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Bei der Granatapfelernte in Rahova – 23
prosa [ ]
Erinnerungsroman von Anni-Lorei Mainka [Almalo ] (1958 - 2014)
Serien: Ãœbersetzungen

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von [Delagiarmata ]

2020-06-26  |   

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Ãœber den Gang zum Kindergarten

„Wo warst du so lange“, fragte Mihăiță mit einer halben Hand in der aufgerissenen Hosentasche der zu kurzen Hose und sich mit der anderen an seinem Milchschorf kratzend.

Ich weiß nicht, warum man den Schorf mit der Milch zusammen nannte, er sah schrecklich aus, braun-gelb und blau von der Tinktur, die damals über die Welt gekommen war.

„Ich war in der Stadt, mit der Straßenbahn bis zu einer Wölfin aus Stein mit zwei ebenfalls steinernen Kindern unter sich, in einem Haus, das man Kindergarten nennt, mit vielen Kindern, einem Kastanienbaum und ohne Blumen. Gehst du in den Kindergarten?“
„Nein, und auch mit der Straßenbahn fahren wir kaum. Wir haben einen Kindergarten unter dem Fenster und einen Flieder und Mutter Lila hat kein Geld …“
„Dort kostet es nichts, in der Straße mit grauen und dicken Häusern, es ist ohne Geld und es sind viele Kinder mit Arbeitervätern, denn die Partei liebt uns und wir zeichnen dort, machen Pipi morgens und abends und singen …“
„Ich kann nicht singen, darum gehe ich nicht in den Kindergarten. Glaubst du, dass die Partei mich nicht liebt, wenn ich nicht in den Kindergarten gehe?“
„Sie liebt uns alle. Wir haben Gedichte gelernt und wie man einen Bleispitzer benutzt. Was hast du gelernt?“
„Ich war am Brot, habe die Schweine gefüttert, habe mit Mutter Ampfer und leere Flaschen gesammelt, die wir verkauft haben, wir waren auf dem Markt, haben Pflaumen von diesem Pflaumenbaum, dem einzigen, verkauft, aber Gedichte habe ich keine gelernt … Ah, ich habe von Gică Petrescu* und Irina Loghin* gehört … also wer die Kneipe auf den Weg gestellt hat *… na wer? – hör zu, Vetter Sandu bei der Barriere und ein Johann Strauß, der an der Venus-Haltestelle wohnt … hahahahaha.“
„Ach, der, der älter als alle Weißbärtigen ist und dem Anschein nach die Geige mit den Fingerknochen festhält? Glaubst du, dass sie die Kneipe auf den Weg gestellt haben? … Ich nicht … Ich glaube, dass die Deutschen sie an ihren Platz gestellt haben, als sie mit den Panzern kamen. Und die Barriere haben die Türken gemacht und nicht die Russen … Das erzählt man im Kindergarten“, habe ich selbstbewusst aus dem Wochenbericht, der die Linien der uns über alles liebenden Partei vorgab, zitiert. Und dann fuhr ich fort: „Kennst du dieses Gedicht: Schlägst du mich, schlägst du dich, schlägst du auch in die Fabrik … Und ich kann noch eins: Ich will Brigadier werden, eine Schaufel und eine Maurerkelle … Ah, weiter habe ich vergessen.“
„Wie schön!“, seufzte Mihăiță, sich auch auf den Knien kratzend, denn auch die waren blau vom Jod.
„Sei nicht böse, ich lerne sie und sage sie dir, wenn ich heim komme, und du kannst sie dann allein lernen, und wenn die Partei dich ausfragen kommt, kannst du sie, und wenn sie mich liebt, liebt sie auch dich, weil die Partei liebt die Kinder und Arbeiter, und in allen Gedichten sind Kinder, die arbeiten.“
„Bist du dort in deinem Kindergarten mit einem Lastkraftwagen spazieren gefahren?“
„Nein, dort ist, wenn ich mit Mutter aus der Straßenbahn steige, ein Park, leere Bänke, denn du darfst nicht auf ihnen sitzen, es sitzen Vögel und paar müde Polizisten drauf. Lastkraftwagen habe ich keine gesehen.“
„Ich war mit Costel, meinem Bruder, unterwegs. Wir waren am Abend auf der Landstraße bis ins Dorf gegangen, um Mais und Kartoffeln auf dem Feld zu sammeln, aber er hat mir gesagt, ich soll nichts weitererzählen. Wenn ich groß bin, will ich auch Schofför sein und das Auto voll haben mit Mais und Kartoffeln.“
„Aber was willst du mit dem vielen Mais machen?“
„Damit wir halt keine Flaschen und keinen Ampfer mehr sammeln müssen. Hast du schon Ampfer gegessen?“
„Nein, Mutter hat gesagt, dass der für die Schweine ist.“
„Er schmeckt gut … und wir verfüttern ihn manchmal auch an die Schweine, wenn wir zu viel gesammelt haben … Was ist das, ein Bleistiftspitzer? Ich habe so etwas nicht.“
„Eben ein Schwan oder eine Kröte mit einem Loch, in das du den Bleistift hineinsteckst, der dann spitz wird und fein schreibt.“
„Ich will auch.“
„Ich sage es Mutter, aber ich will auch mit dir zum Sammeln von Flaschen und Ampfer gehen.“
„Gut, komm!“

