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■ Eine Krone von Veilchen
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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2013-09-20 | |
Päpste kommen und gehen. Auch ein Literaturpapst ist gekommen. Vor vielen Jahren. Marcel Reich-Ranicki sein Name. Sein Reich war die deutsche Literatur. Er hat sie dem Verruf des Elitären entrissen und zu einem gesellschaftlichen Gemeingut gemacht. Seine Plattformen waren vor allem DIE ZEIT, die FAZ und das Fernsehen. Die Sendung im Fernsehen hieß Literarisches Quartett. Millionen Menschen haben zugeschaut, wenn Marcel Reich-Ranicki, Sigrid Löffler, später Iris Radisch, Hellmuth Karasek und jeweils ein anderer Gast sich über Bücher unterhielten, ja oft regelrecht stritten. „MRR“ gab stets das Tempo vor mit seiner etwas angerauchten Stimme in einer Sprache, der man bis zuletzt den sympathisch fremdlichen Klang seiner deutsch-jüdisch-polnischen Abstammung anhörte. Besonders in jenen Jahren zwischen 1988 und 2001, als in 77 Sendungen um die 400 Bücher besprochen wurden, fiel oft die Bezeichnung Literaturpapst, wenn von Reich-Ranicki die Rede war.
Jetzt ist er tot. Am Mittwoch, 18. September 2013, ist die literarische Sedisvakanz im deutschsprachigen Raum eingetreten. Und sie wird wahrscheinlich länger anhalten als jede bisherige im katholischen Rom. Im deutschen Literaturbetrieb ist weit und breit kein Nachfolger in Sicht. Zu vielseitig, zu einflussreich, zu markant, zu belesen, zu gradlinig war der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Er war eine Institution, die aus den Wirrnissen des Zweiten Weltkrieges hervorgegangen ist. Eine literarische Institution. Hans Werner Richter, der die Gruppe 47 aus der Taufe gehoben und bis zu ihrem Ende geleitet hat, erinnert sich in einem 1986 veröffentlichten Portrait an das Gruppenmitglied Marcel Reich-Ranicki: „Manchmal, wenn ich ihn sehe, denke ich: Er besteht nur aus Büchern, sein Nervensystem muss ein Buch sein, seine einzelnen Körperteile, sein Kopf natürlich – alles Bücher, nichts als Bücher.“ Kann so ein Mensch irren, wenn er Bücher lobt und Bestseller macht, oder wenn er Bücher verreist und ...? Ja er kann - und offenbart so das Menschliche im Papsttum, zumindest im literarischen. Bedauernswerte Unfehlbarkeit! Beispiele gibt es zuhauf auch bei Literaturpapst „MRR“ . Günter Grass räumte er nie eine Chance auf den Nobelpreis ein. Das Resultat ist bekannt. 19. November 1992, Literarisches Quartett. Löffler, Karasek, Radisch und Reich-Ranicki streiten über Herta Müllers Roman Der Fuchs war damals schon der Jäger. Die beiden Damen sind angetan von dem Buch, Karasek geht die „vielbeschworene Poesie furchtbar auf die Nerven“ und der Literaturpapst wettert: „Sie haben gesagt, Sie finden das Buch interessant und gut geschildert, nur das Poetische stört Sie. Das ist so, wie wenn Sie sagen würden, das Parfüm ist vorzüglich, nur leider riecht es schlecht. Die von ihr intendierte Poesie findet sich auf jeder Seite. Ich kann nicht ein Buch für gut halten, dessen Sprache so schlecht ist.“ Amen! Für diese Sprache hat Herta Müller den Nobelpreis bekommen. Wenn ich mich nicht irre, würde Sam Hawkens hinzufügen. Also ist nichts so ernst, dass es nicht auch der Unterhaltung dienen kann; sogar oder besonders in der Literatur, wird Marcel Reich-Ranicki in diesen Tagen doch auch mit dem Imperativsatz zitiert: „Literatur darf nicht nur unterhaltsam sein, sie muss es sogar!“ Ich habe in meinen Tagebüchern gesucht, erinnerte ich mich doch an einen Vortrag Reich-Ranickis in Ingolstadt. Nur wann war das? Hier: 20. Juni 1992. Und dazu folgender Eintrag: „Um 20:00 Uhr war ich im Stadttheater. Marcel Reich-Ranicki, der zurzeit erfolgreichste deutsche Literaturkritiker, hielt einen einstündigen Vortrag über die Wagner-Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“. Interessant war für mich besonders sein Schlußfazit: zuerst die Poesie, dann, aber unbedingt, die Kritik.“ Ich erinnere mich, dass es sich um einen Auftritt im Rahmen der Audi-Sommerkonzerte handelte. Und ich fand den Mann damals groß, viel größer als in seinem Fernsehsessel im Literarischen Quartett . Und ich erinnere mich, dass er viel über das deutsche Element in Wagners Oper sprach, er, der Jude. Seinen Vortrag hatte er unter das Motto „Des Widerspenstigen Zähmung“ gestellt. Eben ein Großer im wahrsten Sinne des Wortes. Sein unermüdliches und oft sehr unterhaltsames Wirken im Dienste der deutschen Literatur wird unvergesslich bleiben. Wenn es außer dem Ableben dieses großen Literaturkritikers – er wurde 93 Jahre alt – noch etwas zu beklagen gibt, dann ist es die schlechte Aussicht auf eine baldige Nachfolge auf dem Papststuhl der deutschen Literaturszene. |
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