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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2009-01-12 | |
Kapitel 1 : Roissy Charles de Gaulle
Der letzte Tag meines Aufenthalts in Deutschland ist gekommen. Ein Tag zuvor verabschiedete ich mich von meinen Freunden und von den Leuten bei denen ich die ganze Zeit gearbeitet hatte. Ich packte meine Sachen ein, die ich mit mir zurück nach Rumänien mitnehmen wollte. Ich suchte meinen Pass und schaute ihn mir an. Ich verbrachte ungefähr ein Jahr und sieben Monate in Deutschland. Im November 1999 kam ich in Deutschland an und im Mai 2001 war ich im Begriff das Land zu verlassen. Mein Touristenvisum, ausgestellt in Timişoara am Ende des Monats Oktober 1999 lief schon im Februar 2000 ab. Zusammengerechnet, befand ich mich auf deutschem Boden ohne Aufenthaltserlaubnis seit 15 Monaten. Darüber hinaus, das letzte mir ausgestellte Visum hatte einen Haken. Eigenhändig verursacht. Ich hatte versucht, das Datum auf dem Visum auszuradieren, weil ich ein neues und aktuelles Datum mit der Schreibmaschine eintragen wollte. Aus Angst, dass ich meinem Pass größere Schäden einfügen könnte, brach ich den Vorgang ab. Eins war mir klar: mit bloßem Auge würde man sofort merken, dass „jemand“ etwas an dem Visum abändern wollte. Es sah ziemlich verschwommen aus. Aber das interessierte mich weniger. Ich war zumindest beruhigt, weil ich jetzt meine wahre Identität verteidigen konnte. Mit dem gefälschten französischen Pass hätte ich irgendwann nachgeben müssen und die Lüge offenbaren. Ich spürte so eine große Freude in meinem ganzen Körper. In meinen Händen hielt ich das wahre „ich“. Mit diesem Dokument hatte ich etwas zu sagen, so schlecht wie er aussah. Am darauf folgenden Tag begleitete mich meine Schwester zum Karlsruher Hauptbahnhof. Die Fahrkarte Karlsruhe-Paris hatte ich schon vor ein paar Tagen gekauft. Einschließlich das Flugticket Roissy Charles de Gaulle – Timişoara hatte ich telefonisch bestellt. Ich musste nur zur rumänischen Fluggesellschaft „Tarom“ am Place de l’Opéra in Paris gehen, um dieses Flugticket abzuholen. Die Franzosen sagen „Partir, c’est mourir un peu“. In dem Zeitraum von einem Jahr und sieben Monaten hatte ich mich an meine Schwester, an meine Arbeitgeber und an meine neuen Freunde sehr gut angepasst. Und jetzt musste ich das Land verlassen. Aber wie? Wie ein Dieb, ein Verfolgter, wie ein Aussätziger, wie ein Spion. Ich verbrach doch gar nichts. Von lauter Gedanken an den morgigen Tag, war mein Kopf noch nicht imstande, diese Information richtig zu bearbeiten. Ich verstand nicht, warum man mich für die Fehler anderer bestraft. Ich konnte nichts dafür, dass Rumänien in die Krallen der Russen gefallen war und durch den ihr aufgezwungenen Kommunismus kaputtgemacht wurde. Ich konnte ja nichts dafür, dass Rumänien noch nicht zur EU gehörte. Ich wollte frei leben und ich wollte auch mich frei bewegen. Genau das war mein Fehler. Ich konnte nicht begreifen, dass das rumänische System vor 1989 uns, die rumänische Jugend, zu einem Desaster verurteilte. Wenn sich die französische oder die dänische Jugend innerhalb Europa frei bewegen darf, warum darf die rumänische Jugend das nicht? Meine Gedanken teilten sich in „warum?“ und „es ist nicht fair!