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Bei der Granatapfelernte in Rahova – 46
prosa [ ]
Erinnerungsroman von Anni-Lorei Mainka [Almalo ] (1958 – 2014)
Serien: Ãœbersetzungen

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von [Delagiarmata ]

2025-02-12  |   

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Ãœber russische und Schweizer Uhren

Im 56er Bus hast du selten einen Menschen mit einer Handuhr gesehen. Wenn einer eine hatte, zeigte er sie, die Ärmel bis zum Ellbogen aufgeschürzt. Im Hemd waren wenige. Wenn sie ein Hemd anhatten, trugen sie auch ein Jackett (heute sagt man Sakko) oder eine Ballon- oder Lederjacke. Die mit „Jacke“ hatten natürlich keinen Platz mehr im Sonderbus zur I.F.A. (Institut für Atomphysik in Măgurele), dem Bus für die von weit kommenden Angestellten, die Auserwählte des Schicksals zu sein schienen. (Sie, die Busse, waren sauber, und ich habe nie einen mit Panne gesehen!) Eine Art „Arche Noa“, die täglich an uns vorbeifuhr, uns ignorierend oder höchstens verspritzte, wenn wir uns nicht schnell genug an die Mauer der Militäreinheit pressen konnten. Morgens fuhren die I.F.A.-Busse in Reihen nach Măgurele und abends brachten sie die Angestellten zurück und verteilten sie im 13. September-Viertel oder auf dem Unirii-Platz. Wer keinen Platz in einem dieser Busse fand, drängte sich in den 56er der Normalsterblichen.

Man wusste, dass sich nicht jeder eine Jacke leisten konnte. Eine Jacke war aus echtem Leder, handgearbeitet, man sah es an den robusten Ärmelnähten, und ihre Träger waren sehr stolz damit. Darum sage ich: Die mit den Lederjacken waren nicht aus Rahova und um sie herum bildeten sich freie Räume. Der Jackenträger mit Handuhr, die meisten russisch, mit großem Zifferblatt und goldenem Rahmen, wollte unbedingt durch die Fenster schauen und beklagte die ungewaschenen Scheiben. Er war aber auch der, dem ins Angesicht gesagt wurde: „Hei, wenn es dir nicht passt, hei, nimm dir ein kleines Auto.“

Der „Jackenmensch mit Handuhr“ redete mit niemand, aber die aus dem Bus 56 fragten ihn auch nichts, wussten sie doch, dass sie keine Antwort bekommen werden.

„Eine Uhr, schau, jetzt gehört sie dir, geh achtsam mit ihr um“, sagte Mutter eines Tages, mir eine kleine Uhr reichend, gelb. Und sie fuhr fort mit dem Schneiden von grünem und rotem Paprika, um die Schoten in langhalsige Milchflaschen zu pressen. Diese Beschäftigung zog sich durch den ganzen Herbst. Ihre Worte haben mich überrascht, sie schienen mir „ziemlich groß“ für eine so kleine Uhr zu sein. (Ich glaube, genau das gedacht zu haben, als Mutter ihren Schritt zu meiner Maturität machte.) Es war eine DDR-Marke „Ruhla“, die ein ostdeutsches Marktmonopol besaß. Mutter hatte von ihren Eltern keine Uhr bekommen, also hatte sie mir eine von ihr gekaufte gegeben, aber für eine Schweizer Uhr hatte sie kein Geld. Nach einigen Wochen sagte sie mir auch überraschend, dass ich sie nicht tragen dürfe, sie war „zu teuer“, und sie gab mir für den „Alltag“ eine „Racheta“, robust und russisch. „Ruhla“ war auch aus dem kommunistischen System, hatte aber etwas Delikates, wie eben jede Uhr etwas Eigenartiges hat. „Racheta“ war eine große Uhr, so viel. Eine Handuhr war eine Handuhr, eine Wanduhr eine Wanduhr. In jedem Jahrhundert war die Uhr eines der ersten Objekte, an dem man „den Geschmack der Zeit“ erkennen konnte.

