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Was ist \"Heimat\"?
prosa [ ]
Ein Nachmittag in einer der vielen Fußgängerzonen Deutschlands.

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
von [Frau A ]

2010-11-21  |     | 



Zuerst sehe ich sie gar nicht und laufe fast an ihr vorbei. Ich höre plötzlich nur ein leises Krächzen auf Rumänisch aus der unteren linken Ecke. Sofort bleibe ich stehen und schaue runter: dort hockt sie mit einer löchrigen Jacke und einem Kopftuch, fest um ihren abgemagerten Schädel gebunden. Ein leerer Pappbecher aus einem der vielen Fast-Food-Läden steht vor ihr, aus dem mich ein einzelner Euro heraus anfunkelt.

Sie kann mir nur sagen, was Heimat nicht ist: Abends im Park übernachten zu müssen, kein Dach über dem Kopf zu haben, seit vier Stunden auf dem kalten Asphalt in der Innenstadt zu sitzen und für ihre leukämiekranke kleine Tochter betteln zu müssen.
Ihre Tochter, die in Rumänien auf das Geld wartet. Ja, ergänzt sie dann noch, ihrer Tochter helfen zu können, ihre Tochter gesund zu wissen, wäre Heimat. Familie sei Heimat, ihre Tochter lebe in ihrer Heimat.
Dabei verzieht sich ihr Gesicht ganz merkwürdig und ich muss an die Beerdigung meines Großvaters denken: sie sieht aus wie eins der rumänischen Klageweiber, kurz bevor sie mit ihrem Trauergesang um meinen verstorbenen Großvater beginnen wollten.
Ich höre auf zu fragen, weil ich weiß, was mich erwartet.

Schließlich bittet sie mich ein Schild für sie zu schreiben; eins, wie man es von anderen Bettlern kennt, auf dem dann steht, dass sie Hunger haben oder Hilfe brauchen, weil sie ihre kranken Verwandten unterstützen müssen.
Zunächst schäme ich mich, bin mir nicht einmal sicher, ob sie überhaupt die Wahrheit sagt. Ich weiß es nicht.
Aber schließlich hocke ich mich zu ihr und schreibe ihr ein Schild, genau so eins, wie es jeder kennt. Ich kann nur hoffen ihrem Verständnis, ihrer Erfüllung von Heimat ein wenig näher gekommen zu sein.

~~~~~~~~~~~~~~~~~

Dort stehen sie, beide ineinander verschlungen. Sie hält eine Zigarette in ihrer linken Hand, mit der rechten hält sie sich an ihm fest. Nur um genüsslich an ihrer Zigarette zu ziehen, löst sie sich kurz von seinem Mund, aber auch nur kurz. Schnell sucht sie wieder seine Lippen, um ja nichts zu verpassen, um ihn nicht zu verpassen.
Beide haben ihre Augen geschlossen, auf ihren Gesichtern erkenne ich keine Anspannung, keine Hektik, keine Anzeichen dafür, dass ihnen die vielen gehetzten Menschen, die an ihnen vorbeirauschen, überhaupt auffallen. Sie scheinen gar nicht zu wissen, wo sie sich gerade befinden. Hauptsache der andere ist da, um sich an ihm festzuhalten, denn das ist Anker genug, egal wo.

Und genau dieser Moment, wie sie dort stehen, hindert mich daran sie anzusprechen, sie zu fragen, was Heimat für sie bedeutet. Weil ich glaube ihnen ihre Antwort bereits ablesen zu können.

~~~~~~~~~~~~~~~~

„ Was Heimat für mich bedeutet?

Ja, ich muss sagen, dass ich mich in dieser Welt noch nie wirklich heimisch gefühlt habe. Ich habe in Marburg, Frankfurt, Italien und Afrika gelebt. Aber wirklich wohl habe ich mich dort nie gefühlt. Selbst als ich nach Marburg zurückkehrte und gehofft hatte, dass sich das Gefühl vielleicht doch einstellt, geschah nichts. Es fühlte sich immer noch leer an.

