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Unter den Rädern
prosa [ ]

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von [Ada Schwartz ]

2006-09-27  |     | 



Sein ganzes Leben lang hatte er nichts anderes gemacht als Autoreifen montiert.
Er kam als erster zur Schicht und ging als letzter. Es war keine schwere Arbeit. Zumindest geistlich musste er nichts leisten.
Da er nicht schlecht verdiente, sparte die Familie genügend Geld im Monat.
Er und seine Frau wollten sich den Traum vom eigenen Häußchen erfüllen.
Die ganzen Ersparnisse wurden nach Yugoslawien geschickt.
Es dauerte nicht lange und ein Bauplatz wurde ergattert. Jeden Sommer fuhr die Familie nach Yugoslawien und kümmerte sich um die Baustelle. Die fünf Wochen schufteten Sie wie die Sklaven.
Nach dem Urlaub kehrten Sie nach Deutschland zurück. Der Mann schuftete weiter in der Fabrik, die Frau nahm verschiedene Stellen als Reinigungskraft an.
Sie wohnten in einer Kellerwohnung zur Miete.
Möbel kauften Sie keine, verschiedene nicht zusammengehörende Möbelstücke wurden aufgestellt.
Die drei Söhne der Familie blieben in Yugoslawien bei den Großeltern.
Als die Kinder größer wurden holte er den ältesten nach Deutschland.
Die Wohnung wurde zu eng, aber das kümmerte niemanden. Eine größere Wohnung war zu teuer und das Haus in Yugoslawien war noch nicht fertig.
Da das Kind kein Wort Deutsch sprach, waren seine schulischen Leistungen dementsprechend schwach. Weder er noch seine Frau konnten ihm irgendwie helfen.
An einen Nachhilfelehrer hatten Sie nie gedacht.
Außerdem hätte es Geld gekostet. Sie brauchten das Geld eh für die Inneneinrichtung des Hauses.
Feinste Möbel aus Deutschland wurden gekauft. Teuere Bettlacken und Tischdecken wurden bestellt. Eine wunderschöne Küche mit allem drum und dran wurde nach Yugoslawien verfrachtet.
Leider erfreuten Sie sich kaum des neuen Hauses. Sie waren viel zu beschäftigt Verwandte zu besuchen.
Manchmal fuhren Sie ans Meer mit den Kindern. Die anderen zwei Söhne waren bei den Großeltern, sie wurden ihnen immer Fremder.
Irgendwann holten Sie die anderen zwei Kinder auch nach Deutschland.
Jetzt waren sie schon zu fünft in einem Zimmer. Die Kinder störten sich gegenseitig, lernten schlecht und wurden bald auf Sonderschulen versetzt.
Irgendwann wuchsen Sie heran und die Probleme wurden komplizierter. Die Söhne fingen an zu trinken und wurden in Messerstechereien verwickelt.
Sobald sie volljährig waren bekamen sie keine Lehrstellen. Sie lungerten den ganzen Tag zuhause herum.
Der Mann dachte, die drei Söhne wurden es irgendwie schaffen in der Fabrik Räder zu montieren und gutes Geld verdienen, schließlich hatte er seinerzeit auch keine Ausbildung und trank ab und zu über den Durst. Seine Fäuste blieben auch nicht Still wenn es um seine Würde ging, seinerzeit als er noch ein wilder Kerl war.
Aber die Situation änderte sich dramatisch in den letzten Jahren. Es wurde ihnen etwas über die Absatzlage erzählt, aber er verstand nichts davon.
So wurden seine Hoffnungen zerstört. Um Räder zu montieren hätten seine Söhne einen Abschluss benötigt. Er hatte kein blassen Schimmer was das bedeuten solle.
Irgendwann fiel die Entscheidung die Söhne zurück nach Yugoslawien zu schicken. Die Gegend blieb vom Krieg verschont. Die neue Wirtschaftsordnung befand sich im Aufbau.
Sie konnten doch Unternehmer werden.
Der Mann schuftete jetzt noch viel mehr als früher.
Er entschied sich in die Nachtschicht zu wechseln.
Zu dieser Zeit wurde seine Frau immer stiller, fast unsichtbar. Eines Tages ging sie ohne ein Wort zu sagen weg von der Arbeit. Ihr wurde gekündigt. Aber Sie erholte sich rasch und fing wieder als Reinigungskraft an zu arbeiten.
Bald hatten Sie das Geld zusammen. Die Söhne eröffneten einen Autohandel in Yugoslawien, und erwiesen sich als tüchtige Geschäftsleute.
Angeblich waren die Geschäfte die Sie machten nicht ganz „Sauber“ aber wen kümmerte das schon?
Wenn es ihnen verwährt wurde Räder zu montieren, mussten sie doch etwas machen um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Der Mann und die Frau blieben jetzt alleine in der kleinen Wohnung. Die Möbel die sie einst zusammengewürfelt hatten wurden immer klappriger.
Alles was Sie verdienten schickten Sie ihren Söhnen die sich schicke Häuser in Yugoslawien bauten.
Dreimal wurde Möbel gekauft, teueres Geschirr, Tischdecken und Bettlacken, „schließlich wollten die Jungs ja auch mal heiraten“.