Ich erinnere mich an den Wecker aus der Kindheit. Er war viereckig mit einer Art Dach und schüttelte sich kräftig, wenn er klingelte; so zitterten auch wir, wenn wir das Fischöl schluckten. Um ihn noch lauter klingeln zu lassen, stellte Vater ihn in einen Blechteller. Dann solltest du ihn sehen, als würde er auf Glut stehen. Ich habe bei Anderen größere Wecker als unseren gesehen, auf einem stand CFR*, mit einem für meine Kinderaugen erschreckenden Zifferblatt.

Ja, ein Wecker war ein Wecker im wahrsten Sinne des Wortes. Er konnte weder singen, noch filmen, und von Fotografien gar keine Rede. Und er weckt dich bloß im Haus, woanders bist du selber aufgestanden oder er riss dich mit seinem Klingeln brüsk aus den sanften Träumen des Morgens, und du brachtest nicht mehr den Mut auf, dich wieder hinzulegen, vor Angst er könnte wieder klingeln. Ja, er tat seine Pflicht und weckte alle; so auch unser Wecker, er weckte „sogar die Toten“.

Ähnlich verhielt sich auch die Lokomotive im Nordbahnhof, sie pfiff laut, dann ließ sie Dampf ab und war eingehüllt in einen Nebel, in dem sie mitsamt den Menschen verschwand. Diese Gischt, die im Bahnhof dickbäuchig daherkam, wurde immer feiner. Ich glaube, der Nebel ernährte sich aus dem Geräusch der Lokomotiven; alles schien kleiner, in die Länge gezogen, nachdem der Nebel von der Linie 1 abgezogen war. Vater fuhr immer von Gleis 1 weg. Gut, damals gab es auch noch nicht so viele Gleise. Oder sah ich nur die, von denen Vater wegfuhr?

Aber meine „Racheta“ hatte nichts von der Haltung einer Handuhr. Sie war zwar viereckig, du konntest eindeutig sehen, dass die Zeit vergeht, aber sie passte an kein Handgelenk. Höchstens an das eines Zimmermanns, der die Uhrzeit über den Dächern der Welt ablesen musste. Meine Kollegen hatten schon Armbanduhren in den kleineren Klassen. Die Uhr war ein Wohlstandskennzeichen. Ich war eine der Letzten, die eine Uhr besaßen, als die Anderen sie längst als ein Alltagsobjekt betrachteten. In der dritten und vierten Klasse fühlte jeder, der mit eine Uhr in die Schule kam, sich größer, wie an einem Feiertag, ging mit bedachtem Schritt und ausgestrecktem Arm, um uns die Trophäe zu zeigen, mit der er „ins Leben eintrat“. Wir versammelten uns alle unter der riesigen Kastanie in der Mitte des Schulhofes und sahen zu, wie er sie hin und her schwenkte und andächtig über das noch glänzende Glas strich. Die Uhrbänder waren aus Leder und erst gegen Ende der Lyzeumszeit erschienen Metallbänder, die dir die Haut einzwickten und bei schlechter Qualität grüne Spuren hinterließen.

Aber es waren keine Uhren mit Batterien, nein. Abends musstest du sie einstellen, aufziehen, das winzige Rädchen einige Male drehen, vorsichtig, um es nicht zu überdrehen. Wenn du nur einmal zu oft umgedreht hast, brach die Feder. Das Handwerk der Uhrmacher war ein seriöser Beruf, sie wurden respektiert, denn beim kleinsten Problem landeten die Uhren in ihren Händen. Alle hatten etwas gemeinsam: Sie waren friedliche Menschen, wohnten in kleinen Zimmern mit vielen Tischlampen, und wenn du eingetreten bist, haben sie sich gefreut. Wer auch immer eintrat, der Uhrmacher sah in ihm einen Freund und keinen Kunden. Mutter hat mir erzählt, dass vor dem Krieg alle Leute so waren, voller Freude und Freundlichkeit, wenn du in einen Laden eingetreten bist. Vielleicht freuten sie sich, weil sie lange Zeit allein waren?