“. Ich schloss meine Augen und betete, dass diese unangenehme und unlogische Geschichte so schnell wie möglich vorbei geht. Am Hauptbahnhof angekommen, verabschiedete ich mich von meiner Schwester, stieg in den Zug ein und suchte mein Abteil. Als ich mich hinsetzte, merkte ich, dass ich immer noch beunruhigt war. Ich hatte von Freunden gehört, dass die deutsche Grenzpolizei ab und zu die Pässe der Zugpassagiere kontrollierte. Ich hatte dabei die französische Zeitschrift „L’express international“. Ich holte sie aus der Tasche heraus und fing an zu lesen. Ich wollte einfach nicht mehr daran denken, zu viele Gedanken können einen krank machen. Kurz darauf öffnete sich die Tür und eine Schaffnerin kam herein. Sie verlangte nach meiner Fahrkarte. Sie entwertete sie und dann verließ sie wieder das Abteil. Ich atmete auf. Ich weiß nicht mehr wie die Zeit verging, aber plötzlich sah ich den Straßburger Hauptbahnhof durch die Scheibe des Abteilfensters. Ein weiteres Hindernis wurde überwunden. Ich stieg um und setzte meine reise nach Paris fort. Frankreich bedeutete für mich, was Kanada vor der Abschaffung der Sklaverei für die Afroamerikaner bedeutet hatte. Auf französischem Boden fühlte ich mich schon weniger beunruhigt. Es war mir bekannt, dass die Franzosen mit illegalen Einwanderern nicht so streng wie die Deutschen umgingen. Sie hatten mehr Verständnis dafür. Ein Flug von Frankfurt nach Timişoara wäre nicht einmal in Frage gekommen. In dem neuen Abteil reiste ich mit einem jungen Ehepaar aus Deutschland. Sie hatten an dem Tag frei und entschlossen sich nach Paris zu fahren. Nur so, um die Stadt der Liebe zu besichtigen. Ich fuhr auch nach Paris, aber nicht um die schöne Metropole Frankreichs zu besuchen, sondern um ohne Visum zurück nach Rumänien fliegen zu können. Gewiss, wenn alles gut klappt, wenn gar nichts dazwischen kommt. Genau um 12 Uhr kam ich in Paris an. Der Bahnhof Paris-Austerlitz, wo der Zug hielt und wo ich ausstieg, war mir bekannt. Ich befand mich zum zweiten Mal in Paris. Aber unglücklicherweise nicht aus Spaß, wie es sein sollte. Ich verließ den Bahnhof und versuchte ein Hotel in der Nähe zu finden. Ich wollte mich nicht so viel von Paris-Austerlitz entfernen, weil ich dort vorm Bahnhof auch Busse sah. Da ich am nächsten Tag zum Flughafen musste, dachte ich, dass ich auch mit einem Bus dorthin fahren könnte. So viel Gepäck hatte ich nicht dabei, nur einen großen Koffer, in den ich ein Tag vorher Kleidungsstücke, Zeitschriften und meinen Kulturbeutel rein getan hatte. Und er war ziemlich schwer. „Wer sucht, der findet“. Etwa 10 Minuten später nach meiner Ankunft in „la Ville des Lumières“, stieß ich auf ein gutes Hotel namens „Liège-Strasbourg“. In Liège war ich noch nicht gewesen, aus Mangel am gültigen Visum, wohlgemerkt, aber Straßburg hatte ich ein paar Mal besucht. Es ist unglaublich, wie groß die Macht der Wörter manchmal ist. Wörter schaffen Bilder in unserem Gehirn und diese Bilder prägen sich ein. In meinem Fall war das Bild von Straßburg positiv, sehr positiv sogar. Wenn das Hotel nicht so geheißen hätte, wäre ich vielleicht nicht reingegangen. Der Empfangsherr, sehr höflich, fragte mich nach meinem Wunsch. Ich bestellte ein Zimmer und sah erstaunt auf den Empfangsherrn, weil er von mir keinen Pass oder Personalausweis verlangte. In meiner Heimatstadt, Lugoj, hatte ich auch als Empfangsherr in einem Hotel gearbeitet. Da musste ich die Ausweispapiere von jedem Kunden verlangen und die Personalien in ein Register eintragen. Später wurde dieses Register zur Polizei geschickt. Die Polizei überprüfte sie und kam vorbei, falls Verbrecher sich dort aufhielten. Es kam mir also schwer zu glauben, dass der Empfangsherr in diesem Pariser Hotel nur nach