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Ein Krone aus Veilchen von Geoffrey Trease
prosa [ ]
Übersetzung aus dem Englischen. Ab 12 J.

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
von [Szeren ]

2013-07-16  |     | 



Für J. und ihre Freunde, die Griechisch gewählt haben

Ein Ausflug ins Theater

„Schulfrei heute! Hurra, hurra!”
Alexis war mit einem Mal hellwach. Jeder wäre das, wenn ein jüngerer Bruder lärmend ins Ohr singen muss.
Er setzte sich auf, die Lederbänder unter seinem Bettlager dehnten sich mit Quietschen. Durch die engen, verschlafenen Augen - die ihn noch faunähnlicher aussehen ließen als gewöhnlich – sah er, dass es draußen im Garten kaum ganz hell geworden war. Es war jedoch hell genug, um die verärgerte graue Gestalt von Theo im Raum auf und ab gehen zu sehen. Er tastete nach dem Polster hinter sich, mit hörbarem Gähnen.
„Schulfrei heute”, jauchzte Theo.
„Hurra! Hurra, nein –!” Das Kissen brachte ihn aus dem Gleichgewicht und mitten im Satz kollabierte er. Er sprang gut gelaunt wieder auf die Beine, sein rundes Gesicht strahlte.
„Wirst du jetzt wieder herunter kommen?”, verlangte Alexis und knautschte seine freien Schultern wieder unter die purpurfarbene Decke. „Und wehe, du wagst es, dieses Kissen zurückzuschießen”, da Theo durchaus diesen Gedanken abzuwägen schien, „du bekommst meinen Hausschuh zu kosten!”
„Ich habe es nur angesehen”, protestierte Theo. „Es ist offen, ich habe Federn über und über.”
„Was hast du erwartet? Du musst mitten in der Nacht zu krähen beginnen, wie ein gesegneter Hahn.”
„Es ist nicht Mitternacht – der Himmel wird sichtlich klarer und im Licht weicher”, sagte Theo würdevoll, und benutzte dabei einen Ausdruck der Erwachsenen – die er vorzugsweise aufschnappte und in seine Konversationen einfügte.
„Ist dir bewusst, was dies für ein Tag ist?”
Alexis setzte sich auf, diesmal kerzengerade, er warf die Decke beseite und schwang seine Füße auf den Boden.
„Bei meinen Sternen! Das Theater-Festival!”
Er war jetzt vollkommen wach. Seine schmalen braunen Augen leuchteten.
„Sicher,” sagte Theo, „drei Tage schulfrei!”
„Das ist alles, was du dir dabei einfallen lässt, faules kleines Ding.”
Alexis streckte seine Arme aus. „Also. Ich habe die Schule hinter mir jetzt.”
Theo grinste. „Das mag dein Gedanke sein – Vaters ist es nicht. Du musst weiter studieren, höher hinaus –”
„Ich gebe dir ein paar niedere Studien, wenn du nicht aufpasst!” Alexis bereitete einen Tritt vor, den er aber nicht vorhatte abzugeben, da er noch barfüssig war. Theo krakeelte vor gespielter Furcht, stracks sprang er über sein eigenes Bett, dann über das leere neben der Türe. Das war Phillips, aber der, neunzehnjährig, legte sein zweites Jahr Militärdienst an der Grenze ab, und hatte es nicht geschafft zu dem Festival nach Hause zu kommen.
Heil am Türfalz angekommen, begann Theo zu verhandeln. „Bring mir doch mein Handtuch”, bettelte er, „dann hole ich das Wasser.”
„Oh, in Ordnung”, brummte Alexis. Er genoss es, Theo anzubellen, biss aber sehr selten. Er hob beide Handtücher und folgte seinem Bruder in den Hof. Über ganz Athen verstreut, krähten sämtliche Hähne. Das Fleckchen Himmel, das die Gebäude umschlossen hielten, hatte von dunkelblau bis hin zu austergrau gewechselt, obschon ein schmaler Sichelmond mitten unter den Zweigen des Feigenbaumes hindurchschien.
Theo beugte sich über den Brunnen. „Argus ”,
der Hund, dessen Namen sie dem treuen Tier der "Odysee" entnommen hatten, beschnüffelte zuerst seinen Brustkorb von hinten, dann klebte er seine kalte Schnauze an Theos Haut.
...


Die Phantom Flöte

Die drei Tage, die dem Theaterfestival folgten, erschienen öde im Gegensatz zu der Begeisterung des letzten Abends, an dem alle umjubelten Publikumslieblinge nach vorne gerufen waren und Feten die ganze Stadt übersät hatten.
Theo ging so wie gewöhnlich los zur Schule. Alexis und sein Vater zogen zu Milons Haus, wo Alexis seine Lektionen in Rhetorik empfing. An diesem Morgen allerdings litt er unter starkem Kopfschmerz („zu lange gefeiert, gestern abend“, murmelte Alexis), selbst die Entschuldigung wurde ihm überbracht vom Pförtner. Er würde keine Schüler heute empfangen.
Nach dieser Zeit der Langen Reden und auswendig gelernter Poetik-Vorträge lud Athens Umgebung zu vielen kleinen Exkursionen ein. Vor Jahren hatten sie sich ewige Freundschaft geschworen genau wie die Freundespaare der alten Zeiten, wie Achilles und Patroklos der Illias, Alexis und Lucian, der ein Stück weiter weg wohnte, und deren Väter als Soldaten und später als Offiziere der gleichen Division gekämpft hatten. Alexis hatte sich immer als vom Glück auserwählt betrachtet, als Lucians einzig bester Freund zu gelten, weil Lucian jeden hätte haben können. Andere Jungen umschwärmten ihn als wenn ein Obstkorb von Bienen umschwärmt wird.