Beim Uhrmacher war ich oft, habe ich es doch irgendwie immer fertiggebracht, dass die Federn meiner russischen Uhren schnell den Geist aufgaben. Vater hatte eine alte Uhr. Durch das blinde Glas konnte man nur schwer die Uhrzeit sehen. Sie hatte zum Glück große Buchstaben und Zahlen. Die Marke und das Herkunftsland konnte man nicht ablesen. Nachdem Vater in Rente ging, hat er sich vorgenommen, eine Schweizer zu kaufen, wofür er einige Jahre gespart hat.

Der Tag, als wir auf den Victoriei-Boulevard gingen, bleibt unvergesslich. Wir sind alle drei in Feiertagskleidung gegangen, wie in die Kirche, nur um eine Uhr zu kaufen. Damals schien es sonderbar, aber heute weiß ich, dass der Kauf einer Uhr ein besonderer Tag war, ein Ereignis, das nicht oft im Leben vorkam. Früher hast du eine Uhr von den Eltern bekommen und eine hast du dir gekauft, und fertig, das Leben war vorbei. Die von den Eltern bekommene hat man behalten. Es war die, die Andere am Lebensende vergessen in einer Schublade fanden, sorgfältig in einer Serviette oder einem verstaubten Taschentuch eingehüllt. Die selbst gekaufte hat man seinem Kind als Andenken an gemeinsame Erlebnisse gegeben. Wer Vaters Uhr bekam, war der Auserwählte. Die anderen Geschwister wurden beschenkt von Tanten oder anderen Verwandten.

Jede Familie hatte auch eine, zwei Tanten, ledig, ein Fräulein, Jungfrau. Und das war ihr Lebenssinn: Die Neffen und Nichten im Auge behalten und sie beschenken, zur Kirche gehen und Bestattungen organisieren. Am drolligsten war, dass diese ewigen Jungfrauen sich auch auf ihrem Grabstein die Inschrift „Fräulein“ wünschten. Wir Kinder lachten uns zu Tode, wenn wir zum Beispiel mit lauter Stimme lasen: „Kathi Marker, verstorben mit 90 Jahren, Fräulein.“ Natürlich hatten diese Tanten Schmuck und Uhren, nach denen allen gelüstete. Aber sie wollten sie über den Tod hinaus behalten und bekamen sie leider in den Sarg gelegt. Nachgeprüft wurde natürlich nicht, ob die mit Todeszunge geäußerten letzten Wünsche dieser Allwissenden erfüllt wurden.

Vater und Mutter haben im Bus kaum miteinander geredet. Vater brachte mit seinem Akzent alle Leute zum Lachen; warum, hat er eigentlich nie verstanden. Ich saß mit meinen Fragen zwischen ihnen und las manchmal ihre Antworten aus ihren Blicken.

„Vati, warum brauchst du eine neue Uhr, du hast doch eine. Gibst du sie mir?“
„Nein“, war seine entschiedene Antwort.
„Er wird dir die Uhr, die er jetzt kauft, nach seinem Tod überlassen, sie ist eine Schweizer und sehr teuer, ja, ja“, mischte Mutter sich ein.
„Nach seinem Tod. Wie lange soll ich denn warten, bis er stirbt?“, entglitt es mir, und schon spürte ich den starken Druck der Mutter an meinem Handgelenk.
„So etwas fragt man nicht. Das ist verboten!“
„Warum? Ich will die Uhr. Dafür muss er doch nicht sterben.“
„Schweig. Fertig. Es reicht.“

Sie ließen mich schluchzend wie ein Hündchen zurück an der Tür des Ladens mit Schmuck und Uhren irgendwo gegenüber des Victoria-Kaufhauses und traten ein mit einem Ernst vergleichbar mit dem Besuch einer heiligen Messe oder einer Aussegnungshalle. Der Verkäufer trug ein Lorgnon, der Laden roch anders.

