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Heul Doch 2
prosa [ ]

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von [word2go ]

2004-03-21  |     | 



2

Sie war heute ungewöhnlich früh aufgestanden. Normalerweise kam sie vor elf oder zwölf Uhr nicht aus den Federn, doch heute konnte sie aus irgend einem Grund einfach nicht länger schlafen, obwohl sie gestern erst um sechs Uhr morgens ins Bett gekommen war. Phil lag wie erschlagen unter den Kissen und fühlte sich leicht schwitzig an. Ein Zeichen, dafür, dass der gestrige Abend noch an ihm nagte, folgerte Jana. Auch der Sex, den sie nach dem Heimkommen noch probierten, war alles andere als prickelnd und sie hatte nach zehn Minuten des phantasielosen Rumfingerns die Nase voll und das Trauerspiel beendet. Sex machte wenig Sinn, wenn Phil mit seinen Gedanken im Selbstmitleid schwebte. Während sie sich einen Joghurt aus dem wahrhaft jämmerlich bestückten Kühlschrank nahm, grübelte sie, ob sie nicht doch ein wenig Schuld an Roberts gestrigem Verhalten trug. Immerhin waren Robert und Phil die letzten sieben Jahre fast unzertrennlich gewesen. Dass hatte Phil zumindest behauptet. Und jetzt kam sie und brach in diese traute Männerfreundschaft ein. Nicht gerade nett von ihr.

Jana versuchte sich zu erinnern, wie es ihr damals ging, als Britta zum ersten Mal Georg anschleppte. Igitt, dieser eklige Typ mit den fettigen, total verschuppten Haaren. Was Britta nur an dem fand? Nein, damals war es anders gelaufen. Jana hatte sich anfangs wirklich bemüht, Georg zumindest ein wenig Freundlichkeit entgegen zu bringen, aber dieser Eierkopf, der nichts anderes im Sinn hatte als Fragen von der Art, wie viele Informationen auf ein Stück Tesafilm passen, war für ihren kreativen Intellekt ungefähr so stimulierend wie ein Stück Kartoffel. Doch aus einem unerfindlichen Grund liebte Britta diesen Idioten und so war ihre Freundschaft langsam eingeschlafen, nachdem Jana immer seltener Lust hatte, Britta nur noch im Doppelpack mit „Prinz Valium“ zu genießen, bzw. Britta anscheinend nicht das Bedürfnis nach ungestörter Zweisamkeit mit ihrer Freundin hatte. Jana wollte nicht, dass Phil und Robert dasselbe passierte. Sie musste es schaffen, dass Robert in ihr keine Gefahr für seine Freundschaft mit Phil sah. Vielleicht sollte sie Phil dazu überreden, einen oder zwei feste Abende in der Woche für seinen Kumpel freizuhalten. Doch das konnte ein schwieriges Unterfangen werden. Obwohl sie ihn erst kurz kannte, wusste sie wie freiheitsliebend Phil war. Und zu seiner Freiheit zählte er definitiv auch seine eigene Unorganisiertheit. Wenn sie bereits jetzt beginnen würde, ihm eine Art Stundenplan aufzupressen, konnte das später schlimme Folgen haben. Phil war absolut nicht der Typ, der auf Spontaneität verzichten konnte. Aber gegen Robert kämpfen wollte sie vorerst nicht, denn sie war sich sicher, dass nicht nur sie Britta, sondern Britta auch sie vermisste. Und sollte Phil Robert irgendwann vermissen, würde er sicher unterbewusst sie dafür verantwortlich machen.