„Dein großes Plus ist“, hatte Lucian ihm einmal bekannt, „dass du niemals hinter mir her gerannt bist und langweilig geworden wärst. Und du bringst mich zum Lachen, oftmals.“
Ein Kuckuck rief aus dem Eichenwald. Veilchen sprossten als Farbflecken aus dem dünnen Torf des Bergrückens. Sie wuchsen aus der Erde Anfang Dezember, ringsum die ganze Stadt, und man konnte sie bis Mitte Mai zu Sträußchen pflücken.
„Reichlich Wasser, das noch immer herunter fließt,“ sagte Lucian.
Den ganzen Mittsommer hindurch, war der Ilissus schier ausgetrocknet, eine Kette von versinkenden Tümpeln, die nur von dünnen Strichen weißen reinen Kieses verbunden blieben. Aber noch nährten den Fluss die Schneeüberreste des letzten Winters und die der Regenfälle des Frühjahrs. Da entstanden Schnellen von verspieltem Schaum und geglättete Kurven von Wasser, welches über querliegenden Steinbruch ein paar langen grünen Haarsträhnen ähnelte das vornüber am herabgleiten war. Unter diesen Katarakten waren stille, durchscheinende Teiche, so dass jeder Kieselstein am Grund auszusondern gewesen wäre.
In einem dieser Teiche schwammen sie. Es war beißend kalt, denn die Sonne wurde in den Maschen der darüber hangenden Blättern gefiltert. An den Stellen wo das Wasser die Sonnenstrahlung einfing, warf es sie in sonderlichen, regenbogenfarbenen Lichtkreisen zurück, welche auf den schattigen grauen Felsflächen zitterten. Alexis hätte minutenlang ihr Schauspiel beobachten können.
Lucian spritzte ihm Wasser ins Gesicht, tauchte im Tümpel wie ein Delfin. „Aufwachen, Alex! Oder bist du versteinert worden?“
Sie ärgerten eine Weile einander, dann kletterten sie hinaus in den trockenen, hellen Sonnenschein, welcher auf ein Sims oberhalb des Teiches herabfloss. Funkelnd vor Nässe, ähnelten sie Steinfiguren, Alexis einer aus Bronze und Lucian elfenbeinfarben.
„Ich wollte wir hätten etwas Oliven-Öl“, murrte Lucian. Alexis lachte. „Du beginnst damit, eine Ölflasche mit dir herum zu tragen.“
„Ich bin nicht ein solcher Snob. Das überlasse ich den jungen Dandies. So wie dieser Typ, der Hippias.“ Lucian verzog die Lippen verachtungsvoll. Öl-Flaschen umhertragend, so etwas konnte wer lange Haare trug, sich Wohlgerüche leistete und Schmuck zu tragen pflegte. Es war das Markenzeichen der besten Familien, die das Ansehen in ihren eigenen Augen hatten. Andere Athener hatten nicht so schmeichelhafte Bezeichnungen für sie übrig.
„Sage mir einmal wieder“, began Lucian, „was du dir zu seinen Ehren ausgedacht hast.“
Alexis wiederholte die Verse. Er fuhr fort, folgte einer Eingebung, noch andere hinzuzufügen. Lucian lachte bewunderungsvoll in sich hinein.
„Grad so is´ fein!“
„Oh, ziemlich einfach. Es fließt einfach, wenn du in der rechten Verfassung dazu bist. Ich wünschte, ich könnte echt Dichtung verfassen.“
„Wie Homer?“
„Himmel, nein! Niemand könnte so etwas wie Homer schreiben, heutzutage.“
„Wie dann?“
„Euripides.“
Lucian sah in verwundert an. „Mein Vater stimmt mit Euripides nicht überein. Er nennt ihn einen `furchtbaren Menschen`. Sie erzählen seine Mutter war nur eine gemeine Marktfrau, eine die Gemüse verkauft, und er hat sich von seiner Frau geschieden, und – “
„Das ist nur Gerede“. Manchmal fand Alexis diesen Freund eine Färbung zu scharf und anstößig. Lucian hinterfragte einfach niemals etwas, so konventionell er war. „Ich würde nicht sehen, wie diese Dinge seinen Stücken zum Schaden werden könnten.“
„Vater mag auch seine Schauspiele nicht. Er sagt, sie bringen zu viele Gedanken in die Köpfe des Volkes.“
„Man sollte meinen, dass diese eine gute Idee sei. Dabei bedient er nur Maulaffen.“
„Oh, du weißt was ich meine. Ich werde mich nicht streiten,“ beteuerte Lucian, indem er über den Felsbrocken rollte, um die letzten Feuchtigkeitstropfen von seinen Schulterblättern zu trocknen. „Denn was auch immer ich sage, du kannst es immer irgendwie verdrehen. Aber mein Vater weiss, wenn er von etwas spricht, und er ist etwas älter als du.“
„In dem Fall, sollte Euripides der weiseste Mensch sein – von allen,“ sagte Alexis mit einem Schimmer in seinen braunen Augen, „denn er ist siebzig Jahre alt, falls es darauf ankommt.“

Vom Schwimmen erfrischt, zogen sie ihre Togen wieder um und wateten weiter in der Mulde des Rinnsals, ihre Sandalen in den Händen, so dass sie durch die schalen Stellen hindurch plantschen konnten, wie es gerade bequem war.
„Ich mag es hier oben“, sagte Alexis, „meilenweit entfernt von allem und auch jedem.“
„Was war das?“ Lucian brach plötzlich ab – seine rechte fasste einen schlanken Baumstamm um sich zu stützen darauf, seine Füße kamen zum Stehen auf einem sonnengebackenen Querstein.
Alexis konnte nicht außer dem Abwärtsfluss und den Gurgeltönen der Sales in den Schließstellen der Steine hören. „War es wieder dieser Kuckuck?“
„Nein, es war Musik.“
„Musik, hier oben?“
„Mich dünkt so. Eine Art Flötenton. Aber es kann sicher nicht echt sein, sicher doch nicht?“
„Nicht, wenn es nicht Pan selbst war! Es gibt doch keine sterblichen Schäfer hier in diesem Bereich.“ Alexis sprach leicht hinweg. Lucian sah ihn nervös an.