Und so liefen wir entlang der bepflasterten Straße, der berühmten Măgurele-Chaussee, auf der Suche nach den verschiedensten Blättern, die wir aber sicher nicht als den Ampfer identifizieren konnten, den man essen kann. Wir sammelten ein, was wir als solchen hielten und steckten ihn in unsere Kleidertaschen. Mihăiță stellte uns seine Schirmmütze zur Verfügung, dann pfiff er auch noch und wir unterhielten uns über Politik und Partei und die Liebe, die aus allen Ecken und Enden der Stadt hervorschwebte.

Ich habe ihm jede Haltestelle von Rahova in Richtung Unirii-Platz beschrieben und ihm erzählt, dass die Tramway irgendwo vor einem hohen Zaun hält und man dort Pfauen sieht.

„Wie sehen die aus, die du Pfauen nennst?“
„Große Vögel - viel größer als die Truthähne Miticăs, der mit Tante Veta, die Borstsch verkauft - und mit runden und bunten Federn.“
„Und sie fliegen nicht?“
„Ich habe sie nicht fliegen gesehen, während die Tramway in der Haltestelle steht, aber sie geben lange Schreie von sich, böse glaube ich, wie du sie am Ende einer Hochzeit hörst.“
„Hast du aus der Straßenbahn gehört?“
„Ja, das Fenster steht offen in der Straßenbahn, Mutter und ich sitzen uns immer hin und sie sagt: der Pfau – păunul, die Kirche – biserica, die Nonne – călugărița.“
„Also du lernst die ganze Zeit solche Sachen? Ich habe gehört, dass eine Nonne eine Frau ohne Haus und ohne Mann ist … eine ganz schwarze Frau.“
„Mutter sagt, dass es gute Frauen sind und sie sich so kleiden, weil sie arm sind. Und den ganzen Tag beten sie.“
„Auch Mutter Lila betet, also sie sagt: Herr gib uns Ampfer, Flaschen und Vater Petre möge mit dem Geld nach Hause kommen … Ich bete zu nichts. Würde ich den Herrgott sehen, würde ich von ihm einen Teich verlangen, in dem nur ich fischen kann, und einen Lastkraftwagen, damit ich immer Mais habe.“
„Meine Mutter betet nur in der Kirche, aber sie hat dem Herrgott nichts verlangt, sie hat Vater unser gesagt und zu Boden geblickt, und von Zeit zu Zeit drückt sie meine Hand fester. Ich glaube, sie will mir etwas sagen, aber in der Kirche redet man nicht.“
„Also deine Mutter verlangt nichts? Warum betet sie dann?“
„Sie sagt eben Vater unser und ich glaube, das reicht, denn auch ich muss das abends vor dem Schlafengehen sagen, aber sie hat mir gesagt, dass es nicht schön ist, ihm etwas Spezielles zu verlangen. Ich verlange nur etwas von Väterchen Frost.“
„Ich verlange ihm nichts mehr, denn mir hat er nie etwas gebracht.“
„Ich gebe dir etwas, mir bringt er Bonbons in rotem und kaltem Stanniol, ein paar Orangen, Strümpfe, und ich habe auch Sparbüchsen aus Stein. Hast du keinen Fisch aus Glas? Ich habe keinen, Mutter hat gesagt, dass er uns keine Glasfische bringt.“
„Wir haben auch keine, aber ich habe welche bei Tante Petra gesehen, einen blauen und einen grünen … vielleicht war Väterchen dort müde und hat sie ins Fenster gelegt.“
„Die Pfauen singen noch wie die Eule, die du auch hörst.“
„Oh weh, so haben sie gesungen? Das bringt den Tod. Weißt du nicht, wie Mutter Lila ihr Kopftuch über die Augen zieht, wenn sie sie hört.“
„Eine Eule bringt nichts, hat Mutter gesagt, sie singt in der Nacht, weil sie dann fliegt, ein Nachtvogel.“
„Ich glaube, deine Mutter weiß nicht, wie schlecht die Eule ist. Mach das Licht schnell aus, wenn du sie siehst … Ich puste in die Glaslampe, denn Licht haben wir keins mehr, wir haben kein Geld.“
„Gut, wenn Mutter mich lässt, lösche ich das Licht aus, wenn ich eine Eule höre. Aber glaubst du, dass sie der Tod ist, der auch Costică aus dem Tal mitgenommen hat? Ich habe gehört, dass er mit DTT gegen die Mücken gesprüht hat und tot umgefallen ist.“

