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„Nichts zu sagen zu haben muss sehr seltsam sein“
prosa [ ]
Taxifahren und die Frau am Lenkrad

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von [NU ]

2004-11-15  |     | 



Am Lenkrad fühlt sich Emilia Silasi wie eine Königin. Da hat sie die volle Kontrolle über das Mikrouniversum auf vier Rädern. Vor der Revoluion, als alle den gleichen sozialen Status hatten, war sie am Lenkrad auch Königin. Niemand konnte ihr damals sagen „das machst du so oder so“. Heute noch weniger. Seit knapp einem Jahr ist das Autofahren aber nicht nur ein Hobby von ihr. Autofahren wurde zum Job.



Nach 35 Jahren Arbeit bei der „Constructorul Kooperative Hermannstadt, Rumänien“ als studierte Bautechnikerin, reicht Emilia die Rente, im Höhe von 1.070.000 Lei (26,58 Euro), gerade dafür aus, um die Nebenkosten zu bezahlen. Vor 33 Jahren gewann die Frau eine Dacia 1310, „die letzendlich doch gekauft werden musste“, bei einem Promotionsprogramm des C.E.C., der damaligen Nationalsparkasse. Aus Not ist sie nun Taxifahrerin. Und Taxifahren hasst sie...

„Die Menschen sind sehr unverschämt geworden, sie haben die guten Manieren vergessen. Ich hasse meinen Job wenn ich solche Menschen treffe. Viele Neureiche wissen zum Beispiel nicht mehr von wo sie stammen und benehmen sich wie im Urwald. Sie denken mit Geld können sie alles und jeden kaufen...“ Emilias Dienstleistungen sind nicht mit Geld zu kaufen. Wer zu ihr ins Auto steigt und sie nicht begrüßt oder sich „unzivilisiert“ benimmt wird höflichst wieder nach draußen gebeten. Mit solchen Menschen macht sie kuzen Prozess. Sie blickt einem direkt in die Augen, mit ernster Miene und Entschlossenheit in der Stimme gibt sie die entsprechende Antwort und wird somit im Nu die Problemfälle los.

Emilias Augen haben einen tiefen Blick, doch sie strahlen Lebensfreude und Energie aus. Die kurzen, braun-grauen Haare fallen ihr ins Gesicht und mildern so manche Zeichen, die auf ihr Alter schließen lassen könnten. Die Frau ist nicht größer als 1,65 m aber ist umsomehr ein großes Energiebündel. Durch den Taxifunk unterweist sie die jungen Kollegen, erklärt ihnen wie sie am schnellsten und am sichersten zum Ziel kommen, dann legt sie selber los und übernimmt einen Auftrag. Auf dem Weg zum Kunden hält sie am Boulevard vor dem Theater an. Von der Rückbank nimmt sie eine Kinderjacke, steigt schnell aus ihrem Auto aus und geht auf ein Straßenkind zu. „Das ist für dich“, sagt sie und reicht mit einem milden Lächeln dem Kind die Jacke. Sie schaut dem Jungen zu wie er verunsichert die Jacke entgegennimmt, um anschließend mit ihr an der Brust davonzurennen. Emilia kehrt hurtig zum Auto zurück, steigt ein – ihr Gesichtsausdruck strahlt innere Zufriedenheit aus – und dann legt sie im vollen Tempo wieder los. Solche Sachen liegen bei Emilia zu Hause sowieso noch von ihrer Tochter herum. Diese ist schon erwachsen und kann sie nicht mehr gebrauchen. „Soll ich sie denn wegschmeißen?...wär’ eine Sünde vor dem Herrn. Lieber mach ich diesen Kindern eine kleine Freude. Ihre strahlenden Augen sind für mich der höchste Lohn“.

Der Kunde läßt auf sich warten. Emilia holt aus dem Handschuhfach einen Stapel Zeitungen heraus. Dann stöbert sie durch die Politikseiten. „Alles nur Skandalstorys!“, murmelt sie empört vor sich hin. „Die Presse ist heute genauso manipuliert wie zu Ceausescus Zeit. Damals stand alles über den ‚geliebten’ Diktator, heute schreibt jede Zeitung über die Politiker die finanziell die Zeitung unterstützen“. Emilia holt tief Luft und blättert weiter. „Na ja und so bleiben die Leute uninformiert, ja noch schlimmer falsch informiert...Kein Wunder, daß die Meisten zu Politik nichts zu sagen haben.“ Der Kunde steigt ein: ein Herr Mitte fünfzig. Er grüßt und nimmt seinen Hut ab. Zwischen Fahrerin und Kunde entwickelt sich ein feuriges Gespräch zum Thema Politik. Die Meinungen schwanken zwischen links und rechts. Im selben feurigen Tempo rast die alte Dacia 1310 durch die engen Straßen Hermannstadts.

