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Überlegung
prosa [ ]
Kapitel IV.

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
von [Szeren ]

2024-01-11  |     | 



In zweifacher Weise sollte ich von dem Vorhaben gehindert werden: Nicht nur waren die Eltern und Kollegen in gewisse Kennntnis gesetzt und waren nicht neutral einerseits einer Dienstreise, zweitens einer kommissärlichen Einmischung in mein Privatleben, über das kollegiale Zwiesprachen einigermaßen effektvoll Bescheid gegeben hatten, gegenüber. Das, sicherlich, war die eine Seite de Medaille, die mich vor dem Einschlafen belastet hatte, ausser des Grundes, dass ich am Morgen meine Papiere in Unordnung vorfand. Die untergebutterten Fahr-und Reiseausweise malten mir den tiefen Kummer vor Augen, den eine gewisse Freundin gehabt haben muss, als sie sich in Nacht und Nebel von einer Vergangenheit fortriss, die sie, ohnmächtig etwas zu verändern, festgehalten haben muss. Um mich kurz zu fassen: Ich verfiel in einen Zustand der konsternierten Sympathie sowie der vorrechnenden Gewissheit, dass mir noch Abenteuer vorstehen würden, sollte ich den Omnibus zur Abendstunde, wie ich vorgehabt hatte, nehmen und dabei in aller Seelnruhe ein Buch schmökern. Das unsoziale Gehabe um viele der europäischen Reisenden hatte ich immer verabscheut. Das Lesen von Allerweltsromanen auf kulturellen Landreisen fand ich denaturiert, dennoch würde es mir erlaubt haben vor meinen eigenen Schattenumrissen einer erwachenenden Mitwisserschaft zu entfliehen, um Entspannung für mich selbst zu finden. Dementsprechend würde es eine wachsame Beschäftigung, eine stumme aber gehobene Tätigkeit vortäuschen, die meinem Alter entsprach.
Damit war es morgens vorbei. Als sich die rosigen Schleier gelichtet hatten, die eine schüchterne und dennoch hervorstrahlende Sonne um die benachbarten Fassaden geworfen hatte, wusste ich, dass ich eine andere Fahrgelegenheit zu wählen imstande zu sein hatte, andere Täuschungsmanoevre würde finden müssen, welche mich somit um meine Ruhe endgültig betrügen würden.
Ein schweigender Spaziergang durch mordendliche Frühe erwieß sich als beschwichtigend, um nicht in Reisefieber zu versinken und förderte volle Aufmerksamkeit, ohne mir jedoch die Sicherheit einer erfolgreichen Fahrt zu geben. Die neue Mitfahrgelegenheit stand für mich fest. Allein war ich sehr unschlüssig, ob meine Unterredung mit mir selbst, wie sich mir der übernächtichtige Dämmerzustand vor mir selbst klärte, unbemerkt bleiben würde oder ob die Vorstellungskraft und der Elan gebleiben war. Sofort, hatte ich mir gesagt, verkaufst du die Billets für die "chirie" unter den züchtigen Reisenden, und erwirbst dir andere Papiere, sollten sie auch ein Wagnis bedeuten, das für eine Rückfahrt nicht in Bälde wieder anzudenken sein würde.
Die weitere Fahrt sollte ich in noch armseligeres Schweigen gehüllt, nur mit einer Broschüre gewappnet, völlig unverstellt mit einer Fähre über einen kostspieligen Umweg, in wachsendem Abstand von meinem Gestern und zwingender Nähe zu einer mir entfremdeten Bekanntnschaft zubringen.

Die Broschüre

enthielt ein Treffdatum und einen Ort der angekündigten Begegnung. War nicht von der Polizei angegeben, noch mutmaßlichen Beobachtern unbedingt zugänglich, dennoch bewilltigt. Entwarf einen kurzweiligen und kurzlebigen Plan einer Vorstellung unter einem Zeichen von einigen formellen Bedingungen, ohne jedwelche schriftlichen Voraussagen über das Ergebnis des Unterfangens.

Dine inhaltlichen Bezüge des vermittelten Plans sollten eine offizielle Unterredung des organisierenden Vertreters mit de Audienz kennzeichnen, zu der thematischen Reihe: Selbstvertrauen, Achtung in mir selbst und vor mir selbst, Menschenkenntnis und Dominanz, Schärfung der Wahrnehmung und der Sinne.