Jana schob die düsteren Gedanken, die so gar nicht zu diesem sonnigen Morgen passten, beiseite und trat an die Balkontür. Phil’s Wohnung befand sich im zehnten Stockwerk und da die breite Fensterfront gegen Südosten lag hatte Jana nicht nur einen wundervollen Blick über die Stadt, sondern durfte auch das einzigartige Panorama der Alpen genießen. An solchen Föntagen war es immer, als hätte irgendeine unsichtbare Kraft die Stadt näher an die Bergkette gerückt, als würden sich Wendelstein und Wilder Kaiser direkt hinter der Marienkirche in den Himmel heben. Ganz unverhofft war Jana so richtig majestätisch zumute. ‚Königin Jana von Bayern, dies ist dein Reich’ flachste sie in sich hinein und versuchte sich vorzustellen, wie sie, mit einem Zepter in der Hand auf den Balkon trat, während ihr das Volk huldigte. Ohne Frage war München die schönste Stadt Deutschlands. Für eine Münchnerin zumindest. Kopfschüttelnd erinnerte sie sich an die zahllosen Sinnlosdiskussionen, die sie mit ihren ehemaligen Kommilitoninnen der Dresdener Kunsthochschule bereits über München gefochten hatte. Zu elitär, zu snobistisch und dabei doch nur ein verschlafenes Provinzhauptstädtchen. Mit der Zeit hatte sie es dann aufgegeben, den Leuten die Bedeutung des Münchner Mottos „Leben und Leben Lassen“ zu erklären. Man musste es wohl einfach selbst erfahren und gelebt haben, um den Zauber zu verstehen der von München ausgeht. Für Jemanden, der München gewohnt war, waren Bank und Punk, Biergarten und Theaterbühne, Tradition und Vielfalt keine Gegensätze mehr, sondern bedingten einander. Der Zwang zu einer bestimmten Szene dazugehören zu müssen, seine Identität von den anderen abgrenzen zu müssen, entfiel in München fast völlig. In diesem Sinne hatten ihre Dresdener Mitstudenten wahrscheinlich sogar recht. München war einfach ein großes Dorf. Aber ein liebenswertes eben.

Ein sanftes Kribbeln in ihrem Nacken riss Jana aus ihren Träumen. Sie spürte, wie Philip seine Lippen langsam in Richtung ihrer Schultern wandern lies und sie dabei immer wieder zärtlich berührte. Wohlige Schauer liefen über ihren Rücken und hinterließen ein wärmendes Gefühl in der Magengegend. „Willst Du nicht wieder ins Bett kommen, Göttin der Morgenröte?“ Nichts war ihr lieber als das.


Robert hetzte über den Platz. Gleich würde er ihn eingeholt haben. Mit einer letzten, langen Bewegung grätschte er in den Stürmer hinein und holte ihn brutal von den Beinen. Dieser wälzte sich theatralisch und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden. Hans, der Spielmacher der gegnerischen Mannschaft rannte auf Robert zu und rempelte ihn unsanft. „Sag mal bist Du bescheuert?“, schrie er ihn an, „wir sind hier doch nicht auf dem Schlachtfeld.“ „Ach, halt doch die Schnauze“, raunzte Robert zurück und trabte in Richtung des imaginären Strafraums. Er war angepisst. Philip hatte seinen Anruf nicht entgegen genommen. Doch Robert war sicher, dass er zu Hause war. Wahrscheinlich war er gerade mit dieser Kunsthippe zusammen und mit etwas Besserem beschäftigt. Dabei war das samstägliche Fußballspiel im Englischen Garten schon eine liebgewordene Tradition. O.k. das Foul gerade war eher aus Frust, denn aus Übereifer passiert, doch es war nicht Roberts Art, sich für sein Fehlverhalten zu entschuldigen. „Hart aber herzlich“ war seine Devise und wer damit nicht klar kam, hatte selbst Schuld. „Ich rede mit Dir, Du Arsch!“ Hans war außer sich vor Wut, denn Helmut, der Stürmer, den Robert von den Beinen geholt hatte, lag immer noch jammernd auf der Wiese. „Was?“, reagiert Robert gereizt, „das war doch nur Einsatz.“ „Mann, schau das Du abhaust, Du bist raus für heute“, schnauzte ihn sein Mannschaftskamerad Timo an, „mit Dir ist heute sowieso nichts anzufangen, so wie Du drauf bist.“