„Sage solche Dinge doch nicht, Alex.“
„Aber keiner würde Schafe grasen lassen oder Ziegen hier hüten – “
„Ich meinte das nicht. Du solltest den Namen eines Gottes nicht in dem Ton erwähnen. Allen könnte doch passieren…“
Alexis grinste. „Jawohl, doch habe ich von Pan niemals gehört dass er so nahe bei Athen zu Vorschein kommen sollte. Es wäre doch interessant ihn zu sehen.“
„Oh, so schweig lieber!“ flehte Lucian ihn an. „Es bringt nichts, die einen der Götter zu sehen.“
„Hast du je einen kennen gelernt, der es tat?“
„Nein. Aber es gab Fälle zur Genüge in der Vergangenheit.“
„In einer sehr blassen und entfernten vergangenen Zeit,“ gab Alexis zu. „In der Tat, wären diese Dichter in einer misslichen Lage, ohne diese. Wie war denn die Musik?“
„Oh, sie war – komisch. Nicht so, wie alles was ich bisher so gehört habe.“
„Wie dem auch sei, ist dein Vater nicht auch gegen Flöte?“, fragte Alexis voller Schläue.
„Doch“.
„So auch meiner. Er wollte mir keine Stunden geben lassen. ´Die Lyra ist das Instrument des jungen Herrn´, “ mimte er, „´aber die Flöte ist zu weibisch und zu emotional.“
„Das ist genau, was mein Vater meint!“
„Sie sind alle gleich, “ seufzte Alexis. „Wo sie diese fertig- Meinungen aber her bekommen, alle tönen sie wunderschön gleich? Werden sie den registrierten Bürgern gleichzeitig mit den jeweiligen Wahlzetteln aufgetischt serviert?“
„Ich kann jetzt gerad nichts hören,“ sagte Lucian voller Steif. „Vielleicht war es meine Einbildung.“
„Vielleicht war es die.“
„Möchten wir weiter gehen?“
„Ich denke, wir könnten. Außer du seist wirklich zu erschrocken, einer bestimmen Person zu begegnen, und könntest in den Wahnsinn getrieben werden – oder weiter als bis in den Wahnsinn?“
Lucian schüttelte den Kopf - gewissermaßen von oben herab - und sie gingen weiter. Sie bleiben so nahe am Bach als sie nur konnten, aber manchmal, wenn die Blöcke steile Wände auf beiden Seiten des Wasserfalls nach oben zeichneten, mussten sie hinauf in die Wälder und ihre Weg rings umher hinaufarbeiten. Sie taten dies auch, und sie waren gerade einen steilen Abhang hinauf gekrochen, hervorgekommen, hoch über dem Fluss, so dass er fast verschwandt unter den übergeneigten Bäumen, als Lucian wieder einmal ein hielt.
„Was ist denn jetzt? Was hast du wieder dies Mal gehört?“
„Nichts. Aber ich habe etwas gesehen.“
„Was?“
„Es sah aus wie ein Kopf – “
„Kein Körper angehängt? Wie unangenehm !“
„Sein kein Dummkopf, Alex! Wie du sehen kannst bin ich ernst. Es war weiß wie der Sonnenglanz, unten dort, unter dem Blätterwerk – “
„Wasser, eindeutig“.
„Nein, ich kann es schwören, ein Gesicht habe ich – und einen Arm – “
„Weiß, trotzdem? Und eine bestimmte Person ist immerhin berühmt so braun wie ein Beere zu sein – und haarig wie eine Ziege! Hast du Hörner gesehen? “
„Ich wünschte du würdest nicht mehr so vieles reden, “ gab Lucian zurück. Sie besprachen sich im Flüsterton miteinander, nur im Falle eines Falles. „Glaubst du denn an gar nichts. Glaubst du nicht einmal an Nymphen-Wesen?“
„Das Unding mit dir ist eine dramatische Magenverstimmung.“
„Wie sehr?“
„Zu viele Stücke diese Woche, voller Göttergestalten und Geister! Du hast all das gehabt, dass du sie jetzt sehen – du leidest an einer legendären Leber – “
„Höre!“ sagte Lucian ärgerlich. „Es gibt Geister, welche Flüsse bewohnen. Wenn es keiner war, was war es dann? Kein gewöhnliches Mädchen würde doch her herauf umher wandern.“
„Sicher nicht“, Alexis gab sein Einverständnis dazu. Er dachte an Nicole, die kaum jemals erlaubterweise aus dem Haus konnte. Es gab in Athen Mädchen, welche weniger streng aufgezogen wurden - ärmere Mädchen mussten Arbeit verrichten, einkaufen, und Wasser von den öffentlichen Wasserquellen bringen – dieser Typ Mädchen würde schwerlich einen Fuß außerhalb der Tore setzen.
„Dann – ? “
„Ich habe dir gesagt – es ist die Phantasie.“
„Ist das eine Einbildung?“ Forschte Lucian auf einmal mit einer Stimme, die gleichzeitig wankend und doch triumphierend klang.
Dieses Mal hörte Alexis die Melodie. Es war eine ätherische, beschwörende Musik, die von den blätterigen Rissen unter ihnen empor quoll. Sie reizte ihn. Doch dabei sendete sie einen komisch-schrägen Schauer durch seinen ganzen Leib. Er fühlte ihn in der Magengegend. Seine Lippen waren trocken, aber im Inneren seiner Hände fühlte er langsam Feuchtigkeit hervortreten.
„Ich hatte genug von diesem“, sagte Lucian. „Lass uns zurück gehen.“
„Nein.“
„Du gehst nicht nach unten?“ Lucian griff nach seinem Gelenk.
„Lass los. Ich möchte nur sehen.“
„Du bist toll! Wenn es eine Nymphe ist, magst du verwandelt werden in etwas – “
Alexis befreite sich mit einer Ringbewegung und begann die steile Klippe hinunterzurutschen. In einem Sinne wurde Lucians Warnung wahr. Er war nie mehr vollkommen derselbe nach diesem Augenblick.
