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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2009-09-27
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“Noch Kind”, erst 17 Jahre alt, aber schon “Feind des Volkes”, gab ich Aufnahmeprüfung an der Philologiefakultät der Universität in Cluj mit dem „für alle Ewigkeit vereinten Namen Babeş-Bolyai“ (die traditionelle rumänisch-ungarische Freundschaft, wie die Parteiaktivisten sagten, zu jener Zeit in der Regel bessarabische Juden und sogar reine Ungarn). Die Wahrheit ist, dass uns, Anwärter auf die Studentenschaft, die Titulatur der hohen Schule am wenigsten interessierte und wir die gleiche Wertschätzung für beide Wissenschaftler empfanden, für Victor Babeş, der die Höhlenforschung erfand, wie auch für Bolyai Farkas, der Erfinder einiger wichtiger mathematischer Formeln. Viele von uns „stocherten“ nur ungarisch herum, aber ganz gut konnten wir in dieser mit Humor so aufgeblähten Sprache fluchen. Es lief vor Jahren ein Film „Mateiaş der Gänserich“ (Ludos Maty) mit dem großen ungarischen Komiker Lotobar, bei dessen Auftritten in dieser Universalsprache der kontaminierten Fröhlichkeit wir uns vor Lachen verbogen. Die Ungarn konnten alle Rumänisch, aber auch sie benutzten die Muttersprache, wenn es drauf ankam, uns zu verfluchen. Wir haben zwar auch unsere deftigen Flüche, aber die sind zu kurz und kategorisch, wie uns der gottseelige Al. Paleologu* in dem herrlichen Essay „Folkloristische Glosse” aus seinem genialen Band „Charakter als Paradox” zeigte, während die ungarischen nicht mehr enden, wie ein Wasserfall auf den Kopf des bedauernswerten „Benefizianten“ herabstürzen. Wie auch immer, mit oder ohne Flüche, die rumänisch-ungarische Harmonie war einwandfrei. So schrieben zumindest die Zeitungen, nur ein paar Schlägereien zwischen den Banden aus Gruia oder Mănăştur, einige kriegerische Eitelkeiten, chauvinistische Reibereien um zwei Lei* usw.
So dass wir alle bunt gemischt, Rumänen, Ungarn, Deutsche und andere Nationalitäten, die populäre Aufnahmeprüfung an der Philologiefakultät bestritten, an der sich in der Regel nur die etwas Fauleren einschrieben, mussten sie sich doch nicht mehr bis ins Zentrum Clujs bemühen und betraten das erst beste Hochschulinstitut, gleich rechts auf dem Weg vom Bahnhof. Oder es waren jene, die überall durchfielen und auf dem Weg zum Bahnhof auch bei der Philologie reinschauten. Immerhin, Gern- und Ungerngesehene, versammelten wir uns, etwas mehr als 700 „Kandaditen“* für ca. 300 Plätze, etwas mehr als zwei für einen Platz. Bei den Prüfungen war das Verhältnis Mädchen – Buben ziemlich gleich. Die Buben fielen aber massenweise durch, so dass die Verbliebenen von den Mädchenschwärmen – eine jünger und graziöser als die andere - regelrecht verwöhnt wurden. Sie werden sagen, dass bisher nichts politisch sei. Gar keine Rede von unpolitisch, die Politik war überall und einzigartig und vor allem erbarmungslos. Die „Klassenkämpfe“ hatten schon in den Lyzeumsklassen begonnen, nolens volens teilten wir uns auf in Söhne der Arbeiterklasse einerseits und rastlose Intellektuellensöhne andererseits. Erstere schwärmten aus, um die Dossiers für ihre „Staatsstipendien“ (Arbeiter) und „Volksratsstipendien“ (Bauern) zu füllen, während wir, laut Lenin Nachkommen der feigsten sozialen Kategorie, bestürzt zur Kenntnis nahmen, dass von Stipendien überhaupt keine Rede war. Schlimmer noch, wir mussten für lediglich 33 Prozent der verfügbaren Studienplätze kandidieren. Was wolltest du machen? Die Arbeiter und Bauern waren „Führungsklassen“, Vertrauensdetachements der Partei, ihre Kaderreserve, wo wir, die anderen, deren Eltern sich die Ellbogen auf den Schulbänken abgewetzt hatten, virtuelle „Feinde des Volkes“ waren, mit Vätern und Müttern, die noch in kommunistischen Gefängnissen saßen, auf keinen Fall aber „Menschen der Arbeit“. Auf den breiten Fluren der Clujer Fakultät betrachteten wir voller Begierde diese Söhne des Volkes, stolz ob ihrer „gesunden“ Abstammung und auf jeden Fall besser gekleidet als wir, denn die Leute vom Land achteten dünkelhafter auf das Aussehen ihrer Kinder als die degenerierten Intellektuellen. Die Aufnahmeprüfung war durchaus korrekt, da konnte ich nichts sagen, ohne Zwischenfälle. Nur die Ergebnisse waren schockierend, solange die Kinder der Arbeiterklasse fast alle die Prüfung bestanden, mit Durchschnittsnoten von 5, oft von den Prüfungsprofessoren an den Haaren herbeigezogen, wobei man in unserer „Sippschaft“ („sine laude“) mit der Durchschnittsnote 8 durchfiel. Aber es fielen auch mit 10 durch. Das waren in der Regel Kinder von Popen oder gewesene Schüler, die im Theologieseminar politisch nicht besonders inspiriert waren. Dabei war klar, dass Letztere am besten vorbereitet waren, denn „bei den