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Abgang von der publizistischen Bühne
artikel [ Presse ]
Die letzte Nummer des KAINDL-ARCHIVs

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von [Delagiarmata ]

2006-06-20  |     | 



„Das KAINDL-ARCHIV verabschiedet sich“. So klingt der Titel des Editorials der Doppelnummer 53/54 der „Zeitschrift des Bukowina-Instituts für den Kulturaustausch mit den Völkern Mittel-und Osteuropas“ (Untertitel). Also Abschied. Werden und Vergehen. Niemand und nichts kann sich dem entziehen. Auch eine Zeitschrift nicht. Sie hat nämlich ebenso ein Leben wie alles auf und in dieser materiellen wie seelischen Welt und damit verbunden eine Geschichte.

Eine der unzähligen Organisationen, die nach dem 2. Weltkrieg von Vertriebenen, Umsiedlern und Flüchtlingen in der Bundesrepublik Deutschland zwecks Bewahrung des kulturellen Erbes und implizit der eigenen Identität – was einer Integration in der neuen Heimat bewiesenermaßen nie abträglich war – gegründet wurden, nannte sich „Raimund Kaindl-Bund“. Der Bund setzte sich zur Aufgabe, die Kultur der Deutschen aus der Bukowina hierzulande zu vermitteln und den Menschen aus jenem Landstrich nordöstlich der Karpaten einen kulturellen Halt zu bieten. Als Instrument bedienten sich die Mitarbeiter seit Anfang der 50ger Jahre schmalbrüstiger Informationsheftchen. Man muss natürlich immer die materielle Situation jener Jahre berücksichtigen. 1974 wurde die „Kaindl-Gesellschaft“ gegründet, die aus den bis dahin als „Mitteilungen“ kursierenden Heften eine Zeitschrift mit dem Namen KAINDL-ARCHIV machte. Die erste neue Ausgabe erschien im Oktober 1978 in Stuttgart. „Die Zeitschrift sollte über die Nachbarschaft und das Zusammenleben der Völker in der Bukowina berichten, über die befruchtenden und gegenseitig bereichernden interkulturellen und interethnischen Wirkungen.“ So zu lesen im Wortlaut des von Luzian Geier verfassten Editorials. Ab 1991 wurde die Zeitschrift dann vom 1989 in Augsburg gegründeten Bukowina-Institut wissenschaftlich und redaktionell betreut. Die Einstellung des Erscheinens wird mit „finanziellen Engpässen“ des Instituts, einem „allgemeinen Notstand bei der Kulturförderung“ und einer institutionellen Neuorientierung des letzten Trägers begründet.

Das KAINDL-ARCHIV bleibt auch in seiner letzten Nummer der im Untertitel vorgegebenen Richtlinie treu. Ortfried Kotzian, Direktor des Hauses des Deutschen Ostens München, präsentiert ein zeitgeschichtliches Essay über das nationale Selbstverständnis und die Minderheitenpolitik in der Ukraine. Der Autor gibt einen chronologischen Überblick zur Entstehung des mit 603.000 Quadratkilometern nach Russland zweitgrößten Staates in Europa. Die Geschichte dieses Landes ist von Diskontinuität geprägt. Fremdherrschaft dominierte den Geschichtsverlauf, was letztendlich dazu führte, dass „die nationale Identität der Ukraine bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gefestigt ist“.

Der emeritierte ordentliche Professor der Universität Zürich, Honorarprofessor der Universität Freiburg (Br.) und Lehrbeauftragter der Universität St. Gallen, Manfred Rehbinder, erinnert an den Rechtslehrer Eugen Ehrlich (1962 – 1922) von der Czernowitzer Alma mater. Er hat in sein Essay auch den ungekürzten Wortlaut der Erinnerungen eines von Eugen Ehrlichs dortigen Studenten eingefügt, trotz einer „orientalischen Erzählfreude“ des Verfassers, der uns einen ziemlich zerstreuten Professor vor Augen führt. Der Text ist kurz nach Ehrlichs Tod in der ALLGEMEINE ZEITUNG Czernowitz erschienen und lieferte den Interessierten wahrlich unterhaltsamen Lesestoff: „Ehrlich brachte es zustande, die letzte Kleiderrechensprosse zu fassen und dort einen fremden Hut sich aufzusetzen, oder er ließ seinen irgendwo liegen, um nach Stunden verzweifelt in allen Sälen der Universität nach ihm zu suchen.“ Solcherlei Geschichten gibt es mehrere, aber nicht unbedingt alle zur Freude seiner damals betroffenen Studenten.

Hon.-Prof. Dr. Horst Fassel, Geschäftsführer am Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde Tübingen und seit kurzem Dr. hc der West-Universität Temeswar, befasst sich mit Adolf Staufe und dessen Beziehung zur rumänischen Ballade „Meister Manoli“ (Meşterul Manole). Literaturwissenschaft hat oft auch etwas mit Aufwärmen alter Geschichten zu tun. So auch hier. Adolf Staufe-Simiginowicz hat im Wiener Jahrbuch THALIA, Jahrgang 1859, den Lesestoff „Manoli. Erzählung aus dem romanischen Volksleben des dreizehnten Jahrhunderts“ veröffentlicht. Unterzeichnet hat er damals mit Ludwig Adolf Staufe. Fassel hat in der verstaubten Publikation auch andere Texte mit interessanten Hinweisen auf Südosteuropa gefunden.

Es ist schon erstaunlich, wie viel man über den Adventskalender schreiben kann. Die Volkskundlerin Nicole Rieskamp macht den Entstehungszeitraum dieser „Brauchform“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts aus und schreibt sie „evangelisch-pietistischen Kreisen Deutschlands“ zu. Ihre Recherchen im Winter des Jahres 2002 in der Bukowina haben ergeben, dass der Adventskalender bei den Bukowinadeutschen nicht flächendeckend bekannt war.