Am 28 November sind Präsidentschaftswahlen. Die Auswahl an vielversprechenden Kandidaten ist genauso klein, wie die Straßen der Altstadt eng. Emilia wird trotzdem wählen gehen. „Eine einzige Stimme zählt, Ihre auch“, sagt sie zum Fahrgast „Wenn Sie nicht wählen, so geht Ihre Stimme verloren, Sie schenken gerade dem Ihre Stimme, den Sie letzendlich nicht als Präsident haben wollen!“ Das Ziel wird erreicht. Der Kunde zahlt. Anstatt zu grüßen, sagt Emilia empört und gereizt: “Haben sie noch nicht genug von so viel Kommunismus und Pseudokommunismus?!“...„Ich werde wählen gehen“, meint der Kunde bevor er aussteigt. „Es sollte mehr Menschen, mehr Frauen wie sie geben, Gnädigste. Danke!“

Ãœber Politik und wie man Rumänien und die Rumänen wieder auf die Beine stellen kann, hat sich Emilia auch Gedanken gemacht. Gerade jetzt in der Wahlkampagne würde sie überall auf Plakaten und in Radio- und Fernsehspots die erste Zeile der rumänischen Nationalhymne verbreiten: „Desteaptă-te române“ („Wach auf Rumäne“). “Ich wette, keiner denkt wirklich darüber nach, was diese Hymne aussagt. Würden die Leute diese Wörter verinnerlichen, so gäbe es heute mehr Rumänen die sich mehr für das politische Leben ihres Landes interessieren und vieleicht würde es uns dann nicht mehr so schlecht gehen. Mehr Leute wären in der Lage, ihre Meinung zu sagen. Nichts zu sagen zu haben muß sehr seltsam sein.“

Vor der Revoltion musste jeder Bürger Parteimitglied sein, um nicht gleich von der Securitate (dem rumänischen Geheimdienst) als „Problemfall“ angesehen zu werden. Manche Leute wurden auch ohne ihre Zustimmung zum Mitglied gemacht, einige sogar zum Parteivorsitzenden ernannt, denn „aus einer solchen Position mussten die Leute schweigen und leiden und waren einfacher zu kontrollieren. Das Risiko aus einer solchen Position im Knast zu landen war höher“. In die letzte Kategorie fiel damals auch Emilia. Sie war die einzige Frau in ihrem Betrieb in einer führenden Position. Die männlichen Kollegen hatten sie zur Parteivoritzenden ernannt, um sie zu beschützen. „Während eines Besuches der höchsten Kontrollinstanz aus Bukarest, tat die Leitung so als wäre die Fabrik die heilste, arbeitsfreundlichste Welt; in Wirklichkeit mussten die Arbeiterinnen in ungeheizten Räumen, mit den Händen im kalten Wasser arbeiten. Mitten im Plänum bin ich aufgestanden und rausgegangen. Obwohl der Fabrikdirektor mich anflehte wieder hereinzukommen und zu schweigen um nicht im Gefängnis zu landen, und er mir eine Verdoppelung des Gehaltes versprach, bin ich direkt zum Chefinspektor gegangen und habe ihm kalt ins Gesicht gesagt, dass er wenigstens warmes Wasser montieren lassen soll, weil die Arbeiterinnen mit bloßen Händen darin arbeiten mussten...Nach einem Monat gab es dann auch warmes Wasser und ich war nicht im Knast, jetzt aber habe ich eine miese Rente...“ säufzt die Taxifahrerin. „Das Maul aufmachen muss man aber trotz der Konsequenzen.“

Obwohl sie damals noch jung war, so hat sie auch schon vor achtundzwanzig Jahren ihr Leben selber bestimmt. Entgegen dem, was die meisten Frauen in ihrem Umfeld taten, hat sie sich niemals von ihrem Ehemann schlagen lassen. Emilia ist damals ganz alleine zum Gerichtshof gegangen und hat sich scheiden lassen. Am Anfang wurde sie von Freunden und Arbeitskollegen sehr schief angesehen. „Es gebührte sich damals nicht sich scheiden zu lassen, schon gar nicht wenn man ein Kind hatte. Die Leute und ihr böses Mundwerk scherten mich aber nicht: Ich war eine alleinstehende Frau mit Kind. Na und?“

