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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2006-02-16
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Wir saßen in jenem hervorragenden Palast, im B-Palast, nennen wir ihn Barockpalast, nach dem Vorschlag des Langstreckenfreundes Laurenziu N., auch er Schriftsteller, damit wir uns verstehen. Es gab dort im Obergeschoss einen riesengroßen Raum, umgebaut in eine Küche, obwohl man locker eine Zweizimmerwohnung darin untergebracht hätte. Auf dem Tisch mit dem Wachstuch, das ein verlassenes Fräulein zeigte, ähnlich einer auf dem Rücken liegenden Barbiepuppe, aber bekleidet wie im 18. Jahrhundert, über das sich ein Jüngling in Pagenuniform einschmeichelnd beugte, thronte eine große Obstschale mit Kirschen (ein Beitrag der sympathischen Nachbarin, Agronomingenieurin, die das... Konkubinat in jenen gefährlichen Jahren ausprobierte) und eine Flasche Holundersaft, soeben geerntet am Temeschufer, irgendwo an der ªpãneasca-Mühle. Wir hatten kein Coca Cola, mussten also improvisieren...
So saßen wir nun in einem wirklichen Palast, ein architektonisches Kleinod, das man auch heute noch bewundern kann und dessen ehemalige Eigentümerin, eine absolut bemerkenswerte Frau, eingeengt mit dem Rest ihrer Habseligkeiten in einem einzigen der ungefähr 70 Zimmer, die das imposante Gebäude hatte, lebte. Ich erinnere mich noch gut an die hohe, geborstene Tür und an die vergilbte Visitenkarte mit dem eleganten Schriftzug aus anderen Zeiten: Lea Dr.Bejan. Hinter der Tür, ein Mischmasch von geschnitzten Möbelstücken, zusammengepfercht wie in einem Lager, Stilstühle in Packpapier eingehüllt, mit den Stempeln nach oben, auf dem massiven Kleiderschrank, große, dunkle Gemälde, auf denen man lange Gesichter vage erkennen konnte, schlichte Familienszenen oder weite und fremdartige Landschaften... In diesem faszinierenden Raum war das Bett der Alten die einzige „Insel“, einigermaßen frei von der Quadratmeterenge, schon ächzend unter der Last der Jahre, der schweren Matratzen und der muffigen Kissen in Braun-Purpur-Tönen. So „verbannt“ mit 90 Jahren, entwickelte die ehrfürchtige Dame eine spezielle Beziehung zu einer ungeahnten Person – und hier denke ich an meine Tante „Der Drache“, von deren Appartement sie nur eine Tür trennte. Manchmal, in tiefster Nacht, erinnerte sich die Alte der guten alten Zeiten und hämmerte kräftig an die Tür: „Spann die Pferde ein, wir fahren nach Karlsbad!“ Und die Großmutter schlüpfte schnell mit schlaftrunkenen Augen in ihre Rolle: „Gleich, gnädige Frau, aber der Weg ist weit und Sie müssen vorher etwas essen!“ Nach dem kleinen nächtlichen Mahl schlief die Alte zufrieden ein und wir trugen sie ins Bett wie ein Kind mit glücklichen Träumen... Sie kam nicht mehr nach Karlsbad, aber „Der Drache“ war auch für sie dort, oder in ihrem Namen, natürlich ohne Kutsche, nur mit einer blauen Porzellankanne zurückkehrend, auf welcher in banalem Touristenlogo zwei Wörter eingraviert waren: Karlovy Vary. Jetzt, nach mehr als drei Jahrzehnten, halte ich die Kanne fest in den Händen, mit gesenkten Lidern, so etwas wie einen „Lampengeist“ anrufend, der mir dieses prunkvolle Dekor, mit seinen herrlichen Verfallserscheinungen zurückbringen soll. „Moonika, Moonika“ – aus der Küche rief die Alte mit unverkennbarer Stimme und dem langen Akzent auf „o“ nach meiner Kusine. Ich kroch auch, ungebeten, zwischen ihren Füßen herum, betrachtete die sepia Bilder, die sie in diesem diffusen Licht, eine Mode der Epoche, enthüllte, Lea die berauschend schöne, in ihren Jugendzeiten, wie eine Puppe mit Porzellankopf, mal vom kleinen Schleier, mal vom Federfächer bedeckt. Lea, welch ein Name, Leea erschien mir treffender, so hätte sie heißen sollen, wie unsere Moonika, natürlich, ergänzt von mir selbst mit dem Partikel Ka*, im Einklang mit der Atmosphäre. Damit ich mich nicht langweile, drückten sie mir eine Schachtel mit alten Fotos in die Hände. Meine Kusine aus den Augenwinkeln beobachtend, wie sie ihre Tortenrezepte gewissenhaft notierte, entzifferte ich mit Mühe die mit Tinte kalligrafierten Liebeserklärungen oder Widmungen und versuchte, die Schöne aus den zwanziger Jahren in der Alten zu erkennen, die sich jetzt in einem blauen, abgenutzten Schlafmantel, der ihre geschwollenen und mit violetten Venen durchfurchten Elefantenknöchel entblößte, geschäftig machte. In der Küche war es warm und angenehm, es roch nach Äpfeln, Raki und Schimmel. Ich betrachtete durch den Rauch das Messinggeschirr, das massive Lavoir, zugedeckt mit einem Wachstuch und den Gravuren, die skelettartige Tiere darstellten, unter denen Texte in gotischer Schrift zu lesen waren. Es waren die Hündchen der Frau Lea, vor Zeiten bei Wettbewerben ausgezeichnet, in Wien... da schau her, diese Kreaturen mit den vorspringenden Rippen hatten in Wien Preise erzielt, kam mir in den Sinn, nur so, als ich die Eisenbrücke überschritt, ihre Balustrade mit einer 15-Bani-Münze verkratzend. Ich hatte mein eigenes Ritual, nach welchem ich die Brücke ohne eine griffbereite Münze nie überquerte. Später erfuhr ich, dass die Fuhrmänner auf der alten Holzbrücke zwischen Rumänisch- und Deutschlugosch wirklich Maut gezahlt haben, in Kreuzer, die Münzen der Zeit, und die vier Läden an den Brückenenden Mauthäuschen waren. So kommt es, dass ich heute zufrieden bin – ich habe meine Überquerungen der Eisenbrücke auf meine Art und Weise bezahlt, auf dem Weg zum Kinderpalais; das wiederum rief in mir die Erinnerungen an die Jahre des Films wach, um sie dann ins Nirgendwohin zu führen... Anmerkung(*): Lea ergänzt mit „c“ (deutsch „k“) ergibt Leac = Heilmittel, Arznei |
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