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■ Eine Krone von Veilchen
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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2007-09-05 | |
Schwindlig wurde ihm jedes Mal bei ihrem Anblick, seine Hände wurden gefühllos, seine Knie weich und in seinen Eingeweiden rumorte es wie in einem hoffnungslos überfüllten Terrarium.
So konnte und wollte er nicht weiter machen. Es musste sich etwas ändern, und zwar etwas Entscheidendes. Seit Wochen lebte er nur noch von Wasser und Zwieback, an Schlaf war überhaupt nicht mehr zu denken, gäbe es nicht hin und wieder ein paar Gläser Rotwein. Eines Tages wird sie mir gehören, eines fernen Tages nur für mich sich öffnen und ihr Geheimnis preisgeben. Aber bevor es so weit ist, gilt es noch viel zu arbeiten, Tag und Nacht fleißig sein, besonders nachts, wenn die Ablenkungen des Tages nicht mehr vorhanden, und alle Sinne für die Mysterien der Nacht offen sind. Nur diese und ähnliche Gedanken kreisten in seinem Kopf, sonst war nichts wichtig. In seiner Wohnung hatte er eine große weiße Wand frei gelassen, kein Möbelstück, kein Bild, keine Pflanze, nur glatte weiße Fläche. Jede Nacht holte er sie zu sich. Auf diese große weiße Wand zauberte er sich mit Hilfe moderner Technik seine Göttin. Nur für ihn war sie jetzt da, nur mit ihm verbrachte sie ihre Nächte, und doch blieb sie immer irgendwie fern, unnahbar und entrückt. Und diese Tatsache machte ihn in manchen Nächten halb wahnsinnig und rasend vor Eifersucht. An besonders schlechten Tagen, und das waren die meisten seiner Tage, gesellte sich zu diesen Zuständen noch ein tiefer Groll hinzu. Sie ist doch nur eine kleine neapolitanische Hausfrau gewesen, woher nimmt sie nur diesen Hochmut. Und ganz selten gab es auch Augenblicke, da war ihr Lächeln süß, verheißungsvoll und voller Versprechen. In solchen Momenten hielt er stundenlange stumme Zwiesprache. Sag mir, dein Gemahl der Marchese Piero Francesco del Giocondo, wie hat er dich genannt in euren zärtlichen Stunden, sagte er einfach nur Mona, oder vielleicht Lisa, du warst bereits seine dritte Gemahlin, was war mit deinen beiden Vorgängerinnen? Hat er sie verstoßen oder hat er sie vielleicht umgebracht? Zu deiner Zeit hat man diese Dinge noch nicht so genau genommen. Und warum trägst du keinen Schmuck? Und wie war das mit Leonardo? Hattet ihr eine kleine Liaison? Du warst erst vierundzwanzig Jahre alt als er dich malte, dein Gemahl vielleicht wesentlich älter als du? Nun, Leonardo war ja auch schon im reifen Mannesalter von einundfünfzig, aber du hast manchmal so einen Ausdruck im Gesicht, so als hättest du gerade,---- als hättet ihr gerade,-- na ja lassen wir das. Sag mir, wie war er so, war er ein Spinner? Schließlich hat er alle seine Bücher in Spiegelschrift geschrieben und außerdem war er Linkshänder! Während seines ganzen Lebens hat er sich von deinem Bild nicht getrennt. Es hat ihn auf allen seinen Reisen begleitet, und das, liebe Mona, das machen die Verliebten heute noch genau so, nur das die Bilder, die sie mit sich herumschleppen, wesentlich kleiner sind, also war er doch verliebt? Ach Mona, das sind zuviel Geheimnisse für einen jungen, einsamen Kunststudenten. Er hatte sich jeden Quadratzentimeter ihres Gesichtes lustvoll eingeprägt, er lernte die Haltung ihrer Hände indem er sie unzählige Male zeichnete. Besonders die Augen und der Mund, es gab in seinem Zimmer viele einzelne Blätter nur mit ihren Augen und ihrem Mund. Von mir wirst du Schmuck bekommen, sagte er leise. Ein großer grüner Stein an einer goldenen Kette für deinen prachtvollen weißen Hals, und einen Ring mit einem grünen Stein für den Zeigefinger deiner rechten Hand. Aber dann sah