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Bei der Granatapfelernte in Rahova – 24
prosa [ ]
Erinnerungsroman von Anni-Lorei Mainka [Almalo ] (1958 - 2014)

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von [Delagiarmata ]

2020-08-07  |   

zum Originaltext  | 



Schweineaufzucht in der Stadt

Ich hatte das Schwein und die zahlreichen Vorfälle im Zusammenhang mit seiner Aufzucht vergessen.

Der ganze Stadtteil hielt Schweine, wie klein der Hof oder das Haus auch war, wie wenig das Geld und wie hoch die Schulden auch waren. Nicht weil sie keiner Arbeit nachgingen – die Partei hatte ein Leben außerhalb des „Arbeitsfeldes“ untersagt -, sondern weil die meisten Männer entweder Trinker waren, oder ihr Geld bei den zahlreichen Glücksspielen verloren. Tricktrack und das Würfelspiel Barbut waren die bekanntesten – natürlich alle verboten.

Aber wer überquerte schon die Chirigiu-Kreuzung über das alte Zollamt hinaus? Nur die zweier Tramway, die vom Bahnhof kam, und die fünfer, die, vom Unirii-Platz kommend, schwer atmend über den Hügel Heiliger Freitag fuhr. Sonst überhaupt niemand!

Es war ein Gebiet der Einheimischen, der vom Schicksal gedemütigten und den Städtern unterwürfigen Bauern und Billigwarenhändlern. Ja, und in jener Zeit waren die Renten klein, aber den Kindern fiel es gar nicht ein, ihre Eltern, Geschwister oder Schwiegereltern nicht zu unterstützen. Auch wenn es nur um den guten Schein ging, sie taten es trotzdem.

Selten sah man ein sich an die Barriere verirrtes Polizeiauto, und dann nur um die Sauberkeit zu kontrollieren, wenn ein „Genosse“ oder die Busse von I.F.A.* vorbeifuhren, auch die so gut beschützt, dass wir uns nur darüber wundern konnten.

Wir haben in den 30 Jahren, die wir dort gelebt haben, nur zwei Schweine gehalten. Erst nachdem Vater in Rente ging, kam ihm die merkwürdige Idee, ein kleines und schwarzes Ferkel vom Jahrmarkt mitzubringen.

Vater fuhr stolz zum Markt, um Bewegung zu machen. Er pflegte sich in übertriebenem Maße, und groß war unser Erstaunen, als er aus einem Reisesack ein Schweinchen wie eine Katze, halb betäubt und mit verwirrtem Blick, hervornahm. Besonders weil Vater nur selten Schweinefleisch aß, Mutter keins essen durfte und ich mir nicht vorstellen konnte, was er damit anfangen könnte, wenn es mal groß ist.

„Es tut mir leid … es ist klein, und jetzt ist es auch noch am Kopf verletzt, es ist vom Lenker gefallen, als ich die Schienen von der Barriere überquerte, und hat sich angeschlagen …“

Dann haben wir begriffen, warum das arme Ferkel keinen Ton von sich gab und uns etwas scheel ansah. Vater hat es gestreichelt, in ein Handtuch gehüllt und Tom getauft. Tagelang las er mit Tom im Arm die Zeitung, gab ihm vorsichtig eine Portion Milch zu trinken und eingeweichtes Brot zu fressen, und fand so eine neue Beschäftigung für einen jungen Rentner. Tom hörte nur auf Vater und benahm sich wie ein Hündchen, das seinem Herrn nachläuft. Vater sprach natürlich deutsch mit ihm, die Kinder standen am Zaun und brachten vor Staunen die bläulichen Münder nicht mehr zu, konnte doch in unserer Familie sogar das Schwein Deutsch und hörte auf die Befehle Herrn Willis.

Wieviel er Tom an einem langen Tag erzählt hat, weiß ich nicht. Sicher ist, dass dieses Ferkel es sehr gut hatte, es war weder eingesperrt, noch wurde irgendeine Anstrengung unternommen, es bis Weihnachten zu mästen, wusste Vater doch schon ab Oktober nicht, wie er Mutter erklären sollte, dass er Tom nie schlachten will.

Es kam Weihnachten. Vater mied jedwede Diskussion über den berühmten 20. Dezember, Tag des Ignatie*, eine Art Silvester für alle Schnapstrinker und Männer, die kaum erwarten konnten, ihre Geschicklichkeit im Zu-Boden-Werfen, Niederknüppeln und Abstechen von Schweinen zu zeigen.

Es war der Tag, als die Schweine in die Mitte der Straßen gezerrt wurden und man durch den dampfenden Lärm aus den Ansammlungen von Erwachsenen und auf die angesengten Schwarten wartenden Kindern den durchdringenden Schrei einer sich auf dem Boden wegen ihres eigenen Gewichts wälzenden Sau hörte.

Schade, dass in jener Zeit nur einige wenige einen Fotoapparat hatten. Und der Gedanke, dass eines Tages die Schweine nicht mehr mit Ketten und Gewalt in die Straßenmitte gezerrt werden, dass man keinen stolzen Langmesserschwinger, der tötet und sich in aller Öffentlichkeit darüber freut, für seine Tat bezahlt, nein, das konnte niemand durch den Kopf gehen.

