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Bereicherung und sinnvoller Zeitvertreib
artikel [ Bücher ]
Eine neue MATRIX aus dem POP-Verlag

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von [Delagiarmata ]

2017-03-24  |     | 



Traian Pop, Francisca Ricinski-Marienfeld (Redaktionsleitung): MATRIX, Zeitschrift für Literatur und Kunst, Nr. 2 / 2016 (44); POP-Verlag, Ludwigsburg, 2016; ISSN: 1861-8006; 310 Seiten; € [D] 15,-; € [AT] 15,50; € [CH] 20,-.

Diese MATRIX-Nummer aus dem POP-Verlag ermöglicht auch diesmal ein erbauliches Leseerlebnis. Man kann das Buch, das eigentlich als Literaturzeitschrift angeboten wird, sowohl in einem Atemzug als auch fragmentarisch lesen und kommt immer auf seine Kosten. Dafür sorgt schon die Genrevielfalt: Prosa, Lyrik, Interviews, Rezensionen. Das heißt natürlich nicht, dass einem alles gefällt. Dafür ist aber die Bedienung verschiedener Geschmäcke gewährleistet.

Wie man das von den Machern der MATRIX schon gewohnt ist, hat auch die NR. 2/2016 (44) einen Schwerpunkt. Diesmal steht der 60-jährige Schriftsteller Kurt Drawert im Mittelpunkt. Er wurde in Henningsdorf / Brandenburg geboren, hat seine Kindheit in Borgsdorf und Hohen-Neuendorf bei Berlin verbracht, lernte in Dresden Elektroniker, studierte nach Abitur und mehreren Arbeitsstationen am Institut für Literatur in Leipzig und lebt seit 1986 vom Schreiben. Und das ziemlich erfolgreich. Sogar so erfolgreich, dass es ihm eine Mitgliedschaft in der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung eingebracht hat. Sein Œvre kann sich sowohl quantitativ als auch qualitativ sehen lassen: Gedichte, Romane, Erzählungen, Essays, Theaterstücke und Herausgaben diverser Anthologien. Für die Qualität seiner schriftstellerischen Arbeit stehen die zahlreichen Auszeichnungen und Preise, deren er sich erfreuen durfte.

Kurt Drawerts Lyrik gliedert sich anstandslos in die Poesie unserer Zeit ein: Sie ist reim- und meistens auch rhythmusfrei und lässt viel Raum für Interpretationen. Also mit einfach Durchlesen zwecks Zeitvertreib ist es nicht getan. Das gilt eigentlich auch für seine Prosatexte. Man stößt auf viele verschachtelte Satzbauten und muss nicht selten nachlesen, um den Gedankenlabyrinthen oder den Handlungssträngen zu folgen. Drawert hat so seine eigene Art – um nicht zu sagen Eigenart –, über seine DDR-Heimat zu schreiben … und über die Zeit danach. Etwa so: „Und dieses Problem, das sich mir mit dieser Wohnung, die, von der sogenannten Küche aus betrachtet, in der alle Leitungen lange schon aus bautechnischen Gründen vom Strom-, Gas- und Wassernetz abgetrennt sind und in der aus offenliegenden Abflussrohren, die wie freie eiternde Wunden im Wandkörper liegen, alle Gärungs- und Fäulnisgerüche dieser Welt in die sogenannte Stube dringen…, die also nichts als ein besseres Einstiegsloch in die Kanalisation darstellt…, dieses Problem, das ich mit dieser Wohnung und der Entsorgung der in ihr liegengebliebenen und durch meine längere Abwesenheit vollkommen verfallenen Gegenstände habe, dieses Problem ist nun zugleich das eines jeden dieser verpassten deutschen demokratischen Republik.“ (Haus ohne Menschen. Zeitmitschriften; Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1993). Sind wir noch in der DDR-Zeit oder schon aus ihr heraus? Ja, wir und er, der Schriftsteller, mit dieser zwar lesbaren, aber wohl kaum sprechbaren (ausgenommen monologisierender Schauspieler), schönen deutschen Sprache, sind dieser Zeit entkommen, körperlich, aber nicht und wohl nie endgültig auch geistig. Das gilt übrigens nicht nur für die DDR, sondern auch für Ausschwitz, wie wir in einem anderen Text nachempfinden können.

Barbara Zeizinger, Horst Samson und Theo Breuer haben dem Jubilar Kurt Drawert je ein Gedicht gewidmet und Rodica Draghincescu hat mit ihm ein ausführliches Interview geführt, allerdings schon im Jahre 2005. Damit wären 166 Seiten dieses Buches gefüllt mit Text, aber auch mit 16 Schwarzweißfotos (einige doppelseitig), die dem Leser einen künstlerischen Zusatzgenuss schenken. Ute Döring ist die Schöpferin dieser Bilder.