Lucian stand für ein paar Sekunden still, Angst rang um die Vorherrschaft über die Treue in seinem Inneren. Dann, weil Alexis sein bester Freund war , zwang er sich herunterzusteigen, unter den Bäumen, wohin Alexis gerade entschwunden war.

4
Die Marmor Grotte

Die wilde Musik verklang plötzlich als Alexis die Balsam-Leander-Zweige zur Seite bog, um das Ufer zu sehen. Die Nymphe hob ihre Augen um den seinen über den Teich zu begegnen. Sie schmetterte einen kurzen Schrei hinweg und sprang hoch. Es war ein sehr untypischer Schrei für eine Nixe, fast am Rande eines Kreisch-Tones, wie ihn Nico ausgestoßen hatte, als Theo einen Salamander auf ihren Rücken gesetzt hatte.
Alexis hatte ihn aufgenommen, und er hatte keine Angst mehr.
„Entschuldige, wenn wir dich verschreckt haben, “ rief er höflich.
„Oh – das ist schon in Ordnung - “ japste sie. Sie war auf dem Sprung gewesen, davon zu rennen, aber nun beruhigte sie sich. Etliche Spannen tiefen Wassers trennten sie. Sie lachte unbeholfen. „Es war so plötzlich, dass ich für einen Moment dachte, ihr wäret keine Menschlichen“.
„Danke!“
„Ich meinte es als Kompliment. Ihr seid so gebräunt – und es war etwas in den Augen, nehme ich an – “
„Ich habe keine Hörner, “ versicherte er ihr mit einem Lächeln, „und schau, ich habe ziemlich gewöhnliche Füße – keine Hufen.“ Er stieg aus den Leander-Sträuchen und stand balancierend am Teichrand, so dass sie sehen konnte dass er nur ein Junge in einer weißen Toga war, blau umsäumt, mit baumelnden Schlaufensandaletten in einer Hand.
Lucian kam zu ihm. Die Augen des Mädchens weiteten sich. Es waren ruhige, grau-blaue Augen. „Noch mehrere von euch ? “ Sie sprach leicht und selbstbewusst, da sie vom ersten Schreck erholt war, ohne schüchtern die Stimme zu senken, traurig, wie die meisten Mädchen, welche sie kannten. Ihre Stimme war nicht unmusikalisch an sich, doch ihr breiter dorischer Akzent kratzte jedes authentische, griechische Ohr.
„Nur wir “ antwortete Alexis. „Kein Grund zur dich zu ängstigen.“
Sie hatte eine Art vor sich leise zu lachen, welche den Jungen wie ein Trick vorkommen sollte. Es war mehr als ein leichtes Lächeln, welches sich über ihre Lippen geziert hatte, zu anderen Malen. „Ich habe keine Angst“, sagte sie kühl. „Ihr könntet nicht herüber kommen, ohne zu schwimmen – und in der Zeit, die ihr für die Hälfte braucht herüber, wäre keine Spur mehr von mir auf dieser Seite. Ihr könntet mich sowie so nicht finden.“
„Lucian behauptete du wärst eine Nymphe, schon die ganze Zeit über!“
„Und ich habe dich für Pan gehalten. Wie lustig!“
Sie setzte sich wieder nieder, und begann ihre dunklen Haare zu kämmen, welches zu dampfen schien, als wäre sie schwimmen gewesen. Sie trug ein gekürztes, Kleid von der Farbe grüner Äpfel, nicht allzu neu, und seit ihrem letzten Waldspaziergang nicht sichtilich abgestrichen.
„Wir sollten zurück kommen,“ murmelte Lucian.
„Die Zeit ist um. Ich bin hungrig – “
„Hungrig? Armer Junge!“ Ihre Stimme klang hoch wie ein Glöckchen, jedoch hier vor Spott. „Habe einige Feigen – fang auf!“ Ein Plopp – wie wenn etwas kurz gefallen wäre, ertönte, und in den Tiefen des Flusses war es versenkt. „Oh, kümmere-mich-wieder, das war mein Fehler! Ich habe noch genug davon, nur dass ich lieber nicht riskiere sie auch noch zu werfen. Kommt herüber wenn ihr wollt davon. Ich habe euch gerade nicht die genau Wahrheit erzählt – es gibt einen ziemlich einfachen Weg her rüber, über jene Felsgesteine von oberhalb, dort.“
Sehr bald saßen sie ihr zur Seite, dankbar Feigen kauend. Sie war schlank, mit kleinen, zarten Zügen, die kaum zu ihrer anheimelnden Art passte, wobei sie starke Ausdrücke im Sprachgebrauch führte. Ihr Name war Corinna, und sie war gerade nur nach Athen gezogen. Davor hatte sie anscheinend viel herumgereist. Sie hatte in Sizilien gelebt, in Syrakusa und Massilien in Gallitien, vordem.
„Aber Mutter hatte immer die Vorstellung davon, dass wir zurück kommen müssen“, sagte sie.
„Zurück ?“ Alexis sprach sie auf das Wort hin an. „Aber ihr seid wohl keine Athener ?“
„Oh nein. Der Himmel weiß was wir sind! Ich wurde in Athen geboren, aber wir sind verzogen als ich ein Kleinkind war.“
„Sie sind zugezogene Fremde“, meinte Lucian. „Augenscheinlich.“
„Trotzdem“, war Alexis Antwort, der ihn ignoriert hatte, „wette ich, du warst aufgeregt von dem Gedanken, nach Athen zu kommen.“
„Nicht als ich endlich angekommen war, hier“, gab das Mädchen - vielleicht vor Überrumpelung - zu bedenken. „Ich kann den Ort nicht ertragen.“
„Was ?“ Beide Jungen setzten sich auf und betrachteten sie mit groß geöffneten Augen voller grauenvollen Schreckens. Verachten – Athen? Es war ein wahres Wunder, das sich das Erdreich nicht öffnete und sie verschlang.
