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Ein Leben voller Visionen trotz rauer Wirklichkeit
artikel [ Bücher ]
Willy Brandt, 1913 – 1992 – eine Biografie von Peter Merseburger

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von [Delagiarmata ]

2010-07-24  |     | 



Oh ja, das kann ganz schön anstrengend sein, eine solche Biografie zu lesen. Anstrengend vor allem wegen des Umfangs und schön dank der vielen spannenden Momente, die sie enthält.

Das geht schon mit der wahren Identität des großen deutschen Sozialdemokraten los. Wer weiß heute noch, dass Willy Brandt ein Pseudonym ist, ein Untergrundname, der den Jungsozialisten Herbert Karl Frahm vor den Nazischergen schützen sollte, was auch gelang. Gott sei’s Dank, kann man da nur sagen.

Lübeck ist nicht allein die Stadt der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann und Günter Grass, sondern auch die des Friedensnobelpreisträgers Willy Brandt, der hier als „Herbert Ernst Karl Frahm am 18. Dezember 1913 um 11 Uhr 45 in der Arbeitervorstadt St. Lorenz das Licht der Welt erblickt“ hat - als uneheliches Kind einer Mutter, die selbst unehelich geboren war. Wen wundert es da, dass der Weg des heranwachsenden Jugendlichen direkt in eine Arbeiterpartei führte? „Mit 15 Jahren wählte man ihn zum Vorsitzenden einer SAJ-Gruppe der Roten Falken (Frahm spricht in seinen Artikeln von Roten Pionieren), und mit ersten, zaghaften Berichten über die Tätigkeit der Lübecker Arbeiterjugend im Volksboten begann er wenig später auch seine Karriere als Journalist.“ SAJ war die Sozialistische Arbeiterjugend.

In diesem Stil, angelegt zwischen Reportage und Geschichtsprosa ohne überbordende Datenflut, berichtet der Historiker Merseburger aus dem Leben Willy Brandts. Er findet einen für jedermann gangbaren Mittelweg zwischen dem Menschen und dem Politiker Willy Brandt. Zu dem noch jugendlichen Herbert Karl Frahm gehört auch eine Neigung für schöngeistige Literatur, die sich in überlieferten „feuilletonistischen Versuchen, die er nicht mit seinem Namen oder seinen Initialen zeichnet, sondern mit ‚Felix’“, niedergeschlagen hat.

Im Sommer 1930 wird der 16-jährige Herbert Frahm „entgegen den Parteistatuten, die ein Mindestalter von 18 Jahren vorsehen“, SPD-Mitglied. Politische Frühreife nennt Peter Merseburger das. Ab März 1933 nennt Herbert Frahm sich Willy Brandt. Die Nationalsozialisten waren an der Macht und ein junger Lübecker begab sich auf einen steinigen, aber letztendlich glorreichen Weg in die Geschichte des 20. Jahrhunderts.

„Das genaue Datum lässt sich nicht mehr feststellen, aber es muß in den ersten Apriltagen gewesen sein, daß Willy Brandt um Mitternacht an Bord des Fischkutters TRA 10 geht, der mit Motor und Segel ausgerüstet ist. [...] Stooß behauptet, sie seien bei klarem Wetter über eine ruhige See zur dänischen Insel Lolland gesegelt.“ Filmreif. Das sind diese Szenen, die man dem Biografen Merseburger hoch anrechnen muss. Seine Schreibweise ist hier belletristisch angehaucht und lässt Leseermüdungen, die besonders bei politischen Erläuterungen, ohne die eine solche Lebensbeschreibung völlig wertlos wäre, schnell vergessen. Und weil’s so schön aufregend ist, nur noch ein Zitat: „Mit einem norwegischen Paß auf den Namen Gunnar Gaasland, der mit einem Bild Willy Brandts versehen ist, reist Brandt 1936 selbst nach Berlin. Pro forma und um ihre Einbürgerung zu erwirken, hatte der Student Gaasland, ein norwegischer Genosse, Brandts Freundin Gertrud Meyer geheiratet und Brandt seinen Paß zur Verfügung gestellt“. Gänsehaut, aber auch ein stabiles Fundament, um sich durch die Wirrnisse der Kriegs– und Nachkriegszeit bis ins Kanzleramt und schließlich an die Spitze der Sozialistischen Internationale durchzukämpfen.

Immer wieder werden die politischen Sequenzen von familiären Ereignissen überschattet oder positiv beeinflusst. Drei Frauen an seiner Seite spielten dabei wichtige Rollen: Carlota (geb. Thorkildsen), Rut (geb. Bergaust) und schließlich Brigitte (geb. Seebacher). Auch Gertrud Meyer sollte hier nicht unerwähnt bleiben.