Zu jener Zeit war Europa weit, irgendwo auf dem Weg zum Mond, nur wenige hatten sie gesehen – den Mond wie auch Europa -, und noch weniger erzählten von dem Gesehenen.

Europa war eine Welt, die im Radio und im Geflüster der Alten existierte, eine Welt, die ihre Tore geschlossen hatte, die Fenstern und die Grenzen nach jenem Krieg. Ein einziger Gedanke hielt die meisten aufrecht: diese Amerikaner, fleißig und freigebig, aber besonders Konsumenten von „Schunke“*, Jeans und Whisky, bestimmt alle hochaufgeschossene Soldaten, die auf dem Weg zu den Vietnamesen, Türken und Kambodschanern einen kleinen Zwischenstopp einlegen und uns befreien werden, uns, die Männer mit Schnaps- und Glückspielvorlieben, die Frauen mit Abtreibungsängsten und die Schweine in zu kleinen Ställen …

Europa schien nicht um die Ecke zu liegen. Die Rettung, war ich mir sicher, wird aus der Luft kommen, in einer sauberen und warmen Jahreszeit, so wie die Störche Europa verließen und zu uns zurückkamen, die Wildgänse auch, so war ganz sicher: Die Amerikaner werden eines Tages von ihren Westernpferden herabsteigen und auf dem Universitätsplatz landen, oder im Kaufhaus für Kinder „Romarta“, wo der größte Winterbaum stand – Weihnachten durften wir nicht sagen.

So war sicher, dass das Mästen des Schweins und der Feiertag seines Schlachtens und Sengens auf kleinem Feuer überall auf der Straße – Feuer mit Stroh und Trockenholz aus den Gärten – über Jahrhunderte fortdauern werden. Und alle diese Feiertage werden unsere Freude auf das Kommen des Winters, der Wintermänner sowie des Jahresanfangs im Geruch der Orangen und reifen Äpfel noch steigern.

Dass gerade Europa eines Tages diesen blutigen Feiertag verbieten und ihn als eine Barbarei inmitten so vieler zivilisierter Völker brandmarken wird, dürfte nur die Schweine zufriedenstellen, und Vater würde sich bestimmt enorm freuen, könnte er doch offiziell Toms Abschlachten vor aller Augen untersagen.

Ja, Vater konnte Mutter überzeugen, Tom nicht für Weihnachten zu opfern, denn wer sollte ihn verzehren. Wir aßen Gans oder Truthahn, vielleicht auch Hase, und so hat Tom den ganzen Winter überlebt.

Der Frühling kam. Tom nahm ab und rannte zwischen den blühenden Bäumen hin und her. Und wie ein Schwein, dass er nun mal war, mit hängender Haut vom Abmagern, begann er zwischen den Erdbeeren, Tulpen und veredelten Rosen, mit großer Mühe von Herrn Brăteanu erworben, herumzuwühlen. Aber wer sollte ein abgemagertes Schwein kaufen, und das vor den Frühlingsfeiertagen, also Ostern, wenn alle Welt Lamm in Knobel und Zwiebelsoße aß.

So dass eines Tages, als Vater zum CEC* gegangen war, die berühmten CAR- oder ADAS-Gebühren* zu zahlen, Mutter Onkel Costică vom Hügel bezahlt hat, damit der Zigeuner ihr zuliebe Tom mit Gottesfurcht schlachtet, doch nicht ohne vorher viele Verse der Vergebung in seiner Zigeunersprache zu rezitieren.

Sie, die Zigeuner schlachteten damals nichts, sie fürchteten sich vor etwas, das ich nicht verstand; sie hätten gestohlen und hätten viel verkauft, aber Hühner oder Schweine auf offener Straße schlachten, das täten sie nie, hieß es. Zumindest nicht die aus unserem Viertel. Sie liefen manchmal mit einem an den Füßen gehaltenen Huhn herum, auf der Suche nach einem Rumänen, der keine Angst hatte, es zu schlachten oder dem bedauernswerten Federvieh mit einer gewissen Fertigkeit den Hals umzudrehen.

Leanas Costică tat es auf das Drängen der Mutter und weil er Herrn Willi gerne hatte. Wie weit waren sie doch beide in der Welt herumgekommen. Costică war mit seinem Fuhrwerk viel weiter als bis Mihailești oder Dumitrana gekommen, während Vater ihm im Haustor erfolglos von Odessa und Danzig erzählte, und ihn beschwor, doch mal auf eine Landkarte zu schauen.

Die einzige Landkarte jener Zeit war die Rumäniens, auf der die Namen der Nachbarländer nur mit Initialen angegeben waren.

In der 5. Klasse wünschte ich mir einen Globus und einen Atlas und schaute dann den ganzen Tag über rund um die Erde und stellte mir vor, mit einem Kahn den ganzen Sommer lang zu fahren …

Natürlich erst nachdem die Amerikaner gekommen sein werden, damit ich Mutter keine Probleme bereite.