meinem Namen fragte. Den Namen trug er in ein Register ein, informierte mich über den Preis (300 Francs Français = 100 DM = 50 Euro) und überreichte mir den Zimmerschlüssel. Unglaublich, aber wahr. „Vielleicht hat er vor, die Ausweispapiere beim Verlassen des Hotels zu verlangen“, dachte ich. Aber es ergab keinen Sinn. In meinem Inneren war dieses Ereignis ein noch überwundenes Hindernis. Während der Fahrt nach Paris, überlegte ich mir schon, was ich der französischen Polizei sagen könnte, wenn sie ins Hotel käme und nach dem Visum fragen würde. Aber jetzt stellte ich fest, dass die Ereignisse in eine total andere Richtung aufgebrochen waren. Nachdem ich im Hotel meine Sachen auspackte, duschte ich und zog neue Kleidungsstücke an. Dann dachte ich mir so: „Myriel, jetzt muss du zur Fluggesellschaft Tarom gehen, um dein Flugticket abzuholen. Danach mach dir einen schönen Tag in Paris. Du hast es voll und ganz verdient. Darüber hinaus, werden morgen die Zöllner ohnehin merken, dass du „visumlos“ bist. Vielleicht werden sie dich verhaften, vielleicht werden sie dich zur rumänischen Botschaft in Paris schicken, vielleicht, vielleicht...Also Carpe Diem – profitä de aceastä zi, mets à profit le jour présent, seize the day, genieße den Tag“. Sobald ich mich auf der Straße in der Nähe des Hotels befand, hatte ich das komische Gefühl, dass mich jemand verfolgte. Plötzlich sah ich einen Maghrebiner, um die 50 Jahre, hinter mir. Ich stoppte plötzlich mitten auf der Straße und kehrte zurück zum Hotel. Der Mann tat dasselbe. Kurs vorm Eintreten ins Hotel, drehte ich den Kopf noch mal um, um ihn zu orten. Ich erzählte dem Empfangsherrn die ganze Geschichte und er kam mit mir raus. Mittlerweile war der Mann verschwunden. Er fragte mich, ob er die Polizei anrufen solle, aber ich antwortete, dass das nicht nötig sei. Voller Mut verließ ich noch mal das Hotel „Liège-Straßburg“ und brach Richtung U-Bahn auf. Die zehn Minuten Lauf bis zum U-Bahn-Eingang drehte ich ständig den Kopf um, weil ich mich vergewissern wollte, dass der Schwachsinnige nicht noch mal hinter mir war. Aber er war tatsächlich verschwunden. Jetzt im Nachhinein, kann ich irgendwie diese Leute verstehen. Sie landen in Frankreich ohne Aufenthaltserlaubnis und Arbeitserlaubnis, so wie ich in Deutschland, finden Monatelang keinen Job und geraten in Geldnot. Mache verfolgen andere Leute, vielleicht in der Hoffnung sie könnten sie beklauen und so zum Geld kommen. “Il faut de tout pour faire un monde“, sagen die Franzosen. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass die Pariser sehr gut erklären können. Sie sprechen langsam und deutlich, zumindest mit den Touristen. « Paris vaut bien une messe! », sagte Henri IV am 25 Juli 1593 und seine Äußerung stimmt voll und ganz. Dank der guten Erklärung der Pariser gelang ich gut ans Ziel „Agentia Românä de voiaj Tarom“ am Place de l’Opéra. Die französischen Prachtstraßen haben mich immer fasziniert. Neulich erfuhr ich in einem Französischkurs mit dem Namen „La ville dans la littérature française“, gehalten von Herrn Alain Géraudelle von der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, warum in Paris die Prachtstraßen so breit entworfen wurden. Damit die Armee, im Falle eines Aufstands oder eines aus dem Ausland feindlichen Angriffs, Platz zum Einsatz hatte, damit sie die Artillerie umdrehen konnte. Später zog der König nach Versailles. Er stellte fest, dass er einen sichereren Platz brauchte. Paris war kein sicherer Platz mehr