Beleidigt, aber dennoch lustlos weiter zu spielen, sammelte Robert seine Klamotten am Spielfeldrand zusammen und machte sich auf den Weg zur U-Bahn. Als er die Brücke am Eisbach überqueren wollte, streifte ihn eine Fahradfahrerin und riss ihn beinahe zu Boden. Robert wollte sich gerade umdrehen und dieser vollkommen Blinden etwas Unfeines hinterher schreien, als er sah, wie sie ins Schlingern geriet, ihr Hinterrad wegrutschte und sie unsanft mit dem Becken voran über den geschotterten Weg schlitterte. Autsch, das muss weh getan haben. Robert vergass seine schlechte Laune und lief der Gestürzten zu Hilfe. „Ist Dir etwas passiert?“, kam er auf sie zu, während sie sich bereits wieder aufgerappelt hatte. Die Hände auf die Knie gestützt stand sie am Wegrand. Ihre ganze linke Seite war vom Staub bedeckt, doch es bildeten sich bereits feuchte Flecken, wo der Schotter die Haut vom Fleisch gerieben hatte. Sie hob eine Hand abwehrend nach oben und bedeutete ihm, dass sie schon wieder in Ordnung sei. Robert jedoch sah, wie ihr die Knie vor Aufregung schlotterten. Er fasste sie sanft an den Schultern und drängte sie, sich auf die Wiese zu setzen. „Mann, das sieht ja richtig schlimm aus, Du solltest schleunigst zum Arzt“, entfuhr es ihm. Die Wunde war in der Tat ziemlich verdreckt.

„Entschuldige, ich wollte Dich nicht umfahren“, brach sie heraus. Er spürte, dass es ihr schwer fiel, die Tränen zurückzuhalten. Ihre Unterlippe zitterte, doch er wusste nicht, ob vor Schmerz oder vor Wut. Wahrscheinlich stimmte beides. Zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass ihn selbst diese bedauerliche Situation nicht davon abhielt, die junge Frau mehr als nur attraktiv zu finden. Sie hatte eine bemerkenswerte Figur und tiefgründige schwarze Augen, die ihn im Moment jedoch geradezu kläglich anflehten. Welcher Mann konnte schon einer weinenden Frau widerstehen? „Komm, Du hast doch keine Schuld, außerdem ist mir auch gar nichts passiert“, gab er beruhigend zur Antwort. „Dich allerdings bringen wir jetzt zum Onkel Doktor. Kannst Du aufstehen?“ Robert streckte ihr beide Hände entgegen griff sie and den Ellenbogen und zog sie auf die Beine. „Ich bin übrigens der Robert“, stellte er sich vor. „Maya“, entgegnete sie noch immer verhalten. „Glaubst Du, Du könntest mein Rad schieben?“ Robert, der das Rad bereits aufgerichtet hatte, prüfte, ob sich möglicherweise der Reifen oder sogar der Rahmen verzogen hatte. Doch das Rad hatte nichts abbekommen. „Sieht so aus, als hätte zumindest Dein Rad den Sturz heil überstanden.“ „Na toll, um den alten Bock wäre es nicht unbedingt schade gewesen.“ Zufrieden nahm Robert den schwarzen Humor zur Kenntnis. ‚Tough’ die kleine Lady, die er sich da buchstäblich vom Fahrrad gepflückt hatte.

Der Arzt hatte Maya fast eine halbe Stunde lang behandelt. Als sie das Arztzimmer wieder verließ war ihr linkes Bein dick mit orangefarbenem Desinfektionsmittel bedeckt. Die wohlgeratene Proportion zwischen Fessel und Oberschenkel ließ Robert dennoch eine gewisse Begierde verspüren. Er merkte, dass er drauf und dran war, wenn auch nicht sich zu verlieben, so zumindest doch ein näheres Interesse an dieser zierlichen Person zu entwickeln. „Hast Du etwa extra auf mich gewartet?“ Robert musste lächeln. Er war ganz wie selbstverständlich im Wartezimmer sitzen geblieben. „Irgendjemand musste ja auf Deine Tasche aufpassen“, lächelte er sie an und streckte ihr den grünen Umhängebeutel entgegen. „Und außerdem habe ich mir Chancen auf einen Eisbecher als Belohnung für meine Heldentaten ausgerechnet“, fügte er schnell hinzu. Jetzt hatte er sie überrumpelt. Genau da wollte er sie haben. Es war immer von Vorteil, Frauen vor vollendete Tatsachen zu stellen und dabei möglichst originell und spontan zu wirken. Er kannte keine Frau, die sich nicht durch Entschlussfreude geschmeichelt fühlte. Maya sah ihn überrascht an. „Da kann ich ja schlecht ablehnen, ohne knickerig zu wirken, oder?“ Robert zog die Mundwinkel zu einem Grinsen nach hinten, legte den Kopf zur Seite und hob die Arme zur bekannten Geste. ‚Da kann man halt nichts machen’ sollte sie bedeuten.

