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artikel [ Bücher ]
Der geköpfte Hahn – Roman von Eginald Schlattner

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von [Delagiarmata ]

2007-01-28  |     | 



Die Jugendzeit, besonders die noch pubertäre, ist eine Lebensperiode voller Geheimnisse. Diese zum Teil Geheimnistuerei und zum Teil Suche nach den Wahrheiten des Lebens schwebt wie ein Schleier über dem Roman Eginald Schlattners. Und der Autor hantiert sehr geschickt mit ihm. Er setzt ihn als Stilmittel ein, ihn mal mehr und mal weniger lüftend. Das Ganze mutet manchmal auch an wie ein Spiel mit dem Leser. Lesen wir einen autobiographischen Roman, in dem der Ich-Erzähler sich zu seinem Alter-Ego bekennt, oder liegt ein übliches, in der ersten Person verfasstes Erzählwerk vor uns? Erst auf Seite 188 erfahren wir, dass der erzählende Hauptprotagonist „Gertrudes Sohn mit dem englischen Vornamen“ ist und fragen uns spontan, ob Eginald ein englischer Name ist. Wieder 84 Seiten weiter erlangen wir dann in einer Randbemerkung, die sich auf die alles überrollende Germanisierungswelle der Nationalsozialisten bezieht, Gewissheit: „Auch die >Frații Schlattner< werden das walachische >frate< aus dem Firmennamen streichen und gut deutsch >Gebrüder< schreiben müssen.“

Also ein Roman mit starkem autobiographischem Hintergrund liegt hier vor, ein Familien- und Gesellschaftsroman. Das deutet auf ein umfassendes Erzählkonvolut hin und legt dann auch gleich die nächste Merkwürdigkeit offen. Da passiert eigentlich gar nichts, mindestens nicht bis zur Seite 432, wo der fünfzehnjährige Eginald Schlattner verkündet: „Das Fest kann beginnen.“

Bis dahin liegt, sitzt, steht der junge auf der Terrasse des „nobelsten Hauses nach der Villa des Präfekten“, mit dem „schönsten Garten“, im siebenbürgischen Städtchen Fogarasch. Und er denkt nach, denn er befindet sich an einem Scheideweg seines Lebens. Exitus ist nämlich angesagt im Hause Goldschmidt und Großvater Hans Hermann Ingo Gustav Goldschmidt, „erwiesenermaßen rein deutsch auf fünfundzwanzig Generationen zurück, k.u.k. Oberleutnant zur See“, erklärt den Begriff: „Zunächst heißt Exitus bei uns das, was ihr heute vorhabt: Abschiedsfest einer Schulklasse. Ferner: Exitus trinken, den Becher bis zur Neige leeren, wenn man Blutsbrüderschaft schließt. Ein Wort mit vielen Bedeutungen. Von Exitus kommt es und besagt: Er geht hinaus. Er tritt ab. Ausgang. Aus.“

Wie im Film laufen die letzten zwei Jahre vor dem geistigen Auge des Jünglings ab. Die Welt brennt, eine ideologische Verblödung erreicht ungeahnte Dimensionen und zeitigt die absurdesten Auswirkungen. Vor diesem Hintergrund mäandern die ersten Liebeswallungen einer verunsicherten, auch sexuell nicht aufgeklärten Generation. Das Suchen nach dem Ich und dem Du ist in einer solchen Zeit doppelt schwer.

Zeichen, Symbole, Unsicherheit, Geltungsbedürfnis und immer wieder aufkeimende Liebe tänzeln auf der Schnittstelle zwischen innerer und äußerer Welt des Ich-Erzählers. So offenbart sich dem Leser eine bunte, multiethnische – nach heutiger Diktion multikulturelle – Welt am Fuße der Karpaten, wo noch Mythen aus grauer Vorzeit im Denken und vereinzelt sogar im Handeln der Menschen eine Rolle spielen.

Der Hahn ist omnipräsent. Und kopflos bereitet er den Menschen Probleme. Mit fortschreitendem Erinnerungsverlauf des Erzählers wird er immer zudringlicher und macht sich in allen Lebenslagen bemerkbar. Mal schießt der kleine Bruder einem Truthahn den Kopf ab, mal muss er (der Hahn) als Vergleich herhalten, um Frust an seiner gewünschten Köpfung abzubauen, auch als Bibelzitat wird er ins Feld geführt, um später (geköpft) als Konfirmandenbrauch vom Presbyterium mit höchsten Ehren bedacht zu werden oder als multiethnisches, geflügeltes Wort – e la mintea cocoşului – ins Spiel gebracht zu werden; aber auch im Volkslied lebt er fort – ebenfalls schon tot –, wird zu Prophezeiungen bemüht und so weiter und so fort. Sechsundzwanzigmal muss der Hahn als meist schlechtes Omen herhalten.

Er bringt Unheil. Das spüren an diesem Tag nicht nur die Abergläubigen. Wie sollte es auch anders sein? Exitus. Schulabschluss. Dieser Tag dürfte noch einiges an Überraschungen bereithalten. Der Roman beginnt eigentlich erst jetzt. Und er ist verdammt kurz, nur eine Erzählung aus dem romantischen Karpatenstädtchen Fogarasch, am... 23. August 1944.

Das ist der Tag, an dem Rumänien die Frontseiten wechselte und von den Kommunisten zum Nationalfeiertag des Landes erkoren wurde. Eine der Parolen, die im Gefolge dieses Ereignisses das Land überfluteten, war die Lenins: lernen, lernen, lernen. Das Drumherum um einen geköpften Hahn aus der unmittelbaren Zeit vor der neuen Ära kann man empfehlen mit: lesen, lesen, lesen.

Der Roman wurde im Herbst 2006 verfilmt. Regie führte bei der deutsch-rumänisch-österreichisch-ungarischen Koproduktion Radu Gabrea.

Eginald Schlattner: Der geköpfte Hahn – Roman; Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & KG, Auflage November 2001, ISBN 3-423-12882-8; 518 Seiten, 11,50 Euro.

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