Nun darf man sich keineswegs auf einen von Gradlinigkeit strotzenden Herold einstellen, der da einfach mal so durch die Institutionen marschiert. Nein, wir haben es mit einem suchenden und oft auch zweifelnden Mann zu tun, dem die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis oft genug zu schaffen macht. Zu Brandts Nachkriegsvisionen betreffs der Ost-West-Beziehungen schreibt der Biograf: „Im Grunde ist das ganze Gedankengebäude, das er und seine Freunde in Stockholm für die Nachkriegsordnung und einen demokratischen Neuanfang in Deutschland errichtet hatten, schon im Frühjahr 1946 vom Einsturz bedroht.“

1957 wird Willy Brandt Regierender Bürgermeister von Berlin. Wir erfahren in diesem Buch nicht alles, aber viel über deutsche und internationale Politik. Auch innerparteiliches Leben, besonders der SPD, wird uns sehr anschaulich vor Augen geführt und oft sehr spannend wie in einem guten Krimi serviert. An Intrigen hat es in dieser Partei eigentlich nie gemangelt. Das hat auch ihr dienstältester Vorsitzender mehr als einmal erfahren müssen.

Peter Merseburger hat seine 16 Kapitelüberschriften mit den jeweiligen Untertiteln so gewählt, dass man sich ein Panoramabild dieses faszinierenden Lebenslaufs machen kann: Mutterstadt Lübeck – Proletarische Prägungen; Norwegische Spuren – Abkehr vom Dogmatismus; Erste Lehr- und Wanderjahre – Oslo, Berlin, Paris; Im spanischen Bürgerkrieg – Kampf mit publizistischen Mitteln; Als Deutsch-Norweger in Schweden – Mitarbeit in der „Kleinen Internationale“; Der Sozialist mit den zwei Vaterländern – Entscheidung für Deutschland; Im Auftrag der Parteiführung – SPD-„Botschafter“ beim Alliierten Kontrollrat; Machtkampf an der Spree – Ernst Reuters junger Mann setzt sich durch; Aufstieg des Außenseiters – Der Regierende Bürgermeister wird Kanzlerkandidat; Der Mauerbau – Brandts große Stunde der Bewährung; Die Realität als Lehrmeister - Wandel durch Annäherung; Die Bundesrepublik im Umbruch – Außenminister in der Großen Koalition; Machtwechsel am Rhein – Willy Brandt im Palais Schaumburg; Kanzler in der Krise – Wehner, Guillaume und der Rücktritt; Vierte Karriere – Comeback als elder statesman; ... was zusammengehört – Am Ende die Einheit“ .

Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört.

Es sei mir zum Schluss dieser Besprechung noch die Wiedergabe einer längeren anekdotischen Erläuterung des Biografen Peter Merseburger (*1928) zu einem Zitat Willy Brandts gestattet. Wir befinden uns im von geschichtlichen Ereignissen bebenden Jahr 1989.

„In einer kleinen, eilig von den Briten geliehenen Maschine entwirft er morgens auf dem Flug nach Berlin jene Rede, die er auf dem Balkon des Rathauses Schöneberg halten wird. Wieder findet er das richtige Wort zur richtigen Zeit und am richtigen Ort, ebenso populär wie historisch korrekt bannt er, was sich da elementar Bahn bricht, in eine Formel, die in den Schatz der deutschen geflügelten Worte eingehen wird: ‚Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört’. Im Originalmanuskript seiner Rede ist sie übrigens nicht enthalten, er schmuggelt sie erst später ein, als sie gedruckt vorgelegt wird. Doch hat er den berühmten Satz an diesem 10. November gleich mehrfach in Berlin gebraucht, und zwar erstmals in einem Interview vor dem Brandenburger Tor.“

Jahre sind seit dem Kniefall in Warschau verstrichen. Willy Brandts umstrittene Ostpolitik, die er selber „Friedenspolitik“ nannte, hat obsiegt. Deutschland ist ein einig Vaterland. Zwei Jahre später „verlischt Brandts Leben – am 8. Oktober 1992 um 16 Uhr 35“.


Peter Merseburger: Willy Brandt, 1913 – 1922, Visionär und Realist; Deutscher Taschenbuch Verlag, München, 2004; ISBN 3-423-34097-5; 927 Seiten, € 15,- (bei amazon.de gebraucht ab € 4,25)

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