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Ãœber das Vergessen zum Verschwinden und Wiederauftauchen
artikel [ Internet ]
Kolumne 94

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von [Delagiarmata ]

2014-11-16  |     | 



Wie konnte ich das nur vergessen? Das ist mir noch nie passiert. deutsch.agonia.net, der deutsche Ableger von poezie.ro / agonia .net, wurde vor 10 Tagen elf Jahre alt. Das war der 6. November, also der vorletzte Donnerstag. Was habe ich da gemacht? Ich weiß es nicht mehr. Tagebucheintragung? Fehlanzeige. Aber am 7. November steht der Vermerk: „Gestern Lebensbescheinigung für die Rente der Schwiegermutter nach Rumänien geschickt“. Mit Einschreiben und Rückschein. Man will ja auch wissen, sich vergewissern, dass die Nachricht von der eigenen Existenz auch ankommt.

Wenn ich ab und zu einen Text auf deutsch.agonia.net stelle, geht es nicht um ein paar Euro. Für sie, die Texte, gibt es nichts. Nicht einmal oder nur ganz selten einen digitalen Rückschein. Von wem auch? Wo ich doch (fast) allein geblieben bin – mit mir und meinen Texten. Aber auch mit meiner Vergewisserung: Deine Vergangenheit ist (noch) nicht von dir abgefallen, auch wenn die Zeit des Vergessens angebrochen ist – und mit ihr die Zeit des Verschwindens, auch von Texten, mit dem zurzeit so aktuellen Recht auf das Vergessenwerden.

Texte, um die es unabhängig von ihrer Qualität – wer kann hier schon objektive oder gar gerechte Urteile fällen? – meistens schade ist. Ich hatte zwei rumänische Gedichte von zwei Autorinnen ins Deutsche übersetzt. Beide ruhten dann längere Zeit in einem digitalen Ordner mit der Überschrift poezie.ro – Übersetzungen. Als ich meine deutsche Fassung des ersten Gedichts veröffentlichen wollte, musste ich zu meiner Überraschung feststellen, dass das Original auf der rumänischen Seite der Autorin verschwunden war. Mein Gehirn bemühte spontan die gorbatschowsche Lebensweisheit mit der Lebensbestrafung, wenn man zu spät kommt. Ich schickte der Autorin aber doch eine Mail und sie stellte ihr Gedicht wieder online, so dass meine Übersetzung zum Original verlinkt werden konnte. Was kann es Schöneres geben, als zwischen den Sprachen zu wandeln?

Mit dem zweiten Gedicht erging es mir ähnlich. Nur der Ausgang der Geschichte war etwas spannender. Die Autorin dieses Gedichtes antwortete mir nämlich, sie wäre nicht die Verfasserin dieser Verse, es müsse also etwas schief gelaufen sein. Meine elektronische Antwort mit der Kopie ihrer damaligen Veröffentlichung veranlasste die Dichterin, in ihrem Archiv zu suchen. Und wirklich, ein Tag später kam die Nachricht von dem wiedergefundenen Gedicht und gleich danach eine zweite mit dem Link zu den wieder onlinegestellten Versen.

Nun könnte man auf die Frage kommen: Warum tut der Mann sich das an, wo er doch nichts davon hat? Die Antwort darauf kann natürlich neben der Genugtuung, zwei Gedichte vor dem Schubladentod gerettet zu haben, nur eine egoistische sein. Und weil ich diese Antwort nicht schöner formulieren könnte, als Ernest Wichner eine solche in einem Interview mit der FRANKFURTER RUNDSCHAU (5. Okt. 2014) ohnehin schon formuliert hat, will ich diese meinen geneigten Lesern nicht vorenthalten: „Es ist beglückend, wenn einem etwas gelingt. Man lernt auch soviel dabei. Nicht nur neue Wörter und Sachen, sondern auch literarische Verfahren, Tricks, wenn Sie so wollen. Wenn Sie einen Roman lesen, überlesen Sie vieles. Beim Übersetzen geht das nicht. Sie müssen alles verstehen. Das ist der Reiz, das ist das Vergnügen. Man ist ständig in der Schule. Man erhält sich die kindliche Lernbereitschaft, man bleibt kindlicher. Ja, man wird jünger beim Übersetzen.“

In diesem Sinne, alles Gute zum 11. Geburtstag von deutsch.agonia.net auf poezie.ro / agonia .net!

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