Es folgen zehn Seiten Gespräch. Und zwar zwischen Theo Breuer und dem im Mai 2015 verstorbenen Schriftsteller Hans Bender. Als Überschrift hat man ein Zitat gewählt: „Splendid isolation. Ich, allein, mit einem Buch“. Ein Gespräch über das Lesen & Schreiben, also über Bücher, läuft immer Gefahr, in eine Selbstbeweihräucherung der eigenen oder gemeinsamen Belesenheit abzugleiten. Auf diese Rutsche haben sich hier zwei Literaten, wie verdienstvoll auch immer, begeben.

Gespräch folgt auf Gespräch. Die Redaktionsleiterin von MATRIX, (zusammen mit Herausgeber Traian Pop) Francisca Ricinski-Marienfeld, führt ein Gespräch – Interviews sind in der Regel schon von der Fragestellung her einfacher formuliert – mit dem rumänisch-französischen Dramatiker und Romancier Matei Vişniec. Der aus der Bukowina stammende Theaterautor ist wohl nach Eugéne Ionesco (Eugen Ionescu) der weltweit berühmteste rumänische Name seines Faches. Man erfährt hier viel und Spannendes über die so oft bemühte Zweisprachigkeit in der Literatur. Vişniec hat sich entschieden: „Ich glaube, einen gewissen Ausgleich gefunden zu haben, und schreibe weiter Theater in Französisch und Romane in Rumänisch.“ Wert, zitiert zu werden, sind auf jeden Fall seine Ratschläge für den angehenden Literaten: „Er soll im literarischen Leben aktiv sein, auch ein wenig Glück haben, er soll wenig schlafen, um gleichzeitig an drei Orten sein zu können, soll an Festivals und Kolloquien teilnehmen, wenn möglich auch geistreich sein, intelligent ohne Prahlerei, es schadet auch nicht rasiert zu sein, er muss unbedingt gebildet sein, muss sich mit allen Neuigkeiten in der Welt auf dem Laufenden halten, soll zumindest eine Sprache mit internationaler Zirkulation fließend sprechen und sich nicht entmutigen lassen, soll Schritt für Schritt den medialen Raum ausnutzen (sonst machen es die Schamlosen), er darf sich weder politisch noch ästhetisch einordnen lassen, sollte nicht wie ein Narr saufen, sich aber die Zeit gut einteilen, er soll keine moralischen Konzessionen machen, wie groß sein Wunsch zum Gelingen auch sei, und sich schrittweise einen inneren Kompass bauen, der ihm anzeigt, wenn ihm ein Kapitel, ein Theaterstück oder ein Gedicht gut gelungen ist …“ Uff, ein Ãœbermensch!

Paul Tischler wird in einer kurzen Vita als „der letzte deutsche Schriftsteller und Literaturhistoriker aus der Slowakei“ apostrophiert. Sein Essay Vom Zipserland nach Deutschland. Der Beitrag der Zipser deutschen Literatur zur Allgemeinen Deutschen Literatur ist eine literaturhistorische Rückschau, beginnend mit dem 14. Jahrhundert bis zu sich selbst.

Einen aufschlussreichen Text „über chinesische Lyrik und ihre Übersetzung ins Deutsche“ liefert Ulrich Bergmann. (Übrigens nicht zum ersten Mal.) Als Fazit bleibt nach der Lektüre dieses Essays die wohl unumstrittene Tatsache, dass man als Leser einem Übersetzer auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist – es sei denn, man lernt auch die Originalsprache. In diesem Fall Chinesich.

Ab Seite 249 kommt wieder die Lyrik zu ihrem Recht. Die Protagonisten der Poesie sind diesmal Klaus Martens, Michael Hillen, Nicolae Spătaru (aus dem Rumänischen von Francisca Ricinski) und Maximilian Zander mit dem Prosastück Ãœber Gedichte / Notizen eines Zugereisten. Kurzprosa kann man von Eric Giebel, Herwig Haupt, Irene Klaffke und Wolfgang Schlott lesen.

Wie es sich für eine seriöse Literaturzeitschrift ziemt, kommen auch in dieser MATRIX last but not least Buchbesprechungen zur Geltung. Es werden zum Teil sehr ausführlich sechs Bücher rezensiert. Für Freunde des geschriebenen Wortes kann dieses Zeitschriftenbuch bestimmt eine Bereicherung sowie ein sinnvoller Zeitvertreib sein.

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