zum Leben, weil das Volk zu oft auf die Straße ging, um gegen den König zu demonstrieren. Die Frau von der Reisegesellschaft „Tarom“ reichte mir das Flugticket und stellte mir zur Sicherheit die Frage: „ Sper că aveți viză valabilă. Dacă nu, o să încasați o amendă destul de mare la aeroport”. Ich nickte nur mit dem Kopf. In solchen Fällen fällt es einem schwer, eine Antwort zu geben. Schweigen oder mit dem Kopf nicken ist das beste Rezept. Es hilft immer. Der Gesprächspartner versteht etwas und ich meine etwas anderes. So sind alle Beteiligten zufrieden. Voilà, la vie est belle et nous sommes comme elle! Ein anderes Hindernis hatte ich bereits überwunden. Während der Fahrt zum Place de l’Opéra dachte ich die ganze Zeit, was ich der Angestellten der Fluggesellschaft „Tarom“ sagen könnte, wenn sie mein längst abgelaufenes und verschwommenes Visum sehen würden. Aber glücklicherweise händigte man mir das vor einer Woche telephonisch bestellte Flugticket ohne eine Überprüfung meiner Ausweispapiere aus. Unglaublich, aber wahr. An dem gleichen Tag passierten so viele Wunder. Ich war total verwirrt: An dem deutsch-französischen Grenzübergang gab es keine Probleme, ich bekam ein Hotelzimmer ohne den Pass zu zeigen und das dritte Wunder erlebte ich bei der Fluggesellschaft „Tarom“. Nur gute Zeichen. Der Weg war frei. Aber mein Inneres wollte nicht zur Ruhe kommen. Ich dachte an den morgigen Tag und an das schwierigste Hindernis: Den Flughafen Roissy Charles de Gaulle. Zum ersten Mal in meinem Leben befasste ich mich mit der Frage: „Wie fühlten sich die durch Enthauptung Verurteilten ein Tag zuvor?“ Stellen sie sich mal vor, sie wissen, sie werden morgen sterben. Mir wurde am Flughafen kein Haupt vom Körper abgetrennt, nur ein Teil meiner Seele. Obwohl ich nur ein paar Stunden früher, den Tag zu genießen beschloss, wurde ich allmählich wieder ein wenig beunruhigt. „Ah, wenn es morgen nicht gäbe!“, dachte ich. Aber: „Vivre, c’est aller vers l’inconnu, n’est-ce pas?“ Ich schlenderte durch die Straßen von Paris, aß reichlich, ging zu « La Tour Eiffel », kaufte Postkarten und ließ sie zu Freunden fortschicken, fuhr mit dem Bus und betrachtete die schöne Architektur. Gegen Abend kehrte ich zurück ins Hotel und wurde mit einem ruhigen Schlaf gesegnet. Der Empfangsherr weckte mich rechtzeitig auf. In Frankreich ist das Frühstück nicht im Zimmerpreis mitinbegriffen. Morgens geht man einfach in das Restaurant des Hotels und bestellt das Frühstück. Für mich lohnte es sich nicht mehr im Hotel zu frühstücken. Erstens, die Angestelltin der Fluggesellschaft „Tarom“ informierte mich, dass man mir über den Wolken ein Frühstück servieren wird. Oder zweitens, ich werde bei der Flughafenpolizei frühstücken. Wie auch immer. Meine nahe Zukunft war allzu unbekannt, um noch ans Frühstück zu denken. Ich begab mich zum Empfang des Hotels, gab den Schlüssel ab und bezahlte die Telefonrechnung. Am Abend davor rief ich meine Mutter und meine Schwester an, um ihnen mitzuteilen, dass es mir gut ging. Den Rückweg zum Pariser Austerlitz-Bahnhof fand ich im Handumdrehen. Beim Einsteigen in den Bus fragte mich der Busfahrer: À quel terminal voulez-vous aller? Ich war so durcheinander, dass ich ihm sagte: Au cinquième. Er fing an zu lachen und erwiderte: Monsieur, désolé, mais il n’y a que trois terminals à Roissy Charles de Gaulle. Geduldig holte ich mein Flugticket aus der Tasche raus und warf einen Blick darauf. Der Busfahrer hatte Recht. Es stand geschrieben: Terminal 