Ob das Gefühl der Leere immer noch besteht? Ob es wirklich nichts gibt, dass ich mit Heimat verbinde?
Doch- jetzt schon –vor vier Jahren habe ich jemanden kennen gelernt und seitdem habe ich das Gefühl angekommen zu sein.

Wen ich kennen gelernt habe?
Natürlich dürfen Sie fragen.
Ich bin Jesus Christus, ich bin dem Himmel begegnet.

Inwiefern so etwas Abstraktes meine Heimat sein kann?
Jesus Christus ist nicht abstrakt. Ich fürchte mich nicht mehr vor Situationen, weil ich weiß, dass Gott und sein Sohn bei mir sind. Mein Herz fühlt sich satt an, ruhig. Ich kann mich selbst besser leiden, ich bin endlich in mir Zuhause. Und so kann ich mich sogar in dieser Stadt heimisch fühlen.“

Sie ist die einzige, die mich nicht misstrauisch anguckt. Sie ist die einzige, die gelächelt hat, die freiwillig erzählt. Und wie sie vor mir steht und ihre grünen Augen strahlen.
Sind Augen angeblich nicht das Tor der Seele? fällt mir ständig ein, während ich sie anschaue. Ihre Augen strahlen immer mehr und sie hört gar nicht mehr auf zu lächeln.

Auch wenn ich ihre Heimat nicht teilen kann, so muss ich immer wieder - auch später noch - an ihre Augen denken, an ihre Seele, die so glücklich scheint.

Und dann gibt es etwas in mir, was sie ein ganz kleines wenig beneidet.

~~~~~~~~~~~~~~~~~

Und was ist mit mir?

Ich sehe mich oft noch im Garten.
In dem Garten, mit den zwei riesigen Kirschbäumen, zwischen denen eine blaue Hängematte hing.

In diesem Garten habe ich mein erstes Buch gelesen – es war Pippi Langstrumpf – und ich glaube, dass meine Bewunderung für dieses kleine, freche Mädchen nie verloren gehen wird.

In diesem Garten habe ich mir mit meiner besten Freundin ewige Freundschaft geschworen und als wir älter wurden lagen wir im Sommer in Badeanzügen im Gras und versuchten verzweifelt braun zu werden. Ich schlief meistens in der Mittagssonne uneingecremt ein und wachte immer mit einem Sonnenbrand auf.

In diesem Garten kletterte mein Vater auf die Kirschbäume und pflückte die roten Murmeln eimerweise. Ich aß so viele, dass ich Bauchschmerzen davon bekam, aber es war mir egal. Ich sehe mich immer noch mit meinem kirschrot verschmierten Mund, meinen klebrigen Händen und einem breiten Grinsen unter dem Kirschbaum stehend, auf meinen Vater wartend, hoffend, dass der nächste Eimer voll sein würde.

Aber nun gibt es diesen Garten nicht mehr. Zumindest nicht mehr für mich.
Als ich ihn das letzte Mal besucht habe, fielen die Blätter und ich merkte, dass er alt geworden war. Viele Äste waren verdorben, abgefallen und mein Garten ähnelte immer mehr einem Friedhof. Die Dinge, die diesen Garten einst ausgemacht haben, sind verblichen und zu Erinnerungen geworden.

Ich musste weiterziehen und trotzdem wusste ich lange nicht, wie ich mich Zuhause fühlen könnte, ohne meinen Garten, ohne seinen Anblick.

Doch irgendwann fiel mir wieder eine Liedzeile ein, die zwar schön klang, aber die ich lange nicht wirklich begriffen hatte.
„Home is nun mal where your heart is“, singen Tomte. Und als ich sie letztens wieder hörte und sie in meinen Gedanken zerlegte, verstand ich:

Einen kleinen Splitter Herz habe ich irgendwann zwischen Pippi Langstrumpf und Sonnenbrand in diesem Garten verloren. Aber es gibt noch mehr Herz zu verlieren – in einer neuen Stadt, an einen neuen Menschen, in einem bestimmten Moment.

Und dieser Gedanke tröstet mich.

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