Aus einem Eis waren zwei geworden. Dann gab es Kaffee und schließlich waren sie bei den Longdrinks gelandet. Robert hatte sich lange nicht mehr so köstlich unterhalten und so langsam hatte er einen sitzen. Die Frau war echt erste Sahne. Wie er bis jetzt herausgefunden hatte, war sie 22 Jahre alt, studierte im dritten Semester Soziologie und jobbte abends in einer Schwabinger Kneipe als Bedienung. Nun wusste er auch, woher sie ihre Härte hatte, denn der Umgang mit Betrunkenen und Redseeligen war durchaus kein Zuckerschlecken. Sie hatten sich wirklich so richtig verquatscht und Robert musste feststellen, dass es auf dieser Welt tatsächlich noch jemanden gab, der ihn in Grund und Boden reden konnte. In der Regel kamen seine Gesprächspartner selten zu Wort, doch dieses Mal musste er darum kämpfen, wenigstens ab und an einen kurzen Kommentar in ihren Redeschwall einzufügen. Maya erzählte gerade von einer lustigen Begebenheit in ihrer Statistikvorlesung, doch die Worte gingen durch Robert hindurch. Er konnte einfach den Blick nicht aus ihrem Dekollete nehmen. Er konnte sie vor seinem inneren Auge richtig spüren. Fest und rund lagen sie in seinen imaginären Händen, mit steifen Nippeln, die sich mit jedem Streicheln seines Daumens ein wenig weiter aufrichteten. Sie hatte aber auch ein verdammt vorteilhaftes Top an, welches ihren Brustansatz unverschämt gut zur Geltung brachte.
Robert sah auf. Maya hatte ihre Geschichte beendet und er bemerkte, dass ihr bewusst vollkommen war, auf welche Art er sie anstarrte. Er räusperte sich. „Ähm, is ja `ne krasse Geschichte mit Deinem Prof.“ Dümmer hätte er sich nun ja gar nicht anstellen können. Er ärgerte sich. Sonst war er nie verlegen. Maya grinste ihn an. Auch sie hatte anscheinend schon ausreichend Alkohol intus, doch im Gegensatz zu ihm machte sie das nicht im Geringsten verlegen. „Erzähl doch mal“, fragte sie, „wie lange hast du schon nicht mehr mit einer Frau geschlafen?“ Das ging nun entgültig zu weit. Immerhin war er der Mann und er hatte die Initiative zu ergreifen. Er konnte sich von dieser Frau doch nicht einfach das Heft aus der Hand nehmen lassen. „Rate doch mal“, gab er Amüsiertheit heischend zurück, „aber glaub ja nicht, dass ich aus der Übung wäre!“ Nun war sie in der Defensive. „Lust es herauszufinden?“ Endlich war er wieder er selbst. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich bereits nach dem ersten Abend mit einem Wildfremden ins Bett steige“, versuchte Maya sich zu widersetzen. Doch Robert hatte bereits Blut gerochen. „Auch wenn er dir das Leben gerettet hat? Zumindest fast“, fügte er hinzu. „Dann hat er sich zumindest einen Kuss und eine Telefonnummer verdient.“ Maya beugte sich weit über den Rundtisch und hauchte Robert einen warmen Kuss auf die Lippen. Robert stockte fast der Atem. „Wenn du jetzt aufhörst, verpasst du die schönste Nacht deines Lebens“, atmete er und gab der Versuchung nach, sie wild und leidenschaftlich zu küssen.
Eine, in liebestechnischem Sinne äußerst wilde, U-Bahnfahrt später, kamen sie in seiner Wohnung an. Während er Maya spielerisch auf das Bett warf, bediente er im Vorübergehen den Anrufbeantworter. Es war Philip, der sich für sein Fehlen beim Fußball entschuldigen wollte. Robert grinste förmlich in sich hinein. Um den würde er sich morgen kümmern. Sollte Philip sich doch bei dieser drögen Künstlerin langweilen. Er, Robert, hatte jetzt gleich Sex und zwar mit einem wirklich heißen Braten.


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