„Ich habe ein paar mittel alte Städte gesehen, und ich kann euch sagen, Athen stinkt schlimmer als jede von ihnen. Eng, mickerige Sträßchen, hier eine Kurve, dort eine Biegung, und überall wie ein gesegneter Irrgarten! Dahingegen ist Pyrhaeus schwer in Ordnung – Straßen, die weit sind, so schön gepflastert – “
„Wie die Stäbe am Gusseisen-Grill! “ entgegnete ihr Alexis. „Oh Pyrrhaeus ist sehr fein und modern – zufälligerweise hat es Athen geplant und gebaut – aber es ist nur unser Seehafen. Es ist nicht historisch, und heilig, wie die Stadt selbst.“
„Warst du oben auf der Akropolis,“ verordnete sie Alexis. „Da ist kein Tempel in ganz Griechenland nicht, wie der Parthenon,“ meinte er kopfschüttelnd.
„Und das Bildnis der Athene drinnen“, sagte Lucian, „Größer sogar als das Bronzene vor dem Tor – “
„Vierzig Fuß hoch!“ stimmte Alexis zu.
„Ihre Gewänder sind aus reinem Gold – “
„Ihr Gesicht und Arme sind Einlegarbeit von Elfenbein – “
„Ich würde alles in der Welt hergeben, sie zu sehen“, versicherte ihnen Corinna. „Ich werde bei Zeiten hingehen, ob meine Mutter mich straft oder nicht. Aber das ist etwas anderes, das ich an Athen nicht mag – “
„Was?“ fragte Alexis, eifrig seine geliebte Stadt zu verteidigen.
„Mädchen scheinen keine Freiheit zu haben.“
„Freiheit?“, echote Lucian aufgerührt. „Für Mädchen ?“
„Warum nicht?“ entwaffnete ihn Corinna ganz sanft. „Mädchen anderer griechischen Städte haben eine viel bessere Freizeit. Sport – “
„Ich hoffe, du bist nicht eine Befürworterin Spartas!,“ wollte Lucian anheben.
Sie sah ihn strafend an. „Stellst du dir etwa vor, dass nur spartanische Mädchen für Sport zu begeistern sind? Die Mädchen in Argive sind es, die in Chios dürfen sogar Ringkämpfe mit – “
„Würdest du ringen wollen?“ Wollte Alexis wissen, seine Augenbrauen in strafender Komik erhoben. Corinna passte nicht in sein inneres Bild von gebräunten, stattlichen Frauen, die einander aus dem Kampfring heben.
„Nein. Sport ist nicht alles. Aber in anderen Städten sind Frauen nicht eingesperrt zu Hause – sie nehmen mit Interesse wahr, was Stadtgeschehen ist, sie schreiben sogar Gedichte, wenn sie wollen – und Männer sprechen mit ihnen, behandeln sie als gescheite menschliche Lebewesen !“
Lucian sah an seiner schönen Nase herunter. „Es gibt auch in Athen welche von ihnen“, gab er zu, „aber es sind nicht Damen. Auch Athener sind es nicht – zugezogene Fremde. So kann sicherlich kein Athener eine heiraten, sollte er selbst eine wollen, weil das Gesetz keinen Mann eine Fremde heiraten lässt. Mein Vater sagt –“
„Da wir von unseren Vätern sprechen“, schnitt ihn Alexis kurz, nicht-wollend dass mehr von Lucians Vater gesprochen würde, dessen Meinung er ziemlich leicht von seiner eigenen her erraten konnte, „was sagt dein Vater darüber, wenn du so in der ländlichen Einsiedelei umher Wanderungen unternimmst? Wenn mir meine Schwester –“
„Ich habe keinen Vater. Ich denke er starb, als ich ein Kleinkind war. Meine Mutter betreibt eine Schenke – sie ist etwas von einem wundervollen Koch. Wir haben uns die Schenke am Marktplatz gemietet, wo der Weg sich zur Akropolis hinauf wendet.“
„Oh, ich weiss. Ich leben in der Nähe dort.“
Es gab eine kurze Stille aus Verlegenheit. Dass Corinna kein kleines, wohlerzogenes Athenianisches Fräulein war, war von aller Anfang an spürbar klar gewesen. Aber – die Tochter einer Gasthaus- Landfrau! Das ging etwas zu weit. Wirtshäuser waren verruchte Plätze, die von allen gesetzten Menschen gemieden wurden. In einem solchen zu leben, eine Mutter zu haben, die eines führte . . .
Lucian sah wieder an seiner Nase herunter und sagte nichts mehr.
„Ich mag es nicht so sehr“, sagte Corinna frei heraus. „Ich entschlüpfe so oft ich nur kann. Mutter ist eher gesellig – Sie hat ihre Launen, wenn bei ihr Strenge herausschlägt, und sie versucht mich dann die Manieren zu lehren, aber zumeist ist sie beschäftigt im Betrieb. Ich komme oftmals herüber. Ich habe eine kleine Höhlengrube gefunden. Wollt ihr sie sehen?“
„Bitte“, sagte Alexis.
„Leiste einen Eid dann, ernst – schwöre bei der Erde und beim Meer – dass ihr es niemandem verraten werdet.“
Sie legten ihr den Eid ab. Lucians Gesichtsmimik nach zu urteilen, hätte sie ihn nicht einmal bemühen müssen. Er sah nicht danach aus, überhaupt jemandem zu erzählen, dass er ihr begegnet war. Sie machte kehrt und rannte leichtfüßig über die geneigten Felssteine in das Dickicht. Sie war in einem Augenblick da, und im nächsten war sie verschwunden. Das Grün ihres Kleides hatte sich im Blattwerk verloren. Der Glanz auf ihrem Gesicht und Arm verirrten sich in der Helle des Widerscheines aus allen Blättern, welche das Sonnenlicht einfingen.
„Hier entlang! “ rief sie, und sie stoben ihr hinterher. „Kommt weiter! “ rief sie, als sie zögerten.
