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Einsamkeit in Corona-Zeiten
artikel [ Internet ]
Kolumne 101

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von [Delagiarmata ]

2020-11-06  |     | 



Schon lange wurde nicht so viel über Einsamkeit gesprochen wie in diesen Tagen. Auf ganz verschiedene Art und Weise sind alle davon betroffen. Junge und Alte. Manche spüren sie gar nicht, andere werden von ihr regelrecht gelähmt. Fragt man nach der Ursache dieses Gemütszustandes, so bekommt man nun seit fast einem Jahr vorwiegend die gleiche Antwort: Corona, es ist das Virus. Und diejenigen, die nicht daran glauben? Die stürzen sich ins nächtliche Getümmel (wo es ordnungsgemäß noch nicht unterbunden ist) oder demonstrieren, solange die Beine sie tragen. Niemand will allein sein. Dabei sehnt man sich doch so oft im Leben nach Ruhe: vor genervten Arbeitskollegen, ungezogenen Kindern, gestressten Ehepartnern oder –partnerinnen, halb oder ganz dementen Eltern, vorbeidonnernden Motorrädern, alten, ausgeleierten Frachtzügen, im Tiefflug aus dem Nichts auftauchenden Militärflugzeugen u. s. w. u. s. f.

Jetzt ist sie da, die Ruhe. Und mit ihr die Einsamkeit vulgo das Alleinsein. Alle genannten und ungenannten Ruhestörfaktoren sind nichts gegen das Alleinsein. Wehe dem, der sich nicht beschäftigen kann, keine Ablenkung findet. Aber gibt es den überhaupt? Und das bei Millionen Möglichkeiten, der Einsamkeit zu entrinnen. Zumindest für eine gewisse Zeit.

Eine dieser Möglichkeiten wäre das Schreiben. Nur Menschen, die ab und zu mal etwas schreiben, wissen, wie schnell Zeit vergehen kann, wie schnell man der Zeit eins auswischen, ja, sie sinnvoll totschlagen kann. Dabei verflüchtigt sich Einsamkeit, Alleinsein aber verwandelt sich in Zusammensein mit in Gedanken auftauchenden Gestalten, aus dem realen Leben oder aus der sich Raum verschaffenden Fiktion. Ohne dass man es beabsichtigt, bekommt die Führung des Stiftes auf weißem Papier oder das Klopfen auf einer Tastatur eine therapeutische Wirkung.

Und fragt man sich dabei nach dem Sinn dieses für viele wohl als Unsinn gedeuteten Vorgehens, dann sollte man auch eine Veröffentlichung des zu Papier oder auf den Bildschirm Gebrachten in Erwägung ziehen. Ja, man darf dabei ruhig die Selbstzweifel an sich nagen lassen. Eine erhebliche Rolle spielt in dem ganzen Gefühlschaos der Gedanke, mit seinen in Schrift gegossenen Gedanken in Zeiten der Einsamkeit, des Alleinseins hinaus in die Welt zu gehen. Dieser Gedanke, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, muss reifen. Dazu braucht man eine gewisse Zeit. Und man braucht den Mut zum ersten Schritt. Wichtig, ganz wichtig ist dabei, dass man sich keine publizistischen Ziele steckt. Bescheidenheit ist angebracht … und Dankbarkeit für die Gedankenkreativität – ja, das hat etwas mit Kreativität zu tun; wenn jemand sie künstlerisch nennen mag, soll er das ruhig. Demut dürfte vielleicht das passendere Wort sein, für einen mit Buchstaben, Wörtern, Sätzen und Texten (oder auch Versen) gestarteten Kampf gegen die Einsamkeit, das Alleinsein. Der Schriftsteller Felix Philipp Ingold schreibt in einem Essay, dass „schöne Literatur“ sich nicht einfach produzieren lässt, sie kann also nicht wie ein Auto am Fließband entstehen, sondern „sie muss auf Leben und Tod erlitten, muss unter konsequentem Glücks- und Erfolgsverzicht abverdient werden.“

Was wir durch die Schrift und bis zu ihr durch unser Denken während des Alleinseins unserer Einsamkeit abringen, ist „schöne Literatur“, sie ist kein Massenprodukt, sondern eine in jedem Fall einzigartige Sinnesfrucht, die überhaupt niemand schmecken muss, hat sie ihren Zweck, einen Sieg - wie klein er auch sein mag - über die Einsamkeit im Alleinsein zu erringen, doch bereits erreicht. Das geht heutzutage! Der PC und das Internet machen es möglich. Wer seine der Einsamkeit abgerungenen Gedanken irgendwo postet (die Möglichkeiten erstrecken sich vom eigenen Blog bis zu den vielen Formen der sozialen Medien), kann davon ausgehen, mit großer Wahrscheinlichkeit von irgendeinem Menschen auf diesem Erdenrund gelesen zu werden. Einer ist noch irgendwo da draußen in der weiten Welt, der mir hier begegnet. Und schon ist Einsamkeit ein relativer Begriff - selbst in Pandemiezeiten, wo die physische Welt zur Hürde wird. Unsere geistigen Welten, die jedes Einzelnen, können diese Hürden nehmen.

Ich würde mich freuen, wenn das dem ein oder anderen Mutigen zum 17. Geburtstag (6. November) von poezie.ro / deutsch.agonia.net gelingen würde.

[Ingolstadt, 06.11.2020]
Anton Potche alias Anton Delagiarmata

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