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■ Eine Krone von Veilchen
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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2007-08-18 | |
Was ist das für ein Roman? Ein Kunstroman, spielt seine Handlung sich doch in der Kunstszene ab. Ein Liebesroman par excellence, werden Liebhaber des Genres behaupten. Ein Gesellschaftsroman, wegen den familiären Hintergründen.
Ein in sich ruhendes Kunststück, ein exemplarisches Literaturstück, dass mit Künstlerhand Satz für Satz gemeißelt wurde; so kommt dieser Roman Alban Nikolai Herbsts daher. Es sind mehrere irritierende Aspekte, mit denen der Leser konfrontiert wird. Die perspektivische Komposition ist gelinde gesagt eine Herausforderung. Der Autor erzählt nicht nur aus der Perspektive seines Haupthelden, des Malers Fichte, sondern auch aus der seiner Geliebten Irene. Zumindest hat man eine Zeit lang diesen Eindruck. Kompliziert wird es aber erst recht, wenn die Persönlichkeit des Malers als gespaltene Dublette daherkommt. Das ist so verschleiert gemacht, dass man eine Weile braucht, um überhaupt herauszubekommen, dass eigentlich immer ein und dieselbe Person erzählt. Dranbleiben ist die einzige Möglichkeit, um den narrativen Faden irgendwann zu erwischen und auch zu behalten. Eine chronologische Erzählweise sucht man vergebens. Das ist auch nicht nötig, denn Fichte sitzt irgendwo auf Sizilien am Strand und sinniert über seine gescheiterte Beziehung, die immerhin sieben Jahre gehalten hat. Da spielt es keine Rolle, wenn seine Rückwärtssaltos in die Zeit mit Irene mal näher oder weiter landen. Die Bodenhaftigkeit scheint dem stellenweise vor Selbstmitleid zerfließenden Künstler, der - nach seiner Auszeitnahme - in Deutschland sogar berühmt wurde, sowieso abhandengekommen zu sein. Prüde Menschen sollten dieses Buch auf keinen Fall kaufen, es sei denn, sie denken über einen Lebenswandel nach. Der Puls dieses Romans ist die Liebe. Und der Schlägt oft bis zum Hals heraus. „Sie liebte es, er liebte es, daß sie sein ganzes Geschlecht in sich hineinnahm, Hoden und Schwanz zusammen. Was ja nur ging, solange er Fichte nicht stand.“ Die immer neuen Steigerungen sexueller Umtriebe wirft die Frage nach den Wurzeln dieses exzessiven Liebeslebens auf: Ist es Perversion oder unbändiger Drang nach dem totalen Besitz des geliebten Wesens? „Die ganze Matratze hatte sich mit dem Blut vollgesogen, als Du mich rittst, das letzte Mal rittst vor der Geburt, Du mußtest auf mir sitzen, weil Julian nicht länger erlaubte, daß ich von oben stieß. Es war sehr dunkel gewesen, nachts, wir wässerten uns, wie der Mond den Meeren ihren Rhythmus gibt, auch das Blut kennt die Tide, Springfluten, Nippfluten. Das Zimmer war jauchzerfüllt, es stöhnte, schrie, wollte sich verschießen, versprengen, alles Geschlechtsgischt, Brandung, das Meer, das Kliff, der Wind Deines böigen Atems, das abgehackte Crescendo des meinen.“ - So verpackt man ekelhafte Geilheit, tiertriebhafte sexuelle Exzesse in lyrisch klingende Epik. Bei aller Besessenheit scheint diese schonungslose Prosa („... immer an den Leser denken“ - laut Markwort) dem Grundsatz treu zu bleiben, dass in einer intakten Liebesbeziehung alles erlaubt ist, eine Art Negation der Perversion stattfinden darf und (natürlich von Fall zu Fall unterschiedlich) sogar soll. Und trotzdem scheitert diese Beziehung. Es ist nicht nur der große Altersunterschied, der auf zwei Wahrnehmungsebenen der Gegenwart, des Jetzt, hindeutet, sondern scheinbar auch eine Unvereinbarkeit zwischen purer Kunst und trivialem Alltag. Die Liebe kann hier leider (zumindest in A. N. Herbsts Version) keine Bindegliedfunktion ausüben, so körperintensiv sie auch ausgelebt wird. Fichte ist ein Künstlername. Kalkreuth ist der bürgerliche Name des Romanhelden. „Fichte ist. Aber Kalkreuth ist auch. Wen soll Julian Vater nennen? Mich? Ihn? Wer ist er, wer von beiden bin ich?“ Rasante Szenenwechsel münden in diese aus jahrelangem ungeheurem Sextaumel sich drastisch entwickelnde Menschwerdung; auch wenn gescheiterte Existenzen am Ende dieses Weges stehen. Meere. Roman. Letzte Fassung, 2007, von Alban Nikolai Herbst wurde in der April/Mai-Ausgabe der österreichischen Literaturzeitschrift VOLLTEXT veröffentlicht. Das Buch wurde 2003 verboten und führte zu kontroversen Debatten in den Feuilletons. Thomas Keul schreibt im Editorial der Zeitschrift unter anderem: „In einer Verhandlung vor dem Landgericht Berlin am 6.3.2007 haben sich nun die gegen Alban Nikolai Herbst bestehenden einstweiligen Verfügungen, die ihm unter Strafandrohung von bis zu 250.000 Euro untersagten, seinen Roman Meere aus dem Jahr 2003 zu verbreiten, aus ihm zu lesen oder aus dem Kopf zu rezitieren, erledigt. [...] Diskussionen wird Meere vermutlich auch diesmal wieder auslösen – allerdings nicht aus juristischen Gründen, sondern aus ästhetischen.“ Viele werden dieses Buch voller Abscheu in die Papiertonne schmeißen. Ebenso viele werden es aber auch begeistert lesen und sogar wiederlesen. Und so mancher wird auch schmunzelnd dankbar für die Erkenntnis sein, dass er sich seines eigenen Liebeslebens eigentlich gar nicht schämen müsse. So kann man dieses Buch sogar als wahre Offenbarung lesen, weitab jeder ästhetischer Fragestellungen. Alban Nikolai Herbst: Meere, Roman; |
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