So leitete sie sich eine knappe Kletterei aufwärts, in eine Mulden-förmige Einbuchtung des Berges. Ein Blick sagte Alexis dass diese nicht natürlichen Ursprungs war. Das turmartige Klippenäußere, das es an drei Seiten umschloss, war von Arbeitern heraus geschnitten worden, jedoch vor geraumer Zeit schon, sodass überall das buschige Dickicht hervorspross. Es war ein alter Steinbruch. Der Marmor schaute durch die dünne rote Erdschicht – ein violett-durchzogener Marmor so wie der welcher für die Kunstwerke am Akropolis Berg benutzt worden war, und der Athens beliebtesten Spitznamen Ehre gebracht hatte, als „der Stadt der violetten Krone“.
Corinna leitete sie über den Boden des Bruchs. Es war ein Dickicht von blühenden Fliederbäumen und von Leander-Sträuchen, die bald in Blüten ausschlagen würde, in weißen, rosa und roten Blüten. Wasser floss samtig plätschernd aus dem Gestein herunter, ein dünnes kristallener Faden Wasser. Plötzlich verschwand das Rinnsal irgendwo. Sie stolperten ein paar Schritte vorwärts, machten dann Halt, um die Zweige zur Seite zu biegen, und in alle Himmelsrichtungen auszuschauen. Ein paar Flötenschläge mehr, eindeutig, kühl und spöttisch schlug eine Flöte an, veranlasste sie sich im Kreis umher zu drehen und empor zu schauen, hinauf auf die Außenfläche des Bruchs.
„Hier, “ rief sie. „Setzt eure Füße in die Verzweigung des Baumes, dort – es ist so einfach wie treppauf zu gehen.“
Sogar Lucian, der als letzter hinauf geklettert kam, musste zugeben, dass ihre Höhle ein verlockender Ort war. Es war ein schmaler Spalt im Felsen, etwa sechs Fuß über dem Boden des Bruchs, versteckt hinter den oberen Zweigen eines Flieders. Als sie so da standen, eng eingepfercht in dem Spalt, etwas Luft schöpfend, hatten sie eine Vorstellung der großen Entfernungen zwischen den überhängenden Massen der Blüten – der grünen Ebene und der weißen Großstadt, und der See jenseits davon, weit weg.
„Es ist ein bisschen zerquetschend hier,“ entschuldigte Corinna sich, „aber genau-genommen, habe ich noch niemals etwas Amüsantes unternommen, zuvor.“ Sie schlüpfte zurück in den schattigen Spalt. „Er weitet sich hinterher noch. Ein gewöhnlicher Höhleneingang.“
„Es geht eine lange Strecke nach hinten,“ schätzte Lucian. „Es wäre spaßig, Fackeln mitzubringen und zu sehen wie weit es führt.“
„Es wäre das nicht“, riet sie ihm. „Ich habe eine kleine Lampe, die ich hier behalte – nur denke ich, dass alles Öl aufgebraucht ist. Ich bin einmal ziemlich weit hinein gegangen, aber es sah nicht sicher aus.“
„Sicher?“
„Einmal gab einen Steineinfall. Ich würde es nicht leiden einen anderen zu erleben, wenn du da unten stehst.“
„So ginge es Lucian auch,“ meinte Alexis. „Persönlich bin ich mehr als zufrieden mir deiner Empfangshalle. Sie ist nicht so dicht gedrängt, und die Aussicht aufs Meer, obwohl etwas eingedämmt, ist lediglich..., einfach zauberhaft !“
Sie schenkte ihm nur einen ihren fast-stillen Lacher. „Du redest echt lustig, Alexis. Ich mag das.“
„Ich lehre es dich, lustig zu sprechen, wenn du magst,“ bot er ernst an. „Damit meine ich gutes Athenisch – das reinste Griechisch, das es gibt.“
Sie schüttelte ihren Kopf. „Ich weiss nicht, ob ich das möchte. Aber wenn du mich besser lehren würdest zu lesen und zu schreiben – “
„Kannst du es nicht? Nein, ich nehme an, wenn deine Mutter so – na, so beschäftigt ist – “
„Ich habe ziemlich viel aufgeschnappt, ich kann Briefe schreiben und Rechnungen führen, aber ich wünschte ich könnte Bücher lesen.“
„Ich kann dir helfen.“ Er versprach es, „zu einer Bedingung.“
„Welches wäre diese?“ Ihre ehrlichen Augen wurden sehr schmal.
„Dass du mich lehrst, Flöte zu spielen.“
„Ich werde mein Bestes dazu tun.“
„Ich wollte das immer. Es wird dabei auf uns herab gesehen, weisst du. Es ist in Ordnung im Theater, und es ist in Ordnung auf Feiern für Angestellte zu spielen, aber es ict nicht das Geeigneste für einen Gentleman. Die Musik ist zu wild, und man macht so unwürdige Grimassen, wenn man bläst.“
„Das ist gelacht!“
„Ich sage,“ unterbrach sie Lucian voller Dringlichkeit, „es wird schrecklich spät. Wir sollten uns aufmachen, zurück zu gehen.“
Alexis sah Corinna an. „Kommst du?“
„Nein, ich bleibe oben hier noch ein wenig länger. Ich möchte bis zur Schlafenszeit aus dem Weg sein. Macht euch keine Gedanken meinetwegen.“
„Richtig.“ Lucian hatte sich schon auf den Boden fallen lassen. Alexis schwang sich über den Flieder hinunter. „Vergiß nicht, mir das Flöten beizubringen, irgendeinmal.“
Während sie nach Hause trotteten in den länger-werdenden Schatten der Ulmen, sagte Lucian: „Du musst sicher Spaß gemacht haben? Es könnte lustig sein, eines Tages zurück zu gehen, wenn wir sicher sein könnten, dass sie nicht dort ist – aber du kannst nicht gewollt haben, sie wieder zu sehen.“
„Warum, nicht?“
„Aber Alex – ein Mädchen wie das, eine Fremde, die in einem niedereren Gästezimmmer lebt! Ich dachte sie ist einfach furchtbar. Ein einfaches kleines Flittchen. Ich habe nie auch nur für einen Augenblick damit gerechnet – “
Noch hatte Lucian für einen Augenblick erwartet was Lautes folgte – die Ohrfeige, welche auf seiner Wange jetzt landete, und die seine Rosen welche schon so sehr bewundert worden waren von all denen, die seine jugendliche Blüte zu schätzten, noch roeteten. Einen Moment später, rangen die Freunde in ewiger Bruderschaft einander fieberhaft im Staub wälzend.