er es wieder in ihrem Gesicht, die pure Gleichgültigkeit und Zurückhaltung, und sein Zorn gewann wieder die Oberhand. Für jeden lächelst du, schrie er sie an, immer dieses geheimnisvolle, oberflächliche, kühle Lächeln. Aber für mich wirst du eines Tages weinen, ich werde es sein der dich zum Weinen bringt und dann werde ich meine Ruhe finden, meine Gelassenheit, meine Lebensfreude, dann werde ich dich entzaubert haben. Und vielleicht wird es auch noch so weit kommen dass man dich mit Füßen tritt. Das wird mir leid tun, mir wehtun, ich werde leiden wie ein Hund, ich werde mich krümmen vor Schmerz und viele tausend Tode sterben, aber dann werde ich frei sein und kann meine verlorene Liebe still beweinen. Der Himmel über Berlin war graublau und bereits in den frühen Morgenstunden war es unerträglich schwül. Er hatte den Wetterbericht gehört und deshalb beeilte er sich seine Utensilien zusammen zu packen. Heute wird es passieren, es ist der richtige Zeitpunkt, und er hatte sie vollkommen in seinem Kopf, in seinem Gedächtnis, in jeder Zelle seines Körpers und natürlich besonders in den Fingern. Ja, Mona, dachte er, ich habe dich völlig in der Hand. Die vielen Nächte mit ihr hatten ihn sicher gemacht. So früh am Morgen waren nur wenige Passanten unterwegs, aber er wählte eine stark frequentierte Straße in der Nähe vom Bahnhof Zoo. Die Berliner lieben ihre Künstler und umrundeten deshalb respektvoll den spindeldürren jungen Mann, der auf der Straße kniete und offenbar ein sehr berühmtes Gemälde auf das Pflaster zauberte. Aber nur wenigen fiel es auf, dass etwas nicht dem Original entsprach. Mona Lisa trug prachtvollen Schmuck an Hals und Fingern. Einige Leute legten ein paar Münzen an das untere Ende des Bildes, blieben für ein paar Augenblicke stehen und betrachteten die wunderschöne junge Frau auf einer der vielen Straßen in Berlin. Es war bereits früher Nachmittag als er endlich fertig war, über Berlin lastete brütende Hitze. Er stand neben seinem Bild, die Hände tief in den Hosentaschen versenkt und beobachtete den Himmel so konzentriert, als erwarte er von dort die Lösung seines Problems. Er musste nicht lange warten, der Himmel verfinsterte sich dramatisch, und als die ersten Tropfen fielen bildeten sie kleine, bunte, vom Kreide- und Straßenstaub eingehüllte Kügelchen. Unentschlossen rollten sie ein wenig hin und her, vereinigten sich mit anderen Tropfen, wurden größer, und kullerten über Mona Lisas Antlitz. Es hatte den Anschein, als würden aus ihren Augen dicke Tränen rinnen. Sie hinterließen tiefe Spuren in ihrem schönen Gesicht und für einen kurzen Augenblick konnte man an Mona Lisas Tränen glauben. Mama, siehst du das, rief ein Kind und zeigte auf das Bild, die Frau weint. Ach ja, dachte er, Kinder mit ihrer etwas anderen Sicht der Realität, er freute sich sehr über diese Worte. Aber in dem nun einsetzenden Platzregen hatte niemand Zeit für das Weinen der schönen Gioconda. Viele hundert Füße liefen nun respektlos und ohne Rücksicht über das Bild auf der Straße. Die Farben der Kreidezeichnung vereinigten sich zu einem einzigen bunten Rinnsal, und Mona Lisa verschwand mit all ihrer Schönheit, ihrem Lächeln, ihrem neuen Schmuck und ihren Geheimnissen in der Kanalisation von Berlin. Niemand achtete auf den Jungen Mann über dessen Gesicht der Regen strömte, vielleicht waren es auch Tränen, der sich die wenigen Münzen einsammelte, tief einatmete und sich dann seltsam beschwingt auf den Weg machte. Wahrscheinlich bin ich der Einzige weit und breit der Mona Lisa zum Weinen gebracht hat, dachte er, der Regen hat Abkühlung gebracht, und ich werde heute seit langem wieder einmal gut schlafen. |
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