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Im Heu
prosa [ ]

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von [Gustav_Sack ]

2015-07-30  |     |  Veröffentlicht von miron stefan



Es ist Juli, und in dem weiten Kessel liegt die Sommerglut so heiß, so drückend schwül und heiß, daß die bewaldeten Ränder dieses Kessels in der milchigen Bläue des Himmels schier verschwinden, so zittert und bebt die Luft vor ihnen auf und nieder. Und in dem Kessel steht weder Baum noch Haus, es ist eine glatte, wie auf einer Töpferscheibe gedrehte Mulde, von deren Rand sich Ackerstück an Ackerstück, Vierecke an Vierecke in nicht ganz konzentrischen Kreisen, in nicht ganz radialen Streifen in die Tiefe ziehen – gleißend gelbe Roggenfelder, bräunliche Kartoffel-, buntscheckige Buchweizen-, hellgrüne Haferfelder, in der Mitte aber, in dem Tiefpunkt der Mulde, liegen die Wiesen, so fette grüne Wiesen, daß auf ihnen sogar die Sumpfdotterblumen und schwarzpurpurnen Sumpfblutaugen wachsen mögen; aber grau wie ein ungeheurer Flechtenbelag sind die Wiesen heute anzusehen, und ein betäubender Geruch, ein süßer Geruch von welkem Ruchgras steigt von ihnen zu den Rändern des Kessels hoch. Die Dichter würden sagen, blutige Sensen haben Milliarden Kinder Floras hingemordet, aber es ist nur Heu, gutes, saftiges Heu, das da unten in der Mulde zum Trocknen liegt, und ein berauschender Duft. Und mitten in diesen betörenden Klee- und Thymiangerüchen, mitten in dem ungeheuren Kessel von Schweigen und Glut bewegen sich zwei Menschen hin und her, und blicktest du von der Höhe und dem schattigen Waldsaum herab, so würde es dich anmuten, als ob dort unten zwei winzige Magnete sich anziehn und fliehen, anziehn und fliehn.
Es ist der Bauer Buchenkamp, der da oben hinter dem Walde im Osten seinen Hof hat, und seine Tochter Marie. Er – fünfundvierzigjährig, groß, hager, in seinen Augen, die nicht gemacht sind, in eine idealistisch verbrämte Weite alias Tiefe zu sehen, liegt eine herbe Grausamkeit, und in seinen Armen, die sich niemals jubelnd verzückt ausgebreitet haben, ist eine arme Eckigkeit; aber sein Haar ist stark und sein kurzer Bart dicht und kraus. Er ist Witwer, denn seine Frau ist im Kindbett gestorben, und seitdem liefen fünfundzwanzig Jahre ins Land, fünfundzwanzig Jahre ohne Liebe und ohne Genuß – wenn es überhaupt einen anderen Genuß als die Liebe gibt und wenn man das satte Ruhen nach schwerer Arbeit und das Bewußtsein des Erfolges schwerer Arbeit nicht als Genuß gelten lassen will –, denn von den Hanswurstgenüssen der Ästhetik und Philosophie konnte bei Buchenkamp nicht die Rede sein. Im übrigen ist er geachtet im Lande, und seine Knechte und Mägde nennen ihn einen guten Herrn. Und sie – fünfundzwanzigjährig, fünfundzwanzig Jahre ohne Liebe und nur mit dem einen Genuß des Ruhens und verträumten Sehnens, wenn man ein solches verträumtes und sich selbst befriedigendes Sehnen nicht als den feinsten Genuß bezeichnen will. Und beide lebten in Arbeit und einer flachen Wunschlosigkeit, die ihnen aber als solche nicht zum Bewußtsein kam. Mariens Liebesleben übrigens den sie zahlreich umwerbenden Burschen gegenüber bestand in einem lässigen Dulden einiger bäurischer Handgreiflichkeiten, die sich so regelmäßig wiederholten, wie die Feste und Wallfahrten kamen; von etwas anderem oder gar einer bestimmten Neigung war nicht die Rede, aber ihr Haar ist schwer und feuerrot, und ihre Brüste sind üppig und breit.
