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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2009-02-06 | |
Kalender sind Jahresbücher und als solche inhaltlich auch immer einem Jahr in besonderer Weise verpflichtet. „Deutsche Schicksalsjahre fallen gern auf die Neun“, titelte die Tageszeitung DIE WELT schon am 2. Januar 2009. Geschichtliche Schicksalsjahre für die Deutschen wären da 1849, 1919, 1929, 1939, 1949 und 1989 gewesen.
Aber 1809 wurde Klemens Fürst von Metternich österreichischer Außenminister. Mit seiner Restauration begann das Totenglöcklein für die Ära des Kaiserstaates zu läuten. Gut, das Jahrzehnt 1789 – 1799 gehörte geschichtlich betrachtet den Franzosen, aber seine Auswirkungen auf die Deutschen sind unbestritten. Und so kann man weiter in die Tiefen der Vergangenheit abtauchen und stößt immer wieder auf die Jahreszahl ...9. Das gilt auch, wenn man die Bühne der großen nationalen oder internationalen Ereignisse verlässt und sich auf Spurensuche nach der 9 in Biographien berühmter Männer vertieft. Zwei deutsche Beispiele dürften genügen: Johann Wolfgang von Goethe wurde 1749 geboren und zehn Jahre später, also 1759, erblickte Friedrich Schiller das Licht der Welt. Gründe genug gibt es auch, um nach der mehr oder weniger beglückenden oder bedrückenden Faszination der Jahreszahl ...9 im Leben einer entwurzelten und sich auf dem unaufhaltbaren Weg in die Geschichte – wenn auch wahrscheinlich nur als Fußnote – befindenden Volksgruppe zu suchen. Der BANATER KALENDER 2009 müsste eigentlich eine ideale Quelle zum Stillen des Wissensdurstes nach der 9 sein. Also starten wir in das Innenleben einer Gemeinschaft. Die Welt unserer Altvorderen vor 100 Jahren, sprich das was unsere Ururgroßeltern und Großeltern als junge oder Menschen mittleren Alters so gesehen haben, tut sich auf. Alte Postkartenillustrationen thronen über den 12 Monaten des Jahres 2009, jeweils zwei über einem Monat. Und unsere Schicksalszahl 9? Die Postkarte zum Monat Mai zeigt „Maibäume in Neudorf bei Lippa. Kolorierter Lichtdruck, herausgegeben 1909 von Anton Theiss, Neudorf; Poststempel verwischt“, der Juli begegnet uns bildlich mit einer Karte von „Bad Busiasch: Mehrbildkarte. Farblithographie, herausgegeben von Armin Schatteles, Busiasch; Poststempel 14.08.1899“, der September war Wallfahrtszeit nach „Maria-Radna: Mehrbildkarte. Farblithographie von Ottmar Zieher, München; Poststempel 31.01.1899“, was natürlich auch schon damals einen Blick auf „Lippa: Mehrbildkarte. Farblithographie von Karl Schwidernoch, Wien; Poststempel 07.06.1899“ zur Folge hatte. Die letzte markante 9 für die große deutsche Geschichte wird heuer 20 Jahre alt – 1989. Die um ihre Identität bemühte Volksgruppe der Banater Schwaben kann weiß Gott einiges mit dieser Jahreszahl anfangen. Ihre eigenen kleinen, aber darum umso identitätsstiftenderen Gedenkjahre sind zum Teil noch im Kindesalter. „10 Jahre Banater Kulturzentrum in Ulm“ heißt ein Beitrag von Joseph Ed. Krämer. Kultur und gruppenspezifische soziale Einrichtungen sind eigentlich die einzigen Mittel, um die Selbsterhaltungstriebe einer Volksgruppe zu bedienen. Daher war die Eröffnung des Kultur- und Dokumentationszentrums der Landsmannschaft der Banater Schwaben am 24. April 1999 in der Oberen Donaubastion in Ulm eine Notwendigkeit. Unser Heute und Gestern muss Hand in Hand schreiten. Alles andere führt zu Brechungen der jeweiligen Selbstfindung. Wie intensiv, mehr oder weniger bewusst man dieses geschichtsbetonte „Leben“ (als subjektiviertes Verb gedacht) pflegt, bleibt jedem selbst überlassen. Am 13. März 1949 erschien in Bukarest die erste Ausgabe der Bukarester deutschen Tageszeitung NEUER WEG. Wenn sie auch nicht alle Rumäniendeutschen der Erlebnisgeneration abonniert hatten, so werden heute selbst die größten Geschichtsmuffeln unter ihnen wissen, um was es sich handelt. Hans Fink hat einen informativen Artikel zu diesem denkwürdigen Ereignis verfasst. Menschen und Umstände: eine in diesem Fall günstige Konstellation. Banater Schwaben