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■ Eine Krone von Veilchen
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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2004-02-14 | |
Nun lässt sich über Theater immer hervorragend streiten. Einer der beliebtesten Streitpunkte ist im deutschen Theater der Gegenwartsbezug der Aufführungen. Inwieweit kann, soll oder gar muss ein klassisches Stück auch unser Heute reflektieren? Welche Stilmittel sind zu dieser allzu oft als Nötigung missratenen Aktualitätsbezogenheit angebracht? Kunst heißt Vielfalt und absolute Freiheit der Gestalter aber auch unbegrenzte Geschmäcke der Befürworter und Ablehner aus dem Publikum.
„Faust. Der Tragödie erster Teil“. Was erwartet man als flüchtiger Kenner des Faust-Stoffes, wenn man an einem Freitag und noch dazu einem 13. Februar des Jahres 2004, also genau 196 Jahre nach der Fertigstellung dieses monumentalen Werkes in den Theatertempel an der Donau geht? Zu allem Überfluss spuckt einem vielleicht noch die nicht eindeutig geklärte Geschichte von dem Aufenthalt eines Doktor Georg Faust (1480 – 1540) an der seit 204 Jahren verblichenen Universität zu Ingolstadt im Hinterkopf herum. Ein zeitgenössisches Sittengemälde spätestens der Übergangsjahre vom 18. zum 19. Jahrhundert dürfte also nicht als übertriebene Erwartung gelten. Was folgte war und ist in der Ingolstädter Inszenierung Zeitgeist pur. Außer den zeitlosen Erzengeln erinnert nichts an die Zeit Goethes und schon gar nicht an jene des Dr. Georg Faust. Was Peter Rein, auch Intendant am Theater Ingolstadt, uns sagen will, ist eindeutig: Nur das Äußere, das Scheinbare verändert sich am Menschen und seinen Gesellschaftsstrukturen. Er selbst bleibt ein um Wissen und Verstehen ewig ringendes Wesen mit vielen, vielen Schwächen. Also hebt sich der Vorhang und der Zuschauer wähnt sich dank eines fantastischen Wolkengebildes und einer die Sinne berauschenden akustischen Untermahlung (Beleuchtung: Wolf-Rüdiger Wild; Ton/Videotechnik: Dieter Worinert, Andreas Hurler, Thomas Zauner, Nina Thiele) im Himmel. Und da sieht er vor einer spartanischen Kulisse – viel Möbelzeug wird man da oben auch kaum brauchen –, wie Gott und Mephisto sich über den wissensgierigen und zweifelnden, aber überaus gottesfürchtigen Erdenbürger Faust unterhalten. Und schon sind wir in der Gegenwart angelangt, ja waren eigentlich nie aus ihr rückwärts herausgetreten. Die beiden Kontrahenten verstehen sich eigentlich recht gut und benutzen das Menschenkind Faust zu beider Vergnügen als Versuchskaninchen. Da gibt es kaum göttliche noch dämonische Züge. So sieht ihr Pakt aus: „MEPHISTOPHELES: Was wettet Ihr? den sollt Ihr noch verlieren, / Wenn Ihr mir die Erlaubnis gebt, / Ihn meine Straße sacht zu führen! / DER HERR: Solang er auf der Erde lebt, / So lange sei dir’s nicht verboten. / Es irrt der Mensch, solang er strebt.“ So überlässt Gott seinen treuen Faust dem Teufel und der ist menschlich angetan: „MEPHISTOPHELES allein: Von Zeit zu Zeit seh ich den Alten gern / Und hüte mich, mit ihm zu brechen. / Es ist gar hübsch von einem großen Herrn, / So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.“ Okay. Nach diesem „Prolog im Himmel“ kann es richtig losgehen. Das tut es dann auch, und auch diesmal ohne von dem einen oder anderen vielleicht erwarteten Professor in Talar, Barett und anderen hierarchischen Insignien. Da sitzt er nun zwischen seinen Büchern, Ordnern und Papierkram, unser in normalem, etwas ärmlich wirkendem Bürgergewand gekleideter Professor. „FAUST: Habe nun, ach! Philosophie, / Juristerei und Medizin, / Und leider auch Theologie! / Durchaus studiert, mit heißem Bemühn. / Da steh ich nun, ich armer Tor! / Und bin so klug als wie zuvor;“ Faust ist verzweifelt. Seine Suche nach dem Sinn des Lebens bringt ihn keinen Zentimeter weiter. Die erklingenden Osterglocken lassen ihn vor dem eingeläuteten Selbstmord zurückschrecken. Mit seinem Famulus (Medizinstudent) Wagner geht er aus dem Haus. Ein kleiner schwarzer Pudel gesellt sich zu ihnen und entpuppt sich als der eingehündete Teufel. Als Mephistopheles sich dann in seiner wahren (menschlichen) Gestalt zeigt, erleben wir einen „fahrenden Scholastikus“ (nach der Weimarer Sophienausgabe von 1887), der alles teuflische listig abgelegt hat und mit seiner Verführungsarbeit beginnt. „MEPHISTOPHELES: Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, / Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; / Wenn wir uns drüben wiederfinden, / So sollst du mir das Gleiche tun.