Popen“, wie wir Weltlichen die Schüler des Theologieseminars in Alba Iulea nannten, wurde mehr gelehrt und die Disziplin war dogmatischer. Ich erinnere mich, wie sie soldatenmäßig eingereiht, schlicht in Grau gekleidet und mit Hüten auf dem Kopf, in absoluter Wortlosigkeit in ihre katholische Schule gingen. Wir Zivilisten glichen eher einer Rotte. Geschmacklose Uniformen und Arbeitermützen hüllten uns in eine Aura von Taugenichtsen, die aus den Umerziehungsschulen entkommen waren, und gaben uns nicht den Anschein von zukünftigen Intellektuellen. So war es dann auch. Als Beispiel führe ich einen Kollegen, Doru Anghel, Sohn eines Intellektuellen an, der die Obsession hatte, dem Letzten des Zuges - natürlich ein kleiner und verkümmerter Katholike - den Hut über die Ohren zu ziehen. Der Unsere hat auf den Augenblick gelauert und, als er ihn in die Hände bekam, deckelte er mit voller Wucht wie beim Volley auf den viel zu großen Hut für den Kopf des Kleinen. Wir anderen waren vorbereitet, die Reaktion der „Popen“ abzuwehren. Die fand aber nicht statt: Der Knirps zog sich das Objekt von den Augen, bog die Krempe zurecht, setzte es wieder auf und ging ruhig, mit einer christlichen Golgotha-Demut seines Weges. Er geruhte nicht mal, uns wenigstens mit einem ungarischen Fluch zwischen den Zähnen zu beehren. Bezüglich dieses obigen Syntagmas „zukünftige Intellektuelle“ funktionierte ein erstaunliches Paradoxon: Wir, die Intellektuellensöhne, hatten nichts zu verlieren, aber die Sprösslinge der Arbeiter und Bauern wurden von ihren sich nicht bewussten Eltern in den sicheren Tod geschickt, war es doch unvermeidlich, dass sie nach dem Hochschulabschluss selbst Intellektuelle wurden, deren Kinder dann ihrerseits zur beschimpften Kategorie derer mit „ungesunder Abstammung“ gehörten. Es war eigentlich eine Zeit der Paradoxien, noch immer der stalinistischen Absurditäten. So zirkulierte zum Beispiel ein Witz, besser gesagt eine Geschichte, die auch wahr hätte sein können, mit zwei Brüdern, einer Illegalist* und der andere gewesener Legionär, die bei der Arbeitsplatzvergabe schockierende Erfahrungen machten: Der Illegalist bekam einen bedauernswerten Arbeitsplatz, während der Legionär in wichtige Funktionen befördert wurde. Die Leute verstanden den Vorgang, denn im Dossier des Illegalisten stand schwarz auf weiß, dass er einen gewesenen Legionär zum Bruder hatte, während in dem des Legionärs mit Rot eingetragen war, dass sein Bruder Illegalist sei. Es war die Zeit der Dossiers... Sie haben ja schon gesehen, wie schlimm es in meiner Akte aussah, in der stand, dass mein Vater Ingenieur war und die Mutter Hausfrau - schlimm, denn sie hatte also die Arbeit im Kollektiv verweigert; „Arbeit macht frei“, nicht wahr?, das funktionierte einwandfrei sowohl im kommunistischen wie auch im nazistischen Lager -, der Vater „aus der Partei ausgeschlossen“ und alles andere. Es muss aber auch gesagt werden, dass nicht alle Bauernsöhne glücklich waren. Zum Beispiel um jene, bei denen geschrieben stand „Großbauernsöhne“ – also der fleißige und gescheite Mensch, der mit seiner ehrlichen Arbeit etwas Wohlstand erzielt hatte –, war es sehr schlecht bestellt. „Popensohn“ – haben wir schon gesehen. Du musstest also das Glück gehabt haben, in einem Haus von armen Leuten geboren zu werden – im Regelfall faul und Alkoholiker sein, die als Anerkennung für diese besonderen Verdienste von der Partei zu Chefs der Kollektivwirtschaften, also der aus der UdSSR importierten Kolchose, gemacht wurden. Das Problem, das ich mir damals mit „proletarischer Wut“ stellte, gipfelte in der Frage, warum meine Eltern sich nicht um „mein Dossier“ kümmerten. Sie hätten - zum Teufel noch mal! - das Buch sein lassen und sich der niederen Arbeit zuwenden sollen, dem Schmieden des Eisens und Brennen der Holzkohle, den Kühen etc. Ein gutes Dossier haben oder nicht – das war die Frage! [aus dem Rumänischen von Anton Potche] Anmerkungen*: - Alexandru Paleologu (1919 - 2005) = rumänischer Schriftsteller, Essayist, Literaturkritiker, Diplomat, Politiker – umstritten wegen seiner faschistischen und danach kommunistischen Weltanschauung - um zwei Lei = Lei ist die rumänische Währung und Ban (deutsch: Bani) die kleinste Münze, figurativ benutzt als Heller, Pfennig und Kreutzer. Der Ausdruck „de doi bani“ (zwei Banis wert) wird in der Regel abwertend verwendet (keinen Pfifferling wert). Durch den Gebrauch des Lei in dieser Redensart wollte der Schriftsteller wahrscheinlich zeigen, dass die erwähnten Reibereien doch nicht ganz ohne Brisanz waren. - Kandaditen = solche Wortverdrehungen waren eine Spezialität Ceauşescus, der mit der rumänischen Hochsprache so seine Problemchen hatte - Illegalist = Kommunist in der Illegalität |
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