Mutter war mit ihrer kleinen Uhr aus Metall zufrieden. Sie nannte es Gold, aber es glänzte kaum, ich glaube es war eine Imitation von irgendeiner Tante. Vater hat sich eine große, weiße Uhr gekauft, mit einem Lederband, eine Schweizer mit dem Namen „Tellus“. Die alte Uhr ist verschwunden und niemand hat sie mehr gefunden. Mit der neuen ist er sparsam umgegangen, damit die Feder nicht beim ständigen Tragen kaputt gehen kann, sagte Vater. So hat „Tellus“ den Hof nur selten verlassen, wenn ein wichtiges Ereignis bevorstand, etwa der Weg zum Bahnhof oder zum Spiel ins Stadion. Die Zeit auf dem Uhrzeigeblatt „Tellus“ schien auch weißer und raumgreifender zu sein. Diese Uhr gelangte ohne Armband in die Erinnerungsschublade und so verwitwet von der Zeit legte ich sie auch in eine Schachtel, unter eine Wattedecke.

Wenn Tante Elfi uns besuchte, trug sie immer eine Uhr mit stark leuchtenden Steinen.
„Willst auch du eine?“, fragte sie mich.
„Ja, eine mit Steinchen und Deckel.“
Tante Elfis Handuhr hatte einen Deckel; zuerst drückte man auf das Rädchen, und der Deckel sprang auf, dann konnte man die Uhr aufziehen.
„Woher stammt sie … so schön bunt?“
„Eh, aus dem Iran. Hans hat sie mitgebracht, als er dort auf dem Bau arbeitete.“

In den 70er Jahren arbeiteten viele Bauarbeiter in den arabischen Staaten. Sie schufteten einige Monate lang, kamen aber beladen mit „allem Möglichen“ zurück. Natürlich reihten sie sich danach zu den Uhren- und Jackenträgern ein. Mit dem verdienten Geld konnten sie sich Sachen im Shop (kleine nach Seife riechende Läden, mit Zahlungsmöglichkeit in Dollar und dem Personalausweis in der Tasche) kaufen. Sie brachten auch schöne Sachen mit, die sie an die Wände hängten und an die Hälse ihrer Frauen, damit sie ein jeder sehen konnte.

So füllte sich das Land mit Mitbringseln aus dem Serail und im Flug erstarrten Schwänen an mit Malerrollen bemalten Wänden. Die Gattinnen trugen Schmuck und die glänzenden Ohrringe ersetzten die aus Russland. Die Uhren waren mit farbigen Steinchen überzogen und aus den Fenstern winkten uns mit Händen oder Augen Haremsfrauen und Katzen aus verschiedenen Steinen.

Tante Elfis Gatte, Onkel Hans, war nur einmal in einem Iran-Arbeitseinsatz. In Deutschland haben sie ihm geglaubt, dass er dort verletzt wurde, und haben ihn behandelt. Er ist gesund in Rente gegangen, hat sich aus allem zurückgezogen, mit Geld auf der Bank, ohne Steuern zu zahlen. Steuern sind gemacht für die Arbeitenden.

Eigentlich weiß ich gar nicht, ob es Iran oder ein anderes Land war. Es war aber das einzige Land, dessen Namen sie leichter artikulieren konnten als Libyen, Libanon, Tunesien, Syrien oder Bahrein. Es war egal, wo sie waren, sonntags erzählten sie vor der lutherischen Kirche alle in verschiedenen siebenbürgischen Dialekten durcheinander, wie es war … im Iran.


[aus dem Rumänischen von Anton Potche]


*Worterklärungen
- CFR (Căile Ferate Române) = Rumänische Eisenbahngesellschaft

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