3. Kurz darauf vermittelte ich dem Busfahrer die richtige Terminalnummer. Zwei Wege haben bei mir bisher eine Ewigkeit gedauert, der Weg zum Zahnarzt und der Weg zu Roissy Charles de Gaulle. Als der Bus vor das Terminal hielt, zitterten meine Beine schon. Ich verabschiedete mich vom Busfahrer, stieg aus dem Bus aus und betrat die automatisch aufgehende Tür des Terminals 3. Der Aushängeflugplan verriet mir, dass die Schlange vor meinen Augen die richtige Schlange war. Es warteten dort nicht so viele Leute. Ich sah schon den Zöllner in der kleinen Kabine. „Oau! Es ist so weit!“, dachte ich mir. Danach stellte ich mich in die Schlange. Nach nicht einmal fünf Minuten befand ich mich schon vor dem Zöllner. Ich hörte ihn sagen: Votre passeport, s’il vous plaît! Ich händigte ihm den Pass aus. Er sah sich das Wappen und den darauf verschrifteten Landesnamen an und begann ihn durchzublättern. Aber er schaute sich mein Photo im Pass nicht an. Ich hätte ihm den Pass eines anderen überreichen können, weil er ohnehin nach dem Visum suchte. Nach langer und vergeblicher Sucherei entdeckte er das verschwommene und seit ewig abgelaufene Visum. - Eh, Monsieur, vous n’avez pas de visa valable, sagte er mir. - Oui, je sais, geantwortete ich. Er winkte einem Kollegen zu, der sich in der Nähe befand, und sagte ihm laut und klar: - Tu peux me remplacer? Le mec a des problèmes. Der Zöllner sagte zu mir: - Suivez-moi ! Vous avez de l’argent sur vous? - Oui. - Combien ? - À peu près 400 Francs français. Er führte mich in einen naheliegenden Raum und stellte mich den anwesenden « Policiers de l’aéroport“ vor. Er sezte fort: - Le mec n’a pas de visa valable et en outre il a essayé de le gommer. Alle richteten ihre Blicke auf mich. Ich fühlte mich wie Albert Einstein in der Schule, als der katholische Priester den Raum mit einer handvoll riesengroßer Nägel betrat und sagte: „Mit diesen Nägeln kreuzigten die Juden Jesus.“ Und dann warf der Priester alle Nägel auf den Lehrerschreibtisch. Albert Einstein war der einzige Jude in der Klasse, also alle seine Schulkameraden sahen auf ihn. Ich wurde so nervös, dass ich anfing hin und her zu laufen. Eine kleine lockighaarige Frau nahm meinen Pass entgegen und verschwand hinter einem Vorhang. Die anderen Flughafenpolizisten nahmen mein Flugticket und sagten: - Calmez-vous, Monsieur. Nous n’allons pas vous retenir ici. De toute façon, vous avez déjà un billet d’avion valable. Ne vous inquiétez pas, vous n’allez pas rater l’avion. Asseyez-vous ! Ich setzte mich auf eine Bank hin. Aber meine Nervosität nahm nicht ab. Die kleine lockighaarige Frau, die meinen Pass hatte, kehrte zurück, näherte sich mir zu und sagte: - Normalement je dois vous mettre sur garde à vue parce que vous avez essayé de gommer le visa. Nous l’avons vérifié, il est valable. On vous laisse partir. Halleluja. Und was noch seltsamer war, sie wurden alle sehr nett zu mir. Sie bombardierten mich mit Fragen wie: - Quand est-ce que vous êtes arrivé en France? - Où avez-vous vécu en Allemagne ? Jetzt im Nachhinein, stelle ich fest, dass sie völlig vergessen hatten, mich mit Geld zu bestrafen. Natürlich, vor lauter Fragen... Ich bekam meinen Pass zurück, nahm mein Gepäck und verabschiedete mich von ihnen. Hinter mir hörte ich dieses französische „Au revoir“ aus ganzem Herzen. Eine halbe Stunde später saß ich im Flugzeug und wartete auf den Abflug. Dieses Mal aber fühlte ich mich anders. Man platzt vor innerer Freude, man erlebt eine Berührung. Die sehr verschlossenen