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Stummes Gebet
prosa [ ]

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von [elienne ]

2006-01-17  |     | 



Sie trat in das Haus Gottes ein. Ddas Weihwasser tropfte von ihren Fingern auf die Stirn, sich mit den Regentropfen vermengend und am Herz das Kreuzsymbol vervollständigend. Halbdunkelheit und kalte Luft umschlossen sie. Nur der Klang ihrer Schritte unterbrach die regungslose Stille.
Das Flackern angezündeter Kerzen warf dunkle, spielend bewegende Schatten auf die dahinter stehende Wand. Sie zündete zwei Kerzen an: eine, um den Weg dieser Welt zu erleuchten, die andere als Lichtblick für die weggegangenen Seelen. Sie hatte ihr ganzes Leben immer zwei Kerzen angezündet, weil sie ihr ganzes Leben immer jemanden lieb, hier aber auch da drüben hatte, und die Zahl derer von drüben wurde immer größer.

Sie trat vor den Altar und kniete nieder.
Der Tag zuvor war wunderschön gewesen. Es war einer jener Tage, die einen glücklich machen: morgens der Telefonanruf ihrer Tochter, die die Prüfung bestanden hatte, später der überraschende Anruf und der Spaziergang im Schnee und in der warmen Mittagssonne, und als Krönung des Tages der Schlittschuhlauf auf der erstarrten Wasserfläche des kleinen Sees in der Nähe. Sie hatte längst vergessen, was für Glücksgefühle das Gleiten und Drehen auf Eis entstehen lassen können. Und obendrein noch der auf der Straße gefundene Glückscent... Ja, es war ein schöner, glücklicher Tag gewesen...

Und wieso kullerten ihr jetzt Tränen übers Gesicht? Das Gefühl, welches ihr Herz jetzt umfasste, war bedrückend, zerreißend und quälend. Sie wusste nicht warum, aber sie fühlte ihr Herz wie in einer Klaue eingeschlossen, die immer stärker zudrückte.

- Warum, Herr, warum finden wir den Weg zu Dir, wenn wir traurig sind, wenn unser Herz leer ist? Warum suchen wir Dich, wenn wir uns alleine fühlen, wenn wir uns verlassen glauben, wenn wir nicht mehr weiter wissen? – fragte sie stumm und wischte sich mit den Handrücken die nassen Wangen. Warum? Warum suchen wir Dich nicht auf, wenn es uns gut geht, wenn wir glücklich sind? Dann vergessen wir Dich und erinnern uns nur, wenn es uns elend geht. Warum?

- Weil ich Liebe bin, und wenn ihr glücklich seid ist euer Herzen voll von Liebe. Ich bin in euren Herzen. Wenn ihr aber traurig oder unglücklich, alleine und verzweifelt seid, dann glaubt ihr, ich hätte euch verlassen. Würdet ihr ein bisschen tiefer in eure Herzen schauen, dann würdet ihr mich dort gleich finden, denn ich bin immer bei euch. Nur ihr vergisst das. Genau wie Du. Aber jetzt weißt Du, und jetzt hast Du mich wiedergefunden. Denn ich bin bei Dir. Immer und ewig. Du müsstest dich nur erinnern.....

Die Klaue um ihr Herz öffnete langsam ihre Krallen. Sie atmete tief ein und aus. Die gefalteten Hände führte sie zum Herzen und zum Mund und zur Stirn. Und wiederum zum Herzen.

- Danke, ich danke Dir, für den glücklichen Tag gestern und für den traurigen Tag heute, für all die Tage und Stunden, für all die Momente und die Augenblicke... Ich danke Dir!

Draußen vermischten sich die diamantenen Tropfen auf ihren Wangen mit dem Wasser des Regens. Jetzt waren ihre Tränen aber Tränen der Dankbarkeit und nicht mehr der Verzweiflung. Sie hob ihren Kopf und schaute in den grauen, verregneten Himmel, wohl wissend, dass hinter den nassen, schweren Wolken die Sonne weilte. Ihr Herz war wieder ruhig und leicht und auch der kalte Regen war freundlich und melodisch. Sie war wieder im Einklang mit sich selbst und mit dem Allumfassende ringsumher....

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