Luzian Geier liefert einen kurzen Beitrag über DIE STIMME, eine deutsche Diasporazeitung der Buchenländer in Israel. Die Monatsschrift „kann auf 60 stolze Jahre des Erscheinens zurück blicken.“

Der Pfarrer in Rente, Ehrenprälat der Diözese Jassy/Rumänien, Monsignore Norbert Gaschler ist mit einem Vortrag über die Jesuiten in der Bukowina, den er schon 1985 in Regensburg bei einem Priestertreffen gehalten hat, vertreten. 1885 kamen die ersten Patres und gründeten die Residenz Czernowitz. 1985 musste der letzte Jesuit den Landstrich verlassen. Weit über 100 Ordensbrüder dürften es gewesen sein, die in diesen 60 Jahren in der Bukowina seelsorgerisch und karitativ tätig waren.

Zeitgeschichte präsentiert Helmut Wolfgang Hack, Kapitän zur Hohen See. Sein Thema: Schleusung der Umsiedler aus Rumänien 1940/41 unter besonderer Berücksichtigung der Rassenmusterung. Wer wissen will, wie die Nazis den Menschen zum oft lästigen Verwaltungsobjekt degradierten, sollte diese Dokumentation unbedingt lesen. Die drei Hauptkriterien der Musterung von Umsiedlern aus der Bukowina heim ins Reich waren: Volkszugehörigkeit, Rasse und Erbkrankheiten.

Erlebte Geschichte sind die Aufzeichnungen von Maria Gross (1875-1955) zu Umsiedlung und Flucht. In schlichten, ungeschminkten Sätzen kommen die unsäglichen Unsinnigkeiten des 20. Jahrhunderts wieder an die Oberfläche. Stimmen der Erlebnisgeneration werden immer seltener. Umso wichtiger sind Niederschriften dieser Art.

Zur gleichen Schriftgutgattung gehört das „Tagebuch aus der Bukowina“. Michael Müller, ein bereits verstorbener Banatdeutscher, hat seine ersten 100 Kriegstage im rumänischen Heer vom 1. Juni 1941 bis zum 15. Oktober 1941 festgehalten, also genau den Kriegsbeginn mit der Sowjetunion. Nichts Spektakuläres wurde niedergeschrieben, eher von der Ungewissheit und dem aufkommenden Gefühl der Sinnlosigkeit geprägte Notizen, aber gerade deswegen für all jene wertvoll, die von einem Kriegsbericht mehr als Zahlen, Fakten und strategische Analysen erwarten.

Wissenschaftlich wird die Umsiedlung der Deutschen aus West-Wolhynien, Galizien, Bukowina, Dobrudscha, Karpatenukraine und Bessarabien von Dr. Ortfried Kotzian in dem Studienband „Die Umsiedler“, Langen Müller Verlag, ISBN 3-7844-2860-6, 384 Seiten, behandelt. Luzian Geier bespricht das Buch ausführlich und findet es eine „verdienstvolle Veröffentlichung in der Studienreihe der Stiftung Ostdeutscher Kulturrat.“

Gegen Ende dieser letzten Ausgabe des KAINDL-ARCHIVs spürt man, dass Luzian Geier sich als verantwortlicher Redakteur alle Mühe gemacht hat, die Seitenzahl in die Nähe der 100 zu bringen. Er steuert zum Inhalt noch einen Beitrag über das hundertjährige Mädchenlyzeum in Suczawa/Suceava bei, schreibt über die erst (oder schon) zehn Jahre alte Zeitschrift ANALELE BUCOVINEI und lässt die eigene Publikation mit zwei Nachrufen auf den Bukowiner Historiker, Publizisten und Politiker Dr. Rudolf Wagner sowie den ebenfalls aus der Bukowina stammenden Genealogen und Heraldiker Dr. Claudius von Teutul ausklingen. Zwischen diese zwei Beiträge hat er eine weitere Würdigung, die des 2003 verstorbenen Pfarrers Mag. Ekkehart Lebouton, platziert. Ihr Verfasser ist Dipl. Ing. Dr. Hans Bukowiecki.

Ja, wie beendet man die Rezension einer Zeitschrift, die soeben die publizistische Bühne verlassen hat, eine Schrift, von deren Ausgaben man einige wenige stets mit Gewinn gelesen hat? Luzian Geier schreibt über Dr. Rudolf Wagner (S. 92): „Seine berechtigte Überzeugung – sie kam noch aus der vorlandsmannschaftlichten Zeit der Tätigkeit in der ‚Arbeitsgemeinschaft für die Südostdeutschen‘ und wird bald wieder akut werden, wenn es Viele auch noch nicht wahrhaben wollen – führte einige Jahre später zur Titeländerung in DER SÜDOSTDEUTSCHE (eine andere Publikation der Bukowinadeutschen, deren verantwortlicher Redakteur auch Luzian Geier ist, A.d.V), um ein wirtschaftlich und auflagenstarkes gemeinsames Blatt für alle deutschen Gruppen aus dem früheren Rumänien zu schaffen.“ Das mag in manchen Ohren zwar etwas larmoyant und auch ein wenig nach Werbung für eine augenscheinlich verlorene Sache klingen, müsste es aber wahrlich nicht, denn ein aufrichtiges Bedauern ist beim Abgang einer seriösen Zeitschrift von der publizistischen Bühne keine Schande. Im Gegenteil, Schadenfreude ist hier völlig deplaziert. Das KAINDL-ARCHIV hat sich mit seiner letzten Ausgabe würdevoll aus der deutschen Kulturlandschaft verabschiedet.

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