In ein Laken gehüllt, das eine muffige, zwei-farbige und gänzlich kümmerliche Decke umgab, verbrachte ich die beginnende Überfahrtzeit in kuriosem Tüfteldrang über das Verbleiben meiner Dokumentation, die die Reiseunterlagen erst unsortiert hatten erscheinen lassen. Tatsächlich hatte ich sie kurz vor Reiseantreten noch in letzter Minute gefunden, und darauf war ich mit einem Linienbus durch die Stadtmitte bis zur nächsten Bahnstation gefahren.
Unter Reisenden ist es nicht belanglos, noch auszuschließen, über dies und jenes, Gott und die Welt, ins Gespräch zu kommen und ich konnte nur hoffen, dass ich diesem Druck von Außen entkommen würde, wie es denn auch geschah.
Der Zug brachte mich rapide zum Hafen-Viertel, von wo aus ich vorhatte eine Bootsüberfahrt durch das Delta zu unternehmen.
Alles was mir geblieben war, ergaben meine Papiere und spärliches Wissen um die Anlegeorte des Bootes wie über gewisse benachbarte Viertel (von wo aus ich dann doch noch "die Chirie" zu nehmen gedachte, und zwar ohne allerseits unschlüssige oder, schlimmer noch, argwöhnische Blicke auf mich zu heften oder etwaige Stimmungslagen den Reisenden preiszugeben), ungeachtet der Fragen und Zweifel, welche mich ein Schaufuchs foppte zu äußern, sobald ich angekommen sein würde.
Einzg die Broschüre gab mir ein paar weitere Hinweise und Standpunkte zu mir selbst, welche mir ersparten, meine Grüße wie ein völliger Trottel, am Kommissariat abzugeben, der nicht einmal das geringste Selbstgefühl an den Tag legen konnte.
Sobald das Reisezeichen vom Boot hörbar wurde, geriet das Wetter in Achtlosigkeit - in Angemessenheit für herbstliche Überfahrten. Ferner bestürmte ich in Gedanken meine Mitwisser mit Fragen und Bitten darum, nie wieder für ein auswegsloseres Bagatellen-Delikt hergenommen zu werden. Mit meinem vormaligen Heldentum war es nicht weither.
Nach vereinzeltem Nieselregen seitens der Brise, welchen ich immer zu beobachten liebte und der es mir unerfreulich machte, mein Zögern, mit dem es keine Bewandtnis hatte, meinen eingemieteten Schlummerplatz zu verlassen, entdeckte ich noch zehn weitere junge Menschen im offenen Passagiersraum, welchen ebenso wartende Trümmer und kalte Erfahrungen zu Gesicht eingeritzt und geschrieben standen, wie dem das mir in dem verblichenen Badezimmerspiegel entgegenblickte, den ich in aller Frühe in geraumer Ferne vom Heimatort entdecken würde. Einige Zeit mit dem Enträtseln einiger Mimiken beschäftigt, suchte ich, zauderhaft, nach Ausgangspositionen zur Beunruhigung, ob denn die Befürchtungen Anlass gehabt hätten. Allerdings wardt ich gewahr, dass es keine namhaften Gesichtszüge waren, die ich von unserer gehobenen Schule im Kleinstadtmilieu hätte noch erkennen mögen, weder gab es Sonderlinge unter ihnen, mit denen ich ein Gespräch hätte vortäuschen können, noch irgendeinen Genossen noch Kumpel aus dem mittelstätdischen Raum, den zu grüßen man durch gegenseitige Abschätzung gerufen wardt. Umso mehr ich mich im Innenraum umsah, gefiel mir dessen Kargheit und Einfachheit besser, das fehlende Laub wie das am Festland - ignorierte ich zwar obgleich in Grübelei nicht, aber es berührte mich auch nicht weiter.
Das Schweigen war mir Poesie und Tarnung, war mir Rede und Antwort, wardt mir Konzentration und innerlicher Rückzug.

Nach einer kalten Nacht (in der die riguröse Passkontrolle uns noch zwei Wachstunden vom Schlaf abzog) setzten wir in der westlichen Fremde über, und die meisten Passagiere gingen bereits in Galatz angekommen, ans feste Land.

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