte, und sie nickten und schienen einverstanden zu sein: „Das Leben in der Stadt ohne Wasser ringsherum ist besser.“ Aber sie nickten weiter und sagten: „Und wer soll die Fische aus dem Wasser zwischen dem alten Leuchtturm und dem Meer fangen. Nein, die Fische kennen uns.“ Und sie lachten ob ihrer verschränkten Schnurren zwischen russischen Wörtern und Fischschuppen, die anscheinend alle im Delta bedeckten, und dem Gold, das ihren Atem begleitete. Als ich vom normalen Schiff herabstieg, viel kleiner als das Passagierschiff „Translilvania“, aber schneller, und der Stille entkam, die aus Mangel an frischer Luft döste, aber in „Stadtranddüfte“ – so sprachen dort die Alten, wahrscheinlich österreichischer Einfluss, von den Russen in diese Siedlungen gebracht, wo die Sprache sich kaum änderte, weil wenig geredet wurde - gehüllt war, und die Haut durchdrungen von Salz und Fisch, ging ich direkt ins Hotel „Farul“, um es wie einen Freund zu begrüßen, der mir in vielen Nächten beistand, in denen die Transatlantikschiffe auf Sulinas Donau hin und her schwankten, wo Körper sich unter dem Strandholz aufblähten, unter unseren entsetzten Kinderaugen, und der Mond, der auf diesem Himmel, von den Kraken des Stadtrauchs befreit, so groß war, dass er nicht in die kleinen Fenster des Hotels passte. Das Hotel „Farul“ schien mir jetzt wie eine Art Hotelchen mit seiner einzigen Tür und nur einem Fenster zur Straße, mit seinem abgenutzten Eingang, eingezwängt zwischen den Bögen der Fauteuils, in die du dich nicht sitzen konntest, sondern aus der Gegenwart hineinfielst zwischen die abgenutzten Gobelins und das Meergras, das irgendwann mal von einem griechischen Schreiner mit dem Geschmack der Ewigkeit in den Augen geflochten wurde, bis dich alle Knochen und das Hinterteil schmerzten. Ich habe viele Nächte danach um einige in der Erinnerung gespeicherte Bilder gekämpft, als das Gobelin mir als ein Stoff einzigartiger Schönheit vorkam, mit seinen von vielen Allerwertesten aus zahlreichen Ländern verformten Blumen, und die Fenster kamen mir groß und quadratisch vor, durch die ich in die Eingeweide der Geheimnisse blickte, die nachts über die Friedhöfe schwebten, in denen die Seelen aus aller Welt neben mir atmend ruhten, Luft nur aus Salz und Fisch. Auch jene Nächte allein verbracht in dem winzig kleinen Bad mit einem WC aus Guss kamen mir vor wie wahrhafte Erlebnisse in einer Welt, die Abend für Abend für mich geboren wurde. Familie Frangetti war auch dort, tagsüber zwischen den Fischen im Hof, das Haus verbarrikadiert mit Netzen gegen die Stechmücken, Gartenblumen, die aber nicht in Reih und Glied wie zu Zeiten der Familie Cauciuc wuchsen, und die großen Wannen, die sich seit Jahrzehnten im Morgengrauen mit Fischen füllten. Es hatte sich nichts geändert, nur dass die Mädchen groß waren, arbeiteten, geheiratet und Kinder hatten. Die Goldzähne waren auf der ganzen Insel an ihrem Platz. Die Terrasse des Hotels „Farul“ wurde nicht mehr von jener alten Familie von Griechen bewirtschaftet. Jetzt war dort eine Konditorei voller Mücken, einförmige Tortenschnitte wie überall im Land, verkauft von langweiligen Verkäuferinnen à la Sulina, die kamen, lustlos ihre Ware veräußerten und wieder gingen. Wenn die Schiffe vom Meer in den Hafen Sulina fuhren, machten sie vor dem Hotel „Farul“ fest. Auch am Badestrand hörte man die Schiffe in den Hafen fahren, denn ihre Sirenen heulten, dass es dir nachts noch in den Ohren sauste. Von den Schiffen stiegen die Seeleute. der letzte war der Kapitän, der stattlichste von allen, denn er hatte eine Mütze, die seine ganze Müdigkeit und die Sorge, das Schiff unversehrt vor das Hotel zu bringen, verdeckte. Bevor sie das Restaurant betraten, hielten sie auf der Hotelterrasse inne. Der Grieche mit Bauch und Augenbrauen voller Bereicherungsträume trat ihnen entgegen, fragte sie woher des Weges, nach den durchschifften Kanälen und Meeren. Wir Kinder schauten zu ihnen auf und hörten ab und zu: „Ach, nein, diesen Hafen gibt es schon lange nicht mehr … nein, auch diese Küste, die Sie kennen, existiert nicht mehr.“ Der Grieche wischte sich den Schweiß ab, von dem man nicht wusste, ob er von den schlechten Nachrichten herrührte – es schien so, als würden nur die schlechten hierher kommen, die guten blieben irgendwo im Ausland – oder von seinem Herzleiden, das die Hitze des Deltas nur schwer vertrug. Ich habe erfahren, dass er 1980 an Herzversagen gestorben ist, die Terrasse hatte ihren Erzähler verloren, der mit Herzblut aus ihr das gemacht hatte, was sie war: die Terrasse, auf der du dich frei fühltest. Es spielte keine Rolle, wie du sie betreten hast, du hast sie leichten Fußes verlassen, gesüßt von den in Butter und Schokolade getränkten Mehlspeisen. Die Promenade war, wie ich sagte, ein Kilometer lang. Auf ihr gingen abends viele spazieren, sehr viele, außer den Alten der Insel, den Fischern oder Häftlingen, die froh waren, in einer Kantine in der 4. Straße, gleich neben dem Schilfdickicht, essen zu dürfen. Zum Beispiel die Familien Frangetti oder Cauciuc spazierten nie, auch früher nicht, eigentlich verstanden sie gar nicht, zu was das gut sein sollte. Sie gingen nicht einmal an den Strand, „dort geht ihr Städter hin“, sagten sie. Die Menschen des Deltas versuchten, sich so gut wie möglich vor der Sonne zu schützen. Die Jungen, von groß bis klein, gingen abends aus, man kaufte Eis, man ging in Reihen und erzählte, wenn einige stehen blieben, hielten auch die Folgenden inne, die Menschen kamen ins Reden und schauten gemeinsam über die Donau zur anderen Seite, wo am Ufer in der Ferne der alte Leuchtturm sicher und einsam stand. Vater spazierte mit den Ingenieuren und Arbeitern, die aus Bukarest auf die Baustelle gekommen waren. Die schauten nach den Mädchen mit den in grelltönendes Blau gefärbten Augenbrauen, die in Gruppen vorbeigingen. Ihre Rosenparfüms ließen selbst dem tagsüber dominierenden Fischgeruch keine Chance. Von Zeit zu Zeit begannen sie ein Gespräch mit der Gruppe jener Männer mit dem „Hauptstadtgang“, die hier ihre Taillen-Jacken zur Schau trugen. Wenn es einem gelang, eine robuste Jugendliche zu einem längeren Gespräch zu bewegen oder sie zu „einem Kleinen“ einzuladen, wurde so laut gelacht, dass selbst die Möwen auf den Hafenrohren aufschraken. [aus dem Rumänischen von Anton Potche] |
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