Ich habe diese Geschichte in der 5. Klasse bei einer Geografie- Klassenarbeit geschrieben und war sicher, eine 10 zu bekommen. Statt 10 habe ich eine 4 bekommen.* Mutter wurde von der Klassenlehrerin Weber in die Schule gerufen und als sie aus dem Lehrerzimmer kam, versetzte sie mir eine Ohrfeige, dass ich heute noch spüre wie sie von der einen zur anderen Kopfseite sprang. Ich war so überrascht, dass ich nicht ausweichen konnte.
Ich habe nicht geweint und keine Fragen gestellt, aber in der Tramway sagte Mutter mir in wenigen kurzen und leisen Sätzen, ich solle in meinem Leben in keiner Schularbeit mehr mit dem Kahn um die Welt reisen, das Wort „Amerikaner“ nie mehr benutzen und alle Wandervögel sowie Nils Holgerson, den ich von Ionel dem Friseur bekommen und mit angehaltenem Atem gelesen hatte, vergessen.
Ich habe Mutter angeschaut. Die Arme war gelb wie der Kalk an der Wand, und ich habe nichts verstanden, ich vermutete, dass irgendetwas mit den Landkarten und den Amerikanern nicht stimmte, aber auf keinen Fall mit der Schule.
Seit damals hielt ich mich von Menschen fern und begann Vater zu verstehen, der lieber mit dem Schwein Tom als mit seinen Freunden sprach.

Er sagte mir, dass es nur im Krieg Freunde gibt, wenn die Menschen frei sind und Geld haben ignorieren und betrügen sie sich. Ich habe ihm widersprochen und nicht geglaubt, dass die Welt schlecht ist, habe ihm von Tom Sawyer, Karl May und anderen Reisenden erzählt, dass die Indianer gut sind und es bestimmt irgendwo auf der Welt ein Land gibt, in dem die Liebe über allem steht. Vater lachte appetitlich und sagte, sich die Lachtränen abwischend:

„Mein Gott, bist du ein Kind geblieben. Ja, ja.“

Auch Mutter widersprach ihm. Sie glaubte, mich sozialisieren zu müssen, und so hatte ich das Glück während meiner Lyzeumszeit verschiedene Kurse zu besuchen und Ausflüge zu machen. Besonders viel durfte ich die Sommersonne des Deltas genießen, besonders in Sulina, wo Vater Baustellenleiter war.

Auch dort hielten die Leute Schweine, aber nicht vorwiegend. Im Delta patrouillierten öfter die Esel und Gänsescharen auf den nicht bepflasterten Straßen voller Kieselsteine und Sand. Durch das Schilf des Deltas sah man ab und zu auch Wildschweine, klein von Wuchs, nicht so wie die furchteinflößenden in den Zeichenbüchern, wo ohnehin alle Tiere ziemlich überdimensioniert waren.

Das zweite Schwein hieß Gery – ein Lieblingsname meines Vaters, ein Schwein mit noch mehr Freiheiten als das erste; viel mehr weiß ich aber nicht von ihm. Auch es wurde nicht an Weihnachten geschlachtet. Dann war Vater von seiner Aufzuchtmanie geheilt, denn er konnte die Viecher nicht schlachten und aufessen. Gery aber brachte uns noch mehr Probleme, es überstieg den Zaun des Schweinestalls, kletterte auf einen Bretterstapel am Schuppen und blickte in die Ferne. Mihăițăs Mutter, Mama Lila, weinte anscheinend noch mehr und verbarg den Kopf unter dem schwarzen Kopftuch, sich unter Wut- und Schmerzseufzern bekreuzigend.

„Mamachen, das ist der Teufel, ihr seid verflucht“, rief sie über den Zaun, „holt es schnell herunter, denn es ist der Tod des Stadtteils.“

Das arme Schwein wurde mit Gewalt vom Schuppendach heruntergenommen, aber diese Probleme hörten erst auf, als es wegen seines Gewichts nicht mehr klettern konnte.

Sie können sich nicht vorstellen, mit welchen Problemen und welchem Gerede meine armen Eltern konfrontiert wurden. Sie hatten eigentlich nur ein einziges Manko: Sie konnten sich ihr Schwein nicht selber schlachten, denn es zu verzehren, hätte ihnen jede große Familie in Rumänien geholfen.


[aus dem Rumänischen von Anton Potche]


*Worterklärungen
- I.F.A. (Institutul de Fizică Atomică) = Institut für Atomphysik - besteht seit 1956 in Bukarest
- Ignatie (Ignatie al Antiohiei) = Ignatius von Antiochen, Märtyrer sowohl der römisch-katholischen als auch der orthodoxen Kirche
- Schunke (rum.: șuncă) = Schinken
- CEC (Casa de Economii și Consemnațiuni) = Spar- und Konsignationskasse
- CAR (Casa de Ajutor Reciproc) = Gegenseitige-Hilfe-Kasse
- ADAS (Administrația Asigurărilor de Stat) = Verwaltung der Staatsversicherung
- Statt 10 habe ich eine 4 bekommen = 10 ist im rumänischen Schulsystem die beste Note und 4 die schlechteste (mit ihr hat man eine Prüfung nicht bestanden)



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