Mit viel Liebe und Kraft zum arbeiten und zum weitergehen hat Emilia für ihr Kind Mutter und Vater gespielt. Die Tochter ist jetzt eine erwachsene Frau, selbstständig und selbstsicher wie ihre Mutter. Emilia ist stolz: Mit Takt, Geduld und noch mehr Selbstbewußtsein gelang es Emilia damals Schritt für Schritt auch den Vorurteilen der Mitmenschen zu entkommen. Egal wo sie heute hingeht wird sie respektiert und hoch angesehen. Vom Straßenkehrer bis zum Bürgermeister oder zum Chefredakteur der wichtigsten Lokalzeitung kennen sie alle. Wenn sie in die eigene Vergangenheit zurückdenkt und Vergleiche zieht zu den Frauen von heute, Frauen die sich immer noch von ihren Männern schlagen und demütigen lassen, schüttelt Emilia den Kopf. Für die Situation hat sie allerdings eine Erklärung: “Die rumänische Denkart war und ist immer noch stark patriarchial geprägt. Der Mann ist der Ernährer, die Frau ist die Mutter und hat am Herd zu stehen. Das ist völliger Schwachsinn! Eigentlich sind beide Teile gleich. Die Frauen haben Eigenschaften, die die Männer nicht haben und umgekehrt.“ Sie schüttelt immer wieder den Kopf. „Das Problem liegt darin, daß sich die Frauen das gefallen lassen! Zu wenige sind sich über ihr eigenes Potential als Frau sicher. Der finanzielle Faktor kommt noch dazu: Hat die Frau wenig Geld, so traut sie sich nicht dem Mann zu entkommen, nimmt die harte Tour, bleibt weiterhin beim Mann und erträgt im Stillen.“ Sie Atmet tief durch und schüttet den Kopf missbilligend. „Ich habe die andere harte Tour genommen! Es hat sich gelohnt!“ lächelt sie dann stolz. „Frauen, werdet selbstbewußter und finanziell unabhängig!“

Vor sieben Jahren hat Emilia einen Mann kennengelernt und ihn kurz danach geheiratet. Mit ihm ist sie glücklich. Vlad, der Ehemann, liebt und schätzt seine Frau und - wichtiger als alles andere - er respektiert sie. „Bei uns in der Familie hat keiner das Sagen. Er ist der Kopf, aber ich bin der Hals“, sagt Emilia. Ihr Mann zwinkert ihr lächelnd zu und meint: “Aber nur du bist die Frau am Lenkrad!“

Um 17.00 Uhr gibt es eine Sitzung beim Taxidepot, auf den Weg dorthin fährt Emilia eine alte Frau zum Markt - kostenlos. So etwas macht sie öfter: „Wenn ich sowieso auf dem Weg irgendwohin bin, warum soll ich nicht jemand mitnehmen? Die Frau war alt und hatte wenig Geld, dadurch, daß ich sie mitgenommen habe, habe ich kein Minus in der Kasse. Wir sind letztendlich alle nur Menschen.“
Während der Sitzung entflammt eine Diskussion über eine Steuer, die ab jetzt nicht mehr von der Firma, sondern von den Angestellten selbst gezahlt werden soll. Emilia, eine von nur drei Frauen im Team, ist die einzige, die sich streubt: „Wieso soll ich auf einmal noch mehr Geld auf den Tisch legen, wenn ich als Angestellte der Firma sowieso meine Autoversicherung und mein Benzin selber bezahlen muss?“, fragt sie ihren Chef rethorisch. Nach und nach stellen sich auch die Kollegen hinter sie. Selbstsicher kämpft Emilia um ihr Recht und um ihr Geld. Am Ende des Meetings wird dank Emilia kein Angestellter die Steuer zahlen müssen. Um die kostbare Zeit nicht zu vergeuden springt Emilia wieder in ihr Taxi und macht sich auf den Weg. Genauso wie damals vor der Revolution läßt sich Emilia weder bei der Arbeit noch im Privatleben etwas sagen. Sie ist die Königin ihres Lebens.

Wieder am Lenkrad ihrer Dacia 1310 macht sich Emilia auf den Weg zu einem neuen Auftrag. Während dessen spricht sie per Funk mit ihrer Tochter. Sie erzählt ihr von der Sitzung und auch, dass niemand anders als sie sich gegen die neue Steuer gestreubt hat: „Alle waren verärgert und dagegen, aber keiner war in der Lage, was dazu zu sagen. Ich versteh sie nicht. Weißt du, ich glaube, dass nichts zu sagen zu haben, sehr seltsam sein muss.“

Ileana Ioan


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