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■ Eine Krone von Veilchen
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- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 2013-08-03 | |
Es muss im Nachtdienst gewesen sein: Es wiederholte sich nur nachts, wenn alle schliefen. Die Böden entlang schauend musterte ich mit Bewunderung die Genauigkeit des Putzdienstes, welcher uns in ruhiger Verfassung doch konstant einen leuchtend glatten Boden verlieh und die Atmosphäre erleichternd einen freundlichen Beitrag zur Langlebigkeit unserer Patienten zollte.
Die Damen hatten Tags gearbeitet. Der Abenddienst hatte inzwischen alle Patienten zu Bett geleitet. Wo die letzten Medikationen eingenommen werden mussten, hatte der Pfleger oder die Pflegerin gewacht, dass nichts zu Boden rollte. Ich erwartet keine Störung in meiner Durchsicht der Beobachtungen, welche ich teils zu lesen, teils auszubessern hatte, um jeden Patienten mit einer genauen papiernen Beobachtung wieder entlassen zu können, wenn der Entlassungstermin nahte. Ich sah mich um, ein Gefühl der Verantwortlichkeit hatte mich beschlichen, das jede unsachgemäße Gepflogenheit in der Formulierung über den jeweiligen Neuankömmling zwar einsah, aber nicht unnotiert durchlassen konnte. Es ging schnell, denn ich kannte die Allgemeinwerte im Zustand unserer ältesten Patienten inzwischen sehr gut, einschließlich der immer wieder kehrenden Rückfälle von Heißhungerattacken nach Resten aus der Küche erbettelt, oder Depressiver Blutarmut wenn mancher Raucher zu lange Zeit immer wieder abgelehnt worden war. Höflichkeit war schließlich ein Markenzeichen des Hauses. Deutscher Wirtschaftsgüte. Nein, auch hinter mir saß niemand, denn meine Schicht- Kollegin war beschäftigt damit die Pulszeichen am EKG eines ehemaligen Krebspatienten im Wachzustand nach dem operativen Eingriff zu überwachen. Nicht alle befanden sich in terminalem Zustand. Sie wusste es und wollte nicht jemanden zu lange aleine lassen. Trixie nannten wir sie unter uns. Damit Trixie sicher auch „etwas tat“, hatte sie sich Medikationstabellen zur Einsicht erbeten. Sie kam kreidebleich und ganz verzagt nach zehn Minuten wieder. „Da ist jemand.“ „Wo denn?“ war meine gleichgültige, jedoch warme freundliche Antwort. „Es spukt im Saal.“ Dieser Wohnraum, wo auch die Malzeiten eingenommen wurden, war nach außen hin völlig offen, fast eine Bühne wirkte er. So schüttelte ich den Kopf, und fand das Ganze lächerlich dumm. Sie hatte wieder den Geburtstagskalender studiert, erinnerte ich mich an ihre „Beichte“ ihrer Jugendfehler, und war im Denken bestimmt damit beschäftigt gewesen, einen Löwen oder einen Steinbock im Abreißkalender unseres Berufsjahres unter die Haube zu bringen, indem sie sich intensiv damit beschäftigte, was dieser junge Träumer-Mensch wohl in seiner Freizeit für Hobby-Geldausgaben wohl machen müsste. Ich wusste, ich durfte das nicht ansprechen, weil es sie traurig gemacht hätte, und Trauer darüber was sich nicht mehr ändern lässt, gibt auch kleinem Zorn neuen Mut; sie dessen für schuldig zu erachten war schwierig – also ermunterte ich sie, Ihre Kompliziertheit nicht durch nächtliche Einfälle zu überdecken, um mir einen Bären aufzubinden. „Du denkst da sei nichts – geh doch selbst durch den Gang“, lächelte sie mir kummervoll zu, „ich mach dir nichts vor“. Während ich den „Beobachtungposten“ im Schwesternzimmer verließ, gab sie mir doch ihre ganze seelische Verfassung preis, hagelte sie Sprüche auf mich herab: „Es gibt auch dunkle Dinge hier“, „Pass auf. Du – na, Hals und Beinbruch!