5
Der Ritt mit den Fackeln

„Sag, dass du es bereust!“ japste Lucian, der rittlings seinen Freund festhielt.
Alexis hörte auf zu kämpfen und zu heben. Das kurze Ring-Balgen hatte ihm geholfen seinen Zorn abzubauen, und sein natürlicher Sinn für Komik begann zurück zu kehren. „Es tut mir außerordentlich leid – “; rief er aus, „Leid, dass du auf meinem Magen sitzt –“
„Das meine ich nicht, ich meine, Leidtun, dass du mich geschlagen hast.“
„Nun, das war die Ursache, welche zur Folge geführt hat,“ sagte Alexis, der wie ein Philosoph zu bedenken gab, „folgt nun, wenn mir die Folge Leid tut, logischerweise, auch die –“
„Ach, verschluck´s. Ich glaube du könntest in jeder Position, streiten. Bereust du es, in mein Gesicht geschlagen zu haben? Ja oder nein?“
„Also, einerseits –“
„Ja oder nein,“ warnte Lucian. „Ich denke, ich übe für den Ritt mit der Fackel.“ Sie sollten beide in einigen Tagen an einer Reit-Tour für Jungen teilnehmen. Lucians Gedanke dafür zu üben, war ein paar Reit-Bewegungen auf dem Magen seines Freundes durchzuführen, in gleichmäßigen und häufigen Zeitabschnitten ließ es sein gesamtes Gewicht dabei ganz auf ihn, und quetschte dabei das meiste seiner Atemluft durch den Aufprall aus ihm heraus.
„J-j-ja!“ Alexis schaffte es im dritten Versuch Luft zu holen. Lucian stieg ab, und beide kamen wieder auf ihren eigenen Füßen zum Stehen. „Achte du,“ gab Alexis zur Antwort, „das beweist überhaupt nichts, was auch immer, außer dass du größer bist als ich. Was wir vorher bereits wussten.“
Lucian war weise genug, nichts mehr über Corinna selbst zu sagen. Aber als sie in das Licht des Sonnenuntergangs traten, erklärte er, was er im Allgemeinen von Mädchen hielt. „Sicher muss ein Mann heiraten und eine Familie, früher oder später, gründen, aber Mädchen sind eine rein Zeitverschwendung, bis dahin. Mein Vater sagt, dass dreißig das ideale Heiratsalter ist, und bis dahin hat ein Kerl, genügend andere Dinge, über die er sich Gedanken machen braucht, über – Spiele und die Armee, und über Freunde, habe. Er sagt, Freundschaft ist das Größte überhaupt im Leben. Du könnest mit dem anderen Geschlecht keine Freundschaft pflegen, meint er – sie können keiner intelligenten Diskussion folgen –“
Alexis erinnerte sich an Corinna, und wunderte sich. „Oh, nein,“ murmelte er mit einer so sanften Ironie, dass Lucian sie zu übersehen schien.
Lucian sprach weiter, und er gab noch mehr nicht-überprüfte Antworten, und beide gingen weiter heimwärts. Die Sonne, welche vom Horizont her voll in ihre Gesichter schien, erfüllte den ganzen West-Himmel mit goldenem Glanz, und ihr gegenüber knospte die Akropolis wie ein großer purpurner Farbschatten, welcher auf den Dachspitzen der Stadt ruhte
Lucians Vater könnte Recht haben, dass Freundschaft das Höchste im Leben war. Die meisten Athener, Jungen wie auch Männer, hätten ihre Übereinstimmung sicher geben können. Lucians und Alexis´ Freundschaft doch, war eines stärkeren Stadiums geworden, als beide es zuerst zuzugeben Gelegenheit gehabt hätten.
Sämtliche Daten wurden von dem Fackelritt nicht gänzlich in ordentliche Bahnen gebracht. Er bedeutete eher eine Neuheit, vornehmlich für die jungen Leute mit ihren Lieblingspferden. Relay Wettritte mit Fackeln nahmen eine bekannte Tradition unter den Sportwettkämpfen seit Menscheneindenken ein, aber es waren kaum ein und einhalb Jahre vergangen seit jemand den hellen Gedanken gehabt hatte auch Wettrennen mit Spießen im bewaffneten Rennen zu veranstalten. Demfolgend war es lediglich eine Zeitfrage wie lange die beiden Jungen, die schon ihre eigenen Fussritte bestanden hatten, dafür benötigen würden es den Männern in diesem Unterfangen gleich zu wagen.
Die Wettrenn-Proben der Jungen mit der Fackel waren als die bestehenden Hauptprogrammpunkte des diesjährigen Posseidon Festes angedacht. Dieser Anlass war dewegen dazu geeingnet, da es Posseidon gewesen war, der außer Meeresgott zu sein, auch der Menschheit zum Geschenk das Pferd gestaltet hatte. Er brachte den Menschen die Verwendung der Halfters bei und, zu einem nebligen Moment in der entferntesten Vergangenheit, wurde auch das allererste Sportrennen ins Leben gerufen.
Es gab zehn unterschiedliche Teams, wie denn die Gewohnheit war, eines für jede Division oder Rubrik, die ein Register-Blatt des Einwohnerverzeichnisses zu repräsentierte. Beide Freunde ritten unter dem Leontis Abzeichen. Dieses war keine außerordentliche Ehre, wie es so noch klingen mochte, daher dass dieses Ereignis ein totales Experiment blieb, und die unerfahrenen Reiter noch mit unbekannter Qualität daherkamen. Es stand vornehmlich unter der Ungewissheit, wer sich eigentlich überhaupt ein Reitpferd unter den Nagel reißen konnte, weil nur sehr wenige Leute eines besaßen. Lucian hatte diesen gut-situierten Onkel der ihm ein paar Sprünge spendieren konnte, und es war keine Leistung für Lucian gewesen, sich selbst und seinen Freund einzuschreiben, die acht Fackelträger eingerechnet, welche die brennenden Stümpe für Leontis dabei trugen.
