agonia deutsch v3 |
agonia.net | Richtlinien | Mission | Kontakt | Konto erstellen | ||||
Artikel Gemeinschaften Wettbewerb Essay Multimedia Persönlich Gedicht Presse Prosa _QUOTE Drehbuch Spezial | ||||||
|
||||||
agonia Empfohlene Texte
■ Gedanken am Abend
Romanian Spell-Checker Kontakt |
- - -
- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2006-01-31 | |
Vierzig (40) Kilometer lang ist der Ostseestrand auf der Insel Usedom. Und hinter diesem Strand erstreckt sich eine fast ebenso lange Promenade, gesäumt von unzähligen Villen und Hotels. Die Seebäder reihen sich stellenweise nahtlos aneinander. Nur ihre Namen trennen zum Beispiel Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin voneinander. Und man rühmt sich gerne hier zulande mit prominenten Gästen. An Besuche längst verblichener Geistesgrößen erinnern Informationstafeln vor oder an einzelnen Gästehäusern. Man liest Namen wie Wernher von Braun, Heinz Rühmann, Hans Albers, Thomas Mann, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky, Johann Strauß, Theodor Fontane u.a.
Der 11. September 2005 war stürmisch. Windstärke 5. Das Meer tobte. In Mecklenburg Vorpommern war wie überall in Deutschland Tag des offenen Denkmals, ein willkommener Ersatz für von kalten Nordwinden versaute Strandwanderungen. Schlösser, Kirchen, Gefängnisse, Firmengelände und noch einige andere Sehenswürdigkeiten waren für die Öffentlichkeit zugänglich, auch ein ehemaliges Feuerwehrhaus, ganz in der Nähe der Usedomer Strandpromenade gelegen. Unspektakulär, völlig renoviert und doch im lokalen Veranstaltungskalender zum Besuch am Tag des offenen Denkmals empfohlen, zurecht, wie meine Frau und ich uns an jenem Nachmittag überzeugen konnten, doch beileibe nicht wegen altehrwürdigem Gebälk und handbetätigten Löschpumpen, sondern dank dem neuen Zweck, dem diese unscheinbare Remise heute dient. Und dieser ist mehr als beachtenswert. Das ehemalige Feuerwehrhaus steht in Bansin, in eben dem Ostseebad, in dem der Schriftsteller Hans Werner Richter (1908-1993) geboren wurde und auch seine letzte Ruhestätte gefunden hat. Wenn restauriertes Gemäuer und Unsterblichkeit zusammenfinden, kann daraus etwas ganz Neues entstehen. Eine Gedenkstätte wurde es in diesem Fall. Aus glücklicher Symbiose erwuchs das Hans-Werner-Richter-Haus. Wo früher Feueralarmglocken gezogen wurden, ist die Erinnerung an den Mann zu Hause, der zeitlebens sowohl bei so manchen DDR-Propaganda-Oberen als auch bei Besatzungsoffizieren Alarmglocken schrillen ließ. Hans Werner Richter war Mitbegründer der Gruppe 47 und 30 Jahre lang ihr unermüdlicher Organisator. Sein literarisches Schaffen wurde von dieser literaturgeschichtlichen Tätigkeit so sehr in den Schatten gedrängt, dass seine neun Romane, wie seine Hörspiele, Reportagen, Satiren und Kinderbücher überhaupt nicht mehr aufgelegt werden. Nur sein Roman „Spuren im Sand“ (1953) wurde dank einer Intervention von Günter Grass in dessen Hausverlag (Steidel) neu aufgelegt. Dieses und vieles mehr erzählt eine sehr freundliche und von ihrer Aufgabe sichtlich begeisterte Angestellte des Hauses den Besuchern. In einem Raum ist das Arbeitszimmer Richters originalgetreu eingerichtet. Die Möbel und Bücher wurden aus seinem letzten Münchner Domizil gebracht. Natürlich kostet das alles Geld. Darum kümmert sich eine HWR-Stiftung mit Sitz in Berlin. Wegen seiner literarischen Tätigkeit und besonders wegen seiner Verdienste um die Gruppe 47 hatte er natürlich viele Freunde und Bewunderer. Entsprechend reich und interessant sind auch die ausgestellten Geschenke, die H. W. Richter zu verschiedenen Anlässen bekommen hat. Besonders Günter Grass scheint seinen Weggefährten der ersten Nachkriegsjahre nicht vergessen zu haben. Er hat dem HWR-Haus mehrere seiner Grafiken geschenkt. Als Dank hat die Leitung des Museums im Obergeschoss (Dachboden des alten Feuerwehrhauses) einen Günter-Grass-Raum für Lesungen eingerichtet. Das ganze Jahr über werden hier Vorträge über Literatur und Kultur gehalten, die laut Aussage der Leiterin des Hauses meist gut besucht sind. Ach ja, das Haus hat auch noch Bücher von Hans Werner Richter auf Lager, die es im Buchhandel schon lange nicht mehr gibt. Für eins habe ich mich entschieden, weil es vielleicht mehr als so manches Literaturlexikon über die Bedeutung H. W. Richters für die deutsche Nachkriegsliteratur aussagt. „Im Etablissement der Schmetterlinge“ hat der Bansiner Schriftsteller „einundzwanzig Portraits aus der Gruppe 47“ veröffentlicht. Bereits die Namen, denen die Essays gewidmet sind, sprechen Bände: Ilse Aichinger, Carl Amery, Alfred Andersch, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Milo Dor, Günter Eich, Hans Magnus Enzensberger, Günter Grass, Wolfgang Hildesheimer, Walter Höllerer, Walter Jens, Uwe Johnson, Joachim Kaiser, Barbara König, Walter Kolbenhoff, Hans Mayer, Marcel Reich-Ranicki, Wolfdietrich Schnurre, Martin Walser und Peter Weiss. Sie alle und noch einige mehr hat er persönlich gekannt und bis 1967 immer wieder zusammengeführt. Das allein dürfte reichen, ihm einen sicheren Platz in der deutschen Literaturgeschichte zu gönnen. Das kleine aber feine Hans-Werner-Richter-Haus im Usedomer Seebad Bansin wird Zusätzliches beisteuern, um den Schriftsteller auch wieder breiteren Kreisen von Literaturinteressierten und Kulturkonsumenten bekannt zu machen. Sein Standort ist auf jeden Fall ideal für dieses hehre Anliegen. |
Index
|
||||||||
Eine virtuelle Heimstätte der Litaratur und Kunst | |||||||||
Bitte haben Sie Verständnis, dass Texte nur mit unserer Erlaubnis angezeigt werden können.
Copyright 1999-2003. agonia.net
E-mail | Vertraulichkeits- und Publikationspolitik