haben rückblickend auch zu danken, was immer ihnen an Ungerechtigkeiten widerfahren ist. Auch mehr der Anekdote geschuldete Ereignisse kann man an einer Jahreszahl ...9 festmachen. Seit 1829 hat sogar Arad einen „Stock im Eisen“, erfahren wir in einem Aufsatz von Franz Engelmann. Aber auch große, die Existenz der Banater Schwaben bedingende Ereignisse fanden in Jahren mit der Endziffer 9 statt. „Im Frieden von Karlowitz (Sremski Karlovci), der den Großen Türkenkrieg (1683 – 1699) beendete, legte das Habsburgerreich das Fundament seiner östlichen Machterweiterung“, heißt es in einem ausführlichen Geschichtsaufsatz über „Claudius Florimund Graf von Mercy und sein Wirken im Banat“ von Josef Wolf. Am 16. Mai 1719 genehmigte Kaiser Karl VI. Graf von Mercys Vorstellungen zur Erschließung und Verwaltung des Banats, der Urheimat der Banater Schwaben. Dort wurden sie als Volksgruppe geboren, dort beginnt ihre Geschichte. Wenn aus dem Jahre 1859 ein Brief bekannt ist, den ein Orzidorfer „Raketeur“ aus Verona nach Hause schrieb, dann ist das ein Beweis für den immerwährenden Europabezug des Banats, im Guten wie im Bösen. Auch solche Geschichten werden im BANATER KALENDER 2009 kundgetan. Und Träume, zerplatzte Träume in 9er Jahren: „[...] am 20. Februar 1919 übernahm die serbische Regierung die gesamte Zivilverwaltung des Banats, was die Annexion der Provinz – und das Ende der Banater Republik bedeutete.“ Den Traum einer Banater Republik konnten die Banater Nachkriegsgeborenen nicht einmal erträumen, geschweige denn ... Wie das damals wirklich war, können Sie aber hier in einem geschichtlichen Material von Lajos Kakucs über „Dr. Otto Roth und die Banater Republik“ nachlesen. „1949 – Heimkehr aus der Russland-Deportation – 60.000 deutsche Zwangsarbeiter entlassen.“ Ein BANATER KALENDER 2009 währe ohne diesen Themenkomplex schlicht unglaubwürdig hinsichtlich seiner Geschichtsbezogenheit. Franz Bittenbinder hat sich der Sache in einer originellen, lamentobereinigten Weise angenommen. Lesenswert im wahrsten Sinne des Wortes. Am 27. August 1979 ist Pfarrer Wenzel Demel mit 20 Dolatzern über die rumänisch-jugoslawische Grenze in den Westen geflüchtet. Das war damals ein Kirchweihfest nach dem Geschmack vieler besonders jugendlicher Banater Schwaben. Klar, es hatte sich damals wie ein Lauffeuer herumgesprochen, wie es aber wirklich war, schildern im vorliegenden Kalender Hans Steiner und Dominik Kerbel. „Die Erhebung von Temeswar 1989“ wird lediglich in einem kurzen Artikel ohne Signatur erwähnt. Dieses Ereignis hätte bestimmt mehr verdient. „Ein geistiges Zentrum für die Deutschen dieses Raumes“ nennt Walter Engel die erstmals 1909 in Temeswar von Viktor Orendi-Hommenau aufgelegte Zeitschrift „Von der Heide“. Kultur spielte damals für die wieder mal im Werden – nach Jahrzehnten von zumindest auf dem Lande weitgehend gescheiterten Magyarisierungsversuchen – begriffenen Banater Schwaben eine ähnlich wichtige Rolle wie heute. In einem Jahr mit der ach so deutschen Endziffer 9 wurde Richard Waldemar Oschanitzky in Temeswar geboren. Als er „1979 mit nur 40 Jahren starb, war er bereits eine Legende“, erzählt Franz Metz in einem Musikessay von einem bewegten, aber viel zu kurzen Leben. Peter Maffays siebenbürgische Abstammung ist für niemand mehr ein Geheimnis. (Banater Sternchen haben sich zum Vergleich mit ihrer Identität jahrelang verdammt schwer getan.) Anton Krämer hat sich auf die Suche nach den Banater Wurzeln – natürlich viel dünnere – des 1949 als Peter Makay geborenen Rockstars gemacht. Mit Erfolg. 