Und die ruhelose Arbeit geht fort, denn der glühende Tag muß ausgenutzt werden, und die Wiese ist groß und sie nur zu zweit, um mit langen Rechen die duftende Überfülle hin und her zu wenden, sie in langen, flachen Reihen aufzuhäufen und diese immer wieder umzuschichten, damit die Sonne auch den letzten Tropfen Lebens aus den Halmen zieht; es ist eine lustige Arbeit, die Augen blinken, und die Röcke fliegen. Und wenn sich Vater und Tochter begegnen, lachen sie sich an. »Es ist heiß, Marie.« – »Ja, Vater, es ist heiß.«
Aber es ist eine Lustigkeit eigener Art, eine Lustigkeit, die tiefer sitzt, und die Blicke, durch die sie spricht, haften seltsam aneinander, denn es ist stickend heiß, die Luft ist schwer von Duft, und die Körper, die da wie im glühen Raume hin und wider kreisen, brennen vor Glut und Schweiß, und darum ist ihre Lustigkeit eigener Art, denn die Augen leuchten nun nicht mehr, sondern glänzen starr und stumpf vor sich hin, ins Weite, einer am andern vorbei – sie fiebern, und das Blut hämmert in den Schläfen.
Es ist stickend heiß, und die Milliarden aufgewirbelter Staubpartikel der toten Gräser machen die Kehle trocken und lassen die Augen schmerzen, und der Schweiß fließt. Er fällt in dicken Tropfen von der Stirn und rinnt kühlend die Brust herab; er bricht aus allen Poren aus, so daß die ganze Kleidung, Hemd und Rock, am Leibe klebt. »Es ist heiß, Vater.« – »Es ist heiß, Marie«, und sein Blick klebt an ihrer Gestalt.
Da lassen sie die Rechen fallen und entledigen sich der Kleidung, so weit sie sich ihrer entledigen können, und arbeiten fort und wenden und harken und wenden, nähern sich, entfernen sich – alles bis auf Hemd und Rock hat sie fortgeworfen, und wirbelt sie nun einen Ball der glühenden Halme gegen ihr pralles, oft bis über die Knie entblößtes Bein, so steigt ein wildes Prickeln fiebernd an ihrem Leibe hoch. Und sie fühlt, wie er – denn sie sagt in Gedanken ›er‹ –, wie er ihr folgt, wie sein Blick auf ihrer halben Nacktheit liegt, deren strotzende Fülle das eng am Leibe liegende Hemd kaum umfassen kann; sie fühlt es, aber sie hat nur das eine Gefühl: es ist mir gleich. Und es ist ihr gleichgültig, daß er mit einem Ruck sein Hemd vom Körper streift und sich auf den Rechen stützt und sie mit langem Blick betrachtet, während sie die Hand unter ihr Hemd führt, um das feuchte Tuch von ihrer Haut zu lockern, und es ist ihr gleichgültig, daß sie beim Zurückziehen ihrer Hand die Brust entblößt; sie verhüllt sie nicht, sie fährt streichelnd über die pralle Fülle und enthüllt sie ganz und atmet tief, wie sie sich unter einem leichten Lufthauch kühlt und strafft. Aber ihren weitausladenden Armbewegungen und den ruckhaften Bewegungen der rechten Schulter unter dem feuchten Hemd dürfte die Neugierde zugrunde liegen, ob es ihr nicht gelingen möge – und es gelingt, denn nun quillen ihre beiden Brüste nackt aus dem Hemd hervor. Ihr Blick aber fängt an, den seinen zu suchen und zu meiden, wie sie ihn aber zum zweitenmal gefunden hat, läßt sie den ihren langsam an ihm niedergleiten; bis er plötzlich vor ihr steht und neben sie tritt, scheu, mit gesenktem Blick.
Dann aber legte er seinen Arm um ihre Hüfte – »Marie!« – und ging mit ihr fort, geradeaus, ins Blaue hinein; und seine schwielige Hand tastete wie verstört, wie verzückt über die Fülle ihrer Brust. Sie finden kein Wort, aber es genügte ihnen, daß sie ihre Hüfte an die seine schmiegte. An einer kleinen Bodenwelle legten sie sich nieder; ihr Hemd ist tief geöffnet, und ihre Nüstern sind gebläht, und brandrot leuchtet ihr Haar, ihr Blick aber flackerte lechzend in den Himmel, in die Sonne, irgendwohin; und da ihre Bekleidung nur aus einem Hemd und einem knielangen Rock bestand und da sie sich so niedergelassen hatten, daß er am Grunde der kleinen Bodenwelle lag, auf deren Höhe sie mit hochgezogenen Knien ihm gegenübersaß, bot sie ihm freigebig den unbehinderten Anblick ihres letzten Reizes dar. Er aber vermochte dieser Lockung nicht zu widerstehn, sondern warf sich vor ihr nieder und streifte ihr, während sie sich hintenüber fallen ließ, mit einer Zartheit der Bewegung, die man dieser verarbeiteten Hand nicht zugetraut hätte, Rock und Hemd bis über den Leib hoch und preßte seinen Kopf in ihren Schoß.