Die einzige Abwechslung war der sonntägliche Spatziergang am Seeufer.
Sie drehten ein paar Runden und setzten sich auf eine Bank. Nie tranken sie ein Bier oder einen Kaffee, das wäre eine viel zu teuere Angelegenheit.
Die Frau sprach fast nichts mehr.

Schließlich kamen auch Enkelkinder, die von den Großeltern verwöhnt werden wollten.
Das Montieren der Räder viel ihm immer schwerer, schließlich war er in die Jahre gekommen.
Es wurden immer mehr Räder die er montieren musste.
Sein Rücken schmerzte und seine Hände wurden von Gicht angegriffen.
Er entschied sich die stattlich Abfindung zu nehmen und sich in das schöne Haus das er vor Jahren gebaut hatte zur Ruhe zu setzen.
Diese Summe war sehr hoch, die Lebenshaltungskosten in seiner Heimat niedriger, so würde er und seine Frau sich einen wunderschönen Lebensabend leisten.
Auf Wiedersehen Räder! Er hatte noch zwei Monate zu arbeiten.
Doch es ging ihnen Gesundheitlich immer schlechter, so konnten sie sich kaum noch an der Rückkehr erfreuen.
Seine Frau die kaum noch sprach und mit leerem Blick manchmal Stundenlang den Teppich oder die Decke anstarrte, bat ihn mit ihr zusammen die Gegend zu besichtigen in der sie seit 30 Jahren wohnten. Sie hatte nicht mehr gesehen als die Stadt in der Sie lebten und die Fabrik in der unser Mann jahrelang Räder montiert hatte.
Sie fuhren zu einer wunderschönen Burg. Dabei besichtigten Sie auch die Folterkammer.
Es wurde ihnen auch das Rad gezeigt. Eine junge freundliche Dame erklärte ihnen wie die Prozedur damals vonstatten ging.
Das Rad wurde dazu benützt die Knochen des Verurteilten Stück für Stück zu brechen, nachher wurde der jenige auf das Rad gebunden und langsam, langsam starb er einen qualvollen Tod.
Es schaute Minuten lang das Rad an.
Das Rad erinnerte ihn an seine Arbeit die er Jahrelang verrichtet hatte.
Nachts hatte er einen Alptraum.
Er sah sich selber als jungen Mann, er stand auf dem Schafott. „Der Scharfrichter näherte sich ihm und brach ihm alle Knochen mit dem Rad“.
Dann zog man ihn auf’s Rad und fuhr mit ihm an den Häusern seiner Söhne vorbei.
Eine tobende Menge schrie und jaulte vor Freude.
Ein Engel stieg von Himmel herab und sagte:
„Schau was du mit deiner Seele gemacht hast, du hast sie gerädert“! Und die Menschenmenge? „Es sind deine Neider“! Schau nur wie sie sich freuen!
Dann kam seine Frau auf ihn zu und sagte: „Du hast meine Seele auch gerädert, und die der Kinder um die wir uns nie richtig kümmern konnten, hast du auch gefoltert, unterm Rad“.

Da wachte er auf, seine Glieder steif, sein Mund trocken, sein Kopf schmerzte entsetzlich.

Er sagte laut:
- „Entschuldige meine Liebe, bald ist es vorbei, und wir fahren Heim“.

Die Frau sagte nichts, sie war nicht da.
Er stieg noch benommen aus dem Bett. „Sie war nicht in der Wohnung, sie war nicht zu finden“.
Er ging alleine die Straße entlang bis zum See. Da sah er ihre Kleider fein säuberlich auf einer Bank zusammengefaltet, ihre Schuhe hatte sie unter die Bank gestellt, und nun begriff er endlich was er schon längst vermutete.

Seine Frau wurde nach Yugoslawien überführt. Die Beerdigung fand mit geschlossenem Sarg statt, „Ertrunkene sehen nicht sehr erfreulich aus“.