Onkel* Costică ist wirklich so gestorben, in seinem ewigen Kampf gegen die Fliegen. Kaum dass die neue DTT-Pumpe gegen die Mücken im Handel war, und schon verzichteten die Leute mit Geld auf die Fliegenklatschen. Seine Frau, Tante Stana, arbeitete im Garten einer wohlhabenderen Familie auf der Măgurele-Chaussee, Familie Vasile, Blumenhändler seit Generationen. Als sie eines Tages nach Hause kam fand sie ihn friedlich auf dem Bett liegen und das Haus in einer DTT-Wolke. Auch die Fliegen lagen tot von dem giftigen Sprühmittel herum.

Das Begräbnis war nichts Besonderes für uns Kinder. Wir durften abends nicht bis ans Ende der Straße gehen. Aber die Nachbarskinder von dort kamen mit Berichten, dass die Fliegen sich nicht eins, zwei unterkriegen ließen, sondern nachher herbeikamen und das Zimmer füllten. Die Alten der Straße versammelten sich und gingen gemeinsam, den Verstorbenen zu beweinen, und wir beneideten sie, weil wir wussten, dass dort gegessen und gelacht wird.

Nach dem Ableben von Onkel Costică haben auch wir diese Sprühpumpe nicht mehr benutzt, vor Angst, nicht in diesem penetranten Geruch zu ersticken. Dann erschienen auf dem Markt klebrige Bänder, an denen die Fliegen kleben blieben, eine neben der anderen. Und an den Türen der Geschäfte waren mehrfarbige, perlenartige Kunststoffvorhänge, durch die man schreiten konnte, zu sehen.

Wir haben eine Fliegengittertür montiert, grün gestrichen und mit einem Riegel versehen, den ich nicht vorschob, damit die Katze ins Haus konnte, wenn Mutter es nicht bemerkte.



[aus dem Rumänischen von Anton Potche]



*Worterklärungen

Gică Petrescu (1915 – 2006) = rumänischer Sänger und Komponist, beliebt für seine Romanzen
Irina Loghin (*1939) = rumänische Volksmusiksängerin, mit dem Beinamen „Königin der Volksmusik
Wer hat die Kneipe auf den Weg gestellt (rum.: Cine a pus cârciuma-n drum) = beliebtes rumänisches Volkslied
Onkel (rum.: nea oder nene) = eine appellativisch gebrauchte Anrede für ältere Männer (zB: nea Costică = Onkel, Bruder, Freund, regional auch Vetter Costică


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