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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2004-05-02 | |
Ein historischer Tag. Wieder mal. Wenn solche Tage dem Frieden und der Völkerverständigung dienen, kann man gar nicht genug davon haben. Ich schreibe hier vom 1. Mai 2004. Zehn Länder sind der EU beigetreten und was vor 90 Jahren mit dem Attentat von Sarajewo auf den österreichischen Thronfolger Franz-Ferdinand und seine Frau (28. Juni 1914) zu zerfallen begann, ist fast wieder vereinigt; friedlich, ohne jedwede Waffengewalt.
Aber Europäische Union ist noch immer „nur“ eine Union von Staaten und noch kein „gemeinsames“ Europa. Europa ist größer, viel größer als die EU, und es ist vor allem noch reicher, viel reicher, besonders an kulturellen Gütern. Geschichte ist eine unendliche Folge von Geschichten, Biographien einzelner Individuen und Gruppen aller Größenordnungen. Und es sind diese wunderbaren Geschichten, die eine EU mit nunmehr 25 Staaten überhaupt ermöglichten und irgendwann auch die restlichen Länder Europas in den gemeinsamen Verbund führen werden. Eine dieser Geschichten begann vor vierzig Jahren, genauer am 18. Februar 1964 im kleinen Saal des Schota Rustaveli Theaters in Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, damals noch Sowjetrepublik. Das von Musikern der Georgischen Philharmonie gegründete Georgische Kammerorchester absolvierte seinen ersten Auftritt. In der Auflösungsphase der Sowjetunion war dieser Klangkörper dann bereits ein international berühmtes Ensemble und in den Wirren einer zerfallenden kommunistischen Staatengemeinschaft suchten die Orchestermitglieder nach einem einigermaßen stabilen Konzertbetrieb, der ihnen sowohl ihr kulturelles als auch materielles Überleben sichern sollte. In Deutschland glaubten sie diese Situation vorgefunden zu haben und ließen sich demzufolge 1990 in Ingolstadt nieder. Die Sponsorphilosophie der Audi AG hat damals wesentlich zur Entscheidung der Musiker/innen um die Stargeigerin und Dirigentin Liana Issakadze beigetragen. Heute profitiert das Orchester von der fruchtbaren Zusammenarbeit des Kulturamtes der Stadt Ingolstadt, dem Freundeskreis des Georgischen Kammerorchesters (besteht seit 1999 und hat 321 Mitglieder, Tendenz steigend) und der Audi AG. Mittlerweile wird das Orchester auch von der MediaMarkt-Gruppe und der Sparkasse Ingolstadt unterstützt. 1. Mai 2004. Ganz Europa feiert, ... fast ganz Europa. Eine Gruppe Menschen mit herausragenden musikalischen Begabungen, die von einem der Ränder dieses Kontinents in seine Mitte (nicht unbedingt geographisch) vorgedrungen ist, um zu beweisen, dass menschenverachtende Systeme den Freiheitsdrang der Kunst nie und nimmer auf Dauer unterbinden können, Musiker/innen mit Leib und Seele und einem unerschütterlichen Glaube an die beglückende Macht ihrer Kunst (wenn auch oft nur für ein, zwei Stunden) spielen ihr Jubiläumskonzert im großen Saal des Theaters Ingolstadt. Sie sind bereits Teil des feiernden Europas, während ihre Landsleute dorthin noch einen weiten und schwierigen Weg vor sich haben. Das Konzert für Violine, Violoncello und Kammerorchester von Sulchan Nassidse (1927 – 1996) ist bereits eine erste Hommage an die georgische Heimat. Der Geiger Daniel Röhn und der Violoncellist Alexander Suleiman dialogieren mal melancholisch mal überschwänglich vor einem orchestralen Hintergrund, der uns in seiner Harmonik und zeitweise auch Rhythmik an ferne, märchenhafte (auch schauerhafte) Fantasiewelten erinnert. Zu einem Jubiläumskonzert passt ein Gastensemble. Das kam natürlich aus Georgien: der Männerchor Rustavi (10 Sänger). In über 50 Ländern hat dieser Chor die Musikfolklore Georgiens schon bekannt gemacht. Gewaltige Stimmen weben einen polyphonen Teppich, der durch seinen Modulationsreichtum die fremdsprachigen Texte leicht vermissen lässt. Als dann Omar Kelaptrishvili auf der georgischen Flöte, begleitet von zwei mandolineartigen Zupfinstrumenten, noch drei Lieder aus S. Taktakishvilis „Megrelischer Suite“ spielt, tobt der Saal vor Begeisterung. Nachdem die Virtuosität des Flötisten sich schon fast ins Unheimliche steigert, schauen meine Frau und ich uns unwillkürlich an. „Sakarzilo“ heißt das interpretierte Hochzeitslied und was wir hören, ist nicht mehr und nicht weniger als das weltweit bekannte und besonders von Panflötenvirtuosen immer wieder gerne gespielte rumänische Volksmusikstück „Ciocârlia“ (Die Lerche). Nach der Pause erklang Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 3 Es-Dur, op. 55 („Eroica“). Damit setzte das Georgische Kammerorchester Ingolstadt – mit Bläsern und einem Paukenspieler auf 40 Musiker/innen verstärkt – unter der Stabführung seines Chefdirigenten Markus Poschner (seit 2000) einen wahrlich zeitgemäßen Schlusspunkt. Wie anders als „heroisch“ kann man einen Unionsprozess ohne Krieg nennen. Vernunft statt Waffen sprechen zu lassen, ist oft nur dank wahrer diplomatischer Heldentaten möglich. Die Geschichte der Georgier in Ingolstadt zeigt uns, dass Europa auf dem richtigen Weg ist. Aber erst wenn solche Geschichten sich nie mehr wiederholen müssen, wird das Ziel dieses Weges erreicht sein. Ingolstadt, 02.05.2004 |
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