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Die da oben oder Zwei Urteile für einen Schädelbruch
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Kolumne 58

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von [Delagiarmata ]

2008-07-13  |     | 



Es gibt eine gefühlte Ungerechtigkeit, die ihren Ursprung im (gesunden) Sozialneid hat. Um wie viel diese Ungerechtigkeit größer als die tatsächlich existierende Kluft zwischen Arm und Reich ist, kann man bestimmt nie genau erörtern, da sie essentiell von der individuellen Wahrnehmung abhängt. Inwieweit diese, sich bei den Armen in Unmut artikulierende, gefühlte Ungerechtigkeit eine gesellschaftliche Kontroll- oder zumindest Mäßigungsfunktion ausüben kann, wird wohl ebenso nur spekulativ ermittelt werden können. Die Reichen wird es wahrscheinlich sowieso nicht interessieren, was die Armen von ihnen denken. Ackermann-V-Zeichen und diverse Deals in denkwürdigen juristischen Wirtschaftsprozessen der letzten Jahre lassen das vermuten.

Dabei ist der Spaltungsprozess unserer Gesellschaft von Tag zu Tag ersichtlicher. Und er generiert viel schlimmere Zustände als die Pole Arm und Reich. Das wird besonders immer dann erkennbar, wenn Justitia das gesellschaftliche Spielfeld betritt. Hier verschwindet die zwischen Arm und Reich als sozialer Puffer agierende Mittelschicht, also jene Menschen, die sich von einer abhängigen Arbeit ein zufrieden stellendes Dasein leisten können. Bei ungerecht empfundenen Rechtsprechungen teilt die Gesellschaft sich schnell in Die da unten und Die da oben.

„Lange Haft für U-Bahn-Schläger“ titelte dieser Tage eine Zeitung auf der ersten Seite und berichtete über den Prozess gegen die zwei Schläger, die kurz vor Weihnachten letzten Jahres einen 76-jährigen pensionierten Schulleiter in einer Münchner U-Bahn-Station brutal niedergeschlagen und ihm schwere Kopfverletzungen zugefügt hatten. Der 20-jährige Türke bekam zwölf Jahre Haft und sein Kumpan, ein 17 Jahre alter Grieche, muss achteinhalb Jahre Jugendstrafe verbüßen. In Bayern reicht das allemal, um auch noch eine politische Debatte über eine, der Strafe folgende, Abschiebung der beiden Delinquenten auszulösen. Schwarz dafür, Rot & Grün dagegen.

Der Zeitungskommentar zum Thema lautet „Gerechtes Urteil“ und hält fest, dass dieses „harte und angemessene Urteil“ die Erwartungen erfüllt und „dass der vorgegebene Rahmen des Strafmaßes weit genug ist, um brutale Jugendgewalt gerecht im Sinne des Rechtsstaates abzuurteilen“. Die Regionalseite der Zeitung legt nach mit dem Artikel „Deutschfeindliche Kriminelle“ und zitiert einige der martialischen bayerischen Politikersprüche. Nun kann wahrscheinlich jeder, der die Überwachungskamerabilder aus der Münchner U-Bahn in der Weihnachtszeit gesehen hat, den Ausgang dieser Geschichte für einigermaßen angemessen halten, zumindest was die Höhe der Strafen anbelangt. Das Abschieben darf man ruhig als Vorwahlkampfgeplänkel sehen.

Jetzt hat aber unsere Zeitung auch noch eine Lokalseite. Und da war am gleichen Tag zu lesen: „Bewährungsstrafe für betrunkenen Unfallfahrer“. Der erste Satz des Artikels sei ungekürzt wiedergegeben: „Im Vollrausch hatte ein leitender Audi-Mitarbeiter im vorigen März am Steuer eines Firmenwagens eine Frau erfasst und lebensgefährlich verletzt.“ Um das Ausmaß des Vorfalls einigermaßen nachvollziehbar zu machen, genügt das folgende Zitat aus dem Artikel: „Die 20-Jährige wurde zwischen den Autos eingequetscht. Ihre Beine wurden schwer verletzt, der linke Unterschenkel abgetrennt. Die Frau schlug außerdem mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe und erlitt ein offenes Schädelhirntrauma.“

Das alles passierte an einem gewöhnlichen Werktag, ohne Überwachungskamera und ohne Weihnachtsstimmung, kurz nach dem 22-Uhr-Schichtwechsel. Und der Richter hatte volles Verständnis für das Vergehen des 40 Jahre alten Unfallverursachers. Schließlich hatte der Mann ja 1,97 Promille intus und das auch noch als Arbeitsnorm. Wer könnte da noch an hohe Bestrafung denken. Wir haben es mit einem pflichtbewussten Bürger zu tun, der dem Richter laut Zeitungsbericht glaubhaft berichtete, dass er, einen persönlichen Erfolg feiernd, „immer wieder mit Kollegen anstoßen“ musste. Die Botschaft an die Welt kann eindeutiger nicht sein: Eine Führungskraft muss auch trinkfest sein. Wenn da mal ein junges Menschenkind für lebenslänglich zu Schaden kommt ... was soll’s? Kommt halt vor.

Genau das vermittelt dieses Gerichtsurteil. Und dass der gute Mann seine leitende Position – laut Zeitung – weiterhin ausübt, spricht Bände, nicht nur über den Zustand unserer Justiz sondern auch über die Werte, die zur Zeit unserer Wirtschaft und großen Teilen unserer Gesellschaft zugrunde liegen. Ich sah am Erscheinungstag dieser Zeitung viele, sehr viele, viel zu viele, ratlose, sprachlose, wütende, fluchende, mit dem Blatt gestikulierende Menschen. Und ich hörte immer wieder: Die da oben ...

Nur einer stand abseits, nippte an seiner Kaffeetasse und meinte ganz ruhig: Mich wundert’s, dass der nicht befördert wurde.

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