“ Faust geht den Teufelspakt ein und das Unglück nimmt seinen Lauf. Mephisto lockt Faust in Auerbachs Keller in Leipzig, um ihn durch die Lust der Sinne von seinem Wissensdrang loszureißen. Da geht es allerdings so ungesittet zu, dass so manche/r Zuschauer/in sich in einem Bordell wähnte und in der Pause die geheiligten Hallen Thalias fast schon fluchtartig verließen. So eine Schweinerei, hörte ich einen älteren Herrn mit einer ebenso entrüsteten Dame an seiner Seite sagen, und sah sie die Treppen hinunter zur Tiefgarage eilen. Nach der Pause verliebt der durch einen Zaubertrank verjüngte und dementsprechend begehrende Faust sich in das Zimmermädchen Gretchen. Selbst Mephisto hatte das nicht alles so geplant. Eine unheilvolle Eigendynamik wird in Gang gesetzt. Gretchen erwidert Fausts Zuneigung, verliert aber durch Mord ihren Bruder, ihre Mutter und ein ungeborenes Kind. Erst jetzt wird klar, was dieser überhaupt nicht böse, ja meist sogar schalkhaft sympathisch wirkende Mephisto hier alles an menschlichem Leid aufgemischt hat. Er versucht zwar Faust durch ein Walburgisnachtstreiben – das so sexistisch ausgeartet war, dass die zur Pause enteilten Zuschauer das womöglich gar nicht oder nur mit einem Dauerschock überlebt hätten – abzulenken, kann oder will den Wahnsinn Gretchens (die noch vor geraumer Zeit an Faust die selbstbewusste und sprichwörtlich gewordene (Gretchen)Frage stellte: „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? / Du bist ein herzlich guter Mann, / Allein ich glaub, du hältst nicht viel davon.“) aber nicht mehr ungeschehen machen. Faust kämpft noch um seine Liebe, während Mephisto längst auf dem Weg zu anderem Ungemach ist. „FAUST: Du sollst leben! / MARGARETE: Gericht Gottes! Dir hab ich mich übergeben. / MEPHISTOPHELES zu Faust: Komm! Komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich. / MARGARETE: Dein bin ich, Vater! Rette mich! / Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen, / Lagert euch umher, mich zu bewahren! / Heinrich! Mir graut’s vor dir. / MEPHISTOPHELES: Sie ist gerichtet. / STIMME von oben: Ist gerettet! / MEPHISTOPHELES zu Faust: Her zu mir! / STIMME von innen, verhallend: Heinrich! Heinrich!" In Peter Reins Ingolstädter Inszenierung ruft Gretchen nach ihrem Faust: Heinrich! Heinrich! Er entschwindet aber mit Mephisto. Dieses Ende hatte sich niemand gewünscht. Aber der Realist, der so erdgebundene Mephisto hat mehr Macht über den dauernd, (auch jetzt noch, nach allen sinnlichen Genüssen) metaphysisch gestimmten Heinrich Faust als die vor Liebeskummer und Gram im Wahnsinn endende Margarete (Gretchen). Nach Reins Aufführung ist genau das die Grundaussage von Goethes „Faust I“. Nicht das Sinnieren im leblosen Raum zwischen Oben und Unten bringt den Menschen weiter, nur seine Bodenhaftung garantiert Glück oder auch Unglück. Der Vorhang ist gefallen, die Pausenflüchtlinge waren längst in ihren Betten und die Schauspieler haben nach vier Stunden Theater ihren wohlverdienten Applaus entgegengenommen. Das Handklatschbarometer hat bei Faust (Mathias Winde), Margarete (Rebecca Kirchmann) und besonders beim für mich allzu sympathischen Mephisto (Heimo Essl) hohe Werte erreicht. Die nächsten Aufführungen der Tragödie „Faust I“ von Johann Wolfgang von Goethe am Theater Ingolstadt: 25.02, 28.02, 29.02, 05.03, 11.03, 13.03, 14.03, 27.03, 28.03.2004 |
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