“ Ich wusste, dass ich den Kopf nicht zu wenden brauche. Es ergaben sich manchmal Zwischenfälle im alltäglichen Muster unserer Programme, beispielsweise wenn ein Masseur zu spät kam oder die Krankengymnastin ihre Mitarbeit manchmal an den Nagel hängte, so dass wir ein paar Wochen ohne die Belastungshilfe auszukommen hatten – dann wurden die reinsten Lämmchen rabiate Jugendliche, oder entdeckten wir einen Struma urplötzlich bei jemandem der niemals bei der Einweisung darauf Hinweise aufgewiesen hatte. Aber dass Mittenacht mehr bedeuten sollte, als der Anfang eines neuen Tages, dafür hatte ich einfach keinen Beleg. Wir hatte wohl einmal Mäuse gehabt, früher im Wirtschaftwunder, als sich kaum jemand Gedanken gemacht hatte über Umweltkunde -und Schutz, so dass damals überall Fallen aufgetaucht waren, Ungeziefer dingfest zu machen. Zwischenräume wurden vollgesprüht mit Infusionen aus Petroleumgas und einer Abdeckung, damit keimfreie Böden oberhalb der Infektionsherde blieben. Ich versuchte mir eine Attacke einer hungrigen Mäuseherde vorzustellen, welche kurz nach Mitternacht unsere Wenig-Mann-Besetzung ausnützend, einen Einfall geplant hatte. Da schob ich die Vorstellung in mein Gedächtnis und begab mich auf Spurensuche, bevor sie Grauen im Magen verursachen würde. Im Lagerraum keine Hinweise auf Verschiebung, Annagen oder Herumwühlen. Im zweiten Aufgang keine Löcher in den minimalen Rissen zwischen Mauer und Spalt, im Desinfektionsraum keine nächtlichen Geräusche und im Wäschelager alles unter Dach und Fach. Ich kannte auch dort die kleinen Spalte zwischen festgeschnürten und angenagelten Regalen und Wohnraummauer, jedoch hinzuschauen, hätte eine Detektivausrüstung erfordert, bei der Sparbirne die unserm Markenzeichen Konkurrenz drohte. Früher war ich gerne hier gewesen, wenn jemand verstorben war, aus Kummer über vermisste Besuche des Patienten oder aus Selbstmitleid und Verwöhnung – ich musste jedes Mal meine innere Seelenschäden absuchen, damit meine Phantasie keine Flügel bekam. Da hörte ich es auch: Es war kein Klopfen, jedoch etwa ebenso laut. Es war auch kein Summen, jedoch vibrierte etwas unter meiner Fußsohle. Aber immer wieder wurde es unterbrochen. Der Laut kam aus dem entgegengesetzten Raum der ehemaligen Krebspatientin. Und der Verursacher hatte anscheinend nicht geahnt, dass auch nachts jemand zur Stelle sein würde. Ein kühler Schweiß lief gerade meine Wirbel entlang, während ich dachte, dass ich ja lang genug ausgeruht hatte während des freien Tages, so dass die schwachen Nerven meiner Kollegin entschuldbar würden. Wen würde ich in welchem Zustand dort auffinden? Meine Spürnase sagte mir, es roch unwahrscheinlich süß. Damit ich dem potentiellen Schlafwandler nicht zu Tode erschreckt zog ich meine weißen Sandaletten aus. Meine Schichtleitung hatte sie immer bemängelt. Ein weiß-bläulicher Schatten zog die gegenüberliegende Wand entlang. Wir würden einander nicht begegnen, wenn ich den Atem so lange zurückhielt. Der Mann war etwas unter eins achtzig hoch und zeigte kräftige Körperkonturen. Ich würde ihn nur mit spontaner Manipulation auf der Beinebene, als sanfte Gewalt, aufhalten können, bevor er den Weg über den Raucherbalkon wieder ins Freie finden würde, den man von mehreren Seiten begehen konnte. Also preschte ich nach vorne los. Ich wurde schwach, als ich merkte er kam mir entgegen. Ich würde die Figur also früher ausführen müssen. Meine Oberschenkelsehnen wollten schon sinken, als mir der Täter eine offenstehende Zimmertüre zeigte. Mein Nachtschreck verzog sich in sein Schlafzimmer. Als ich das Gelände inspizierte, er hatte senile Züge wenn er im benachbarten Frauenzimmer das Bad aufsuchte, sah ich, dass er hellwach gewesen, und die Türe vor meiner Nase geschlossen hatte. Ich würde klopfen, wenn ich eintreten wollte. Meine Kollegin war immer noch nicht zur Stelle und verhielt sich ruhig. Sie hatte ihn mit ihren Sprüchen in die Flucht jagen wollen und geschafft. Über einen Küchenschrank leicht gepudert, war mein Angreifer gegen seinen Zuckermangel selbst vorgegangen. |
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