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■ Eine Krone von Veilchen
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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2009-04-25 | |
„Die Pußta Ilintzi hatte über zehntausend Joch, schöne, ebene Felder – sie lagen da, so weit das Auge reichte. Im Westen der Wald, die Weide; im Süden das Gebirge; im Norden die Drau. Und staubige Wege kreuz und quer, Mühlen und Dörfchen, Vorwerke, Schafhürden, Zigeunerlager.“
Damit beschreibt Alexander Roda Roda (1872 – 1945) das pannonische Panorama, von dem noch heute viele Menschen im hoch zivilisierten, technisierten und seit geraumer Zeit globalisierten westlichen Europa träumen, wenn sie sich nach Zigeunerromantik sehnen. Es ist aber auch der löbliche und zweifellos gelungene Versuch, zu schildern, wie der „deutsche Robinson“ im „slawischen Meer“ lebte, ein Meer mit vielen bunten Fischen. Auf der Ilintzipußta wohnten dauernd oder vorübergehend Madjaren, Serben, Kroaten, Krainer, Militärgrenzer ohne spezifizierte Nationalitätenzugehörigkeit, Welsche (hier: Fremder bzw. ein Volk, der bzw. das eine nicht-germanische Sprache spricht) und sogar Bettler aus Ägypten. Und unter ihnen „etliche Schwaben“. Und mit diesem Robinson ist kein anderer gemeint als Roda, der Vater des erfolgreichen Alexander Roda Roda, mit bürgerlichem Namen Sandór Friedrich Rosenfeld, „Meisterfabulierer der k. u. k. Monarchie“, wie er auf dem Einband dieses Romans genannt wird. Der Vater ist aber nicht die Hauptfigur des 255-seitigen, sich aus 28 Kapiteln, die auch jedes für sich als eigenständige Erzählung stehen könnten, zusammensetzenden Romans. Das ist vielmehr der Junker Marius, seine ... Tochter. Ja, Tochter und nach der ausführlichen „Widmung“, mit der dieser Roman eingeleitet wird, urteilend, ist sie die Schwester des Autors. Ein tolles Madel, eines jener weiblichen Geschöpfe, von denen man in ihrem Kindesalter sagt, das hätte ein Bub werden sollen. Dessen war sich auch Vater Roda bewusst. Für ihn war Maria immer nur der Junker Marius. Und der zeigte durch seine ganze Kindheit, dass er dieser Ehrenbezeichnung in vielen Situationen gerecht wurde. Seine Streiche setzten oft Alt und Jung in helle Aufregung und stifteten so manche Verwirrung. Das Leben auf den Hottern Slawoniens war trotz der geographischen Entfernung zum habsburgischen Zentrum Wien und trotz der vermeintlichen Eintönigkeit, die das Landleben in der Unendlichkeit der Ebene Außenstehenden gar leicht zu vermitteln vermag, voller Abwechslungen und das nicht nur dank der Umtriebigkeit des Junkers Marius. Roda Roda malt ein Bild mit vielen, vielen einfachen, aber interessanten, auch originellen und manchmal sogar skurrilen Menschen. Sie beleben diese Landschaft mit ihren Individualitäten wie eine farbenfrohe Blumenwiese. Die Zeit dieser Geschichten ist aber doch auch eine Epoche des Umbruchs, des Fortschritts. Technische Errungenschaften machen auch vor der Ebene zwischen den Draustädten Gutta und Esseg nicht halt. Die erste Dreschmaschine wird von Papa Roda gekauft und sorgt für erhebliche Aufregung auf der Ilintzipußta. Lange schreiten sie aber noch Seite an Seite: einerseits die alte Zeit mit Awram, „ein Zigeuner vom Stamm der Kesselschmiede“, mit Schweinehirts kleinem Stephan, dem alten Michel in der Schmiede, dem Pony Jani, den nicht besonders beständigen Fräuleins, die sich - letztendlich so erfolglos - um Marius’ Erziehung kümmern sollten, und nicht zuletzt mit dem in allen Köpfen immer präsenten Räuber Bakonja, und andrerseits die neue Zeit mit ihrem bürgerlichen Hauch, der ab und zu bis auf die einsame und gleichsam so lebhafte Pussta getragen wird. Roda Roda erzählt recht fließend. Er hält sich nicht allzu viel mit den Beweggründen seiner Protagonisten auf. Diese handeln einfach, mal aus Eigeninitiative, dann wieder reagierend auf die Gegebenheiten oder Vorfälle. Sie sprechen eine schlichte Sprache, die selbst dann noch verständlich ist, wenn sie im Dialekt benutzt wird. Und dann endet der Roman mit den zwei Kapiteln „Wie die Alten sungen“ und „... so zwitschern die Jungen“. Maria, die Ich-Erzählerin: „Ich bin der Junker Marius nicht mehr, bin eine richtige erwachsene Frau.“ Es folgt das Geständnis einer nach 20 Jahren heimkehrenden Frau mit Mann und Sohn: „Daheim bin ich doch nur auf Ilintzipußta, wo ich aufgewachsen bin, bei Papa.“ Ohne Mutter, sollte man vielleicht vollständigkeitshalber festhalten. Nostalgie pur ist das, was hier aus Roda Rodas Feder geflossen ist. Nicht jedermanns Sache, zugegeben, aber bestimmt von der Menschenkategorie nachvollziehbar, die irgendwann mal den Hort ihrer Kindheit verlassen hat und nach Jahren eine Rückkehr wagt. Es ist nicht nur ein stets sehr individueller Reifeprozess damit verbunden, sondern auch eine Wiederkehr vieler Bilder, die erst mit dem Erlöschen ganzer Generationen verschwinden. Und wenn sie dann auch noch so schön ins Gedächtnis zurückgerufen werden, dann bedauert man es erst recht, dass auch dieser Roman ein Ende hat: „Ja, segen S’, Junker, mir zwa, dö Maschin und i, mir san altes Eisen, ka Mensch kunnt uns mehr brauchen. Hennt begrabt man d’ Maschin, moring kummt der Weiße Kohn mit dera Sensen und holt mi. Und grad jetzend, wo i anfanget gscheider zu wern, muß i fort von dera Erden. Vor dreißig Jahr, wie daß dö Maschin hätt sollen kummen, da hat kaner in ganz Schlawonien gwüßt, wie daß a so a Maschin ausschaun tut.“ So spricht ein Futtermeister auf Ilintzi. Er hat hier sein Leben verbracht, weiß, „wie die Alten sungen“ und erfährt jetzt „... so zwitschern die Jungen“. Letztere bedienen sich längst der Hochsprache und gehören zu den Kindern von Marias Generation, ... Pardon, zu den Nachkommen der Generation des Junkers Marius, natürlich. Roda Roda: Die Streiche des Junkers Marius, Roman; Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft mbH, Wien / Hamburg, 1975, Lizenzausgabe: Gustav Lübbe Verlag GmbH, 1980; ISBN 3-404-10110-3; DM 5,80 (Angebote bei Amazon vom 25.04.2009 von 0,01 EUR bis 13,95 EUR) |
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