Der Mann kehrte in seine Wohnung zurück, er hatte noch einen Monat zu arbeiten.
Er war so müde am ersten Arbeitstag so das er fast einschlief in der Mittagspause.
In den zwei Wochen wo er gefehlt hatte änderte sich einiges.
Er verstand nichts davon. Die Fläche wo die Räder aufgestapelt waren wurde verkleinert.
Mann stapelte nun viel höher um Platz zu sparen.
Der Chef quasselte irgendwas von Justin Time, oder so etwas ähnlichem. Er hatte keine Ahnung von English, sein Deutsch war ja auch nur aufs nötige ausgerichtet. Wer war denn dieser Justin?

Er merkte nur das alles hektischer wurde, und gefährlicher. Die Kollegen waren nervös und ungehalten, es redete niemand mit ihm über seine Frau. Wo früher sogar Geld gesammelt wurde wenn jemand einen Angehörigen verlor wurde jetzt nicht einmal darüber gesprochen. Die Pausengespräche blieben aus, da sie jetzt der Reihe nach abgelöst wurden und jeder ganz allein Vespern musste. Einige Kantinen wurden zu seinem Bedauern geschlossen, so konnte er mit niemandem ein Wörtchen sprechen und den Verlust seiner treuen Kamaradin verarbeiten.
Er sinnierte vor sich hin, als er alleine unter dem Stapel Autoreifen seine Vesper verspeiste:

„Wann habe ich ihr zuletzt gesagt wie sehr ich sie liebe“?
„Habe ich ihr jemals gesagt dass ich sie so schön finde wie am ersten Tag“?

Ah wie sehr ich dich vermisse meine Liebe!

Er war froh in zwei Wochen mit seinem Leben „unter Rädern“ Schluss zu machen. Er konnte das alles nicht mehr ertragen. Es war nicht mehr sein Arbeitsplatz, es war nicht mehr seine Welt. Alle schmeißen mit Fremdwörter um sich rum, er als alter Mann konnte da nicht mehr mithalten.
Die Stadt kam ihm schmutzig und klein vor, der See trüb und stinkend.
Es zog ihn zu diesem Schloss hin, wo er „das Rad“ zum ersten mal gesehen hatte.
Seine Frau stand damals wie gebannt und starrte in die Landschaft. Sie sagte:

- „Wie schön, wie schön! Viel schöner als zuhause“!

Nachdem sprach sie den ganzen Tag kein Wort mehr.

Der Vorarbeiter hieß jetzt anders, er schrie ihn immer öfter an.
In der Pause setzte er sich unter den riesigen Stapel Reifen und starrte vor sich hin. Er schlief nachts so schlecht und unruhig so dass er Tagsüber seine Augen nicht mehr offen halten konnte.
Er schlief ein.
„Der Stapel war zu hoch“, einige Reifen lösten sich und prasselten auf ihn nieder.
Ein Rad fiel auf sein Bein und brach ihm das Knie, das andere brach ihm den Arm und schließlich brach ihm das letzte Rad „das Genick“.

Die Abfindung zahlte man seinen Söhnen aus.
Zum Glück, denn die Söhne währen sonst in den Knast gewandert. Die Geschäfte mit Autos waren nicht legal, es handelte sich nämlich um gestohlene Fahrzeuge, die nachher in die Ukraine oder weis Gott wohin verschoben wurden.
Nur Gut das der Vater das nicht mehr erleben musste.
Mit dem Geld konnten Sie einige Richter bestechen und kamen frei.


Die Kollegen sammelten Geld. Gewerkschaftsmitglied war er nicht, das Geld hat er sich gespart. Trotzdem schickte auch die Gewerkschaft ein Blumengesteck.
Die Söhne ließen ihn in Deutschland einäschern da es billiger war, und sie brauchten ja das Geld um einen neuen Autohandel anzufangen.
Ein Landsmann der auch nicht besser Deutsch sprach als der Verstorbene hielt die Grabrede. Er wurde ja in Deutschland begraben, die Überführung hätte zu viel gekostet.

- Er kommt Deutschland vor viel Jahre. Immer arbeit. Jetzt Tot. Totgemacht dieser Justin!

„Aber wer war Justin“? „War er der Scharfrichter aus seinem Traum“?
Und wie hieß er mit Nachname?
Er hatte einen wunderschönen Namen, „er war der neue Herrscher der Welt“.
Er hieß Time…..“Justin Time…..oder Just in Time”…..?
Er stammte aus einem adligen Geschlecht, so alt wie unsere Welt…..

„Die Zeit unser kostbarstes Gut“, sie vergeht und verrinnt wie im Flug unterm Rad.
Und wie heißt dein Scharfrichter? Er wartet sehnsüchtig darauf auch über dich zu richten.
Du kannst ihn nicht aufhalten, er schenkt dir keine Sekunde.
Kannst du es hören, das Knirschen….? Unterm Rad….

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