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Geständnisse
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Heinrich Heine (1797-1856)

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von [bb ]

2003-11-08  |     | 



Die nachfolgenden Blätter schrieb ich, um sie einer
neuen Ausgabe meines Buches »De l'Allemagne« ein-
zuverleiben. Voraussetzend, daß ihr Inhalt auch die
Aufmerksamkeit des heimischen Publikums in An-
spruch nehmen dürfte, veröffentliche ich diese Ge-
ständnisse ebenfalls in deutscher Sprache, und zwar
noch vor dem Erscheinen der französischen Version.
Zu dieser Vorsicht zwingt mich die Fingerfertigkeit
sogenannter Übersetzer, die, obgleich ich jüngst in
deutschen Blättern die Originalausgabe eines Opus
ankündigte, dennoch sich nicht entblödeten, aus einer
Pariser Zeitschrift den bereits in französischer Spra-
che erschienenen Anfang meines Werks aufzuschnap-
pen und als besondere Broschüre verdeutscht heraus-
zugeben1, solchermaßen nicht bloß die literarische
Reputation, sondern auch die Eigentumsinteressen des
Autors beeinträchtigend. Dergleichen Schnapphähne
sind weit verächtlicher als der Straßenräuber, der sich
mutig der Gefahr des Gehenktwerdens aussetzt, wäh-
rend jene, mit feigster Sicherheit die Lücken unsrer
Preßgesetzgebung ausbeutend, ganz straflos den
armen Schriftsteller um seinen ebenso mühsamen wie
kümmerlichen Erwerb bestehlen können. Ich will den
besondern Fall, von welchem ich rede, hier nicht
weitläufig erörtern; überrascht, ich gestehe es, hat die
Büberei mich nicht. Ich habe mancherlei bittere Er-
fahrungen gemacht, und der alte Glaube oder Aber-
glaube an deutsche Ehrlichkeit ist bei mir sehr in die
Krümpe gegangen. Ich kann es nicht verhehlen, daß
ich, zumal während meines Aufenthalts in Frankreich,
sehr oft das Opfer jenes Aberglaubens ward. Sonder-
bar genug, unter den Gaunern, die ich leider zu mei-
nem Schaden kennenlernte, befand sich nur ein einzi-
ger Franzose, und dieser Gauner war gebürtig aus
einem jener deutschen Gauen, die, einst dem deut-
schen Reich entrissen, jetzt von unsern Patrioten zu-
rückverlangt werden. Sollte ich, in der ethnographi-
schen Weise des Leporello, eine illustrierte Liste von
den respektiven Spitzbuben anfertigen, die mir die
Tasche geleert, so würden freilich alle zivilisierten
Länder darin zahlreich genug repräsentiert werden,
aber die Palme bliebe doch dem Vaterlande, welches
das Unglaublichste geleistet, und ich könnte davon
ein Lied singen mit dem Refrain:

Aber in Deutschland tausend und drei!

Charakteristisch ist es, daß unsern deutschen
Schelmen immer eine gewisse Sentimentalität an-
klebt. Sie sind keine kalten Verstandesspitzbuben,
sondern Schufte von Gefühl. Sie haben Gemüt, sie
nehmen den wärmsten Anteil an dem Schicksal derer,
die sie bestohlen, und man kann sie nicht loswerden.
Sogar unsre vornehmen Industrieritter sind nicht
bloße Egoisten, die nur für sich stehlen, sondern sie
wollen den schnöden Mammon erwerben, um Gutes
zu tun; in den Freistunden, wo sie nicht von ihren Be-
rufsgeschäften, z.B. von der Direktion einer Gasbe-
leuchtung der böhmischen Wälder, in Anspruch ge-
nommen werden, beschützen sie Pianisten und Jour-
nalisten, und unter der buntgestickten, in allen Farben
der Iris schillernden Weste trägt mancher auch ein
Herz, und in dem Herzen den nagenden Bandwurm
des Weltschmerzes. Der Industrielle, der mein obener-
wähntes Opus in sogenannter Übersetzung als Bro-
schüre herausgegeben, begleitete dieselbe mit einer
Notiz über meine Person, worin er wehmütig meinen
traurigen Gesundheitszustand bejammert und durch
eine Zusammenstellung von allerlei Zeitungsartikeln
über mein jetziges klägliches Aussehen die rührend-
sten Nachrichten mitteilt, so daß ich hier von Kopf
bis zu Fuß beschrieben bin und ein witziger Freund
bei dieser Lektüre lachend ausrufen konnte: »Wir
leben wirklich in einer verkehrten Welt, und es ist
jetzt der Dieb, welcher den Steckbrief des ehrlichen
Mannes, den er bestohlen hat, zur öffentlichen Kunde
bringt.« -

Heinrich Heine (1797-1856)
Geschrieben zu Paris, im März 1854



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