Als sie aufwachten – denn die Sonnenglut hatte sie bald in einen tiefen Schlaf gedrückt –, war die Luft klar geworden, klar hob sich die bläuliche Linie des Waldes an der Höhe gegen den nun schon wieder dunkelblauen Himmel ab, und ein ferner turmgekrönter Berg drohte mit seinem Finger in die Luft, während im Osten ein Wolkengebirge aufgetürmt war, das, wie von seiner eigenen Schönheit berauscht, unverändert, unbeweglich stillestand. Denn als die Sonne im Westen hinter den Horizont gefallen war, verschwand die dunklere Nachmittagsbläue des Himmels und ward zart rosenrot, welche Färbung aber im Osten einer violetten wich, der im Westen eine leise meergrüne gegenüberglummte; in jenen violetten Dunst hinein aber hatte sich das Gebirge aufgebaut. Da waren zuvorderst drei Türme, als hätte eine Hand von oben drei Riesensäulen eingepreßt, aber elastisch bäumten sie sich in üppigen Windungen gegen den Druck hoch, gleißend weiß, die Schatten der Windungen bläulich rot und ihre stolzen Ränder rot wie die Blätter der Hagebuttenrosen; hinter ihnen jedoch starrten zerrissene Klippen, zahllos, rot wie Korallen und zerklüftet und steil wie die Riffe eines Dolomitenstockes empor, schieferblau und wuchtig fielen die Schatten der drei Säulen hinein in dieses tiefe Felsengewirr; aber hinter allen und alle überragend lag weit fern, so fern, daß die Schatten der Säulen und Dolomiten nur auf dem krausgewellten Fuße dieses Berges lagen, eine Bergkuppe, majestätisch geformt wie der Gipfel des Kilimandscharo; die war flamingorot und stach mit ihrer unsäglichen Reinheit blendend ab von dem violetten Dunst des himmlischen Hintergrundes. Und unbeweglich stand dieses Gebirge, so vollkommen, so vollkommen wie das Glück selbst.
Aber sie sahen es nicht, sie sahen auch nicht den Glanz, den die Röte des Abendhimmels über ihre Glieder gebreitet hatte; sie sahen nur ihre derbe Nacktheit, fühlten ihre wollüstige Müdigkeit und sagten sich, während ihnen ein wenig die Sinne schwindelten, daß alles dieses Nackte ihnen zugehörte; im übrigen aber sahen sie nur, daß eigentlich für heute die Arbeit nicht getan war: Für solche Menschen ist eben ein Wolkengebirge nicht da, sie sind eben zu dumm. Aber sie müssen es doch in sich aufgenommen haben, so daß es in ihnen weiterwirkte, denn sie ließen die Arbeit liegen, kleideten sich an und gingen Hand in Hand, schweigend wie Verliebte, heim.
Da entbrannte über ihnen der Himmel in einem roten Leuchten, und das Gebirge im Osten blähte sich stolz, und düsterrot-still ward die Welt, denn es gab keinen Klang für sie, keinen Ton, in dem sie ihre Schönheit zusammenreißen und in einer Fanfare in das Nichts hätte austönen lassen können. Aber die beiden Menschen trieb die Heiligkeit dieses Schweigens wie mit roten Ruten heim, so daß sie hasteten und eilten und atemlos in ihren Hof sich retteten.
Vom nächsten Tage an, denn in dieser Nacht lagen sie irgendwo, bezogen sie ein gemeinsames Schlafgemach und lebten zusammen wie Mann und Weib. Als aber der Herbst kam, der die Folgen ihres Verkehrs sichtbar machte, und es ihrer Sinnlichkeit nicht einfiel, dieses zu verbergen, denn sie ließ vielmehr ihre veränderte Gestalt als immer heftigeren Reiz und neue Lockung wirken, gelang es irgendwem, den Arm der Justiz auf ihn zu lenken, und nur in letzter Stunde vermochte er diesem durch einen raschen Selbstmord in den Weg zu fallen. Sie aber duldete es nicht, daß die Verzweiflung sie übermannte, sondern ließ ihre Frucht reifen und brachte zu ihrer Zeit einen Knaben an das Licht der Welt. Und da der Vormund dieses Kindes ein Rechtsanwalt war, der folglich anderes zu tun hatte als uneheliche Kinder zu erziehen, überließ er ihr die Erziehung ihres Knaben, den sie nach dem Vorbild ihres Vaters zu einem Bauern und in geeigneter Stunde zu einem zweiten Ödipus erzog; aber sie gebar kein Kind von ihm, ihr Anwesen wuchs, und sie starb nach langen Jahren geachtet und geliebt und verrufen als die blutschänderische Schlußfigur dieser absichtlichen Geschichten.


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