1989 ging in Jahrmarkt eine 155-jährige Blasmusiktradition zu Ende. Über die 100-jährige Geschichte der Loris-Kapelle schreibt Johann Speck. Es gab einige Kapellen in dieser Großgemeinde nahe Temeswar. Die Loris-Musikanten hatten den längsten Atem. Doch ausgeblasen haben schließlich alle, sogar sie. „La Paloma“. Wer dieses Lied noch nie gehört hat, muss bisher auf einem anderen Planeten gelebt haben. Sein Komponist ist der Baske Sebastian Iradier, geboren in einem Jahr mit der Schlusszahl 9, genauer 1809. Was Anton Bleiziffer alles zu diesem Thema weiß, ist spannend, informativ und unterhaltsam. Radegunde Täuber setzt dem Banater Kunsthandwerk ein Denkmal. Der Protagonist ihres Essays entstammt der eigenen Ahnengalerie. Bau- und Kunstschlosser Konrad Müller wurde 1859 in Warjasch geboren. Zeugnisse seiner Kunst sind heute noch im Banat auffindbar. Und um die befahrene 9er-Linie nicht zu verlassen, verdient auch die Tatsache eine Rezensionserwähnung, dass Konrad Müller im Jahre 1889 in Biled die Witwe Barbara Mecher, geb. Ehardt geheiratet hat. „Sie war die Tochter eines Schmieds, Enkelin des Johann Ehardt, der 1849 als einer der drei Vertreter für Kleinjetscha die so genannte ‚Schwabenpetition’ an den jungen Kaiser Franz Joseph I. unterzeichnet hat.“ Und weil wir schon beim Handwerk sind, soll auch die Bestandsaufnahme des „Banater Zunftwesens“ von Lajos Kakucs Erwähnung finden. Das ist ein mit Jahreszahlen bestens ausgestatteter Beitrag. Zwei Beispiele: Ein aus Kupfer gefertigter Ziereimer trägt die eingravierte Inschrift LUGOSER KUPFERSCHMIDE und die Jahreszahl 1719, die Bäcker von Orschowa „gehörten seit 1729 der Meisterlade in Ofen an“. Mit den eingangs erwähnten Postkarten geht es erst auf Seite 225 dieses Kalenders so richtig zur Sache. Da gelingt es Dr. Walther Konschitzky, dem Herausgeber, doch tatsächlich, den Beweis zu führen, dass das Sammeln von Ansichtskarten eine wissenschaftliche Kulturdisziplin sein kann. Es geht um eine Postkarten-Liste eines gewissen Franz Kölbig aus dem Jahre 1899 und den Schleier des Geheimnisses, der sie bis heute umweht. Immer wieder begegnen wir der 9 auch in der Analyse Nikolaus Tullins’ zur Situation der Deutschen in Nordamerika. Etwa 92.000 Banater Schwaben haben von 1899 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihre Heimat in Richtung Amerika verlassen. Das ist wie so vieles, was mit Auswanderern zu tun hat, eine Geschichte über das Suchen und letztendlich unvermeidliche Vergehen. Dann wären wir beim Sport und der Erkenntnis des Rezensenten, dass er sich längst verrannt hat und die Ziellinie nicht in Sicht ist. Aber Schuld ist nun mal die 9 und die soll für uns Deutsche halt schicksalhaft sein. Man weiß, dass der Sportjournalist Johann Steiner stets bestens in Sachen Sport der Rumäniendeutschen informiert ist. Also lohnt es sich allemal, seinen Artikel „Drei Handballweltmeister Jubilare 2009“ zu lesen. Sport gibt’s noch mehr in diesem Kalender, etwa Berichte über die ehemaligen Semlaker Otmar Szafnauer und AndreasFrey. Wenn Johann Steiners Jubilare kaum Unbekannte sein dürften, so sind Georg Schmidts Semlaker Sportsmänner bestimmt für viele eine angenehme Überraschung. Sollte jetzt jemand glauben, der verirrte Rezensent wäre endlich erschöpft, aber glücklich am Ziel – so nach dem Olympiamotto „Dabei sein ist alles“ -, so stimmt das nur bedingt. Er hat irgendwann schlicht und einfach die Langlaufroute verlassen und ist feldein getrabt. Dabei musste er vieles, was dieser Kalender so an Lesenswertem noch bietet, herzlos am Wegrand liegen lassen. Gerne würde er noch über die literarischen Texte dieses Kalenders berichten, Lyrik und Prosa, über Kunst und über alles andere, was die schicksalsträchtige 9 hier verhindert hat. Bis auf eins haben Aneta & Walther Konschitzky sowie Ioana Banciu Russel (Umschlag und Layout) wie erwartet ganze Arbeit geleistet. Es mag ja sein, dass orthographische Fehler heute belanglose Tippfehler sind und dass es längst kein wissenschaftliches Geheimnis mehr ist, dass das Auge nur überfliegt und das Hirn ohnehin korrekt ganze Wörter registriert, wenn nur die jeweils ersten und letzten Buchstaben stimmen, so wirkt es doch störend, wenn der Art zu viel des Guten wird. BANATER KALENDER 2009; Herausgegeben von Walther Konschitzky, 312 Seiten, 18,- € plus Versand; Bestelladresse: Banat Verlag – Aneta Konschitzky – Zugspitzstraße 64, 85435 Erding; Telefon: 08122/2293422, Fax: 08122/2294556; E-Mail: [email protected] |
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