"Bliczpfeil ist in der Tat das lebende Zeugnis ihres Namens", meinte er, zu Alexis gewandt. "Sie ist ein Jet, im wahren Sinn des Wortes. Thessalia - diese Leute sind wahrhafte Pferdezüchter, dort drüben. Und gleich neben ihr, da ist Star auch schön beweglich."
"Ich mochte Star sofort, schon am Tag als wir sie beide zuerst versucht haben."
"Dennoch - um ehrlich zu sein - hatte ich erst gemeint, dass du den Blitz einreiten solltest. Doch Onkel hatte Bedenken, da ich mit ihr im Umgang gewohnt war und zudem schwerer als du bin - -"
"Sicher. Ganz dolle gut von ihm, mir das zuzutrauen."
"Ich habe gewusst, dass du die Sachlage verstehen würdest. Schau mal, Alexis, umständlich ist nur, an den Fackeln da drüben vorbei zu kommen. Wir sollten ehrlich üben. Wir können jetzt jeden Abend Zugang zu den kantigen Vierbeinern bekommen - wie steht es damit?"
Lucian war derart darauf erpicht, dass Alexis es ihm nicht ausschlagen wollte. Natürlich hatte es auch sehr angenehme Erlebnisse bereit, nach einem geschäftigen Tag in der Kühle auszureiten. Er mochten den kurzen, ausschöpfenden Gallop bis hin zum Wechselschritt sowie den spannenden Moment, wenn sie es schafften dicht an dicht zu trabben, indem sie einen Stab von der Hand des einen in die des anderen vergaben. Aber es benötigte Zeit, und seine Tage waren gegenwärtig erheblich ausgefüllt.
Jeden Morgen pflegte er stundenlang mit Milon, dem Sprachprofessor für öffentliche Vermeldungsarbeit, zu verbringen. Das bedeutete Grammatik und Logik, Stimmproduktion und die Körpersprache einzustudieren. Es bedeutete seinen Verstand mit nützlichen Zitaten und geschickten Andeutungen zu stopfen, und es zu erlernen, Menschen mit Argumentation, die ihnen am meisten einleuchten, zu füttern, ungeachtet der Tatsache, ob diese Argumente richtig sein oder falsche Bedeutungen einherführten. "Denkt immer daran, zu wem ihr sprecht," erinnerte Milon mit einem schlauen Lächeln. "Eines könnt ihr einem Publikum von gut beseiteten Männern darbieten, einen ganz anderen Aufbau benutzt aber zu einem ärmlichen Haufen. Argumente, die den jüngeren Generationen zusprechen, mögen nicht die allerbesten Anspielungen für die älteren Semster einnehmen - und umgekehrt." Alexis konnte eine Problemstellung so sehr wie jeden anderen erfreuen, dennoch nahm er all diese Verlautungen als fabriziert und unehrlich wahr. Er wollte zudem sowieso nicht als öffentlicher Redner auftreten, trotzdem fuhr er fort in die Unterrichtsstunden von Milon geduldig weiter zu gehen und die von ihm erwarteten Übungen mit Sorgfalt vorzubereiten. Er musste zudem auch den ersten Teil seiner Nachmittage im Gymnasium oder auf dem Sportfeld verbringen, dahingehend dass er kaum einen Augenblick Zeit für sich selbst hatte, um etwas zu schmökern oder die Gedichtfragmente niederzuschreiben, die oftmals in seinem Inneren auftauchten. Deswegen sagte er eines Abends, als sie nach dem Sonnenuntergang der auf ihren dritten Wiederholungsritt folgte, in heimelige Richtung schritten, "Morgen, wenn du nichts einzuwenden hast, werde ich mal daheim bleiben."
"Aber - aber es sind doch nur drei Tage noch bis zu dem Aufritt!"
"Ich weiss. Einen Exerzierritt sollte ich noch mitmachen."
"Es scheint dennoch eine Schande zu sein, ein ganzes Schiff für eine Ladung Teer zu kentern," murrte Lucian. "Letzten Endes, macht nur die Übung den Profi."
"Mit all dem Üben, wirkst du dich nur aus.... Es lastet auf dir als Langweile -
"Es tut mir leid, wenn es dich gelangweilt hat."
"Ich dachte an die Pferde," sagte Alexis wahrheitshalber. "Ich sehe, dass sie jetzt einen Hang dazu entwickelt haben, und ich bin nicht überzeugt, dass sie sonderlich spaßig da bei der Sache sind, wenn man andauernd nur dasselbe trainiert. Ich war in meinem Element, aber ich muss auch etliche Zeit für noch andere Dinge haben."
"Was für andere Dinge?", Lucians Stimme war so konsterniert, dasss Alexis eine Zögerung vornahm bevor er antworten konnte. Lucian misverstand seine Einrenkung. "Du musst mir nichts verraten - ich kann mir denken - das Mädchen, das wir ansahen -"
Alexis starrte vor sich hin. Es hatte seine Richtigkeit, dass man nict sagen konnte, er habe nie an Corinna gedacht seit dem betreffenden Nachmittag. Er starrte gedankenverloren - mehr denn ein Mal. Er mochte sie, war von ihr amüsiert und interessiert, mehr von ihren unüblichen, für Athen untypischen Gesichtspunkten zu kennen. Er hatte sogar ein Auge offen gehalten, als er in der Nähe des Gasthauses ihrer Mutter und ihres Brunnens vorbei gekommen war, wo die Frauen des Quartiers wie Träublein umherstanden, die selbst keinen eigenen Wassereinlauf (Wasservorrat?) im Eingangsbereich ihrer Häuser hatten. Aber er hatte sie nicht wiedergesehen, noch einen Plan entworfen es zu tun.

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