Türen öffnen sich. Mir standen Tränen in den Augen. Vor kurzem befand ich mich da, am Roissy Charles de Gaulle, umgeben von Flughafenpolizisten und rechnete mit dem Schlimmsten, aber das Ende sah anders aus. Julien Sorel dans „Le Rouge et le Noir“ de Standhal „Messieurs les jurés, Messieurs, je n’ai point l’honneur d’appartenir à votre classe, vous voyez en moi un paysan qui s’est révolté contre la bassesse de sa fortune. Je ne vous demande aucune grâce, la mort m’attend : elle sera juste. J’ai pu attenter aux jours de la femme la plus digne de tous les respects, de tous les hommes. Mme de Rênal avait été pour moi comme une mère. Mon crime fut prémédité. J’ai donc mérité la mort, messieurs les jurés. Mais quand je serai moins coupable, je vois des hommes que voudront punir en moi et décourager à jamais cette classe de jeunes gens qui, nés dans une classe inférieure et en quelque sorte opprimés par la pauvreté, ont le bonheur de se procurer une bonne éducation et l’audace de se mêler à ce que l’orgueil des gens riches appelle la société. Voilà mon crime, messieurs, et il sera puni avec d’autant plus de sévérité, que dans le fait je ne suis point jugé par mes pairs (une personne égale par la situation sociale). Je ne vois pas sur les bancs des jurés quelque paysan enrichi, mais uniquement des bourgeois indignés (éprouvant un sentiment de colère) ». Im Vergleich zu Julien Sorel aus dem Roman « Le Rouge et le Noir » trat ich nicht vor Gericht und wurde glücklicherweise auch nicht zum Tode verurteilt. Meine „Sünde“ bekleidete eine andere Form. „Messieurs les Policiers de l’aéroport Roissy Charles de Gaulle, Je me suis présenté devant vous sans visa. Mais croyez-moi, je regrette cet incident de tout mon cœur et sa gravité m’est très bien connue. Si par une méthode fantastique quelconque j’avais eu la possibilité de me procurer un visa, je l’aurais fait avec plaisir et sans hésitation. Je ne peux pas exprimer mes regrets en mots. Mon faute est claire : j’ai voulu vivre dans la Communauté européenne, voire en Allemagne, mais la mairie de Karlsruhe a refusé de me délivrer un permis de séjour. Alors, je me suis décidé à rester illégalement, au noir, sans-papiers. Pourquoi me punit-on pour des choses dont je ne suis pas responsable ? Pourquoi un roumain n’a-t-il pas le droit de vivre comme les autres européens de la Communauté ? Malheureusement la société roumaine postcommuniste m’a « obligé » de faire recours à cette option. Je ne l’ai pas choisie moi même. Elle m’a été impose par la société. Votre pardon joue un rôle très important pour moi. Il m’aide à comprendre et à ne pas affirmer comme Jean-Jacques Rousseau que la société déforme l’esprit et détruit notre caractère. Votre pardon est la preuve indoubitable du contraire. Au lieu de me punir inutilement et sans raison « concret », vous avez choisi une autre solution : me laisser partir. Je vous remercie. Mon amour pour la France et pour votre langue est très grand. Cet incident m’a aidé à comprendre quelque chose de très important pour le reste de ma vie : il faut défendre tous ceux qui désirent faire quelque chose dans leur vie, peu importe leur nationalité, la couleur de leur peau ou leur religion, mais qui sont bloqués d’une manière quelconque par la société d’où ils viennent. Vive la Grande Nation!!! » Kapitel 2 - Aeroportul International Timişoara Der Flug von Paris nach Timişoara dauerte nur zweieinhalb Stunden. Nach so vielen seelischen Erregungen am Vormittag, verzehrte ich den im Flugzeug servierten Brunch im Nu. Ich hatte Bärenhunger. Darüber hinaus rückte das letzte Hindernis immer näher. Mit vollem Bauch war ich imstande anderen Gefahren zu widerstehen. Ich dachte mir: „Wenn die französischen Zöllner das abgelaufene und verschwommene Visum entdeckt haben, werden die rumänischen Zöllner es auch tun“. