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■ Eine Krone von Veilchen
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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2010-04-04 | |
Ich weiß nicht mehr, was mich dazu veranlasst hat, an diesem Abend den rumänischen Sender TVRi (Rumänisches Fernsehen International) im Internet anzuklicken. War es nur eine Nostalgieanwallung oder war es die abgrundtiefe Abscheu vor den sexuellen Übergriffen hiesiger Kirchenmänner? Ein kurzer Ladevorgang und das Bild war da. Eine Kirche. Messe. Drei Popen zelebrierten in endlosen Gebeten und Gesängen. Der byzantinische Ritus kann sehr schnell ermüdend auf Außenstehende wirken. Die Faszination des orthodoxen Kirchenprunks mit seinen Ikonostasen und Gewändern büßt bei nicht entsprechender Standhaftigkeit im Glauben schnell an Kraft ein. Nicht aber bei den Rumänen.
Der promovierte Theologe Jürgen Henkel schreibt in einem beeindruckenden Essay im RHEINISCHEN MERKUR vom 18. März 2010, dass in Rumänien „das kirchliche Leben blüht“. Rund 96 Prozent aller Staatsbürger würden sich zu einer christlichen Kirche bekennen und seit der Wende von 1989 sind in diesem Land mehr als 1000 Kirchen gebaut worden. „Die Sinnstiftung“, schreibt der ehemalige Leiter der Evangelischen Akademie Siebenbürgen (von 2003 bis 2008), „durch die Kirchen wird in Rumänien – anders als in Deutschland – von der Mehrheit durchaus als institutionell vermittelt wahrgenommen. [...] Die Renaissance der Religion ist mit Händen zu greifen.“ Die Kirche von Holbav war voll an diesem Karfreitagabend: Frauen, Männer, Kinder. Und ihre Kirche war von außen beleuchtet, aber weniger von den unzähligen Kerzen, die auf dem Kirchenfriedhof brannten, sondern von einem Strahler eines Fernsehteams, das den Holbavern Bürgern zumindest für diesen Abend des Leidens und Sterbens das elektrische Licht als Hoffnungsschimmer für ein helleres Dasein nach bisher ewiglichem Dunkel bringen sollte. Der 100-Kilogramm-Starjournalist der rumänischen Fernsehlandschaft, Cristi Tabără, hatte sich mit seinem Mikrophon vor der Kirche postiert und erzählte in seiner gewinnenden Art von dem stromlosen Dasein vieler Bürger des Dorfes Holbav, ca. 20 km von Braşov/Kronstadt entfernt. Hohlbach ist die deutsche Benennung des Dorfes, das auf der Liste „Alle Heimatorte” des Portals SIEBENBUERGEN.DE aber nicht zu finden ist. Die Gemarkung dieses Bergdorfes muss immens sein, wenn 130 Häuser auf umliegenden Hügeln so weit verstreut liegen, dass einige der 70 Kinder aus diesen Häusern einen Schulweg – zu Fuß, wohlgemerkt – von 8 km bis zur Dorfmitte zu bewältigen haben. Alle diese Kinder von den Hügeln kommen aus dem Dunkel. Sie kennen wie ihre Eltern und Großeltern kein elektrisches Licht in den eigenen vier Wänden. Nur zur Erinnerung, ich spreche hier nicht von einsamen, von uns Westeuropäern so herbeigesehnten Berghütten in der Abgeschiedenheiten der Karpaten, sondern von Familienhäusern in einem EU-Land des 21. Jahrhunderts. Ich weiß nicht, wie realitätsnah die Hoffnungen, die diese Live-Übertragung aus ihrem Dorf in den Herzen der Menschen geweckt hat, letztendlich sind. Meine Zweifel an der Auferstehungsgeschichte gesellten sich während dieser Sendung zu jenen an der schnellen Verwirklichung dieses Lichttraumes, obwohl die dazu nötige Summe nach unseren westlichen Maßstäben nichts Unermessliches an sich hat. Es geht nach der Aussage eines Fachmannes um rund 3,5 Millionen Euro. Mit dem Kreuzweg um die Kirche in einem ununterbrochenen „Doamne miluieşte” (Gott sei barmherzig) klang diese Sendung aus und ich wollte schon den Computer herunterfahren, als sie auftauchten, die „Moromeții” (Film von Stere Gulea) mit all ihren Problemen in Schwarz-Weiß. Und meine Reise zurück setzte sich nicht nur geographisch sondern plötzlich auch zeitlich fort. Ich war in dieser Welt, die mir plötzlich so vertraut vorkam, obwohl ich sie nur aus der rumänischen Literatur (Sadoveanu, Slavici etc.) kenne, gefangen und spürte nichts von der herannahenden Mitternachtsstunde. Marin Predas Gesellschaftsgemälde der Zwischenkriegszeit lässt einen nicht los. Was waren das für naturbelassene Figuren: Ilie Moromete mit seiner zahlreichen Familie und all die Figuren, die das rumänische Dorf der unendlichen Bărăgan-Ebene prägten, Băşilă, Ţugurlan, Scămosu, Bălosu und all die anderen. Sie aßen noch mit Holzlöffeln aus Holztellern und sprachen miteinander in einem so ruppigen Ton und einer so urigen Sprache, dass ich die rumänische Untertitelung des Films dankbar und fleißig nutzte. „Hai noroc. Ia şi tu o țigară.” Es wurde dauernd geraucht während dieses Kampfes um die Scholle, den liebenswürdigen Unfähigkeiten, Liebe zu Mitmenschen in Worte und Gesten zu fassen, aber auch während der Hinterhältigkeiten, des Undanks und Verrats. Und dann waren die ersten Schatten des Weltkrieges auch schon da. Für wirkliches Glück war in dieser rustikalen Bauernwelt, auf deren Feldern der Weizen mit der Sichel abgeschnitten und nicht mit der Sense gemäht wurde, kein Platz. Und noch weniger für das Buch, die Bildung, die Fortschritte der Zivilisation. Und doch fährt der gealterte Ilie Moromete (gespielt von Victor Rebengiuc) mit seinem jüngsten Sohn Niculae der Zukunft entgegen, auf einem Leiterwagen, gezogen von zwei mit Schulden gekauften Pferden. Der Weg durch den Wald ist schauerlich, die laublosen Bäume stehen wie bedrohliche Pfähle in der Landschaft und weiße Nebelfelder führen in die Irre. Der alte Mann schaut seinem Sprössling, ein später Nachzügler, ins Gesicht und wendet das Gefährt in eine andere Richtung mit der Frage „Unde mergem noi, domnule?” (Wo fahren wir hin, Herr?). Der Film hatte 1987 Premiere und es wundert mich, dass er mit dieser Frage enden durfte. Sie ist heute, 20 Jahre nach dem Fall des Kommunismus aktueller denn je. „Ein Land sucht seine Werte”, betitelt Jürgen Henkel sein Essay und der Kolumnist Ilie Şerbănescu befürchtet in der leider immer mehr zum Boulevardblatt verkommenden ROMÂNIA LIBERĂ (29. März 2010), dass sich die rumänische Landwirtschaft auf einem „unumkehrbaren Weg der Zerstörung” befindet. Es gibt ein Land in Europa, in dem ist Karfreitag noch viel zu oft Alltag. Mein Karfreitag auf TVRi lässt mich dieses Osterfest mit Demut begehen. |
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