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie darauf reagieren würden? Werde ich sie mit Geld schmieren müssen? Werden sie mich für ein paar Stunden einsperren? Werden sie meinen Pass entziehen? (Ich wollte nicht, dass so etwas eintritt. Denn ohne Pass konnte ich nicht mehr zurück nach Deutschland. Und ich wollte „coûte que coûte“ zurück. Weil ich ein Möglichkeitsdenker bin). Trotz allerlei Gedanken und fragen, kam es mir schwer zu glauben, dass ausgerechnet meine Rumänen, bei mir zu Hause, mich für mein „Verbrechen“ heftig bestrafen werden. „Ich bin rumänischer Staatsbürger, ich spreche die gleiche Sprache und bin immer ein Teil des Volkes gewesen. Darüber hinaus, habe ich im Ausland gar nichts verbrochen“, dachte ich mir. Schließlich landete das Flugzeug. Ich nahm mein Handgepäck und brach Richtung Flugzeugtreppe auf. Ich ging die Treppe runter und tränkte mir die Füße in einen Teppich, der mit einer gegen die Krankheit Rinderwahnsinn BSE behandelt wurde. Ein Teil der Fluggäste blieb im Flugzeug sitzen. Sie flogen weiter nach Bukarest. Der Flughafen in Timişoara ist ziemlich klein. Er wurde vor Jahren renoviert und jetzt sieht er sehr schön aus. Früher, als ich noch für die französische Firma „Marèse International“ arbeitete, fuhr ich manchmal zu diesem Flughafen, um von dort meine aus Frankreich kommenden Arbeitgeber abzuholen. Ich stand da und beobachtete, wie die Flugzeuge landeten. Jetzt befand ich mich selber in einem dieser Flugzeuge und konnte die Welt aus der Sicht des Passagiers betrachten. Die Rollen haben sich geändert. Alle in Timişoara ausgestiegenen Passagiere bildeten im Flughafen eine Warteschlange vor dem Check Point. Ich stellte mich auch in diese Warteschlange und näherte mich immer mehr dem Check Point zu. Plötzlich sah ich einen Mann auf mich zukommen. Er stoppte kurz vor mir und fragte mach meinem Pass. Obwohl er eine Uniform trug und mir klar war, dass er zum Team der Flughafenzöllner gehörte, wusste ich nicht warum er mich vor dem Check Point anspricht. Die Antwort darauf erfuhr ich erst später. Um etwas „Zusätzliches“ zu verdienen. Die Geschichte wickelte sich sehr traurig ab. Er forderte mich auf, mein Gepäck mitzunehmen und ihm zu folgen. Ich ging am Check Point vorbei, ohne nach meinem Pass gefragt zu werden und betrat eine Art Umkleideraum für Flughafenzöllner. An der Mauer entlang reihten sich viele Schränke nebeneinander und ein paar Uniformen hingen auf den geöffneten Türen. Ein Tisch mit Stühlen befand sich auch da. Ich setzte mich auf einen der Stühle. Der Zöllner, der mich dorthin brachte, verschwand für kurze Zeit. Wahrscheinlich beabsichtigte er, mein abgelaufenes und verschwommenes Visum zu überprüfen. Meine Gedanken fingen an herumzuirren. Von allen Hindernissen, die ich überwinden musste, hatte ich gerade vor diesem gar keine Angst mehr. Ich war zu Hause und ich war ohnehin mit der Angst zu Ende. Wie lange mein neuer „Jäger“ weg war, kann ich nicht mehr sagen. Auf jeden Fall genug, um neue Kräfte sammeln zu können. Plötzlich betrat er den Raum, begleitet von anderen zwei Kollegen. Meine Vermutungen erwiesen sich als wahr. Sie prüften meinen Pass und fanden gar nichts. Dann begann einer der drei ein mir bekanntes Lied zu singen: „Stiți că nu aveți voie să stați în străinătate fără viză? Nu este bine pentru imaginea țării noastre când unii români trăiesc ilegal în străinătate şi apoi, după ani de zile, apar la un aeroport, deaorece doresc să se întoarcă acasă. În mod normal, conform legii, ar trebui să vă retragem paşaportul. Dar dacă ne dați 100 de mărci germane, vă lăsăm să plecați şi primiți, deasemenea, paşaportul înapoi”. „Sie arbeiten aber billig, meine Herren“, dachte ich. Das Problem war, dass ich nur Francs français bei mir hatte. Ich nahm ungefähr 600 FF mit, um Strafen an verschiedenen Orten auf dem Rückweg begleichen zu können. Da ich in Roissy ungestraft davon kam, blieb mir noch der ganze Betrag zur Verfügung. 600 FF entsprachen etwa 180 DM, beziehungsweise 90 Euro. Ich nickte mit dem Kopf, um die Zöllner verstehen zu lassen, dass ich das Angebot annehme und setzte so fort: - - Dar nu am decât franci francezi. As putea să vă dau echivalentul a 100 de mărci germane în franci francezi. Este OK pentru dvs? - Şi care este echivalentul? fragte mich einer von den drei Zöllnern. - 300 de franci francezi, erwiderte ich - OK! sagten die drei Zöllner und nahmen das Geld entgegen. Ich griff mein Gepäck und wollte den Raum verlassen, als mir einer nachrief und sagte: „Vă rog să vă gândiți la ce v-am spus şi să nu mai rămâneți fără viză în străinătate!“ Ich nickte mit dem Kopf, öffnete die Tür und ging raus. Free at last! Free at last! Lange Zeit nach diesem Geschehen dachte ich an die Zöllner des Timişoara Flughafens. Wie kann man sich so verrenken? Ihre Geste mir gegenüber schien mir so niedrig zu sein. Welche Lektion wollten Sie mir erteilen? Dass man Korruption fortsetzen soll? Dass man niedrig sein kann? Laut Pestalozzi „durch Vorleben und Vormachen erzieht man“. Wie sollen diese Leute mich und andere in meiner Situation auf den richtigen Weg bringen, uns belehren und positiv beeinflussen? Was lebt man uns vor? Korruption und niederträchtige Schlauheit? So etwas wurde uns bis zur Wende vorgelebt und vorgemacht. Wende bedeutet Übergang zum Guten, die Wiedererfindung der wahren Werte, die Abschaffung der Korruption, der Verzicht auf Radikalismus uvm. Meiner Meinung nach, gab es bisher drei große Wenden in der postrevolutionären Geschichte Rumäniens. Die erste Wende war die Revolution von 1989. Die zweite Wende, die Machtübernahme durch Traian Bäsescu, den aktuellen Präsidenten Rumäniens. Und die dritte Wende, der EU-Beitritt Rumäniens im Januar 2007. Die vierte Wende aber werden wir heraufbeschwören, wir, die Gestrandeten auf dem eigenen Kontinent. Unsere Stimmen vermehren sich von Tag zu Tag und verlangen die völlige Abschaffung der alten und blöden kommunistischen Mentalität. Die vollkommene Verneinung des alten Regimes, das so viel Leid über das Land gebracht hat. Die Durchsetzung einer wahren europäischen Demokratie, nach dem Vorbild Deutschlands, das Land in dem ich mich seit sieben Jahren befinde und das ich bewundere. Die vierte Wende wird durch unseren Auslandsaufenthalt ausgelöst, in Gang gesetzt. Dieses Buch ist der Ausdruck einer Enttäuschung, eines „Nein“ zur alten existierenden Ordnung. Rumänien muss wieder ein Land werden „où il fait bon vivre“, wie vor dem Zweiten Weltkrieg. Durch das Vorleben und Vormachen eines neuen Benehmens wird Rumänien ein neues Gesicht bekommen. Der Start wurde schon freigegeben. |
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